OGH 2Ob89/24p

OGH2Ob89/24p25.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende und die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart und Dr. Kikinger sowie die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Mag. Claudia Fahrner, Rechtsanwältin in Zell am See, gegen die beklagten Parteien 1. M*, und 2. W*, beide vertreten durch Dr. Georg Zimmer, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 28.782,29 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 8.937,33 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 28. Februar 2024, GZ 3 R 22/24m-58, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 12. Dezember 2023, GZ 10 Cg 118/21t-54, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00089.24P.0625.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Schadenersatz nach Verkehrsunfall

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 1.100,52 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 183,42 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Am 7. Mai 2021 ereignete sich im Freilandgebiet ein Verkehrsunfall, an dem die Klägerin als Lenkerin eines PKW Marke Opel und der Erstbeklagte als Lenker eines bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW Marke VW beteiligt waren. Der von beiden Unfallbeteiligten befahrene (in ihre Fahrtrichtung einzige) Fahrstreifen war 3,85 Meter breit. Die Klägerin fuhr in einer Kolonne als erstes von drei Fahrzeugen. Sie beabsichtigte, nach links in einen aus rund 100 Metern vor der Kreuzung erstmals erkennbaren Weg einzubiegen. Sie setzte zumindest 1,6 bis 1,7 Sekunden vor der späteren Kollision den linken Blinker. Zu diesem Zeitpunkt fuhr sie 40 bis 45 km/h und bremste leicht, ihr Fahrzeug war allerdings (nur) „leicht“ nach links hin – also „nicht vollständig an der Leitlinie“ – eingeordnet. In den letzten 3 Sekunden vor der Kollision nahm die Klägerin keinen Kontrollblick vor, bei dem sie den VW in zumindest teilweiser Überholposition gesehen hätte. Der Erstbeklagte überholte die Kolonne mit überhöhter Geschwindigkeit trotz nicht ausreichender Gesamtsichtweite für den von ihm beabsichtigten Überholvorgang.

[2] Das Erstgericht lastete der Klägerin einen Verstoß gegen § 12 Abs 1 StVO und dem Erstbeklagten einen solchen gegen §§ 16 und 20 StVO an. Es ging von einer Verschuldensteilung von 2 : 1 zu Lasten des Erstbeklagten aus.

[3] Das nur von der Klägerin angerufeneBerufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

[4] Die ordentliche Revision ließ es nachträglich mit der Begründung zu, dass nicht auszuschließen sei, dass ihm eine zu korrigierende Fehlbeurteilung unterlaufen sei.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die Revision der Klägerin ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts – mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[6] 1. Ein Lenker, der links abzubiegen beabsichtigt, hat auch bei Vorhandensein nur eines Fahrstreifens möglichst nahe an die Fahrbahnmitte heranzufahren (RS0073924). Dieses Einordnen zur Straßenmitte vor dem Linksabbiegen hat nicht nur den Zweck, das Rechtsüberholen zu ermöglichen, sondern auch, die Abbiegeabsicht zu verdeutlichen (2 Ob 138/09x Punkt 6.; RS0073593). Das Einordnen hat sofort nach der Anzeige der Fahrtrichtungsänderung und der Vergewisserung über das Verhalten des Nachfolgeverkehrs zu erfolgen und muss eine geraume Strecke hindurch stattfinden (RS0073659).

[7] Hat der Lenker eines Fahrzeugs seine Absicht, nach links abzubiegen, rechtzeitig angezeigt und sich davon überzeugt, dass niemand zum Überholen angesetzt hat, dann ist er nicht verpflichtet, unmittelbar vor dem Abbiegen nach links noch einmal den nachfolgenden Verkehr zu beobachten. Er darf vielmehr darauf vertrauen, dass ein nachfolgender Fahrzeuglenker dieses Manöver wahrnehmen, sich vorschriftsmäßig verhalten und ihn rechts überholen werde. In diesem Fall braucht er auch an Kreuzungen nicht damit zu rechnen, links überholt zu werden (stRsp: RS0079255). Dieser Grundsatz gilt allerdings dann nicht, wenn besondere Gründe den Linksabbieger eine Gefahr erkennen lassen (RS0079255 [T6]; 2 Ob 229/03w) oder er damit rechnen muss, dass hinter ihm eine unklare Verkehrslage besteht (RS0073793). Ob die Unterlassung eines weiteren Rückblicks unmittelbar vor dem Linksabbiegen ein Verschulden begründet, hängt letztlich von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab (RS0079255 [T7]; 2 Ob 183/21g Rz 10 mwN).

[8] Einen weiteren Kontrollblick verlangt die Rechtsprechung beispielsweise auch dann, wenn der Lenker zwar blinkte, aber nicht zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet war oder sich nicht einordnen konnte (2 Ob 183/21g Rz 11 mwN; RS0074254; RS0027028).

[9] 2. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht den ihm zukommenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten, wenn es von der Klägerin im vorliegenden Fall einen weiteren Kontrollblick unmittelbar vor dem Linksabbiegen forderte. Zwar muss nach der Rechtsprechung das Einordnen nicht „auf den Zentimeter genau“ erfolgen (RS0074246 [T2]), allerdings hat das Berufungsgericht die Urteilsfeststellungen des Erstgerichts in nicht korrekturbedürftiger Weise dahin ausgelegt, dass die Klägerin den Opel zu keinem Zeitpunkt möglichst nahe zur Leitlinie hin einordnete. Damit findet die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass kein die Abbiegeabsicht hinreichend verdeutlichendes Einordnen vorlag, Deckung in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung.

[10] Entgegen den Ausführungen in der Revision hat der Senat im Einzelfall eine Verpflichtung zu einem Kontrollblick unmittelbar vor dem Linksabbiegen auch bereits dann bejaht, wenn der Linksabbieger an der Spitze einer Fahrzeugkolonne fuhr (2 Ob 121/18k).

[11] 3. Maßgeblich bei der Verschuldensabwägung ist vor allem die Größe und Wahrscheinlichkeit der durch das schuldhafte Verhalten bewirkten Gefahr und die Wichtigkeit der verletzten Vorschrift für die Sicherheit des Verkehrs (RS0027389) sowie der Grad der Fahrlässigkeit (RS0027466). Ob die Verschuldensteilung angemessen ist, ist eine bloße Ermessensentscheidung, bei der im Allgemeinen eine erhebliche Rechtsfrage nicht zu lösen ist (RS0087606). Eine Überschreitung des Ermessensspielraums der Vorinstanzen bei Vornahme der Verschuldensteilung zeigt die Klägerin in der Revision nicht auf, nennt sie doch keine einzige, dem vorliegenden Fall ihrer Ansicht nach vergleichbare höchstgerichtliche Entscheidung, in der eine von den Vorinstanzen abweichende Verschuldensteilung vorgenommen worden wäre. Das Vorliegen eines bei der Abwägung vernachlässigbaren Mitverschuldens der Klägerin hat das Berufungsgericht unter Hinweis auf die Entscheidung 2 Ob 121/18k in nicht korrekturbedürftiger Weise verneint.

[12] 4. Insgesamt war die Revision damit zurückzuweisen.

[13] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Da die Beklagten in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen haben, diente ihr Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.

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