OGH 2Ob42/08b

OGH2Ob42/08b29.5.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Veith, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mile B*****, vertreten durch Dr. Christoph Ganahl, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen die beklagten Parteien 1. Goran D*****, vertreten durch Mag. Nicolas Stieger, Rechtsanwalt in Bregenz, 2. G***** Versicherung AG, *****, vertreten durch Dr. Julius Brändle, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen 33.601,43 EUR und Feststellung, über die außerordentlichen Revisionen der erst- und zweitbeklagten Partei gegen das Teilzwischenurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 22. November 2007, GZ 3 R 140/07y-46, womit das Teilzwischenurteil des Landesgerichts Feldkirch vom 9. Juli 2007, GZ 5 Cg 10/06k-34, teilweise abgeändert wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der erstbeklagten Partei wird teilweise und der Revision der zweitbeklagten Partei wird zur Gänze Folge gegeben und das Urteil des Berufungsgerichts abgeändert, sodass es folgendermaßen zu lauten hat:

„Das Klagebegehren,

1) die erstbeklagte Partei sei schuldig, dem Kläger 11.800 EUR samt 4 % Zinsen seit 5. 4. 2003 zu bezahlen, und

2) die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger 21.801,43 EUR samt 4 % Zinsen seit 21. 10. 2005 zu bezahlen, besteht zu 75 %, für das begehrte Schmerzengeld jedoch nur zu 60 % dem Grunde nach zu Recht."

Die Kostenentscheidung aller drei Instanzen bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 5. April 2003 kurz vor 4.30 Uhr ereignete sich auf der L 45 zwischen Dornbirn und Lustenau ein Verkehrsunfall, an dem der Erstbeklagte als Lenker des dem Kläger gehörigen, bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW und der Kläger auf dem Beifahrersitz beteiligt waren. Beide waren nicht angeschnallt. Im Unfallbereich galt eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 80 km/h. Der Erstbeklagte hielt eine Fahrgeschwindigkeit von ca 140 km/h ein und kam wegen Unaufmerksamkeit von der Fahrbahn ab, wodurch sich das Fahrzeug überschlug. Der Kläger und der Erstbeklagte wurden durch den Unfall schwer verletzt. Wären die beiden angeschnallt gewesen, so wären deutlich geringere Verletzungen zu erwarten gewesen. Die beiden Verletzten hatten vor der Autofahrt gemeinsam alkoholische Getränke und Kokain konsumiert.

Der Kläger begehrt vom Erstbeklagten den mit 11.800 EUR bezifferten Wiederbeschaffungswert seines Wagens (Totalschaden), von beiden Beklagten zur ungeteilten Hand 21.801,43 EUR, wovon 17.000 EUR Schmerzengeld sind, der Rest entfällt auf weitere behauptete, unfallkausal entstandene Schäden. Weiters stellt der Kläger ein Feststellungsbegehren. Das Alleinverschulden am Unfall treffe den Erstbeklagten.

Die Beklagten bestritten. Die Zweitbeklagte brachte vor, der Kläger habe dadurch, dass er sich mit dem alkoholisierten und Kokain konsumiert habenden Erstbeklagten in das Auto begeben habe, auf eigene Gefahr gehandelt. Weil der Kläger nicht angeschnallt gewesen sei, treffe ihn das Alleinverschulden an seinen Verletzungen. Das Erstgericht sprach im Teilzwischenurteil aus, die Zahlungsansprüche bestünden dem Grunde nach zu zwei Dritteln zu Recht. Das Verschulden des Erstbeklagten liege in weit überhöhter Geschwindigkeit und Unaufmerksamkeit. Den Kläger treffe ein Mitverschulden, weil er mitgefahren sei, obwohl er die Fahruntüchtigkeit des Erstbeklagten wegen Alkoholisierung erkennen hätte müssen. Ein Mitverschulden des Klägers von einem Drittel sei angemessen. Weil der Kläger nicht angegurtet gewesen sei, seien seine Schadenersatzansprüche um ein Viertel zu kürzen, was aber - die Höhe des Anspruchs betreffend - nicht in den Spruch aufzunehmen gewesen sei.

