Spruch:
Die Inanspruchnahme der zweiten Verpflegsklasse ist berechtigt, wenn dies für die Heilung förderlich ist und nicht außerhalb der sonstigen Lebenshaltung des Verletzten liegt. Ärztliche Notwendigkeit ist nicht erforderlich
OGH 5. Februar 1970, 2 Ob 365/69 (LGZ Graz 5 R 249/69; BG Hartberg C 258/68 )
Text
Die Klägerin unternahm gemeinsam mit ihrer Schwester Gertrude mit dem Beklagten in den Abendstunden des 10. September 1967 eine Ausfahrt. Der vom Beklagten gelenkte PKW Alfa-Romeo kam ins Schleudern, überschlug sich und blieb in der Nähe eines ländlichen Anwesens mit Totalschaden liegen. Beide Schwestern trugen Verletzungen davon und wurden im Landeskrankenhaus H in getrennten Spitalklassen untergebracht, die Klägerin in der zweiten, ihre Schwester in der dritten Verpflegsklasse. Nach acht Tagen wurde die Klägerin aus der stationären Behandlung entlassen.
Die Klägerin begehrte ursprünglich 6000 S Schmerzengeld, den Ersatz der Aufzahlung zwischen der dritten und zweiten Verpflegsklasse von 1626 S und für beschädigte Kleidung 720 S sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten für künftig auftretende Schäden.
Nach Zahlung von 6000 S wurde das Leistungsbegehren auf 2346 S s A eingeschränkt.
Das Erstgericht verurteilte den Beklagten zur Zahlung von 720 S s A (für beschädigte Kleidung), wies aber das Begehren nach Zahlung von Heilungskosten und das Feststellungsbegehren ab.
Die Klägerin bekämpfte dieses Urteil nur insoweit, als ihr Begehren auf Ersatz der Heilungskosten von 1626 S abgewiesen wurde.
Das Berufungsgericht verurteilte den Beklagten, der Klägerin auch diesen Betrag zu bezahlen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Beide Untergerichte sind von folgendem Sachverhalt ausgegangen:
Die Klägerin erlitt durch den Unfall zahlreiche Verletzungen und eine Schädelprellung. Bei der Aufnahme im Krankenhaus war sie deutlich schockiert, am Hals fand sich links ein derbes Hämatom, wodurch die Beweglichkeit des Kopfes fast völlig aufgehoben war. Die Dornfortsätze der Halswirbelsäule waren druckempfindlich. Weitere Hämatome befanden sich am linken Unterarm, rechten Oberarm und an den beiden Kniegelenken, die aber beweglich blieben. Röntgenologisch fanden sich an der Halswirbelsäule keine sicheren Frakturzeichen. Durch den Unfall ist letztlich nur eine Prellung der Halswirbelsäule aufgetreten. Die unfallsbedingten Verletzungen der Klägerin waren nicht derart, daß vom ärztlichen Standpunkt die Behandlung der Klägerin in der zweiten Spitalsklasse erforderlich gewesen wäre. Die ärztliche Betreuung und die Medikamente sind in der zweiten und dritten Spitalsklasse dieselben. Ein Unterschied besteht nur in pfleglicher Hinsicht, da die Patienten der zweiten Klasse in einem kleineren Zimmer liegen, besseres Essen verabreicht bekommen und eine ausgedehntere Besuchszeit haben.
Das Erstgericht war der Ansicht, daß demnach der Beklagte der Klägerin den Mehraufwand für die zweite Spitalsklasse nicht zu ersetzen habe.
