OGH 2Ob357/98h

OGH2Ob357/98h14.1.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Layla A*****, vertreten durch Dr. Franz Gütlbauer, Rechtsanwalt in Wels, wider die beklagten Parteien

1. Ingrid H***** und 2. Wilhelm K*****, beide *****, vertreten durch Dr. Maximilian Ganzert und andere Rechtsanwälte in Wels, wegen Wiederaufnahme, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes Wels als Berufungsgericht vom 31. August 1998, GZ 21 R 277/98d-19, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Wels vom 29. April 1998, GZ 6 C 832/97x-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin die mit S 6.595,04 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 1.115,84, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Eltern der Beklagten erwarben 1985 durch gerichtliche Versteigerung das Eigentum an einer Liegenschaft in Wels. An dieser bestand ein Fruchtgenußrecht zugunsten der unter Sachwalterschaft stehenden Maria K*****. Im Erdgeschoß dieses Hauses befindet sich ein Geschäftslokal. Dieses wurde vom Sachwalter der Maria K***** am 9. 6. 1987 an Cengiz Ö***** vermietet. Der Mieter war verpflichtet, eine Kaution von 12 Monatsmieten, nämlich S 84.000 am Tage der Vertragserrichtung bar zu erlegen. Cengiz Ö***** stellte im Bestandobjekt Automaten auf, worüber er mit der Automaten R***** GmbH einen Aufstellungsvertrag schloß. Da die Erlöse, die zwischen Cengiz Ö***** und der R***** GmbH geteilt werden sollten, hinter den Erwartungen zurückblieben, benützte die R***** GmbH schließlich das Lokal selbst. Im Jahre 1990 erfolgte die Benützung durch die Klägerin. Diese schloß mit der R***** GmbH am 9. 3. 1990 einen Automatenaufstellungsvertrag ab. Am 15. 10. 1990 schloß der Sachwalter für Maria K***** als Vermieterin mit der Klägerin einen Bestandvertrag über das Geschäftslokal. Die Bestandnehmerin verpflichtete sich, eine Kaution in der Höhe von S 100.000 zu erlegen, der Bestandzins betrug S 7.500 monatlich. Es wurde festgehalten, daß diese Kaution vom Bestandgeber mit Beendigung des Bestandverhältnisses dem Bestandnehmer unverzinst rückerstattet wird, soferne sie nicht zur Deckung etwaiger Bestandzinsrückstände, Betriebskosten und damit verbundener Nebenkosten oder zur Behebung von Schäden am Bestandgegenstand Verwendung findet.

Im Jahre 1992 erwarben die Beklagten die Liegenschaft durch Übergabevertrag von ihren Eltern. Nach dem Ableben der Fruchtgenußberechtigten Maria K***** 1993 erlangten sie Einsicht in den Bestandvertrag mit der Klägerin. Ab März 1994 kam es zu Mietzinsrückständen der Klägerin. Die Beklagten erhoben deswegen Klage auf Zahlung und Räumung. In diesem Verfahren trat am 27. 6. 1995 Ruhen ein. Schließlich vereinbarten die Streitteile eine einvernehmliche Beendigung des Mietverhältnisses mit Ende des Jahres 1995. Nach Einigung über den Mietzinsrückstand und die Beendigung des Mietverhältnisses verlangte die Klägerin die Rückzahlung der Kaution. Der Vertreter der Beklagten wies diese Forderung zurück und vertrat die Ansicht, der Betrag von S 100.000 sei an den Sachwalter von Maria K***** übergeben worden, weshalb dieser durch Vermengung Eigentümer des Geldes geworden sei; er habe sich geweigert, die Barkaution zu erstatten, weil er den Betrag bereits verbraucht habe.

Mit der am 19. 1. 1996 beim Erstgericht zu 6 C 66/96y eingebrachten Klage begehrte die Klägerin die Rückzahlung der Kaution von S 100.000. Sie brachte dazu vor, das Mietobjekt von der Automaten R***** GmbH übernommen zu haben. Diese habe den Kautionsbetrag von S 84.000 bezahlt. Der Anspruch auf Rückforderung dieser Kaution sei im Einvernehmen mit der Vermieterin an sie abgetreten worden, weshalb dann dieser Betrag als ihr Kautionserlag verblieben sei. Durch eigene Barzahlung sei der Kautionsbetrag auf S 100.000 aufgestockt worden. Den Beklagten sei der Mietvertrag und die Zahlung der Kaution bekannt gewesen. Sie seien in das bestehende Mietverhältnis eingetreten und hätten dieses genehmigt, weshalb sie auch zur Rückzahlung der Kaution verpflichtet seien.

Die Beklagten wendeten in diesem Verfahren ein, es sei ihnen nicht bekannt, ob die Klägerin eine Kaution übergeben habe. Ein allfälliger Anspruch auf Rückzahlung bestehe ihnen gegenüber nicht. Der seinerzeitige Bestandvertrag hätte pflegschaftsbehördlich genehmigt und die Kaution bei Gericht hinterlegt werden müssen. Eine Kaution in der Höhe des eineinhalbfachen Jahresmietzinses sei bei einer Mietvertragsdauer von 10 Jahren völlig unüblich. Vielmehr sei damit eine Mietzinsvorauszahlung vereinbart worden. Schließlich habe die Klägerin auf allällige Ansprüche verzichtet.

Mit Urteil vom 3. 9. 1996 wies das Erstgericht das Klagebegehren ab, wobei es noch folgende negative Feststellungen traf:

Es konnte nicht festgestellt werden, daß

Cengiz Ö***** den Kautionsbetrag von S 84.000 tatsächlich an den Sachwalter von Maria K***** bezahlte;

die Automaten R***** GmbH für Cengiz Ö***** die Kaution von S 84.000 an die Vermieterin bezahlte;

bei Vertragsabschluß mit der Klägerin ein Kautionsbetrag aus einem früheren Mietverhältnis bei Franz oder Maria K***** erlag;

eine Vereinbarung über die Abtretung eines Kautionsrückerstattungsanspruches eines Vormieters an die Klägerin getroffen worden und der Sachwalter von Maria K***** damit einverstanden gewesen wäre und

die Klägerin der damaligen Vermieterin oder ihrem Sachwalter die im Vertrag angeführte Kaution von S 100.000 zur Verfügung stellte.

Für diese negativen Feststellungen kam dem Umstand, daß für den Kautionserlag keine schriftliche Zahlungsbestätigung vorgelegt werden konnte, wesentliche Bedeutung zu.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, die Klage sei schon deshalb abzuweisen, weil die Klägerin den ihr obliegenden Beweis, die Kaution tatsächlich an die Vormieterin bezahlt zu haben, nicht erbracht zu haben.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, wobei bei der Behandlung der Tatsachen- und Beweisrüge dem Umstand der fehlenden Zahlungsbestätigung über einen Kautionserlag ebenfalls wesentliche Bedeutung zukam.

Mit der vorliegenden, am 10. 6. 1997 beim Erstgericht eingelangten Wiederaufnahmsklage begehrt die Klägerin, gestützt auf den Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO die Aufhebung des erstgerichtlichen Urteils zu 6 C 66/96y und die Stattgebung ihres auf Rückzahlung des Kautionserlages von S 100.000 sA gerichteten Klagebegehrens. Sie brachte dazu vor, die fehlende Zahlungsbestätigung über den Kautionserlag sei letztlich der Grund gewesen, weshalb ihr Klagebegehren im wiederaufzunehmenden Verfahren erfolglos geblieben sei. Dieter R***** habe als Zeuge erklärt, nicht mehr angeben zu können, ob der aus 1987 stammende Beleg über seine Kautionszahlung von S 84.000 sich noch in seiner Buchhaltung befinde oder nicht mehr vorhanden sei. Die Klägerin habe den Zeugen ersucht, ihr diesen Beleg bei Vorhandensein zu überlassen, was dieser auch zugesichert habe. Da dies unterblieben sei, habe sie annehmen müssen, daß diese Bestätigung eben nicht mehr vorhanden sei. Erst Ende Mai 1997 habe ihr die Gattin von Dieter R***** mitgeteilt, die Zahlungsbestätigung aufgefunden zu haben. Am 27. 5. 1997 habe sie deren Kopie erhalten. Den Zeugen Dieter R***** habe im Vorverfahren keine Verpflichtung zur Urkundenvorlage getroffen, weil es sich bei der Zahlungsbestätigung um keine ihnen gemeinschaftliche Urkunde gehandelt habe.

