OGH 3Ob162/14s

OGH3Ob162/14s22.10.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner

als Vorsitzenden sowie den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei H*****, vertreten durch Dr. Stefan Gloyer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen den Gegner der gefährdeten Partei Dr. E*****, vertreten durch Hämmerle & Hübner Rechtsanwälte GmbH in Innsbruck, wegen Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 381 Z 2 EO, über den Revisionsrekurs der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 9. Mai 2014, GZ 3 R 144/14v‑24, womit infolge Rekurses des Gegners der gefährdeten Partei der Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom 19. Februar 2014, GZ 16 C 1595/13g‑9, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs der gefährdeten Partei wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahingehend abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die gefährdete Partei hat ihre Kosten des Rechtsmittelverfahrens im Provisorialverfahren vorläufig selbst zu tragen.

Der Gegner der gefährdeten Partei hat seine Kosten des Rechtsmittelverfahrens im Provisorialverfahren endgültig selbst zu tragen.

Begründung

Die Streitparteien sind Mit‑ und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft in Innsbruck. Die dem Gartenanteil des Beklagten zugeordnete nordwestliche Stützmauer hinter dem Wohngebäude ist schadhaft. Sie weist tiefe Risse auf; es lösen sich bereits größere Betonteile an der Mauerkrone und am Mauerfuß. Die Standsicherheit der Stützmauer ist nicht gewährleistet. Ein plötzliches Versagen etwa durch starken Niederschlag ist nicht mehr auszuschließen. Es besteht derzeit Gefahr für Leib und Leben, dies insbesondere in Bezug auf den Zugangsbereich zu den Wohnungen der Klägerin. Speziell bei starkem Niederschlag ist das jederzeitige Wegbrechen der Stützmauer nicht auszuschließen. Am Wochenende des 2. und 3. November 2013 brachen infolge starker Regenfälle weitere größere Betonteile heraus. Die Intervalle, in welchen Mauer-/Betonteile der Stützmauer herausbrechen, weisen immer kürzere Abstände auf. Durch das stetige Herausbrechen von Mauer-/Betonteilen aus der Stützmauer nimmt die Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Hausbewohner, darunter auch der Klägerin und ihrer Familie, (durch Abrutschen von Erdreich und Mauerteilen auf das Wohnhaus) kontinuierlich zu.

Der Magistrat der Stadt Innsbruck hat mit Bescheid vom 7. August 2013 die Benützung der (ca 1,40 m breiten) Fläche zwischen der nordwestlichen Stützmauer und der Hausfassade untersagt. Die gefährdete Partei hat mittlerweile einen anderen Zugang zu ihren beiden Wohnungen. Die Benützung des Hauses wurde nicht untersagt. Mit einem weiteren Bescheid vom 26. August 2013 hat der Magistrat der Stadt Innsbruck den Eigentümern der baulichen Anlage unter Auferlegung einer Frist von vier Monaten Instandsetzungsmaßnahmen aufgetragen.

Das Erstgericht gab dem auf das Gebot der Vermeidung des Abrutschens von Erdreich auf das Haus und die Fläche zwischen Haus und Stützmauer gerichteten Sicherungsantrag statt (ON 2) und bestätigte über Widerspruch des Gegners der gefährdeten Partei (ON 3) seine einstweilige Verfügung (ON 9).

Über Rekurs des Gegners der gefährdeten Partei wies das Rekursgericht den Sicherungsantrag der gefährdeten Partei ab (ON 24). Angesichts des Untersagungsbescheides des Magistrats der Stadt Innsbruck vom 7. August 2013, des Auftrags des Stadtmagistrats vom 26. August 2013 und des Bestehens eines anderen Zugangs zu den Wohnungen der gefährdeten Partei fehle es an einer konkreten und unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben. Außerdem weise das Wohnhaus unstrittig bereits seit Jahren Substanzschäden in Form von feuchtem Mauerwerk auf. Dass ein Abrutschen von Erdreich unmittelbar bevorstünde und es im Fall des Abrutschens von Erdreich und einem damit verbundenen Einsturz der Mauer zu weiteren Substanzschäden am Haus kommen werde, die nicht durch Geld bzw nicht adäquat ersatzfähig seien, sei weder behauptet noch bescheinigt.

