OGH 2Ob284/01f

OGH2Ob284/01f24.4.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johanna W*****, vertreten durch Dr. Peter Riedmann, Dr. Heinz G. Waldmüller und Dr. Martin Baldauf, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. Günther H*****, und 2. A***** Versicherungs-AG, ***** beide vertreten durch Dr. Günther F. Kolar und Dr. Andreas Kolar, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen EUR 30.985,38 (= S 426.370,89), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 5. Juli 2001, GZ 2 R 136/01v-40, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 23. März 2001, GZ 40 Cg 206/98z-35, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie unter Einschluss des in Rechtskraft erwachsenen Teiles zu lauten haben:

"1. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei zu Handen des Klagevertreters binnen 14 Tagen EUR 26.054,73 samt 4 % Zinsen aus EUR 18.115,95 vom 1. 8. 1998 bis zum 26. 2. 2001 und aus EUR 26.054,73 samt 4 % Zinsen seit 27. 2. 2001 zu bezahlen.

2. Das Mehrbegehren des Inhalts, die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei weitere EUR 3.186,70 zu bezahlen sowie das gesamte Zinsenmehrbegehren werden abgewiesen.

3. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei zu Handen ihrer Vertreter binnen 14 Tagen die mit EUR 6.947,97 (darin enthalten EUR 934,51 USt. und EUR 1.340,90 Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz zu ersetzen."

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand weiters schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 2.848,95 (darin enthalten EUR 249,18 USt. und EUR 1.353,84 Barauslagen) bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagten Parteien haften für die Folgen eines Verkehrsunfalls vom 2. 4. 1995 in Innsbruck, bei welchem die Klägerin verletzt wurde. Sie begehrte in erster Instanz nach Klageeausdehnung Zuspruch von S 426.370,89. Dieser Betrag setzte sich zusammen aus Heilbehandlungskosten von insgesamt S 146.610,89, Haushaltshilfekosten im Betrag von S 255.760 und Rechtsanwaltskosten von S 24.000. Strittig im Revisionsverfahren sind nur mehr Heilbehandlungskosten von S 92.257,66 als Differenz der Kosten zwischen der von der Klägerin in Anspruch genommenen privaten ärztlichen Versorgung abzüglich der von den Vorinstanzen bereits zugesprochenen angenommenen Kosten der Behandlung in einem Ambulatorium der Tiroler Gebietskrankenkasse.

Die Klägerin brachte vor, sie habe sich von ihrem langjährigen und ihr Vertrauen genießenden Hausarzt behandeln lassen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des restlichen Klagebegehrens mit der Begründung, die Klägerin habe gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen. Derselbe medizinische Heilungserfolg hätte auch in einem kostengünstigeren physikalischen Ambulatorium erzielt werden können.

Das Erstgericht ging von nachstehenden wesentlichen Feststellungen aus: Die Klägerin trug beim eingangs geschilderten Verkehrsunfall am 2. 4. 1995 eine Beschleunigungsverletzung im Bereich der Halswirbelsäule mit discoligamentärer Instabilität C 6/C 7 davon. Nach der operativen Entfernung der Bandscheibe C 6/C 7 samt Segmentfusion erfolgte zunächst eine Ruhigstellung der Halswirbelsäule. In der Folge wurde mit verschiedensten Rehabilitationsmaßnahmen begonnen. Postoperativ verblieb bei der Klägerin eine leicht- bis mäßiggradige Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule, allerdings bei voller Belastbarkeit des Schultergürtels. Zunächst begab sich die Klägerin zur postoperativen Nachbehandlung zu ihrem langjährigen Hausarzt Dr. Walter G*****, der für die im Zeitraum 11. 1. 1996 bis 19. 12. 1997 an der Klägerin vorgenommenen chiropraktischen Behandlungen insgesamt S 65.280 in Rechnung stellte. Des Weiteren hat Dr. G***** der Klägerin geraten, auch den Münchner Arzt Dr. M***** zu konsultieren, bei dem es sich in seiner ärztlichen Einschätzung um einen für die bei der Klägerin postoperativ aufgetretenen Symptomatik besonders geeigneten und besonders gut ausgebildeten Arzt handelte. Dr. M***** stellte für die im Zeitraum 2. 5. 1997 bis 25. 9. 1997 an der Klägerin vorgenommenen chiropraktischen Heilbehandlungen insgesamt DM 970,52 in Rechnung. Die postoperativen Heilbehandlungen durch die Privatärzte waren durchwegs medizinisch indiziert und entsprachen dem Stand der medizinisch-wissenschaftlichen Technik. Das Erstgericht stellte noch fest, welche Beträge durch die Tiroler Gebietskrankenkasse im Fall der Inanspruchnahme eines physiotherapeutischen Ambulatoriums oder eines Vertragsarztes für eine den Heilbehandlungen Dris. G***** und M***** gleichwertige chiropraktische Behandlung in Rechnung gestellt werden.

