OGH 2Ob216/14z

OGH2Ob216/14z13.5.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr.

Danzl als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der antragstellenden Parteien 1. E***** T*****, 2. N***** T*****, vertreten durch Dr. Margit Kaufmann, Rechtsanwältin in Wien, gegen die Antragsgegnerin Stadt Wien, vertreten durch RUDECK-SCHLAGER RECHTSANWALTS KG in Wien, wegen Kostenersatz gemäß §§ 50, 55 WrBauO, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 30. September 2014, GZ 48 R 376/13v‑56, womit aus Anlass der Rekurse sämtlicher Parteien der Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 11. Oktober 2013, GZ 24 Nc 1/12k‑39, und das ihm vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben und der Antrag zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Entscheidung über die Rekurse sämtlicher Parteien unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund an das Rekursgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Kosten des Rekursverfahrens.

Begründung

Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. 9. 2011 wurde ein Grundstück der Antragsteller gemäß § 13 Abs 2 lit a der Bauordnung für Wien (im Folgenden: WrBauO) als Bauplatz genehmigt (I.). Gleichzeitig schrieb die Antragsgegnerin den Antragstellern gemäß §§ 50, 55 WrBauO Kostenersatz für angrenzende Grundstücke mit einer Fläche von 106 m² in Höhe des vollen Grundwerts (590 EUR/m²) von insgesamt 62.540 EUR (II.) sowie für die Herstellung der Höhenlage von 2.642,64 EUR (III.) vor.

Mit dem am 7. 12. 2011 beim Erstgericht eingelangten Antrag begehrten die Antragsteller , den Bescheid vom 6. 9. 2011 dahin „abzuändern“, dass der Kostenersatz (statt mit 62.540 EUR) nur mit 29.256 EUR festgesetzt werde. Der dem Ausspruch über den Kostenersatz zugrundegelegte „Quadratmeterpreis“ von 590 EUR sei überhöht; die Antragsteller hätten ihrerseits einen Kaufpreis von lediglich 276 EUR/m² bezahlt.

Die Antragsgegnerin beantragte, den im Bescheid vom 6. 9. 2011 in Punkt II. festgesetzten Kostenersatz mit 62.540 EUR zu „bestätigen“.

Das Erstgericht setzte den Kostenersatz „betreffend den Bescheid vom 6. 9. 2011“ mit 60.102 EUR fest. Es ermittelte zum Stichtag der Bescheiderlassung einen angemessenen „Quadratmeterpreis“ von 567 EUR, sodass der Kostenersatz für 106 m² 60.102 EUR betrage.

Diesen Beschluss bekämpften die Antragsteller mit Rekurs, in dem sie weiterhin die Festsetzung des Kostenersatzes mit nur 29.256 EUR anstreben. Die Antragsgegnerin stellte einen Berichtigungsantrag und erhob in eventu Rekurs. Sie wandte sich nicht gegen die Kostenfestsetzung mit nur 60.102 EUR (statt 62.540 EUR), bemängelte aber, dass die ihrer Ansicht nach mit der Anrufung des Gerichts ebenfalls außer Kraft getretene Kostenfestsetzung für die Herstellung der Höhenlage (Bescheid Punkt III.) mit dem unstrittigen Betrag von 2.642,64 EUR unterblieben sei.

Der Berichtigungsantrag wurde zurückgewiesen.

Das Rekursgericht hob aus Anlass der Rekurse den angefochtenen Beschluss und das ihm vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies den verfahrenseinleitenden Antrag zurück. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Das Rekursgericht erörterte rechtlich, dass der die sukzessive Kompetenz anordnende § 59 Abs 8 WrBauO mit der im Rahmen des Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetzes per 1. 1. 2014 in Kraft getretenen Novelle der Wiener Bauordnung entfallen sei. Die Novelle habe keine Übergangsvorschriften für anhängige Verfahren enthalten. Seit dem 1. 1. 2014 bestehe daher keine gerichtliche Kompetenz mehr, weshalb aus Anlass der zulässigen Rekurse die eingetretene Unzulässigkeit des Rechtswegs von Amts wegen wahrzunehmen sei (4 Ob 103/14x mwN). Der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig, weil das Rekursgericht von der einhelligen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht abgewichen sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsgegnerin mit dem Antrag, die zweitinstanzliche Entscheidung aufzuheben und dem Rekursgericht die sachliche Entscheidung über die noch unerledigten Rechtsmittel aufzutragen.

Die Antragsteller beantragen in der ihnen freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Da mit dem angefochtenen Beschluss der verfahrenseinleitende Antrag der Antragsteller zurückgewiesen wurde, stellt sich vorweg die Frage nach der Beschwer der Antragsgegnerin:

Nach ständiger Rechtsprechung kann die Beschwer auch in einem prozessualen Nachteil liegen (RIS‑Justiz RS0041758). Im vorliegenden Fall ist mit der rechtzeitigen Anrufung des Gerichts gemäß § 55 Abs 1 dritter Satz iVm § 59 Abs 8 dritter Satz WrBauO (aF) „die Entscheidung über den Kostenersatz“ außer Kraft getreten, während Punkt I. des Bescheids mangels Anfechtung im Verwaltungsweg jedenfalls aufrecht bleibt. In Fällen der sukzessiven Kompetenz hat das Gericht nicht die Verwaltungsentscheidung zu überprüfen („abzuändern“; zu „bestätigen“), sondern ‑ innerhalb des von den Parteien durch die Bezifferung ihres Begehrens vorgegebenen Rahmens ‑ vollkommen neu darüber zu entscheiden (vgl 4 Ob 168/11a; RIS-Justiz RS0053868). Infolge der zweitinstanzlichen Entscheidung kommt jedoch die gerichtliche Festsetzung eines Kostenersatzes (bei aufrechtem Bestand von Punkt I. des Bescheids) nicht mehr in Betracht, worin die Beschwer der Antragsgegnerin zu sehen ist.

Der Revisionsrekurs ist auch wegen Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG zulässig, weil der Oberste Gerichtshof zuletzt von der vom Rekursgericht zitierten Entscheidung 4 Ob 103/14x abgewichen ist. Das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

Die Antragsgegnerin verweist auf die kürzlich ergangene Entscheidung 3 Ob 127/14v, mit welcher die Entscheidung 4 Ob 103/14x ausdrücklich abgelehnt worden sei. Der Oberste Gerichtshof habe darin die Ansicht vertreten, dass die Aufhebung des § 59 Abs 8 WrBauO auf zum 31. 12. 2013 bereits bei Gericht anhängige Verfahren keine Auswirkung habe und für diese Verfahren weiterhin die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gegeben sei.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

1. Rechtslage:

1.1 Nach § 50 WrBauO in der hier maßgeblichen Fassung LGBl 2006/61 ( Kirchmayer , Wiener Baurecht‑Kommentar 3 , 174 f) besteht ua in den Fällen des § 10 Abs 1 lit b ( bewilligungspflichtige Grundabteilungen ) die Verpflichtung zum Kostenersatz, sobald die Gemeinde zur Eröffnung von Verkehrsflächen von den Anrainern

1. unentgeltlich abzutretende (§§ 17 Abs 1 und 4 und 18) oder

2. von § 17 Abs 4a erfasste Grundflächen

gegen Entgelt erworben hat. Zu ersetzen sind im Falle der Z 1 die Kosten für den Erwerb und die Freimachung der Grundflächen sowie die Herstellung der Höhenlage, im Falle der Z 2 die Kosten für die Freimachung der Grundflächen sowie die Herstellung der Höhenlage. Wurden von der Gemeinde die Grundflächen vor mehr als fünf Jahren erworben oder die Höhenlage vor mehr als fünf Jahren hergestellt, ist der Kostenersatz neu zu bemessen ( von letzterem ging das Erstgericht aus ).

1.2 Gemäß § 55 Abs 1 WrBauO sind ua die gemäß § 50 zu leistenden Kostenersätze durch Bescheid festzusetzen, die innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Bescheids zu leisten sind. In der bis 31. 12. 2013 geltenden Fassung ordnete der dritte Satz dieser Bestimmung hinsichtlich der Kostenersätze die sinngemäße Anwendung des § 59 Abs 8 WrBauO an.

1.3 § 59 WrBauO regelt die Einlösung von Liegenschaften. Abs 8 lautete:

„Jeder Partei des Einlösungsverfahrens steht es frei, binnen drei Monaten ab Zustellung des Einlösungsbescheides die Entscheidung der ordentlichen Gerichte über die Entschädigung zu begehren. Das Gericht hat über den Antrag im Verfahren außer Streitsachen zu erkennen. Mit dem Einlangen des Antrages bei Gericht tritt die Entscheidung über die Entschädigung außer Kraft. Der Antrag auf gerichtliche Festsetzung der Entschädigung kann ohne Zustimmung des Antragsgegners nicht zurückgenommen werden. Wird der Antrag zurückgezogen, tritt die verwaltungsbehördliche Entscheidung rückwirkend wieder in Kraft, wenn nicht eine andere Entschädigung vereinbart worden ist. In ein und derselben Sache kann die Entscheidung des Gerichtes nicht mehrmals angerufen werden.“

1.4 Mit dem Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetz, LGBl 2013/35, wurde auch die WrBauO geändert. In Art I Z 13 dieses Gesetzes wurde angeordnet, dass § 59 Abs 8 WrBauO entfällt. Nach dem neuen § 136 WrBauO steht den Parteien das Recht zu, gegen Bescheide, die aufgrund der WrBauO ergehen, eine Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien zu erheben. Das neue Gesetz trat mit 1. 1. 2014 in Kraft, eine Übergangsbestimmung ist nicht vorhanden.

