Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Der Kläger kam am 8.9.1991 mit seinem Motorrad auf der T***** Bundesstraße nördlich des Ortes E***** zu Sturz. Er wurde dabei verletzt, auch sein Motorrad wurde beschädigt. Im Unfallsbereich befanden sich zwei Pferde des Beklagten, welche von einer rund 4 km entfernten Waldweide entkommen waren.
Der Kläger begehrt den Ersatz von Sachschaden in der Höhe von S 49.363,81 sowie die Zahlung eines Schmerzengeldes von S 20.000,-- mit der Begründung, den Beklagten treffe an dem Unfall das Verschulden, weil er nicht für die ordnungsgemäße Verwahrung der Pferde gesorgt habe. Die Pferde seien plötzlich und überraschend auf die Fahrbahn gelaufen, der Kläger habe eine Kollision gerade noch verhindern können, sei dabei aber zum Sturz gekommen.
Der Beklagte wendete ein, die Pferde seien ordnungsgemäß verwahrt gewesen, sie hätten nur deshalb entkommen können, weil ein Jäger, Wanderer oder eine andere Person ein Gatter offengelassen habe; dafür könne er nicht verantwortlich gemacht werden. Im übrigen habe der Kläger den Unfall selbst verschuldet.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt ging es im wesentlichen von folgenden Feststellungen aus:
Die rund 11 ha große untere Weide der allgemein bewaldeten, von Lichtungen durchbrochenen K***** Alm des Beklagten befindet sich in etwa 1400 m Höhe, sie ist mit der N*****-Landesstraße durch einen rund 1,5 km langen Forstweg verbunden. Die Eingrenzung erfolgt durch einen rund 1,2 m hohen Stacheldrahtzaun. In Fortsetzung des oben angeführten Forstweges wird die untere Weide von einem rund 350 m langen, südwärts verlaufenden Privatweg durchschnitten. Die nördliche Absperrung besteht aus einem 1,80 m hohen, mit einer einhängbaren Kette verschließbaren, Holzgatter; die südliche Absperrung besteht aus einem aus drei Stangen und Stacheldraht bestehenden Doppelgatter. Der Weg im Bereich der Weide wird häufig von Wanderern begangen und hin und wieder auch von Motorradfahrern befahren. Der Beklagte hat das nördliche Gitter jedoch nie in geöffnetem Zustand angetroffen. Er hat seine beiden Pferde - eine etwa 15 Jahre alte Araber-Lipizzanerstute und deren im Jänner 1991 geworfenes Fohlen - im Juli 1991 auf die untere Weide aufgetrieben. Die übliche jährliche Überprüfung des Zaunes fand im Frühjahr 1991 statt. Am Vortag des Unfalls befanden sich die beiden Pferde noch auf der unteren Weide. In der Folge entkamen die Pferde jedoch, indem sie die Weide durch das von einem Jäger, Wanderer oder sonstigen Besucher offengelassene nördliche Gatter verließen. Später wurde das Gatter von derselben oder einer anderen Person wieder geschlossen. Die untere Weide wurde bereits seit 1962 als Weide verwendet, bis zum Unfallstag sind Tiere nicht ausgebrochen. Vorwiegend sind auf der Weide Kühe, im Jahre 1989 aber auch Haflingerpferde, gehalten worden. Die vorhandene Umzäunung ist ortsüblich. Nach dem Verlassen der Weide "wanderten" die Pferde etwa 4 km weit bis zur T***** Bundesstraße. Sie überquerten diese am 8.9.1991 um ca. 14 Uhr an einer unübersichtlichen Stelle. Der mit seinem Motorrad nahende Kläger kam daraufhin, um eine Kollision zu vermeiden, zu Sturz, wobei er von der Fahrbahn abkam. Nach dem Sturz schlitterte das Motorrad weiter und fiel in den angrenzenden Bach. Der Kläger erlitt durch den Sturz Verletzungen; weiters entstand ihm ein Vermögensschaden von DM 6.913,70.