Rechtlich erörterte das Erstgericht, dass die Klägerin gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen habe, weil sie einerseits ärztliche Heilbehandlungen im benachbarten Ausland in Anspruch genommen habe, die in gleicher Art und Güte auch im Großraum Innsbruck erbracht hätten werden können. Im Falle einer chiropraktischen Behandlung im physiotherapeutischen Ambulatorium der Tiroler Gebietskrankenkasse, die gegenüber den Behandlungen bei den Privatärzten ebenfalls als gleichwertig zu qualifizieren seien, wären deutlich geringere Behandlungskosten aufgelaufen, welche allein ersatzfähig seien.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin gegen den abweisenden Teil der Entscheidung - soweit revisionsgegenständlich - nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Nach ständiger Rechtsprechung sei nur der zweckmäßig gemachte Aufwand an Heilungskosten zu ersetzen. Bestünden zur Beseitigung einer Unfallsfolge zwei Möglichkeiten, von denen die eine wesentlich weniger Aufwand erfordere als die andere, dann handle es sich nur bei der billigeren Maßnahme um einen zweckmäßigen Aufwand. Auch ein Anspruch auf Ersatz der durch die Inanspruchnahme einer höheren Gebührenklasse entstehenden höheren Heilungskosten sei nur dann gerechtfertigt, wenn die höheren Aufwendungen zur besseren Heilung der Unfallverletzungen und zur Wiederherstellung der durch diese Verletzungen beeinträchtigten Gesundheit zweckmäßig und angemessen erschienen. Da feststehe, dass die durch die Privatärzte vorgenommenen Behandlungen in gleicher Weise im Großraum Innsbruck durch die wesentlich kostengünstigere Tiroler Gebietskrankenkasse durchgeführt werden hätte können, habe die Klägerin nur Anspruch auf Ersatz dieser geringeren Behandlungskosten. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil in der Lehre (Harrer in Schwimann ABGB2 Rz 6 und 7 zu § 1325 ABGB) auch eine andere Meinung vertreten werde.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revision die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen dahingehend, dass ihr ein weiterer Betrag von S 92.257,66 zugesprochen werde.

Die beklagten Parteien beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Nach Rechtsprechung und Lehre gehört zu den zu ersetzenden Heilungskosten jeder Aufwand, der zweckmäßig zur gänzlichen oder teilweisen Heilung erforderlich ist (ZVR 1963/144; 1976/264; 1984/303; Reischauer in Rummel ABGB2 Rz 14 zu § 1325; Harrer in Schwimann ABGB2 Rz 6 und 7 zu § 1325, Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht II2 S 126).

Zur Frage der Ersatzfähigkeit der Kosten einer höheren Gebührenklasse des Krankenhauses oder der Kosten eines Privatarztes hat die Rechtsprechung bisher ausgeführt, dass solche dann zu ersetzen sind, wenn entweder die Maßnahmen vom medizinischen Standpunkt aus gesehen notwendig erscheinen oder wenigstens ein günstigeres Behandlungsergebnis erwarten lassen (ZVR 1969/206; 1973/134). Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, kommt der Ersatz höherer Kosten dann in Betracht, wenn dies der sonstigen Lebenshaltung des Verletzten entspricht (ZVR 1970/248; ZVR 1977/15; RZ 2001, 49; RIS-Justiz RS0030610; RS0003674).

Auch nach der Lehre ist eine private Krankenbehandlung in vollem Umfang zu ersetzen, wenn dies der sonstigen Lebenshaltung des Verletzten entspricht (Reischauer in Rummel ABGB2 Rz 15 zu § 1325, Koziol I3 Rz 12/98 und II2 128, Harrer in Schwimann ABGB2 Rz 7 zu § 1325). Huber (Fragen der Schadensberechnung, 285) vertritt unter Hinweis auf das Ziel des Schadenersatzrechtes, die Naturalrestituition soweit wie möglich zu verwirklichen, die von der Rechtsprechung und der zitierten Lehre abweichende Ansicht, für die Ersatzfähigkeit der Heilungskosten in einer gehobenen Verpflegungsklasse sei maßgeblich, ob die Heilung dort deshalb erforderlich ist, um für den Verletzten möglichst den Lebenszuschnitt herzustellen, den er ohne Verletzung hätte, nicht aber, ob der Verletzte selbst solche Aufwendungen ohne Haftpflicht eines Dritten getätigt hätte. In der deutschen Lehre wird die Ansicht vertreten, dass die Mehrkosten privatärztlicher Behandlung dann zu ersetzen sind, wenn ein Verletzter sich auch schon vor dem Unfall privatärztlich behandeln ließ (Wussow, Unfallhaftpflichtrecht12 Rn 163; Becker/Böhme, Kraftfahrkehrshaftpflichtschäden Rn D98).

Nach den Feststellungen war der behandelnde Privatarzt der langjährige (nach Aussage der Klägerin ihr Vertrauen genießender) Hausarzt; der in Deutschland praktizierende Arzt wurde auf ausdrücklicher Empfehlung ihres Hausarztes beigezogen, weil es sich dabei um einen Spezialisten für derartige Verletzung handelte. Es ist daher davon auszugehen, dass die Klägerin auch schon vor dem Unfall ihren Hausarzt privat in Anspruch genommen hat. Da im Übrigen bei Beurteilung der Lebensverhältnisse (zu deren Maßgeblichkeit Koziol aaO) auch die Verhältnisse des Unterhaltsverpflichteten heranzuziehen sind (SZ 43/32) und die Klägerin Ehefrau eines Rechtsanwaltes ist, sind hier die Mehrkosten durch Privatbehandlung zuzusprechen.

Die Ersatzfähigkeit der Kosten der privaten Heilbehandlung ergibt sich schon aus der zitierten Rechtsprechung und herrschenden Lehre. Ob dagegen der Meinung Hubers der Vorzug zu geben ist, muss nicht beurteilt werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 43 Abs 2 und 50 ZPO. Die Klägerin ist mit der Klage zur Gänze durchgedrungen. Nach Ausdehnung des Klagebegehrens ist sie im fortgesetzten Verfahren unter Berücksichtigung des nicht kostenschädlichen Unterliegens aus dem Titel "Haushaltshilfekosten" mit etwa 90 % ihres Begehrens im Verfahren erster Instanz durchgedrungen und hat Anspruch auf 80 % ihrer Kosten sowie auf 90 % der Barauslagen abzüglich 10 % der von der Gegenseite getragenen Barauslagen.

Im Rechtsmittelverfahren ist sie zur Gänze durchgedrungen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte