OGH 2Ob87/19m

OGH2Ob87/19m26.5.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am * 2017 verstorbenen H* B*, zuletzt *, wegen Feststellung des Erbrechts zwischen den Antragstellern 1. C* M*, 2. Mag. G* B*, beide vertreten durch Gärner Perl‑Böck Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 3. I* B*, vertreten durch Dr. Carina Romanek, Rechtsanwältin in Wien, diese vertreten durch Grohs Hofer Rechtsanwälte GmbH in Wien, über den Revisionsrekurs des Drittantragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 19. Februar 2019, GZ 45 R 493/18k, 45 R 78/19g‑69, womit infolge Rekurses der Erstantragstellerin und des Zweitantragstellers der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 4. Oktober 2018, GZ 80 A 198/17w‑49, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 23. Oktober 2018, GZ 80 A 198/17w‑54, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E128643

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Die Erstantragstellerin und der Zweitantragsteller sind die Kinder aus der ersten Ehe des am * 2017 verstorbenen Erblassers, der österreichischer Staatsbürger war. In seinem Testament vom 22. 7. 1989 setzte sie der Erblasser zu gleichen Teilen zu Erben seines Vermögens ein.

Am 9. 1. 1995 schloss der Erblasser mit der Mutter des Drittantragstellers, einer (damals; vgl jedoch Beilage ./6) kubanischen Staatsangehörigen, in Kuba die Ehe. Am 26. 5. 1997 erfolgte eine einvernehmliche Scheidung dieser Ehe in Kuba durch notarielle Urkunde. Der Drittantragsteller wurde am 9. 12. 1998 in Wien geboren. Der Erblasser wusste bereits bei der Geburt des Drittantragstellers, dass dieser nicht sein leiblicher Sohn war, was die Mutter später auch schriftlich bestätigte. Weder der Erblasser noch die Mutter des Drittantragstellers betrieben in Österreich die Anerkennung der in Kuba erfolgten Scheidung. Mit Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 6. 5. 2002 wurde die in Kuba geschlossene Ehe des Erblassers mit der Mutter des Drittantragstellers im Einvernehmen geschieden (§ 55a EheG).

Die Erstantragstellerin und der Zweitantragsteller gaben aufgrund des Testaments vom 22. 7. 1989 jeweils bedingte Erbantrittserklärungen zur Hälfte des Nachlasses ab. Der Drittantragsteller gab aufgrund des Gesetzes die bedingte Erbantrittserklärung zu einem Drittel des Nachlasses ab.

Im Verfahren über das Erbrecht brachten die Erstantragstellerin und der Zweitantragsteller vor, die im Jahr 1997 in Kuba erfolgte Scheidung sei gemäß § 97 AußStrG in Österreich mit Wirkung ex tunc anzuerkennen. Die später in Österreich (neuerlich) erfolgte Scheidung dieser Ehe stehe dem nicht entgegen, weil sich daraus kein Widerspruch ergebe. Durch die Anerkennung der Ehescheidung in Kuba gelte der Drittantragsteller nicht als eheliches Kind des Erblassers. Da er auch nicht dessen leibliches Kind sei, komme ihm kein gesetzliches Erbrecht zu.

Hilfsweise stützten sich der Erstantragsteller und die Zweitantragstellerin darauf, dass die Beurteilung der ehelichen Abstammung des Drittantragstellers aufgrund der kubanischen Staatsbürgerschaft seiner leiblichen Eltern nach kubanischem Recht vorzunehmen sei. Danach bestehe bei der Geburt des Drittantragstellers, mehr als ein Jahr nach der Ehescheidung, keine Ehelichkeitsvermutung mehr.

Für den Fall, dass das Gericht dennoch zur Ansicht gelangen sollte, dem Drittantragsteller stehe ein gesetzliches Erbrecht zu, werde die Einleitung eines Abstammungsverfahrens beantragt, wodurch festgestellt werden möge, dass der Erblasser nicht der leibliche Vater des Drittantragstellers sei. Der Antrag sei fristgerecht: Der Erblasser habe aufgrund der kubanischen Ehescheidung und aufgrund der Tatsache, dass der Drittantragsteller erst über ein Jahr danach geboren worden sei, angenommen, dass die Geburt nicht während einer aufrechten Ehe erfolgt und er somit auch nicht der rechtliche Vater des Drittantragstellers kraft Ehelichkeitsvermutung sei. Die Rechtsnachfolger des Erblassers hätten erst durch die Erbantrittserklärung des Drittantragstellers darüber Kenntnis erlangt, dass doch eine Ehelichkeitsvermutung gelten könnte. Erst ab diesem Zeitpunkt laufe die Frist.