Die Beklagten wendeten ein, daß der Klägerin seit der Aussage des Zeugen R***** im Vorprozeß am 24. 4. 1996 die Zahlungsbestätigung als Beweismittel bekannt und benützbar gewesen sei. Sie wäre verpflichtet gewesen, sich diese Urkunde zu beschaffen, sie hätte im Vorprozeß beantragen können, dem Zeugen die Vorlage der Urkunde aufzutragen, erforderlichenfalls hätte er auf Herausgabe geklagt werden können. Diese Unterlassungen begründeten ein Mitverschulden, das eine Wiederaufnahme gemäß § 530 Abs 2 ZPO ausschließe.

Das Erstgericht bewilligte mit Urteil vom 29. 4. 1998 die Wiederaufnahme des Verfahrens zu 6 Cg 66/96y des Bezirksgerichtes Wels und hob das dort ergangene berufungsgerichtlich bestätigte Ersturteil auf.

Dabei wurden im wesentlichen folgende weitere Feststellungen getroffen:

Im Vorverfahren (6 C 66/96y des BG Wels) gab in der Streitverhandlung vom 24. 4. 1996 Dieter R***** als Zeuge an, 1987 für Cengiz Ö***** S 84.000 Kaution an Franz K***** übergeben zu haben. Ob sich in seiner Buchhaltung noch ein Beleg darüber befinde, könne er nicht sagen. Er habe zwar von K***** eine Zahlungsbestätigung erhalten, es könne aber sein, daß dieser Beleg nicht mehr vorhanden sei. Die Beklagten beantragten daraufhin beim Erstgericht der Klägerin aufzutragen, diesen Beleg binnen einer zu setzenden Frist vorzulegen. Die Klägerin sprach sich dagegen aus, weil sich dieser Beleg nie in ihrer Gewahrsame befunden habe. Das Erstgericht erteilte keinen Auftrag zur Urkundenvorlage.

Bald nach der Streitverhandlung vom 24. 4. 1996 rief die Klägerin bei Irmgard R***** an und sprach dann im Laufe der Zeit vier oder fünfmal in dieser Angelegenheit telefonisch mit ihr, wobei sie diese ersuchte, den Kautionsbeleg herauszusuchen. Irmgard R***** suchte auch nach diesem Beleg, fand ihn aber zunächst nicht. Erst im Mai 1997 fand sie ihn am Dachboden des Gartenhauses bei den dort befindlichen alten Belegen. Ende Mai 1997 übermittelte sie eine Kopie an die Klägerin. In diesem Beleg bestätigt Franz K***** per 9. 6. 1987 den Betrag von S 84.000 von Cengiz Ö***** als "Kaution zum Mietvertrag-Bestandvertrag vom 9. 6. 1987 für Geschäftslokal" erhalten zu haben. Der Beleg ist echt.

Die Klägerin hatte noch weitere Male Irmgard R***** angerufen, wobei sie aber nur an den Anrufbeantworter gelangte. Sie hinterließ keine Nachricht auf diesem, weil sie persönlich mit Irmgard R***** sprechen wollte und nicht gerne auf einen Anrufbeantworter spricht. Die Klägerin wußte vor Übermittlung des Beleges nicht, ob dieser in der Zwischenzeit vernichtet worden war und wo er sich allenfalls befand.

Rechtlich erachtete das Erstgericht den Kautionsbeleg als ein die Wiederaufnahme nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO grundsätzlich rechtfertigendes Beweismittel und verneinte ein nach § 530 Abs 2 ZPO der Wiederaufnahme entgegenstehendes Verschulden der Klägerin.

Das von der Beklagten angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes in der Hauptsache 52.000 S, nicht aber 260.000 S übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei.

