OGH 2Ob207/24s

OGH2Ob207/24s21.1.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat MMag. Sloboda als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Thunhart, Dr. Kikinger und Mag. Fitz als weitere Richterinnen und Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch Dr. Siegfried Sieghartsleitner, Dr. Michael Pichlmair und Ing. MMag. Michael A. Gütlbauer, Rechtsanwälte in Wels, gegen die beklagte Partei I*, vertreten durch Dr. Peter Karlberger, Dr. Manfred Wiener, Mag. Wilfried Opetnik, Mag. Petra Rindler und Mag. Christoph Henseler, Rechtsanwälte in Wien, wegen 231.809,51 EUR sA und Feststellung über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 27. Juli 2023, GZ 4 R 47/23w‑32, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0020OB00207.24S.0121.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

I. Das Revisionsrekursverfahren wird fortgesetzt.

II. Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] I. Mit Beschluss vom 25. 10. 2023 hat der Oberste Gerichtshof zu 2 Ob 179/23x das Verfahren über den außerordentlichen Revisionsrekurs bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über den vom Obersten Gerichtshof am 13. 7. 2023 zu 1 Ob 73/23a gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.

[2] Der EuGH hat darüber mit Urteil vom 28. 11. 2024, C‑526/23 , VariusSystems digital solutions GmbH gegen GR, Inhaberin des Unternehmens B&G, entschieden. Das Verfahren war daher fortzusetzen.

[3] II. Die in Österreich ansässige Klägerin macht gegen die Beklagte mit Sitz in Deutschland Schadenersatzansprüche wegen Schlechterfüllung der bei ihr in Auftrag gegebenen Engineering‑, Konstruktions‑ und FEM‑Berechnungsleistungen für eine in Österreich einzusetzende Aufdrückbank geltend.

[4] Das Rekursgericht bejahte die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts, weil der Sitz der Klägerin als Erfüllungsort vereinbart worden und deshalb der Wahlgerichtsstand nach Art 7 EuGVVO 2012 begründet sei.

[5] Der dagegen gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten ist mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage der Qualität des § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[6] 1. Dass die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts weder auf eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art 25 EuGVVO 2012 gestützt werden kann noch eine Erfüllungsortvereinbarung vorliegt, sodass der vom Rekursgericht herangezogene Wahlgerichtsstand nicht eröffnet ist, wurde bereits in der Vorentscheidung 2 Ob 179/23x dargelegt.

[7] 2. Dennoch ist die Bejahung der internationalen Zuständigkeit durch das Rekursgericht aus anderen, im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (RS0112921 [T4; T5]) keine Rechtsfrage der Qualität des § 528 Abs 1 ZPO (mehr) aufwerfenden Gründen nicht korrekturbedürftig, was zur Zurückweisung des außerordentlichen Revisionsrekurses führt.

[8] 3. Mangels Erfüllungsortvereinbarung ist am Ort der tatsächlichen Erbringung der charakteristischen Leistung anzuknüpfen (2 Ob 179/23x Rz 34).

[9] 4. Der EuGH (C‑526/23 ) hat im Zusammenhang mit dem zu 1 Ob 73/23a gestellten Vorabentscheidungs-ersuchen klargestellt, dass die Erstellung und Programmierung einer Software keine charakteristischen Verpflichtungen eines Vertrags über die Lieferung einer Software darstellen, weil die Dienstleistung dem Besteller nicht tatsächlich erbracht wird, solange die Software nicht einsatzbereit ist. Denn erst ab dem Zeitpunkt, zu dem die Software einsatzbereit ist und ihre Qualität überprüft werden kann, wird diese Dienstleistung tatsächlich erbracht (Rn 21). Da die charakteristische Verpflichtung eines Vertrags über die Online‑Lieferung einer Software darin besteht, diese dem betreffenden Besteller zur Verfügung zu stellen, ist als Erfüllungsort eines solchen Vertrags der Ort anzusehen, an dem die Software den Besteller erreicht, das heißt der Ort, an dem sie von diesem abgerufen und zum Einsatz gebracht wird (Rn 22).

[10] Der EuGH hat daher die Vorlagefrage dahin beantwortet, dass Art 7 Nr 1 lit b zweiter Gedankenstrich EuGVVO 2012 dahin auszulegen ist, dass Erfüllungsort eines Vertrags über die Entwicklung und den anschließenden Betrieb einer Software, die auf die Bedürfnisse eines Bestellers ausgerichtet ist, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist als das für die Schöpfung, Erstellung und Programmierung dieser Software verantwortliche Unter-nehmen, der Ort ist, an dem die Software den Besteller erreicht, also abgerufen und eingesetzt wird.

[11] 4. Der Oberste Gerichtshof hat ausgehend davon auch im Zusammenhang mit Bauplanungsleistungen bereits klargestellt, dass als Erfüllungsort der Dienstleistung der Ort anzusehen ist, an dem sich das Bauwerk befindet, auf das sich die (Planungs‑)Leistungen beziehen (3 Ob 18/24d vom 17. 12. 2024).

[12] 5. Die Engineering‑, Konstruktions‑ und Berechnungsleistungen der Beklagten unterfallen ebenfalls dem Dienstleistungsbegriff des Art 7 Nr 1 lit b zweiter Gedankenstrich EuGVVO 2012 (2 Ob 179/23x Rz 25). Wenn das Rekursgericht die internationale Zuständigkeit jenes Gerichts bejaht hat, in dessen Sprengel der tatsächliche Einsatz der Leistungen erfolgt, entspricht dies den dargelegten Grundsätzen. Erst nach Übermittlung sind die Planungsleistungen einsatzbereit und können auch auf ihre Qualität überprüft werden, sodass die Dienstleistung tatsächlich erbracht wird.

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