European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00223.22S.1213.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Entscheidungsgründe:
[1] H* starb am 25. Jänner 2018. Ihre Verlassenschaft wurde zu jeweils einem Drittel dem Kläger als Witwer sowie ihren beiden nun beklagten Söhnen als Erben aufgrund des Gesetzes eingeantwortet.
[2] Der Kläger begehrt mit seiner am 24. Jänner 2022 (damit mehr als drei Jahre, aber noch vor Ablauf des vierten Jahres nach dem Tod der Erblasserin) eingebrachten Klage die Zahlung eines Pflegevermächtnisses.
[3] Im Revisionsverfahren ist allein strittig, ob der Anspruch des Klägers bereits verjährt ist.
[4] Der Kläger vertritt unter Berufung auf § 685 Satz 2 ABGB den Standpunkt, dass Geldvermächtnisse erst nach Ablauf eines Jahres nach dem Tod des Vermächtnisgebers geltend gemacht werden könnten, weshalb wegen der dreijährigen Verjährungsfrist (§ 1487a ABGB) der Anspruch aus einem Pflegevermächtnis gleich anderen Ansprüchen aus Vermächtnissen nicht vor dem Ablauf von vier Jahren nach dem Tode verjähren könne.
[5] Die Beklagten wandten die Verjährung ein und argumentierten damit, dass Ansprüche aus einem Pflegevermächtnis nach § 685 Satz 2, § 765 Abs 2 ABGB bereits unmittelbar nach dem Tod des Gepflegten eingeklagt werden könnten.
[6] Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, dass der geltend gemachte Anspruch nicht verjährt ist. Der Anspruch auf das Pflegevermächtnis sei zwar bereits mit dem Tod der Erblasserin entstanden. Das gesetzliche Pflegevermächtnis nach § 677 ABGB sei aber von § 685 Satz 2 ABGB umfasst, weshalb es erst nach Ablauf eines Jahres ab dem Tod des Gepflegten geltend gemacht werden könne. Der Gesetzgeber habe offenbar einen Gleichklang mit dem gemäß § 765 Abs 2 ABGB ebenfalls erst nach einem Jahr durchsetzbaren Geldpflichtteil herstellen wollen.
[7] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es bejahte die Anwendung des § 685 Satz 2 ABGB und ging mit Blick auf §§ 1478, 1487a ABGB davon aus, dass der Beginn der Verjährungsfrist die Entstehung des Anspruchs voraussetze. Es würden gute Gründe dafür sprechen, einerseits wegen des Gleichklangs im Wortlaut mit § 765 Abs 2 ABGB auch die Frist in § 685 Satz 2 ABGB nicht als Klagesperre, sondern nur als Vollstreckungssperre zu verstehen, anderseits aber davon auszugehen, dass die Annahme einer bloßen Vollstreckungssperre nichts am Beginn der Verjährungsfrist frühstens ein Jahr nach dem Tod des Gepflegten ändert. Es liege nahe, dass der Pflegende zumindest die Frist in § 685 Satz 2 ABGB abwarten werde, ehe er seine Ansprüche einklagt, weil er den Geldanspruch ohnehin nicht vollstrecken könne. Die Situation des Pflegenden unterscheide sich daher letztlich nicht wesentlich von jener des Pflichtteilsberechtigten. Die als Vollstreckungssperre zu verstehende Stundung des § 685 Satz 2 ABGB (§ 765 Abs 2 ABGB) führe zu einer Hemmung des Laufs der Verjährung während des gesamten Stundungszeitraums. Dieser werde vom Gesetz mit dem „Ablauf eines Jahres nach dem Tod des Vermächtnisgebers“ definiert.
[8] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil weder höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Anwendbarkeit des § 685 Satz 2 ABGB auf das Pflegevermächtnis noch zum Beginn der Verjährung von Ansprüchen bei Anwendung dieser Norm vorliege.
[9] Gegen dieses Urteil richtet sich die ordentliche Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Klage abzuweisen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[10] Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[11] Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Zur Anwendung des § 685 Satz 2 ABGB auf ein Pflegevermächtnis:
[12] 1.1. Beim Pflegevermächtnis nach § 677 ABGB handelt es sich nach zutreffender und einhelliger herrschender Ansicht um ein Geldvermächtnis auf Abgeltung von Pflegeleistungen, die der Vermächtnisnehmer dem Verstorbenen zu Lebzeiten erbracht hat (Baldovini, Das Pflegevermächtnis [2020] 66; Brandstätter, Neue und alte Rechtsbehelfe zur Pflegeabgeltung, ecolex 2016, 1042; Bittner/Gruber in Rechberger/Klicka 3 § 174a AußStrG Rz 1; Christandl in Klang3 §§ 677, 678 ABGB Rz 10 [„gesetzliches Geldvermächtnis“]; Gruber/Palma in FS Bittner, Das Pflegevermächtnis [2018] 214; Hueber, Zur Abgeltung von erbrachten Pflegeleistungen nach dem neuen Erbrecht, NZ 2016/96, 282 [„gesetzliches Geldvermächtnis“]; Kolmasch in Schwimann/Neumayr 5 § 677 ABGB Rz 2; Pichlmayr/Raeser, Pflegevermächtnis: Angehörigenstellung und ihr nachträglicher Wegfall, Zak 2022/643, 344; Spruzina in Kletečka/Schauer 1.02 § 678 ABGB Rz 11; Stefula, Die Abgeltung von Pflegeleistungen, EF‑Z 2016/56, 117; Unterweger, Grundlegendes zum Pflegevermächtnis – ein Überblick, Zak 2022/539, 290; Welser, Erbrechts-Kommentar § 678 ABGB Rz 12 ua).
