OGH 2Ob235/17y

OGH2Ob235/17y24.9.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach J* Z*, verstorben am *, zuletzt wohnhaft in *, über den Revisionsrekurs der U* H*, vertreten durch Dr. Stefan Gloß und andere Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 27. September 2017, GZ 23 R 339/17a‑83, womit der Zwischenbeschluss des Bezirksgerichts St. Pölten, vom 10. Juli 2017, GZ 2 A 514/14z‑76, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E123075

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Revisionsrekursgegner hat die Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

Die am * verstorbene J* Z* hinterließ neben ihrem Ehemann vier volljährige Kinder, darunter die Revisionsrekurswerberin. Die Erblasserin hatte umfangreichen Liegenschaftsbesitz, großteils im Hälfteeigentum mit dem Ehemann. Im Jahr 1995 schlossen die Eheleute einen Erbvertrag, in dem sie einander zu Erben einsetzten. Die Noterben wurden ausdrücklich auf den Pflichtteil beschränkt.

Der Witwer hat eine Erbantrittserklärung abgegeben. Er ist 82 Jahre alt und seit 22 Jahren in Pension. Die Landwirtschaft ist an zwei seiner Kinder – zumindest nominell – verpachtet.

Der land- und forstwirtschaftliche Grundbesitz hatte zum Bewertungsstichtag * mit zwei ca 120 km voneinander entfernten Betriebsschwerpunkten im T* um U* und im nordöstlichen Weinviertel bei B* ein Ausmaß von insgesamt 762.826 m2. Auf dieser Grundfläche befinden sich Acker-, Weingarten- und Waldflächen. Das „Betriebszentrum“ im T* (die Hofstelle) umfasst auch ein kleinbäuerliches Anwesen im gewidmeten Wohnbauland, eine separierte Maschinenhalle und einen Keller. In B* besteht ein Gebäudekomplex ohne Wohnbereich. Zudem gibt es zwei Weinkeller in H* und in A*. Zur Bewirtschaftung der Landwirtschafts-, Weingarten- und Waldflächen in ortsüblicher Wirtschaftsweise sind die Maschinen und Gerätschaften in Eigenbesitz vorhanden bzw werden einzelne Arbeitsschritte ortsüblich in Lohnarbeit vergeben. Bei ortsüblicher Bewirtschaftung kann ein jährlicher Betriebserfolg von rund 37.000 EUR erwirtschaftet werden.

Die Revisionsrekurswerberin bestreitet im Gegensatz zu ihren Geschwistern die Erbhofeigenschaft und den behaupteten Umfang. Sie steht auf dem Standpunkt, dass die im Weinviertel gelegenen Grundstücke aufgrund der räumlichen Distanz zur Hofstelle in U* keine wirtschaftliche Einheit bildeten, sondern vielmehr als reine Vermögensanlage gekauft worden und seit rund 20 Jahren verpachtet seien.

Der Witwer hält dem entgegen, dass die Grundstücksankäufe im Weinviertel deshalb notwendig gewesen seien, um für die Verstorbene und ihn eine Pension lukrieren zu können, zumal deren Höhe vom Einheitswert der Liegenschaften abhänge. Die räumliche Distanz sei zu überwinden, weil die Bewirtschaftung durch Maschinen erfolge und sich auf den im Weinviertel vorhandenen Grundstücken auch eine Halle dafür befinde.

Das Erstgericht stellte mit Zwischenbeschluss die Erbhofeigenschaft „der verfahrensgegenständlichen Landwirtschaft“ fest, verwies hinsichtlich deren Umfangs auf das Sachverständigengutachten, sprach aus, dass der Erbhof dem Witwer zugewiesen werde und behielt die Festsetzung des Übernahmepreises vor.

Das von beiden Kontrahenten angerufene Rekursgericht änderte diesen Beschluss dahin ab, dass es sämtliche zum Erbhof gehörigen Liegenschaften, darunter auch jene im Weinviertel, im Spruch der Entscheidung wiedergab. Dem Rekurs der Revisonsrekurswerberin gab es im Übrigen nicht Folge.