Das von sämtlichen Parteien angerufene Berufungsgericht gab mit dem angefochtenen Urteil den Berufungen der beklagten Parteien nicht Folge. Der Berufung des Klägers gab es teilweise Folge, indem es aussprach, die Zahlungsansprüche des Klägers bestünden dem Grunde nach zu drei Vierteln zu Recht. Es ließ die Revision nicht zu. Dagegen richten sich die außerordentlichen Revisionen der Beklagten. Der Erstbeklagte beantragt die Abänderung des angefochtenen Urteils im Sinn einer gänzlichen Klagsabweisung. Die Zweitbeklagte beantragt die spruchgemäße Abänderung.

Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, den Revisionen nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen sind wegen einer aufzugreifenden Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts zulässig; die Revision des Erstbeklagten ist teilweise, die Revision der Zweitbeklagten ist zur Gänze berechtigt. Soweit der Erstbeklagte die gänzliche Abweisung des Klagebegehrens mit der wesentlichen Begründung anstrebt, der Kläger habe „auf eigene Gefahr" gehandelt und ein derartiges Eigenverschulden, das dasjenige des Erstbeklagten „gleichartig überlagere", zu verantworten, ist ihm zu entgegnen: Die vom Berufungsgericht vorgenommene Verschuldensteilung von 3 : 1 zugunsten des Klägers wird vom Obersten Gerichtshof gebilligt. Entgegen den Revisionsausführungen ist der vorliegende Fall durchaus mit den vom Berufungsgericht herangezogenen Entscheidungen 8 Ob 45/87 sowie 2 Ob 142/03a vergleichbar, in denen dem Mitfahrer, der die Fahrt mit dem erkennbar alkoholisierten Lenker angetreten hatte, ein Mitverschulden von einem Viertel zugemessen wurde (vgl auch RIS-Justiz RS0027134 [T5]; RS0027122 [T3]; RS0027205 [T1]). Der vorliegende Sachverhalt ist jedoch mit den vom Revisionswerber zitierten Entscheidungen 7 Ob 14/97b und 7 Ob 196/99w keineswegs vergleichbar. In diesen Entscheidungen lag ein sogenanntes „Autosurfen" vor, was darin bestand, dass die später Verletzten auf dem Autodach lagen bzw auf der Beifahrertür (mit geöffnetem Fenster) saßen, wobei der Oberkörper sich außerhalb, die Füße innerhalb des Wagens befanden.

Soweit releviert wird, das Berufungsgericht hätte in seinem Zwischenurteil nicht sämtliche Ansprüche des Klägers als zu drei Vierteln dem Grunde nach zu Recht bestehend aussprechen dürfen, sondern aufgrund des Gurtenmitverschuldens die Schmerzengeldansprüche des Klägers um weitere 20 % (= 15 % der Gesamtforderung) auf 60 % kürzen müssen und diesen Umstand im Spruch des Zwischenurteils auch zum Ausdruck bringen müssen, ist auszuführen:

Nach § 106 Abs 2 Satz 2 KFG begründet die Verletzung der Gurtenanlegepflicht im Fall der Tötung oder Verletzung des Benützers durch einen Unfall ein Mitverschulden an diesen Folgen gemäß § 1304 ABGB, soweit es um einen Schmerzengeldanspruch geht. Nach der oberstgerichtlichen Rechtsprechung ist dem alkoholisierten Beifahrer, der den Sicherheitsgurt nicht angelegt hat, ein zwanzigprozentiges Mitverschulden zuzumessen (RIS-Justiz RS0026801). Dies führt - wie sich auch aus der durchaus vergleichbaren Entscheidung 2 Ob 220/02w ergibt - zusammen mit dem vom Kläger nicht bekämpften Mitverschulden von 25 % wegen des Einsteigens in den vom alkoholisierten Erstbeklagten gelenkten Wagen zu einer Kürzung des Schmerzengeldanspruchs auf 60 %. Dies ist - entgegen dem Erstgericht - aber auch im Spruch eines Zwischenurteils auszudrücken (2 Ob 167/00y).

Das angefochtene Urteil war daher spruchgemäß abzuändern. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf die § 393 Abs 4 iVm § 52 Abs 2 ZPO.

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