[13] 1.2. Das ergibt sich aus dem letzten Halbsatz des § 677 Abs 1 ABGB, wonach das Vermächtnis nur gebührt, soweit nicht eine Zuwendung gewährt oder ein Entgelt vereinbart wurde, und aus § 678 Abs 1 ABGB, wonach sich die Höhe des Vermächtnisses nach Art, Dauer und Umfang der Leistungen richtet (Stefula, EF‑Z 2016/56, 117). Das Pflegevermächtnis dient der „Abgeltung“ von erbrachten Pflegeleistungen (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 16), was in Ermangelung eines anderweitigen Hinweises im Gesetz nur als Abgeltung in Geld verstanden werden kann (Christandl in Klang3 §§ 677, 678 ABGB Rz 10; Oberhumer in Ferrari/Likar‑Peer, Erbrecht2 Rz 6.53 ua). Der Vermächtnisnehmer hat daher Anspruch auf Zahlung eines Geldbetrags.
[14] 1.3. Damit findet § 685 Satz 2 ABGB Anwendung (zB Bittner/Gruber in Rechberger/Klicka 3 § 174a AußStrG Rz 1; Christandl in Klang3 §§ 677, 678 ABGB Rz 11; Isola, Das gesetzliche Pflegevermächtnis als Entgeltanspruch im Vermächtniswege, JEV 2017, 147; Kolmasch, Anfall, Fälligkeit und Verjährung des Vermächtnisses, Zak 2018/196, 106). Nach dieser Bestimmung über die „Fälligkeit des Vermächtnisses“ können Geldvermächtnisse erst nach Ablauf eines Jahres nach dem Tod des Vermächtnisgebers geltend gemacht werden.
2. Zum Gleichklang von § 685 Satz 2 ABGB und § 765 Abs 2 ABGB:
[15] 2.1. Das Pflegevermächtnis hat pflichtteilsähnlichen Charakter. Das ergibt sich nicht nur aus dem gewährten Bestandschutz (Entziehung nur bei Vorliegen eines Enterbungsgrundes), sondern auch aus der Tatsache, dass es neben dem Pflichtteil zustehen kann (2 Ob 63/21k mwN). Auch bei Normen zur Verjährung (§ 685 Satz 2 bzw § 765 Abs 2 ABGB) zeigen sich Parallelen.
[16] 2.2.1. Nach § 765 Abs 2 ABGB kann der Pflichtteilsberechtigte den Geldpflichtteil erst ein Jahr nach dem Tod des Verstorbenen fordern. Diese Regel entspricht inhaltlich der Bestimmung des § 685 Satz 2 ABGB (Christandl in Klang3 § 685 ABGB Rz 12; Kolmasch, Zak 2018/196, 106; R. Madl in Kletečka/Schauer 1.03 § 1487a ABGB Rz 23; vgl auch Isola, JEV 2017, 147). Dieser „Gleichklang“ der beiden Normen zeigt sich auch in den Materialien, die jeweils von einer „reinen Stundung“ ausgehen (ErläutRV 668 BlgNR 25. GP 18 und 26 f). Wegen der inhaltlichen Übereinstimmung kann die zu § 765 Abs 2 ABGB ergangene Judikatur auch im Bereich des § 685 ABGB angewendet werden.
[17] 2.2.2. Der Senat hat in der Entscheidung 2 Ob 117/21a klargestellt, dass beim Pflichtteilsanspruch die kurze Verjährungsfrist des § 1487a ABGB frühestens ein Jahr nach dem Tod des Erblassers zu laufen beginnt (RS0133859). Durch § 765 Abs 2 ABGB wird demnach eine „reine“ Stundung normiert, die zwar die Fälligkeit unberührt lässt, aber ihre Geltendmachung hinausschiebt und damit den Lauf der Verjährungsfrist hemmt (vgl RS0017597). Auch zuletzt hat der Senat in Anknüpfung an diese Entscheidung ausgesprochen, dass die Verjährungsfrist für den Anspruch auf Geldpflichtteil wegen § 765 Abs 2 ABGB frühestens ein Jahr nach dem Tod des Erblassers zu laufen beginnt (2 Ob 199/22m).
[18] 2.2.3. Diese Auslegung gilt wegen der aufgezeigten inhaltlichen Übereinstimmung der beiden Normen auch für § 685 Satz 2 ABGB.
[19] 2.2.4. Die Argumente in der Revision bieten keinen Anlass von der in der Entscheidung 2 Ob 117/21a vertretenen Rechtsansicht wieder abzugehen. Insbesondere kann dem auf diese Entscheidung gestützten Ergebnis der Vorinstanzen nicht entgegengehalten werden, dass dieses mit der in § 1487a ABGB normierten (hier relevanten) kurzen kenntnisabhängigen Frist in Widerspruch steht. Für die kurze Verjährungsfrist ist nur mangels anderer Bestimmungen ausschließlich auf die Kenntnis abzustellen (idS zuletzt 2 Ob 199/22m). Eine solche andere, zu berücksichtigende Bestimmung liegt im Anlassfall aber mit § 685 Satz 2 ABGB vor.
[20] 3. Die Vorinstanzen sind daher zutreffend davon ausgegangen, dass der geltend gemachte Anspruch noch nicht verjährt ist.
[21] 4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 4 iVm § 52 Abs 4 ZPO.
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