Der Erblasser sei auch berechtigterweise davon ausgegangen, dass sich aus der Geburt des Drittantragstellers keine weiteren Rechtsfolgen oder Verpflichtungen für ihn ableiten würden. Er habe den Willen gehabt, sämtliche rechtlichen Verbindungen zum Drittantragsteller und dessen Mutter zu trennen.

Der Drittantragsteller brachte vor, der Erblasser habe ihn trotz Kenntnis, dass er nicht sein leiblicher Sohn sei, weiterhin wie seinen Sohn behandelt. Er habe in Kenntnis über die rechtliche Vaterschaft die Frist zur Bestreitung der ehelichen Abstammung verstreichen lassen. Er habe die Rechtswirkungen der Ehelichkeitsvermutung gekannt und ihren Eintritt auch gewollt. Vor diesem Hintergrund habe er auch monatliche Unterhaltszahlungen für den Drittantragsteller geleistet. Im Zeitpunkt der Geburt des Drittantragstellers sei § 97 AußStrG noch nicht in Kraft gewesen. Nach der damals gültigen Rechtslage habe die Scheidung in Kuba mangels Anerkennung in Österreich keine Rechtswirkungen entfalten können. Einer Anerkennung stünde überdies die in Österreich erfolgte einvernehmliche Scheidung entgegen, weil die kubanische Scheidung damit unvereinbar sei. Ein und dieselbe Ehe könne nicht zweimal geschieden werden.

Nach § 21 IPRG in der im Zeitpunkt der Geburt des Drittantragstellers maßgeblichen Fassung sei das Kind ehelich, wenn zumindest eines der Personalstatute der Ehegatten die Ehelichkeit bejahe. Ungeachtet der kubanischen Rechtslage sei daher von der Ehelichkeit des Drittantragstellers auszugehen, weil jedenfalls nach österreichischem Recht die Vaterschaft kraft Ehelichkeit gemäß § 138 ABGB idF BGBl Nr 403/1977 gegeben sei. Sämtliche Fristen zur Bestreitung der ehelichen Abstammung des Drittantragstellers vom Erblasser seien verstrichen.

Der Erblasser habe im Zeitpunkt der Testamentserrichtung keine Kenntnis von der späteren Geburt des Drittantragstellers gehabt und ihn daher im Testament noch nicht berücksichtigen können. Zweck des Testaments sei gewesen, die gesetzliche Erbfolge seiner damaligen (ersten) Ehefrau zu verhindern und sein Vermögen seinen Kindern letztwillig zukommen zu lassen. Gemäß § 775 ABGB werde vermutet, dass der Erblasser den Drittantragsteller im zumindest gleichen Ausmaß wie die Erst- und den Zweitantragsteller letztwillig bedacht hätte, hätte er im Zeitpunkt der Testamentserrichtung von seiner späteren Geburt gewusst.

Das Erstgericht stellte das Erbrecht der Antragsteller jeweils zu einem Drittel des Nachlasses fest. Die in Kuba im Jahr 1997 erfolgte Ehescheidung sei im Zeitpunkt der Geburt des Drittantragstellers in Österreich nicht gemäß § 24 der 4. DVEheG anerkannt gewesen. Der Erblasser und die Mutter des Drittantragstellers seien bei dessen Geburt daher nach der österreichischen Rechtsordnung verheiratet gewesen, sodass der Drittantragsteller das eheliche Kind des Erblassers sei. Jedes der drei Kinder habe daher zu einem Drittel Anspruch auf den Nachlass des Erblassers.