Das Berufungsgericht erwog jedoch, daß sich zwar rückschauend auf Grund der Schwere der Verletzungen eine Aufnahme in die zweite Klasse nicht als zwingend herausstellte, damals aber die Klägerin den Kopf fast gar nicht bewegen konnte, die Dornfortsätze der Halswirbelsäule druckempfindlich waren und deshalb eine sogenannte weiche "Krawatte" angelegt wurde. Da die Klägerin bei der Aufnahme schockiert war, sei es verständlich, wenn der Vater der Klägerin in ernstlicher Besorgnis war, wozu noch komme, daß ihm die Unterbringung seiner Tochter in der zweiten Spitalsklasse angeraten worden war. Allein der Umstand, daß die beiden Schwestern in verschiedenen Spitalsklassen untergebracht wurden, zeige, daß nur eine ernste Besorgnis, nicht aber der Gedanke, den Beklagten finanziell zu belasten, zu dieser Unterbringungsart geführt habe. Schließlich sei die Klägerin die Tochter eines begüterten Landwirts und habe daher ihre Lebenshaltung nicht zu Gunsten des Beklagten verschlechtern müssen.
Der Revisionswerber bringt dagegen vor, das Berufungsgericht stelle zu Unrecht auf das subjektive Moment einer ernsten Besorgnis um den Gesundheitszustand des Verletzten ab. Die allein maßgebenden objektiven Umstände dieses Falles müßten zu dem Schluß führen, daß die Aufnahme der Klägerin in die zweite Verpflegsklasse nicht geboten gewesen sei, zumal der Arzt Dr O als Zeuge angegeben habe, daß er der Klägerin nicht empfohlen habe, die zweite Spitalsklasse in Anspruch zu nehmen, weil die Verletzungen der Klägerin dies vom ärztlichen Standpunkt nicht als notwendig erscheinen ließen. Letzteres gehe übrigens auch aus dem Gutachten des ärztlichen Sachverständigen Dr B hervor. Die Klägerin hätte denselben Heilerfolg in der dritten Spitalsklasse erzielt.
Nun hat zwar der Facharzt Dr Erich O bei seiner ersten Vernehmung als Zeuge in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 9. Oktober 1968 ausgesagt, er habe bei Einlieferung der Klägerin ins Landeskrankenhaus H dieser nicht empfohlen, die zweite Spitalsklasse in Anspruch zu nehmen. Ihre Verletzungen seien nicht von einem Ausmaß und von einem Grad gewesen, daß die Behandlung in der zweiten Spitalsklasse vom ärztlichen Standpunkt her unbedingt empfehlenswert gewesen sei. Er empfehle prinzipiell keinem Patienten die Inanspruchnahme der zweiten Spitalsklasse, wenn hiefür nicht eine Notwendigkeit vom ärztlichen Standpunkt aus vorliege. Diese Notwendigkeit habe im konkreten Falle nicht vorgelegen. Karl G, der Vater der Klägerin, sagte aus, Dr O habe ihm gegenüber nicht erklärt, daß die zweite Spitalsklasse für die Klägerin unbedingt notwendig sei, er habe ihm diese nur angeraten. Dr O gab, am 30. Mai 1969 ergänzend vernommen, an, er habe anläßlich der Einlieferung der Klägerin deren Vater empfohlen, sie auf die zweite Klasse zu legen, zumal dort gewisse Annehmlichkeiten gegeben seien, die bei dem damaligen Gesundheitszustand der Klägerin sich günstig ausgewirkt hätten. Er möchte aber nach wie vor betonen, daß eine ärztliche Notwendigkeit hiezu nicht bestanden habe. Diese Empfehlung habe sich auf die pflegerische Belange bezogen, nicht auf die ärztliche Betreuung.
Aus der vom Erstgericht ausdrücklich für glaubwürdig befundenen Aussage des Zeugen Dr O ergibt sich also, daß die minderjährige Klägerin von ihrem Vater auf spitalsärztliche Empfehlung in die zweite Verpflegsklasse gegeben wurde, weil dort gewisse Annehmlichkeiten bestanden, die sich für den Gesundheitszustand der Klägerin günstig auswirkten. Zur Rechtfertigung der Aufnahme eines Verletzten in die zweite Verpflegsklasse genügt die Tatsache, daß dies für die Heilung nach den gegebenen Umständen förderlich war, mag auch nicht gerade eine ärztliche Notwendigkeit dazu bestanden haben. Überdies lag die Inanspruchnahme der zweiten Klasse nicht außerhalb der sonstigen Lebenshaltung der Klägerin, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat.
Damit erweist sich also der Standpunkt des Berufungsgerichtes als zutreffend.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)