Sowohl die Liegenschaften im T* als auch im Weinviertel dienten der landwirtschaftlichen Nutzung, sodass eine wirtschaftliche Einheit anzunehmen sei. Die Liegenschaften im T* könnten vom Betriebszentrum aus, und jene im nordöstlichen Weinviertel von den dortigen Wirtschaftsgebäuden aus, in denen ein Lagern von landwirtschaftlichen Geräten möglich sei, gegendüblich bewirtschaftet werden. Als eigener Erbhof könnten die Liegenschaften im Weinviertel nicht bestehen, weil dort keine Hofstelle vorhanden sei.

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil im Zusammenhang mit großen Distanzen zwischen Hofstelle und landwirtschaftlichen Flächen zur Frage, wann eine wirtschaftliche Einheit gegeben sei und wann nicht mehr, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Die Revisionsrekurswerberin strebt mit ihrem Rechtsmittel die Feststellung des Nichtbestehens eines Erbhofs an. Zwischen den Grundstücken im T* und im Weinviertel bestehe keine wirtschaftliche Einheit iSd § 2 Abs 1 AnerbenG. Die Berücksichtigung weit entfernt (womöglich im Ausland) liegender Liegenschaften führe zur Uferlosigkeit, wofür sich im Gesetz kein Anhaltspunkt finde. Auch gebe es konkret im Weinviertel keine Hofstelle im Sinne eines Wohn- und Witschaftsgebäudes. In Bezug auf den festgestellten jährlichen Betriebserfolg stelle sich die Frage, inwieweit Investitionen zu berücksichtigen seien. Zum notwendigen Durchschnittsertrag liege keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vor.

Der Witwer beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen; hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben. Wesentlich sei die tatsächliche Bewirtschaftung bzw deren Möglichkeit vom Hof aus und weniger die räumliche Entfernung. Nach der Regierungsvorlage zum AnerbenG habe eine allfällige Streulage nichts mit der wirtschaftlichen Einheit eines Erbhofs zu tun. Eine Hofstelle im Sinne des AnerbenG müsse auch keine Wohnmöglichkeit umfassen. Bei der Ermittlung des Betriebserfolgs seien ohnehin die üblichen Investitionen berücksichtigt worden.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig im Sinne der Ausführungen des Rekursgerichts, er ist aber nicht berechtigt:

1. Die Feststellung der Erbhofeigenschaft mit gesondertem und auch gesondert anfechtbarem Beschluss des Verlassenschaftsgerichts wurde hier erforderlich, weil diese Eigenschaft unter den Beteiligten strittig ist (RIS‑Justiz RS0036902 [T10]; 6 Ob 218/06m).

2. Nach § 1 Abs 1 AnerbenG sind Erbhöfe mit einer Hofstelle versehene land- und forstwirtschaftliche Betriebe, die im Eigentum einer natürlichen Person, von Ehegatten oder eines Elternteils und eines Kindes stehen und mindestens einen zur angemessenen Erhaltung von zwei erwachsenen Personen ausreichenden, jedoch das Zwanzigfache dieses Ausmaßes nicht übersteigenden Durchschnittsertrag haben.

In § 2 Abs 1 AnerbenG wird der Umfang des Erbhofs mit den dem Eigentümer des Erbhofs gehörenden Grundstücken, die den Zwecken der Landwirtschaft dienen und eine wirtschaftliche Einheit bilden, samt den auf diesen Grundstücken befindlichen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden umschrieben.

3. Die Materialien zu § 2 AnerbG (ErlRV 76 BlgNR VIII. GP  15, auch abgedruckt bei Edlbacher, Anerbengesetz [1961] 22) gehen zwar davon aus, dass das Erfordernis der wirtschaftlichen Einheit mit einer Streulage nichts zu tun hat, sie führen aber weiter aus, dass ein Grundstück, das wegen großer Entfernung von der Hofstelle aus gar nicht bewirtschaftet werden kann (und deshalb etwa durch Verpachtung genutzt wird) nicht im wirtschaftlichen Verband des Hofes steht.