Das Rekursgericht änderte die Entscheidung dahin ab, dass es das Erbrecht der Erstantragstellerin und des Zweitantragstellers aufgrund des Testaments je zur Hälfte des Nachlasses feststellte und die Erbantrittserklärung des Drittantragstellers abwies. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

In rechtlicher Hinsicht führte das Rekursgericht aus, die Anerkennung der in Kuba erfolgten Ehescheidung sei nach § 97 AußStrG zu beurteilen. Auch die Ehescheidung durch notarielle Urkunde, an deren Rechtskraft kein Zweifel bestehe, sei eine „Entscheidung“ im Sinne dieser Gesetzesstelle. Eine Unvereinbarkeit mit der österreichischen Scheidung im Jahr 2002 liege nicht vor, da beide Entscheidungen die Ehescheidung bezweckten und in keinem Widerspruch zueinander stünden. Die kubanische Ehescheidung sei daher rückwirkend anzuerkennen. Es bestehe weder nach österreichischem noch nach kubanischem Recht eine gesetzliche Ehelichkeitsvermutung zu Gunsten des Drittantragstellers. Diesem komme daher kein gesetzliches Erbrecht nach dem Erblasser zu.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Anwendung der §§ 97 ff AußStrG auf eheauflösende Entscheidungen eines anderen Staats, die vor Inkrafttreten des KindRÄG 2001 ergangen seien, sowie zur Frage des rückwirkenden Wegfalls der Ehelichkeitsvermutung eines Kindes aufgrund der Anerkennung einer ausländischen Entscheidung bestehe.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs des Drittantragstellers mit dem Antrag, die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen; hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

Die Erstantragstellerin und der Zweitantragsteller beantragen in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen; in eventu, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Er ist im Sinne des eventualiter gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Der Revisionsrekurswerber macht geltend, der angefochtene Beschluss sei nichtig, weil er gegen die Rechtskraft der inländischen Ehescheidung aus dem Jahr 2002 verstoße. Das Rekursverfahren sei mangelhaft geblieben, weil das Rekursgericht die kubanische Ehescheidung aus dem Jahr 1997 nicht anerkennen hätte dürfen. Letztere sei selbst für den kubanischen Rechtsbereich nicht rechtswirksam, weil der Notariatsakt nicht, wie erforderlich, an das zuständige Zivilregister weitergeleitet und dort registriert worden sei. Für die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung aus dem Jahr 1997 komme § 97 AußStrG schon in zeitlicher Hinsicht nicht in Betracht. Mangels Mitwirkung einer Behörde läge auch gar keine anerkennungsfähige „Entscheidung“ vor. Schließlich würde die Anerkennung der in Kuba erfolgten Scheidung am Versagungsgrund der Unvereinbarkeit mit der rechtskräftigen Ehescheidung in Österreich scheitern.

Hiezu wurde erwogen:

1. Unter den Rechtsmittelgründen der Nichtigkeit und der Mangelhaftigkeit des Verfahrens releviert der Revisionsrekurswerber in Wahrheit die unrichtige rechtliche Beurteilung der Vorfrage der Anerkennung des kubanischen Notariatsakts über die Scheidung der Ehe des Erblassers mit der Mutter des Drittantragstellers (dazu sogleich).

2. Der Drittantragsteller ist als eheliches Kind des Erblassers anzusehen:

2.1 Das zur Beurteilung der Voraussetzungen der Ehelichkeit eines Kindes und deren Bestreitung heranzuziehende Recht richtet sich nach § 21 IPRG (idF BGBl 304/1978), wonach das Personalstatut der Ehegatten im Zeitpunkt der Geburt des Kindes oder, bei verschiedenen Personalstatuten, dasjenige maßgebend ist, das für die Ehelichkeit des Kindes günstiger ist. In Frage kommen hier österreichisches oder kubanisches Recht.