Im Rahmen der Beweiswürdigung stellte das Erstgericht noch fest, daß der Beklagte davon wußte, daß seine Weide von Wanderern begangen und Motorradfahrern befahren wird.
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, der Beklagte habe die Pferde ausreichend verwahrt. Zu einem nicht ortsüblichen Verschließen der Gatter mit Schlössern sei er nicht verpflichtet gewesen, zumal er die Gatter noch nie in geöffnetem Zustand angetroffen habe.
Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht hob diese Entscheidung auf und verwies die Rechtssache an das Prozeßgericht erster Instanz zur Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurück. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde für zulässig erklärt.
Das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, der Beklagte habe die ihm gemäß § 1320 Satz 2 ABGB obliegende Verpflichtung zur Verwahrung und Beaufsichtigung der Pferde vernachlässigt. Da es sich bei einer Araber-Lipizzanerstute um ein eher temperamentvolles Pferd handle, könne nicht erwartet werden, daß diese Stute mit ihrem Fohlen bei einem offenen Gatter innerhalb der Umzäunung bleiben werde. Es sei vielmehr das Verlassen der umzäunten Weide zu erwarten gewesen, desgleichen auch, daß die Pferde sodann größere Strecken zurücklegen. Wegen der Eigenschaft der Pferde als Lauf- und Fluchttiere stelle eine Entfernung von 1,4 km zur N*****straße bzw. eine von 4 km zur T***** Bundesstraße kein ernstzunehmendes Hindernis für die Pferde dar. Es hätte daher mit einem unkontrollierten Auftauchen auf den stark frequentierten Straßen gerechnet werden müssen. Der Beklagte hätte daher Sicherheitsvorkehrungen treffen müssen, welche ein Offenstehen der Gatter verhindert hätten, so zB durch die Anbringung von tatsächlich versperrbaren oder selbstschließenden Gattern, des weiteren auch durch die Anbringung von Weiderosten, (eckigen) Fußgängerdurchgängen, Fußgängerüberstiegen usw.
Da die Haftung des Beklagten gemäß § 1320 ABGB zu bejahen sei, sei nunmehr auch der vom Beklagten erhobene (Mit-)Verschuldenseinwand zu prüfen. Da das Erstgericht über den Unfallsablauf und über die vom Kläger erlittenen Schmerzen keine ausreichenden Feststellungen getroffen habe, sei dessen Entscheidung aufzuheben.
Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde für zulässig erklärt, weil zur Frage der Verwahrung von Pferden auf Waldweiden, welche in 1400 m Seehöhe liegen und von der nächsten Straße 1,5 bzw. 4 km entfernt sind, eine oberstgerichtliche Rechtsprechung nicht vorliege.
Gegen diesen Beschluß richtet sich der Rekurs des Beklagten mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen.
Der Kläger hat Rekursbeantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel des Beklagten zurückzuweisen, in eventu, ihm keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs des Beklagten ist zulässig, weil zu einem vergleichbaren Sachverhalt keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliegt, er ist aber nicht berechtigt.
Der Beklagte macht in seinem Rechtsmittel geltend, daß die von ihm vorgenommenen Verwahrungsmaßnahmen ausreichend waren. Die Tiere hätten sich auf einer in 1400 m Seehöhe befindlichen Alm befunden, die nächste öffentlich befahrbare Straße sei nur über einen 1,4 km langen Forstweg erreichbar gewesen, die Entfernung zum nächsten Ort und der Bundesstraße hätte weitere 4 km betragen. Weitergehende Schutzmaßnahmen, als sie der Beklagte traf, würden eine unzumutbare Überspannung, ja geradezu das Unmöglichmachen jeder Viehhaltung auf Weiden bedeuten. Auch das bisherige Verhalten der Stute und ihres Fohlens hätten keinen Schluß auf eine von diesen Tieren ausgehende Gefahr zugelassen.
Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden:
Gemäß § 1320 Satz 2 ABGB haftet der Halter eines Tieres für den von diesem herbeigeführten Schaden, wenn ihm nicht der Beweis gelingt, daß er für die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung des Tieres gesorgt hat. Die Bestimmung des Maßes der erforderlichen Beaufsichtigung und Verwahrung hat in elastischer und den Umständen des Einzelfalles Rechnung tragender Weise zu erfolgen. Dabei spielt die Gefährlichkeit des Tieres, die Möglichkeit der Schädigung durch das spezifische Tierverhalten und die Abwägung der beiderseitigen Interessen eine Rolle. Es ist das bisherige Verhalten des Tieres und auch die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit einer Schadenszufügung durch das Tier zu prüfen (1 Ob 564/89 mwN). Da auf öffentlichen Wegen unbeaufsichtigt sich bewegende (Groß-)Tiere eine besondere Gefahr für den allgemeinen Verkehr, insbesondere den Kfz-Verkehr, bedeuten, müssen an die Sicherung solcher Tiere, die auf Weiden gehalten werden, gegen ein Ausbrechen hohe Anforderungen gestellt werden. Der Umfang der zu verlangenden Sicherungsmaßnahmen hängt von den jeweiligen örtlichen Verhältnissen und von den von den Weidetieren ausgehenden Gefahren ab. Ein besonderes Maß von Sicherung ist zu fordern, wenn die Weiden an öffentliche Straßen angrenzen oder sich in der Nähe von derartigen Verkehrswegen oder bewohnten Gebieten befinden. Wenn hingegen eine Weide weitab von verkehrsreichen Straßen und Wohngebieten liegt, mag im allgemeinen eine Sicherung des Tores ausreichen, durch die eine Selbstbefreiung der Weidetiere verhindert wird (Kreft in BGB-RGRK12, Rz 95 zu § 833). Die Möglichkeit, daß unbefugte Dritte die Umzäunung einer Weide öffnen, muß den Umständen nach berücksichtigt werden (Mertens in Münchner KommzBGB2, Rz 39 zu § 833).
Im vorliegenden Fall ist nun zu bedenken, daß der Beklagte wußte, daß seine Weide häufig von Wanderern begangen und hin und wieder auch von Motorradfahrern befahren wird. Auch wenn dies bis jetzt noch nie geschehen war, mußte er damit rechnen, daß unachtsame Personen das Gatter nicht wieder schließen. Gerade bei einer Benützung der Weide durch Motorradfahrer mußte befürchtet werden, daß diese während der Zeit, da sie auf der Weide fahren, das Gatter offenlassen, um nicht zum Schließen des Gatters absteigen zu müssen. Bei offenem Gatter mußte weiters aber auch damit gerechnet werden, daß die Pferde die Weide verlassen; schließlich handelt es sich bei Pferden um Lauftiere (siehe SZ 58/56) und handelt es sich bei der Araber-Lipizzanerstute um ein eher temperamentvolles Tier. Wie das Berufungsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, stellt eine Entfernung von 1,5 km (zur nächsten öffentlichen Straße) bzw. von 4 km (zur Unfallsstelle) für derartige Tiere kein unüberwindliches Hindernis dar. Der Beklagte hätte daher trotz der relativ großen Entfernung zur nächsten öffentlichen Straße dafür sorgen müssen, daß die Tiere nicht entkommen können. Dem Argument der damit verbundenen Kosten ist entgegenzuhalten, daß die durch auf die Straße laufenden Pferde in hohem Grade gefährdeten Teilnehmer am Straßenverkehr keineswegs einen um des finanziellen Vorteiles des Pferdehalters willen verminderten Schutz in Kauf nehmen müssen (SZ 58/56).
Daraus folgt, daß der Beklagte gemäß § 1320 ABGB für den Schaden, den seine Tiere dem Kläger zugefügt haben, haftet. Die im Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes vertretene Rechtsansicht erweist sich sohin als zutreffend; ob und inwieweit eine Verfahrensergänzung tatsächlich notwendig ist, kann der Oberste Gerichtshof nicht überprüfen (2 Ob 3/93 uva).
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs.1 ZPO.
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