European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E126261
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig der beklagten Partei die mit 2.197,80 EUR (darin enthalten 366,30 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist das einzige Kind, der Beklagte ist der Bruder des am * verstorbenen J* H*. Dieser hat mit Testament vom 29. 9. 2016 den Beklagten zum Alleinerben eingesetzt und den Pflichtteil des Klägers auf die Hälfte gemindert. Mit rechtskräftigem Beschluss vom 5. 6. 2018 wurde der Nachlass dem Beklagten eingeantwortet.
Mit seiner am 10. 7. 2018 eingebrachten Klage begehrte der Kläger den Zuspruch von 492.030 EUR sA. Ihm stehe ein Pflichtteil im Ausmaß der Hälfte des Nachlasses zu, der um den Wert einer Liegenschafts- und Wertpapierschenkung des Erblassers an den Beklagten zu erhöhen sei. Die Pflichtteilskürzung auf die Hälfte sei nicht gerechtfertigt, weil er mehr als ein Jahr mit dem Verstorbenen im gemeinsamen Haushalt gelebt und danach langjährig regelmäßigen Vater-Sohn-Kontakt gepflegt habe.
In der Tagsatzung vom 21. 9. 2018 stellte der Kläger zusätzlich ein Eventualbegehren auf Feststellung, dass ihm ein Pflichtteilsanspruch in Höhe der Hälfte des Nachlasses unter Anrechnung der Schenkung laut Notariatsakt vom 6. 9. 2017 zustehe. § 765 Abs 2 ABGB nF könne nur so ausgelegt werden, dass die Fälligkeit spätestens mit Rechtskraft des Einantwortungsbeschlusses eintrete. Abgesehen davon habe er bereits jetzt zur Sicherung seines Geldpflichtteils einen Anspruch auf Feststellung, dass ihm der volle (Schenkungs‑)Pflichtteil ohne Kürzung auf die Hälfte zustehe.
Der Beklagte wandte ein, dass der Pflichtteilsanspruch noch nicht fällig sei. Selbst wenn er bereits fällig sein sollte, sei gemäß § 765 Abs 2 ABGB nF seine gerichtliche Geltendmachung ausgeschlossen und insofern von einer Klagssperre auszugehen. Überdies sei der Kläger wirksam auf den halben Pflichtteil gesetzt worden, weil er vor vielen Jahren jeglichen Kontakt zum Verstorbenen abgebrochen habe. Auch bewerte er die hinzuzurechnende Schenkung bei Weitem zu hoch.
Das Erstgericht wies sowohl das Haupt- als auch das Eventualbegehren ab. § 765 Abs 2 ABGB nF schiebe zwar nicht die Fälligkeit des Pflichtteilsanspruchs hinaus, bewirke aber eine Klagssperre für die Dauer eines Jahres ab dem Tod des Erblassers. Im Hinblick darauf sei nicht nur das auf Zahlung gerichtete Hauptbegehren, sondern auch das auf Feststellung gerichtete Eventualbegehren des Klägers unzulässig. Bei anderer Sicht der Dinge würde das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel vereitelt, dem Pflichtteilsschuldner eine einjährige „Atempause“ zu verschaffen. Um dieses Ziel nicht zu konterkarieren, dürfe die Klagssperre nicht über die Hintertür einer (eventualiter erhobenen) Feststellungsklage umgangen werden.
Der Kläger ließ die Abweisung des auf Zahlung gerichteten Hauptbegehrens unbekämpft, sodass das Urteil des Erstgerichts insoweit in Rechtskraft erwuchs.
Das Berufungsgericht bestätigte auch die Abweisung des Eventualbegehrens. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei.