Der Revisionsrekurs wurde mit der Begründung zugelassen, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob eine konkrete Gefährdung für Leib und Leben zu verneinen sei, wenn in einem verwaltungsbehördlichen Bescheid ein Betretungsverbot hinsichtlich eines Teils einer Liegenschaft ausgesprochen und den Eigentümern des Wohnungseigentumsobjekts die Sanierung binnen vier Monaten aufgetragen worden sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der gefährdeten Partei aus dem Revisionsrekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

In seiner Revisionsrekursbeantwortung beantragt der Gegner der gefährdeten Partei, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist auch berechtigt.

Das Revisionsrekursvorbringen lässt sich dahin zusammenfassen, dass das Rekursgericht die Gefahr einer ernsten Schädigung der Bausubstanz des Hauses und die damit verbundene Gefahr für die körperliche Unversehrtheit der Bewohner vernachlässigt habe. Die Gefahr einer Hangrutschung führe zu einer massiven Einschränkung der Lebensqualität und zu erheblichen psychischen Belastungen. Nachteile dieser Art könnten nicht durch Geldersatz ausgeglichen werden.

Dazu wurde erwogen:

1. Die gefährdete Partei hat ihren Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung darauf gestützt, dass die Verfügung zur Abwehr eines drohenden unwiederbringlichen Schadens nötig sei (§ 381 Z 2 EO). Es bestehe nämlich die konkrete Gefahr, dass durch das Abrutschen von Erdreich auf das dahinter befindliche Wohnhaus das Leben und die Gesundheit der gefährdeten Partei und ihrer Familie beeinträchtigt werde. Zudem bestehe auch die konkrete Gefahr, dass es diesfalls zu einem Gebäudeeinsturz komme.

2. Zur Sicherung anderer Ansprüche als Geldforderungen können einstweilige Verfügungen getroffen werden, wenn diese zur Verhütung drohender Gewalt oder zur Abwendung eines drohenden unwiederbringlichen Schadens nötig erscheinen (§ 381 Z 2 EO).

2.1. Die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 381 Z 2 2. Fall EO setzt die Behauptung und Bescheinigung von Umständen (durch die gefährdete Partei) voraus, die die Annahme eines drohenden unwiederbringlichen Schadens rechtfertigen. Wenn durch die einstweilige Verfügung der Erfolg in der Hauptsache vorweggenommen werden soll, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen einer solchen einstweiligen Verfügung ein strenger Maßstab anzulegen (RIS‑Justiz RS0005295 [T2]).

2.2. Unter den Begriff des Schadens fallen Nachteile an Vermögen, Rechten oder Personen ( E. Kodek in Angst 2 § 381 EO Rz 11). Eine Beeinträchtigung der Gesundheit fällt unter diesen Begriff (RIS‑Justiz RS0005319).

2.3. Bei der Beurteilung, ob ein Schaden dieser Art droht, ist zu bedenken, dass eine abstrakte oder theoretische Möglichkeit eines Schadenseintritts nicht genügt (RIS‑Justiz RS0005275 [T21]). Ein aktives Tun des Gegners der gefährdeten Partei zur Herbeiführung des unwiederbringlichen Schadens oder ein Unterlassen, das einen allfälligen Anspruchsvereitelungswillen indiziert, ist nicht erforderlich ( König , Einstweilige Verfügungen in Zivilverfahren 4 [2012] Rz 3/82).