In rechtlicher Hinsicht verwies das Berufungsgericht auf § 530 Abs 1 Z 7 ZPO, wonach die Wiederaufnahme begehrt werden könne, wenn die Partei in Kenntnis von neuen Tatsachen gelange oder Beweismittel auffinde oder zu benützen in Stand gesetzt werde, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Schon nach dem Wortlaut dieser Bestimmung sei davon auszugehen, daß die Wiederaufnahme auch dann begehrt werden könne, wenn das an sich bekannte Beweismittel für die betreffende Partei während des Vorprozesses nicht verfügbar gewesen sei und deshalb nicht vorgelegt habe werden können. Demnach schließe der Umstand, daß der Klägerin die (zumindest vormalige) Existenz des Kautionsbeleges bekannt gewesen sei, die Wiederaufnahme nicht aus.

Weiters müsse das maßgebliche Beweismittel geeignet sein, eine günstigere Entscheidung über den Gegenstand des Vorprozesses herbeizuführen. Dabei reiche es aus, daß das neue Beweismittel geeignet sei, eine wesentliche Änderung der Beweiswürdigung herbeizuführen.

Schließlich sei die Wiederaufnahme nur dann zulässig, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außer Stande war, das Beweismittel vor Schluß der mündlichen Verhandlung geltend zu machen.

Unzweifelhaft sei im vorliegenden Fall, daß der unterbliebenen Vorlage des Beleges im Vorprozeß Bedeutung im Rahmen der Beweiswürdigung zugekommen sei. Gerade das Fehlen schriftlicher Belege sei ein zentraler Aspekt für die negativen Feststellungen über den Kautionserlag gewesen. Die nunmehr vorliegende Urkunde sei somit jedenfalls abstrakt geeignet, die einstige Tatsachengrundlage zu Gunsten der Klägerin entscheidend zu ändern. Die Wiederaufnahmsklage dürfe allerdings dann nicht bewilligt werden, wenn die geänderte Tatsachengrundlage rechtlich zu keinem für die Klägerin günstigeren Ergebnis führen könnte. Insoweit stehe fest, daß die seinerzeitige Vermieterin Fruchtnießerin gewesen sei und die Beklagten, die die Liegenschaft so wie ihre Rechtsvorgänger im Wege der Einzelrechtsnachfolge erlangt hätten, nach dem Ableben der Fruchtgenußberechtigten das Bestandverhältnis mit der Klägerin fortgesetzt hätten. Daraus folge, daß die Beklagten an den Bestandvertrag mit der Klägerin grundsätzlich gebunden gewesen seien, soweit es sich nicht um Nebenabreden ungewöhnlichen Inhalts gehandelt habe, die sie weder kennen noch kennen hätten müssen. Ungewöhnlich sei eine Nebenabrede, wenn sie bei vergleichbaren Mietgegenständen und vergleichbaren Vertragsinhalten nicht oder nur äußerst selten vereinbart werde. Eine in Bestandverträgen enthaltene Vereinbarung einer Kaution sei an sich nicht ungewöhnlich und ein Betrag von sechs Brutttomonatsmieten müsse jedenfalls als vertretbar angesehen werden. Im speziellen sei für die Höhe einer Kaution das Sicherungsinteresse des Vermieters maßgeblich, für dessen Beurteilung aus dem Vorprozeß keine ausreichende Tatsachengrundlage vorliege, die den Kautionsbetrag vorweg als unvertretbar erscheinen lasse. Schließlich könne in der "Kaution" auch (teilweise) eine Mietzinsvorauszahlung liegen, die als solche auch nicht als grundsätzlich unüblich zu bewerten wäre. Selbst wenn eine gewisse betragsmäßige Überhöhung der Kaution angenommen werde, wäre die allenfalls bloße Teilwirksamkeit einer solchen Nebenabrede zu erwägen. Jedenfalls könne nach dem derzeitigen Verfahrensstand nicht davon ausgegangen werden, daß selbst bei zu Gunsten der Klägerin geänderter Sachgrundlage (= erwiesener Kautionserlag) ihr Begehren in der Hauptsache rechtlich jedenfalls aussichtslos wäre.