Es vertrat die Ansicht, die Anordnung einer einjährigen Stundung für den Geldpflichtteil könne nicht dazu führen, es nunmehr während und gerade wegen dieser gesetzlichen Stundung für zulässig zu erachten, strittige Teilaspekte des Pflichtteilsanspruchs zum Gegenstand einer Feststellungsklage zu machen. Dies laufe im Ergebnis darauf hinaus, das Feststellungsinteresse (§ 228 ZPO) aus der gesetzlichen „Klagssperre“ abzuleiten. Diese „Klagssperre“ des § 765 Abs 2 ABGB beziehe sich daher auch auf Feststellungsklagen.
Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu § 765 Abs 2 ABGB idgF zu.
Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit dem Ziel der Klagsstattgebung, hilfsweise der Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Verfahrensergänzung in erster Instanz.
Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung (sinngemäß), die Revision zurückzuweisen; in eventu, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers ist zulässig im Sinne der Ausführungen des Berufungsgerichts; sie ist aber im Ergebnis nicht berechtigt.
Der Kläger macht geltend, er habe ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung. Der Beklagte behaupte in seinem Bestreitungsvorbringen weiterhin, dass er nur einen Anspruch auf den geminderten Pflichtteil habe. Wenn auch die Durchsetzung des Geldleistungsanspruchs erst nach Ablauf von einem Jahr nach dem Tod des Erblassers erfolgen könne, so stehe ein Feststellungsbegehren dem Zweck des § 765 Abs 2 ABGB nF nicht entgegen.
Hiezu wurde erwogen:
1. Gemäß § 765 Abs 1 ABGB idF des ErbRÄG 2015, BGBl I 2015/87, erwirbt der Pflichtteilsberechtigte den Anspruch für sich und seine Nachfolger mit dem Tod des Verstorbenen. Nach Abs 2 dieser Bestimmung kann der Pflichtteilsberechtigte den Geldpflichtteil erst ein Jahr nach dem Tod des Verstorbenen fordern. Diese Bestimmungen sind gemäß § 1503 Abs 7 Z 1 und 2 ABGB auf den Anspruch des Klägers anzuwenden.
Die Materialien (ErlRV 688 BlgNR 25. GP 26) führen dazu aus, dass der Schuldner unmittelbar nach dem Tod noch keinen Überblick über die Verlassenschaft und die zweckmäßige Beschaffung der Mittel für die Erfüllung haben könne. Auch sei die Höhe des Pflichtteils erst durch Schätzungen und manchmal schwierige Berechnungen zu ermitteln. Die Erfüllung des Geldpflichtteils sei daher in diesem früheren Zeitpunkt noch völlig unrealistisch. Der Zeitpunkt der Möglichkeit zur Geltendmachung des Geldpflichtteilsanspruchs sei daher später anzusetzen, wobei Vorschlägen aus der Lehre folgend (Welser, Reform des Österreichischen Erbrechts [2009] 118; Kralik, Erbrecht³ [1983] 315) dieser Zeitraum mit einem Jahr nach dem Tod des Verstorbenen angesetzt werde. Die bisher bestehende Regelung solle zugunsten einer an die Fälligkeit anknüpfenden Verzugszinsenregelung aufgegeben werden, womit der Gesetzesvorschlag im Ergebnis ein Konzept der „reinen Stundung“ verfolge, die nur die Möglichkeit der Geltendmachung, nicht aber die Fälligkeit hinausschiebe (so auch Barth in Barth/Pesendorfer, Praxishandbuch des neuen Erbrechts, 178 f; Musger in KBB5 § 765 Rz 2; Verweijen, Die Erbrechtsreform – Verzinsung und Stundung des Pflichtteils, SWK 2016, 1480; Zöchling-Jud in Rabl/Zöchling-Jud, Das neue Erbrecht, 79; Nemeth in Schwimann/Neumayr, ABGB-TaKomm4 § 765 Rz 3; Eccher, Die österreichische Erbrechtsreform § 765 Rz 129; kritisch Welser, Erbrechtskommentar § 765 Rz 7 mwN; Geroldinger, „Stichtagsprinzip“ und Fälligkeitskonzept des neuen Pflichtteilsrechts – zwei Danaergeschenke? NZ 2017/49, 128 [130 ff]).