Es steht zwar nicht fest, ob die Mutter des Drittbeklagten auch noch bei dessen Geburt kubanische Staatsangehörige war. Einer näheren Prüfung, welches Recht zur Anwendung gelangt, bedarf es aber ohnehin nicht. Denn die Parteien wenden sich zu Recht nicht gegen die Ansicht des Rekursgerichts, dass zur fraglichen Zeit sowohl nach österreichischem Recht (§ 138 Abs 1 ABGB idF BGBl 403/1977) als auch nach kubanischem Recht (Art 74 des 3. Familiengesetzbuchs vom 14. 2. 1975) für ein während aufrechter Ehe geborenes Kind die Ehelichkeitsvermutung bestand, der Drittantragsteller im Fall der in Österreich anzuerkennenden Auflösung der Ehe bereits am 26. 5. 1997 hingegen nicht als eheliches Kind des Erblassers gilt. Entscheidend ist daher, ob die Ehe für den österreichischen Rechtsbereich im Zeitpunkt der Geburt des Drittantragstellers aufrecht war.

2.2 Nach § 97 Abs 1 AußStrG wird in Österreich eine ausländische Entscheidung über die Ehescheidung anerkannt, wenn sie rechtskräftig ist und kein Grund zur Verweigerung der Anerkennung vorliegt; die Anerkennung kann als Vorfrage selbständig beurteilt werden, ohne dass es eines besonderen Verfahrens bedarf. Ausländische Entscheidungen werden somit seit Inkrafttreten des AußStrG 2003 mit 1. 1. 2005 (§ 199 AußStrG) ipso iure anerkannt. Die befasste Behörde kann in jeder Lage des Verfahrens inzidenter über die Anerkennung selbst entscheiden (6 Ob 96/11b).

2.3 Für die Frage, ob der Drittantragsteller bei seiner Geburt 1998 ehelich war, kommt es aber darauf an, ob die Ehe zu diesem Zeitpunkt für den österreichischen Rechtsbereich aufrecht war (vgl 7 Ob 153/07m). Bis zum 31. 12. 2004 war eine ausländische Scheidung durch Mitwirkung einer Behörde nur bei Ausspruch der Anerkennung nach § 24 der 4. DVEheG oder (seit dem KindRÄG 2001, BGBl I 2000/135) nach § 228a AußStrG 1854 wirksam (konstitutive Anerkennung; RS0057803). Da keine solche Anerkennung erfolgte, waren die Eltern für den österreichischen Rechtsbereich bei Geburt des Drittantragstellers verheiratet, woraus die (Vermutung der) Ehelichkeit folgt. Selbst eine nunmehrige nachträgliche Anerkennung der kubanischen Scheidung nach § 97 AußStrG (ipso iure durch Inkrafttreten des AußStrG 2005) könnte daran nichts mehr ändern. Die einmal durch Geburt während aufrechter Ehe begründete Abstammungsvermutung kann nach österreichischem Recht nur durch eine gerichtliche Entscheidung nach § 150 oder § 151 ABGB beseitigt werden. Selbst eine spätere Nichtigerklärung der Ehe (mit [grundsätzlich] ex tunc Wirkung) würde nicht zum Wegfall der Vaterschaftsvermutung führen (Stormann in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 144 Rz 7 f; vgl § 138c Abs 2 ABGB idF FamErbRÄG 2004).

2.4 Da für den österreichischen Rechtsbereich die Ehe zwischen dem Erblasser und der Mutter des Drittantragstellers bei dessen Geburt aufrecht war, gilt der Drittantragsteller als eheliches Kind des Erblassers.

3. § 775 Abs 2 ABGB idF des ErbRÄG 2015 umfasst auch den Agnationsfall:

3.1 Nach dieser Bestimmung wird, wenn der Verstorbene Kinder und deren Nachkommen hatte, von deren Geburt er bei Errichtung einer letztwilligen Verfügung nicht wusste, vermutet, dass er ihnen letztwillig etwas zukommen lassen wollte. Hatte er daneben noch andere Kinder, so wird vermutet, dass er das ihm nicht bekannte Kind zumindest gleich bedacht hätte, wie das am mindesten bedachte Kind. Wenn das ihm nicht bekannte Kind sein einziges war, gilt die letztwillige Verfügung als widerrufen, es sei denn, dass der Verstorbene diese Verfügung auch in Kenntnis von seinem Kind errichtet hätte.

Laut den Gesetzesmaterialien sollten in dieser Bestimmung die §§ 777, 778 ABGB aF zusammengefasst und in eine moderne Sprache gekleidet werden. Dabeisollte der Grundgedanke der bisherigen Regelungim Wesentlichen beibehalten werden (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP  30).