Fraglich bleibe, ob der Klägerin ein Verschulden anzulasten sei. Dieses sei von Amts wegen zu prüfen und sei der Wiederaufnahmskläger dafür behauptungs- und beweispflichtig, daß ihn kein Verschulden treffe. Dabei gelte die Diligenzpflicht des § 1295 ABGB. Nur die Außerachtlassung des Fleißes und der Aufmerksamkeit, die bei gewöhnlichen Fähigkeiten angewendet würden, stelle ein Verschulden im Sinne des § 530 Abs 2 ZPO dar (RZ 1966, 148). Voraussichtlich erfolglose prozessuale Maßnahmen müßten nicht ergriffen werden (vgl JBl 1960, 308; JBl 1976, 439). Es sei also geboten, die zur Verfügung stehenden prozessualen Mittel, ihre Erfolgswahrscheinlichkeit, das Verfahrensrisiko und den damit verbundenen Kostenaufwand zu berücksichtigen. Dabei sei zunächst zu erwägen, ob die Klägerin im Sinne des § 308 ZPO einen Auftrag zur Vorlage der Urkunde gegenüber dem Zeugen Dieter R***** hätte erwirken können und gegebenenfalls erwirken hätte müssen. Wenn sich eine zur Beweisführung benötigte Urkunde in der Hand eines Dritten befinde, welcher nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts oder deshalb zur Herausgabe und Vorlage der Urkunde verpflichtet sei, weil diese ihrem Inhalt nach eine für den Beweisführer und den Dritten gemeinschaftlich sei, könne letzterem auf Antrag des Beweisführers aufgetragen werden, die Urkunde beim Prozeßgericht zu hinterlegen. Der Kautionsbeleg stelle allerdings keine der Klägerin und dem Zeugen Dieter R***** gemeinschaftliche Urkunde dar. Allerdings habe die Klägerin schon im Vorprozeß behauptet, daß ihr der Anspruch auf Kautionsrückzahlung von Dieter R***** abgetreten worden sei, wofür sie als Gegenleistung dessen Kautionserstattungsanspruch im Sinne eines Darlehens abzustatten gehabt habe. Aufgrund dieser Verpflichtung habe die Klägerin den vertraglichen Nebenanspruch gehabt, daß ihr von Dieter R***** der tatsächliche Erlag der Kaution nachgewiesen und der urkundliche Beleg darüber zur Verfügung gestellt werde, weil dieser ja zur Rückforderung der Kaution durch sie erforderlich gewesen sei. Dieter R***** sei daher nach bürgerlichem Recht zur Herausgabe des Belegs verpflichtet gewesen, was einen Urkundenvorlageauftrag grundsätzlich ermöglicht hätte. Für einen solchen Auftrag hätte die Klägerin allerdings gemäß § 308 Abs 2 ZPO glaubhaft machen müssen, daß sich der Beleg (noch) in der Hand des Zeugen befinde. Daß ihr eine solche Glaubhaftmachung gelungen wäre, sei allerdings nicht zu erwarten. Dieter R***** habe die eigene Innehabung der Urkunde nicht bestätigen könne, was hier nicht bedenklich gewesen sei, weil seit Ausstellung der Urkunde bereits rund 10 Jahre verstrichen gewesen seien. Voraussichtlich wäre dann der Klägerin nur mehr die Möglichkeit der Herausgabeklage und einer Antragstellung nach § 309 Abs 1 ZPO mit ähnlich fragwürdigen Erfolgsaussichten verblieben. Bei der gegebenen Situation sei daher der Klägerin kein die Wiederaufnahme ausschließendes Verschulden im Sinne des § 530 Abs 2 ZPO anzulasten. Bei nur recht geringen Erfolgschancen müsse nicht jede rechtlich mögliche prozessuale Maßnahme ergriffen werden. Dies müsse hier umso mehr gelten, als sich die Klägerin außerprozessual durch wiederholte Ersuchen an Dieter R***** und seine Gattin ohnehin bemüht habe, den Kautionsbeleg zu erlangen.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil zum Verschulden des Wiederaufnahmsklägers bei der Urkundenbeschaffung nur wenig, zumeist ältere veröffentlichte Judikatur vorliege, die überdies mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar scheine.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Parteien mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel der beklagten Parteien als unzulässig zurückzuweisen, in eventu, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig - der gegenteilige Ausspruch des Berufungsgerichtes ist gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindend -, weil der vom Berufungsgericht als erheblich bezeichneten Rechtsfrage, ob der Klägerin hier ein Verschulden anzulasten ist, keine Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zukommt und im übrigen im Rechtsmittel der beklagten Parteien keine erheblichen Rechtsfragen aufgeworfen werden.