2. Rechtsprechung:

2.1 Ausgehend von dieser Rechtslage hat der Oberste Gerichtshof zunächst in 4 Ob 103/14x die Auffassung vertreten, dass die Gesetzesänderung (die im dortigen Anlassfall bereits vor Schluss der Verhandlung erster Instanz eingetreten war) die Rechtssache dem Wirkungskreis der ordentlichen Gerichte entzogen habe. Die dadurch eingetretene Unzulässigkeit des Rechtswegs sei aus Anlass des zulässigen Rechtsmittels von Amts wegen aufzugreifen.

Dieser Entscheidung ist hier das Rekursgericht gefolgt.

2.2 In der kurz danach ergangenen Entscheidung 3 Ob 127/14v wurde die Ansicht des 4. Senats nicht geteilt. Mit ausführlicher Begründung gelangte der 3. Senat zu dem Ergebnis, dass die vor dem 1. 1. 2014 begründete Kompetenz des ordentlichen Gerichts nicht mit Geltungsbeginn der Novellierung der WrBauO (mit 1. 1. 2014) weggefallen sei. Es sei zwar denkbar, dass der Landesgesetzgeber mit der mit diesem Datum wirksam gewordenen Änderung der WrBauO angestrebt habe, die Entscheidungskompetenz der ordentlichen Gerichte generell zu beseitigen, also auch in Bezug auf die am 1. 1. 2014 noch nicht rechtskräftig entschiedenen Gerichtsverfahren, und eine allgemeine Entscheidungskompetenz des Verwaltungsgerichts Wien einzuführen. Gegen diese Annahme spreche, dass ein unter Umständen hoher Verfahrensaufwand frustriert werde und die Anwendung der neuen Bestimmung Rückwirkungskraft hätte, die ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung nicht in Betracht komme. Auch durch die Neuregelung (§ 136 Abs 1 WrBauO nF) werde auf den verfahrenseinleitenden Akt beim Gericht abgestellt, während für anhängige Verfahren keine Regelung in der Richtung getroffen werde, dass die einmal begründete Zulässigkeit des Rechtswegs (beim ordentlichen Gericht) mit dem Geltungsbeginn der Gesetzesnovelle habe wegfallen sollen. In der gegebenen Konstellation hätte der Wegfall explizit in einer Übergangsbestimmung angeordnet werden müssen. Dazu komme, dass der gerichtliche Rechtsschutz ab 1. 1. 2014 auch durch die neu geschaffenen Verwaltungsgerichte gewährleistet werde, der dem durch die sukzessive Kompetenz gewährleisteten gleichwertig sei. Entscheidend sei also der Rechtsschutz durch ein Gericht, sei es ein ordentliches Gericht, sei es ein Verwaltungsgericht. Weder Gesetz noch Gesetzesmaterialien brächten zum Ausdruck, dass es ab 1. 1. 2014 allein auf die Gewährung von Rechtsschutz durch das Verwaltungsgericht ankommen solle und diese gesetzgeberische Absicht auch auf die in einem ordentlichen Gericht anhängigen Verfahren durchschlagen solle (zust Mayr , Durchbrechung der Perpetuatio fori?, ecolex 2015, 205 [207]).

2.3 Dieser Entscheidung ist mittlerweile auch der 9. Senat gefolgt (9 Ob 50/14i).

3. Konkreter Fall:

Auch der erkennende Senat pflichtet der Rechtsansicht des 3. (und 9.) Senats bei. Deren Argumentation zur ‑ ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung ‑ abzulehnenden „Rückwirkung“ von Verfahrensgesetzen und zu dem vom Gesetzgeber beabsichtigten Zweck der Neuregelung überzeugt. Die in der Revisionsrekursbeantwortung dagegen ins Treffen geführten Erwägungen zur Gewaltentrennung und zur formellen Derogation des § 59 Abs 8 WrBauO (aF) bieten keine taugliche Grundlage für eine andere Sichtweise.

Da die vor dem 1. 1. 2014 begründete Kompetenz des ordentlichen Gerichts nicht mit Geltungsbeginn der Novellierung der WrBauO weggefallen ist, ist der ordentliche Rechtsweg weiterhin zulässig.

4. Ergebnis:

Aus den angeführten Gründen ist in Stattgebung des außerordentlichen Revisionsrekurses der angefochtene Beschluss aufzuheben und dem Rekursgericht die meritorische Entscheidung über die Rekurse der Streitteile aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 78 Abs 1 AußStrG.

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