2.4. Ein Schaden ist dann unwiederbringlich, wenn eine Zurückversetzung in den vorigen Stand nicht tunlich ist und Geldersatz entweder nicht geleistet werden kann oder die Leistung eines Geldersatzes dem Schaden nicht völlig adäquat ist (RIS‑Justiz RS0005270; E. Kodek in Angst 2 § 381 EO Rz 11). Gerade die Gefährdung der Gesundheit kann ein unwiederbringlicher Schaden iSd § 381 Z 2 EO sein (RIS‑Justiz RS0005319; König , Einstweilige Verfügungen 4 Rz 3/81).

3. Das Rekursgericht hat eine konkrete und unmittelbare Gefahr für Leib oder Leben mit zwei Argumenten verneint:

‑ Der Magistrat der Stadt Innsbruck habe die Benützung der Flächen zwischen der nordwestlichen Stützmauer und der Hausfassade untersagt, nicht jedoch die Benützung des Hauses.

‑ Die gefährdete Partei habe weder behauptet noch bescheinigt, dass ein Abrutschen von Erdreich unmittelbar bevorstünde und es im Fall des Abrutschens von Erdreich zu weiteren Substanzschäden am Haus kommen werde, die nicht durch Geld bzw nicht adäquat ersatzfähig seien.

4. Angesichts des als bescheinigt angenommenen Sachverhalts kann diese Einschätzung nicht geteilt werden.

4.1. Aus dem Umstand, dass die Baubehörde in ihrem Bescheid vom 7. August 2013 auf der Grundlage von § 40 Abs 3 und 4 TBO 2011 nur die Benützung der Flächen zwischen der nordwestlichen Stützmauer und der Hausfassade untersagt hat, nicht jedoch auch die Benützung des Hauses selbst, kann nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass bei Benützung des Hauses keine Gefährdung iSd § 381 Z 2 EO vorliegt. Dem bescheinigten Sachverhalt ist auch nicht zu entnehmen, dass die Gefährdung weggefallen wäre, weil dem Auftrag der Baubehörde vom 26. August 2013, die Stützmauer durch ein neues Tragwerk zu ersetzen oder entsprechende Alternativmaßnahmen auszuführen, entsprochen worden wäre.

4.2. Nach dem bescheinigten Sachverhalt ist insbesondere bei starkem Niederschlag das jederzeitige Wegbrechen der Stützmauer nicht auszuschließen. Die Intervalle, in welchen Mauer-/Betonteile der Stützmauer herausbrechen, weisen immer kürzere Abstände auf. Durch dieses stetige Herausbrechen von Mauer-/Betonteilen aus der Stützmauer nimmt die Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Hausbewohner ‑ darunter auch der Klägerin und ihrer Familie ‑ kontinuierlich zu. Diesen bescheinigten Sachverhalt hat das Erstgericht in der rechtlichen Beurteilung (disloziiert) dadurch ergänzt, dass die konkrete Gefährdung des Lebens und der Gesundheit der Klägerin und ihrer Familie im „Abrutschen von Erdreich und Mauerteilen auf das dahinter befindliche Wohnhaus“ liegt. Mit anderen Worten ist durch drohende Abrutschvorgänge die Substanz des Wohnhauses und damit die Sicherheit der Bewohner gefährdet.

4.3. Somit hat die gefährdete Partei bescheinigt, dass durch das jederzeit mögliche Wegbrechen der Stützmauer eine Gesundheitsgefährdung der Hausbewohner besteht. Diese Gefahr ist ‑ wie oben dargelegt ‑ als drohender unwiederbringlicher Schaden iSd § 381 Z 2 EO zu qualifizieren und rechtfertigt die Erlassung der begehrten einstweiligen Verfügung.

5. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der gefährdeten Partei auf § 393 Abs 1 Satz 1 EO. Der Gegner der gefährdeten Partei hat als im Rechtsmittelverfahren vollständig Unterlegener keinen Kostenersatzanspruch (RIS‑Justiz RS0005667 [T5]).

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