Gemäß § 530 Abs 2 ZPO ist eine Wiederaufnahme wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel nur dann zulässig, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außer Stande war, diese vor Schluß der mündliche Verhandlung, auf welche die Entscheidung erster Instanz erging, geltend zu machen. Den Mangel des Verschuldens hat die Partei, welche ja eine prozessuale Diligenzpflicht trifft, zu beweisen (Kodek in Rechberger, ZPO Rz 5 zu § 530 mwN). Bei der Beurteilung der Frage, ob dem Wiederaufnahmskläger ein Verschulden nach § 530 Abs 2 ZPO zur Last fällt, ist von der Bestimmung des § 1297 ABGB auszugehen, wonach vermutet wird, daß jeder, der den normalen Verstandesgebrauch besitzt, eines solchen Grades des Fleißes und der Aufmerksamkeit fähig ist, der bei gewöhnlichen Fähigkeiten angewendet werden kann; die Außerachtlassung dieses Fleißes und dieser Aufmerksamkeit stellt ein Verschulden dar (RZ 1966, 148; 4 Ob 1569/95). Die anzuwendende prozessuale Diligenzpflicht findet aber ihre Grenze in der Anwendung der zumutbaren Sorgfalt, wobei sich die Zumutbarkeit nach den Umständen des Einzelfalles richtet (8 Ob 36/81), weshalb einer Entscheidung darüber grundsätzlich keine über diesen hinausgehende Bedeutung zukommt und die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht gegeben sind. Die hier im Vorprozeß vorgelegene prozessuale Situation ist wohl auch nicht so häufig anzutreffen, daß eine beispielgebende Entscheidung möglich wäre. Schließlich kann in der Ansicht des Berufungsgerichtes, es wäre der Klägerin nicht zumutbar gewesen, weitere Maßnahmen zur Erlangung der Urkunde zu setzen, keine erhebliche Fehlbeurteilung erblickt werden, weshalb auch in der Einzelfallgerechtigtkeit keine erhebliche Rechtsfrage liegt.

Auch sonst werden im Rechtsmittel der Beklagten keine erheblichen Rechtsfragen dargetan. Diese vertreten die Ansicht, die Bestimmung des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO sei so auszulegen, daß lediglich ein Beweismittel, von welchem die Partei erst nach Abschluß des Verfahrens Kenntnis erlangt habe, einen Wiederaufnahmsgrund bilde.

Weiters sei erforderlich, daß das neue Beweismittel bei Verwendung im früheren Verfahren eine günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Eine wesentliche Änderung lediglich der Beweiswürdigung reiche hiefür nicht aus, es sei auf die Möglichkeit eines günstigeren Ergebnisses abzustellen.

Hiezu wurde erwogen:

Wie bereits das Berufungsgericht dargelegt hat, ergibt sich aus § 530 Abs 1 Z 7 ZPO, daß es allein darauf ankommt, ob die Partei das "Beweismittel auffindet" und nicht darauf, ob sie davon Kenntnis hatte. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Gesetzeswortlaut, weshalb auch insoweit eine erhebliche Rechtfrage nicht vorliegt.

Zur Frage der Eignung der Beweismittel, eine günstigere Entscheidung über den Gegenstand des Vorprozesses herbeizuführen entspricht es ständiger Rechtsprechung, daß schon die Möglichkeit eines günstigeren Ergebnisses genügt, wobei es ausreicht, daß die neuen Tatsachen oder Beweismittel geeignet sind, eine wesentliche Änderung der Beweiswürdigung herbeizuführen (s die Nachweise bei Kodek in Rechberger, ZPO Rz 5 zu § 530). Dieser Rechtsprechung entspricht die Entscheidung des Berufungsgerichtes, etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den in der Revision zitierten Entscheidungen ZBl 1918/167; ZBl 1923/99; JBl 1952, 292; EFSlg 34.517; EFSlg 34.520.

Die Revision der Beklagten war daher wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen. Der Klägerin, die auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen hat, waren die Kosten der Revisionsbeantwortung zuzusprechen (§§ 41, 50 ZPO).

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