4. In der Literatur findet sich keine konkrete Stellungnahme über das Erfordernis einer bestimmten räumlichen Nähe zwischen Hofstelle und zu bewirtschaftenden Liegenschaften (vgl Schramm in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II [2017] § 2 AnerbenG Rz 1 mwN; Eccher in Schwimann/Kodek 4 § 2 AnerbenG Rz 1; Kathrein in FS Woschnak [2010], Das Anerbengesetz im Spiegel der jüngeren Rechtsprechung, 271 ff; ders, Anerbenrecht – Überblick über die Rechtsprechung, Jahrbuch Agrarrecht 2014, 263 ff).

5. Nach der Rechtsprechung bestimmt sich die Frage, ob eine Liegenschaft ein Erbhof im Sinne des AnerbenG ist, danach, ob es sich objektiv um einen landwirtschaftlichen Betrieb handelt, der die Kriterien des § 1 AnerbenG erfüllt (RIS‑Justiz RS0050260). Wesentlich ist nicht, ob eine Liegenschaft tatsächlich von der Hofstelle aus genutzt wird, sondern nur, ob dies objektiv (mit wirtschaftlichen Mitteln) möglich ist (6 Ob 50/12i; 6 Ob 225/99b; RIS‑Justiz RS0050228 [T1]; vgl auch RS0105310 [T1]). Auch die Verpachtung von Flächen hat auf die Qualifikation als Erbhof keinen Einfluss, weil es auf die objektiven Nutzungsmöglichkeiten ankommt (RIS‑Justiz RS0050228 [T1]). Selbst die Verpachtung des Gesamtbetriebs zur landwirtschaftlichen Nutzung wurde als eine Bewirtschaftungsform gesehen (6 Ob 265/07z; 6 Ob 20/02p; 6 Ob 225/99b; 6 Ob 2/77 EvBl 1978/86; 2 Ob 781/32 SZ 15/19; RIS‑Justiz RS0050232; RS0050260 [T1]), wohingegen die nicht bloß vorübergehende Vermietung von landwirtschaftlich nutzbaren Grundstücken zu nichtlandwirtschaftlichen Zwecken die Zugehörigkeit der betroffenen Fläche zum Erbhof beendet (6 Ob 265/07z; RIS‑Justiz RS0050260 [T3, T4]).

6. Im vorliegenden Fall ist zu beurteilen, ob die von der Hofstelle ca 120 km entfernt liegenden landwirtschaftlichen Liegenschaften, objektiv, also mit wirtschaftlichen Mitteln, von der Stammliegenschaft aus genutzt werden können. Dies ist unter den konkreten Umständen zu bejahen:

Auf diesen Liegenschaften ist ein Wirtschaftsgebäude mit Lagermöglichkeit für landwirtschaftliche Produkte vorhanden, wo auch landwirtschaftliche Maschinen abgestellt werden können. Dadurch ist die Anreise mit dem Pkw möglich, die dann dem täglichen Arbeitsweg von Pendlern durchaus vergleichbar ist. Überdies wird wohl keine tägliche Anreise notwendig sein, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass der Anerbe weder persönlich Hand anlegen noch ununterbrochen anwesend sein muss (6 Ob 224/09y; 6 Ob 249/08y). Letztlich sind auch die in diesem Bereich in den letzten Jahren verbesserten Straßenverbindungen zu berücksichtigen, die eine Bewältigung der Distanz zwischen Hofstelle und Liegenschaften in angemessener Zeit gewährleisten. Aufgrund all dieser Umstände erscheint trotz der Entfernung der zugekauften Liegenschaften von der Stammliegenschaft eine Bewirtschaftung von letzterer aus objektiv möglich, sodass eine wirtschaftliche Einheit iSd § 2 AnerbenG bejaht werden kann.

7. Den vom Erstgericht gemäß § 1 Abs 1 AnerbenG herangezogenen Betriebserfolg von 37.000 EUR hat die Rechtsmittelwerberin in ihrem Rekurs nicht bekämpft und auch nicht bezweifelt, dass dieser Betrag für die Bestreitung des Unterhalts zur Verfügung steht. Die darauf bezogene Rechtsrüge, es seien die nötigen Investitionen nicht berücksichtigt worden, kann daher im Revisionsrekurs-verfahren nicht nachgeholt werden (RIS‑Justiz RS0043480 [T12, T22]).

8. Ein Kostenersatz findet nicht statt (RIS-Justiz RS0123203).

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