3.2 Während § 777 ABGB aF die irrtümliche Übergehung eines von mehreren Kindern erfasste, ging es in § 778 ABGB aF darum, dass der Erblasser sein einziges Kind stillschweigend überging. § 778 ABGB aF regelte zunächst den Fall, dass der Erblasser sein Kind im Testament irrtümlich nicht erwähnte, weil ihm seine physische und rechtliche Existenz nicht bekannt war (Präterition). Der zweite Fall des § 778 ABGB aF trat hingegen ein, wenn ein bei Testamentserrichtung kinderloser Erblasser nach der Erklärung des letzten Willens einen pflichtteilsberechtigten Nachkommen erhielt, für den er im Testament keine Vorsorge getroffen hatte (Agnation; 2 Ob 220/17t mwN). Nach einhelliger Ansicht war der Agnationsfall auch in § 777 ABGB „mitzudenken“, sodass er auch eintrat, wenn der Erblasser zur Zeit der Testamentserrichtung zwar schon Kinder hatte, ihm aber später noch andere Kinder nachgeboren wurden (vgl 7 Ob 692/84; 1 Ob 255/99b; Welser in Rummel/Lukas 4 §§ 776, 777 Rz 1; Nemeth in Schwimann/Kodek 4 §§ 776–778 Rz 9).

3.3 Der Fall eines nach Errichtung der Verfügung geborenen Kindes wird zwar in § 775 Abs 2 ABGB nF– anders als in § 778 ABGB aF – nicht mehr ausdrücklich genannt. Trotz des geänderten Wortlauts umfasst aber auch diese Bestimmung den Agnationsfall. Denn die Kenntnis von der Geburt des Deszendenten fehlt sowohl bei schon geborenen, aber dem letztwillig Verfügenden unbekannten, als auch bei noch nicht geborenen Kindern. Da der erste Satzteil dieser Bestimmung auf den Erbfall Bezug nimmt, kommt es für die Existenz der Nachkommen nur auf diesen Zeitpunkt an. Im Hinblick auf den von § 775 Abs 2 ABGB begünstigten Personenkreis kann es nach dem Gesetzeszweck keinen Unterschied machen, ob der Nachkomme im Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung schon gelebt hat oder nicht. In beiden Fällen fehlt bei Errichtung der letztwilligen Verfügung eine persönliche Nahebeziehung zum Kind und es steht im Zeitpunkt des Erbfalls zum Verstorbenen im gleichen Verwandtschaftsverhältnis. Gründe dafür, sie im Hinblick auf den Schutz vor fehlerhaft motivierten letztwilligen Verfügungen ungleich zu behandeln, sind nicht erkennbar. In einer unterschiedlichen Behandlung läge auch ein Wertungswiderspruch zu § 725 ABGB (idF des ErbRÄG 2015), wonach der Wegfall eines Abstammungsverhältnisses im Zweifel zur Aufhebung einer letztwilligen Verfügung führt. Denn dann würde das Entstehen eines neuen Abstammungsverhältnisses durch Geburt anders behandelt als dessen Wegfall. Letztlich kann auch den ErläutRV nicht entnommen werden, dass und warum insofern von der früheren Rechtslage abgegangen werden sollte (vgl ErläutRV 688 BlgNR 25. GP  31). Von der Bestimmung des § 775 Abs 2 ABGB ist daher auch der Fall eines nach Errichtung der letztwilligen Verfügung geborenen Kindes (Agnationsfall) mitumfasst (ausführlich Vidmar, Der Agnationsfall nach dem ErbRÄG 2015, EF‑Z 2017/131, 249; Welser, Erbrechts-Kommentar § 775 Rz 14; Nemeth in Schwimann/Kodek 5 § 775 Rz 9; Bittner/Hawel in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.03 § 775 Rz 3; aM Barth/Pesendorfer, Erbrechtsreform 112 [§ 775 Anm 1]).