Auch der Senat vertritt die Ansicht, dass mit der Neuregelung das Konzept einer „reinen Stundung“ verfolgt wird.
2. Die Regelung soll also dem Vertreter der Verlassenschaft bzw dem Erben Zeit geben, um sich einen Überblick zu verschaffen, die Verlassenschaft zu sichten und zu eruieren, wie und woher die Mittel für die Begleichung der uU erst zu klärenden Geldpflichtteilsansprüche beschafft werden können. Soweit der Pflichtteil nicht in Geld zu entrichten, sondern anderweitig gedeckt ist – etwa durch ein Sachvermächtnis –, greift die Bestimmung grundsätzlich nicht, sodass die Erfüllung sogleich gefordert werden kann (vgl § 685 ABGB; Verweijen, ErbRÄG 2015 – Verzinsung des Pflichtteils, ÖJZ 2016/131, 949 [950]). Nur die Entrichtung des Pflichtteils in Geld binnen Jahresfrist nach dem Tod des Erblassers wird vom Gesetzgeber als „völlig unrealistisch“ angesehen.
Daraus ist zunächst zu folgern, dass § 765 Abs 2 ABGB der Klärung sonstiger Streitpunkte zwischen Pflichtteilsschuldner und Pflichtteilsberechtigtem auch während der dort normierten Frist grundsätzlich nicht entgegen steht, sofern diese von der Entrichtung des Geldpflichtteils unabhängig sind.
3. Mit seinem Feststellungsbegehren will der Kläger nun nicht den Pflichtteilsanspruch in bestimmter Höhe zu einem bestimmten zukünftigen Zeitpunkt festgestellt haben (vgl dazu Musger in KBB5 §§ 766–768 Rz 11). Er beruft sich vielmehr darauf, dass ihm der volle Pflichtteil im Ausmaß des halben Nachlasses zustehe, weil die vom Erblasser angeordnete Pflichtteilsminderung auf die Hälfte nicht gerechtfertigt sei. Das Recht des Klägers auf den Pflichtteil in voller Höhe wurde vom Beklagten bestritten. Unter diesem Gesichtspunkt könnte dem Kläger daher das rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung nicht abgesprochen werden (RS0039007; RS0038968; vgl auch RS0012834). Ein Feststellungsbegehren ist aber dennoch dann unzulässig, wenn bereits mit einer Leistungsklage der Anspruch zur Gänze geltend gemacht werden kann (RS0038817; RS0038981), wenn also das Feststellungsbegehren von einem zulässigen Leistungsbegehren vollständig umfasst ist und dem Kläger alles bringen kann, was mit einem Feststellungsbegehren erreicht werden könnte (7 Ob 85/05h).
Das würde hier zutreffen, weil die vom Feststellungsbegehren umfassten Fragen, in welchem Umfang der Pflichtteilsanspruch zusteht und welchen Wert die zu berücksichtigenden Schenkungen des Erblassers an den Beklagten haben, Vorfragen eines Leistungsbegehrens wären. Ein über den Leistungsanspruch hinausgehendes Interesse an diesen Feststellungen ist nicht ersichtlich.
4. Bei der reinen Stundung wird im Allgemeinen nicht die Fälligkeit, sondern die Möglichkeit der Geltendmachung hinausgeschoben (Bollenberger in KBB5 § 904 Rz 4; Reischauer in Rummel/Lukas 4 § 904 Rz 57 ff; Binder/Kolmasch in Schwimann/Kodek 4 § 904 Rz 50), eine auf Zahlung gerichtete Klage ist bei erfolgreichem Stundungseinwand abzuweisen (vgl Musger in KBB5 §§ 766–768 Rz 11 mwN).