4. Ob dem Drittantragsteller ein Erbrecht zusteht, kann noch nicht abschließend beurteilt werden:

4.1 Der Drittantragsteller wurde nach Errichtung der letztwilligen Verfügung des Erblassers geboren. Gemäß § 775 Abs 2 Satz 2 ABGB wird daher vermutet, dass ihn der Erblasser letztwillig zumindest gleich bedacht hätte wie das am mindesten bedachte Kind.

Die Erstantragstellerin und der Zweitantragsteller als Testamentserben können diese gesetzliche Vermutung widerlegen, indem sie nachweisen, dass der Erblasser in Kenntnis davon, dass der Drittantragsteller (rechtlich) als sein eheliches Kind gelte, die letztwillige Verfügung dennoch in gleicher Weise errichtet hätte. Denn die Voraussetzung der „Kausalität der Unkenntnis“ in § 775 Abs 2 ABGB ist auf alle in dieser Bestimmung genannten Fälle anzuwenden (Welser, Erbrechts-Kommentar § 775 Rz 21; Bittner/Hawel in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.05 § 775 Rz 4).

4.2 Die Erstantragstellerin und der Zweitantragsteller haben in erster Instanz – wenn auch teilweise in anderem Zusammenhang – im Wesentlichen vorgebracht, der Erblasser habe angenommen, dass sich aus der Geburt des Drittantragstellers über ein Jahr nach der kubanischen Ehescheidung keine weiteren Rechtsfolgen bzw Verpflichtungen für ihn ergeben. Er habe auch den Willen gehabt, sämtliche rechtlichen Verbindungen zum Drittantragsteller sowie dessen Mutter zu trennen. Dazu haben sie Beweisanträge gestellt. Dieses Vorbringen kann dahin verstanden werden, der Erblasser hätte auch bei Kenntnis davon, dass der Drittantragsteller als sein eheliches Kind gelte, in gleicher Weise verfügt und diesen übergangen.

Der Drittantragsteller hingegen hat behauptet, der Erblasser habe ihn trotz Kenntnis davon, nicht sein leiblicher Vater zu sein, wie einen Sohn behandelt und in Kenntnis über die rechtliche Vaterschaft die Frist zur Bestreitung der Ehelichkeit verstreichen lassen. Er habe den Drittantragsteller Zeit seines Lebens als seinen Sohn angesehen.

4.3 Das Erstgericht hat zu diesen rechtserheblichen Behauptungen weder Beweise aufgenommen noch Feststellungen getroffen, sodass nicht abschließend beurteilt werden kann, ob dem Drittantragsteller ein Erbrecht zukommt. Es wird im fortgesetzten Verfahren die beantragten Beweise aufzunehmen und entsprechende Feststellungen im Rahmen des wechselseitigen Vorbringens (§ 161 Abs 1 AußStrG) zu treffen haben.

4.4 Gelingt der Erstantragstellerin und dem Zweitantragsteller der Beweis, dass der Erblasser auch bei Kenntnis davon, dass der Drittantragsteller (rechtlich) als sein eheliches Kind gelte, in gleicher Weise testiert hätte, wird dessen Erbantrittserklärung abzuweisen und das Erbrecht der Erstantragstellerin und des Zweitantragstellers aufgrund des Testaments je zur Hälfte festzustellen sein.

Andernfalls gebührt dem übergangenen Drittantragsteller ein gleich hoher Anteil am Nachlass, wie dem am mindesten bedachten Kind (§ 775 Abs 2 ABGB). Sind – wie im vorliegenden Fall – alle dem Erblasser bekannten Kinder zu gleichen Teilen berufen, steht dem übergangenen Kind die Gleichstellung durch einen gleichen Erbteil zu (Bittner/Hawel in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.05 § 775 Rz 5). Es bliebe dann bei Erbteilen der Antragsteller von je einem Drittel. Die lediglich für diesen Fall beantragte Entscheidung über eine Bestreitung der Ehelichkeit könnte, unabhängig von den ebenfalls nach § 21 IPRG zu ermittelnden materiell-rechtlichen Voraussetzungen, nicht (inzidenter) im Verlassenschaftsverfahren erfolgen, sondern nur in einem Abstammungsverfahren nach den §§ 82 ff AußStrG.

5. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf §§ 185, 78 Abs 1 AußStrG.

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