Im Zusammenhang mit § 765 Abs 2 ABGB sind allerdings sowohl Fucik (in Barth/Pesendorfer, Praxishandbuch des neuen Erbrechts, 342) als auch Musger (in KBB5 §§ 766–768 Rz 12) und Binder/Giller (in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Erbrecht und Vermögensnachfolge² § 9 Rz 184) der Ansicht, dass die Regelung angesichts der Besonderheit der angeordneten gesetzlichen Stundung nicht, wie in sonstigen Fällen der „reinen Stundung“, zur Abweisung eines innerhalb der Jahresfrist gestellten Leistungsbegehrens führen sollte, sondern – bei Beendigung des Prozesses vor Ablauf derFrist – zur Verurteilung zur Zahlung zu einem nach Fristende gelegenen Zeitpunkt, also mit einer von § 409 ZPO abweichenden Leistungsfrist (vgl RS0017667).
Soweit die Ansicht vertreten wird, der Pflichtteilsanspruch sei erst nach einem Jahr einklagbar (vgl Rabl, Erbrechtsreform 2015 – Pflichtteilsrecht neu, NZ 2015/107, 321 [333], und Barth in Barth/Pesendorfer, Praxishandbuch des neuen Erbrechts, 178 [FN 98 mwN],die von „Klagssperre“ sprechen; Verweijen, Die Erbrechtsreform – Verzinsung und Stundung des Pflichtteils, SWK 2016, 1480), verweisen die Autoren ohne nähere Begründung dieser Auffassung lediglich auf die Materialien.
5. Der erkennende Senat schließt sich aus folgenden Erwägungen den erstgenannten Meinungen an:
Die Regelung des § 765 Abs 2 ABGB wurde – wie dargelegt – ausweislich der Materialien deshalb getroffen, weil die Entrichtung des Pflichtteils in Geld binnen Jahresfrist nach dem Tod des Erblassers als „völlig unrealistisch“ angesehen wurde und der Verlassenschaft bzw dem Erben Zeit gegeben werden sollte, sich einen Überblick zu verschaffen und die Verlassenschaft zu sichten. Dass diese Klärung und Sichtung nicht auch gleichzeitig mit einem parallel laufenden Prozess über den Pflichtteilsanspruch erfolgen könnte, in dem diese Themen in der Regel ohnehin als Vorfragen zu prüfen sind, ist auf Basis des intendierten Zwecks der Regelung nicht anzunehmen. Ebenso wenig ist der Regelung zu entnehmen, dass damit dem Pflichtteilsschuldner bis zur Entrichtung des Geldpflichtteils nicht nur die gesetzliche Jahresfrist, sondern daran anschließend auch die für einen streitigen Pflichtteilsprozess erforderliche Zeit verschafft werden sollte.
Nach Auffassung des Senats ist § 765 Abs 2 ABGB daher dahin auszulegen, dass damit nur die Geldzahlungspflicht des Erben auf ein Jahr nach dem Tod des Erblassers aufgeschoben werden soll, nicht aber die Einleitung eines Pflichtteilsprozesses. Sollte dieser vor Ablauf der Jahresfrist beendet sein, wäre die Leistungsfrist nach § 409 ZPO gerichtlich so zu bestimmen, dass dem Pflichtteilsschuldner die gesamte Jahresfrist bis zur Leistung des Geldpflichtteils zur Verfügung bleibt.
6. Im vorliegenden Fall ist allerdings zu beachten, dass das auf Leistung gerichtete Hauptbegehren des Klägers rechtskräftig abgewiesen wurde. Bekämpft hat er nur die Abweisung des eventualiter gestellten Feststellungsbegehrens. Dieses ist aber von den Vorinstanzen im Ergebnis zu Recht abgewiesen worden, weil nach dem oben Gesagten bereits ein Leistungsanspruch – gegebenenfalls mit adaptierter Leistungsfrist – zu bejahen gewesen wäre. Es ist daher der Revision der Erfolg zu versagen.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO.
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