Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Am 27.November 1989 um 15.55 Uhr ereignete sich an der Kreuzung K*****-Landesstraße mit der H*****-Bezirksstraße im Gemeindegebiet von P***** ein Verkehrsunfall bei dem der Gatte der Klägerin getötet wurde.
Unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Getöteten von zwei Dritteln macht die Klägerin Schadenersatzansprüche geltend und zwar
a) als Erbin ein Drittel von auf sie übergegangenen Ansprüchen ihres Mannes in der Höhe von S 73.360, somit S 24.453,33 und
b) gemäß § 1327 ABGB ein Drittel der Kosten des Begräbnisses, der Grabstätte und der Trauerkleidung, zusammen S 23.021,67.
Überdies stellte die Klägerin ein mit S 10.000 bewertetes Begehren auf Feststellung der Haftung der Beklagten für ein Drittel allfälligen künftigen Unterhaltsentganges.
Zur Begründung ihrer Ansprüche brachte die Klägerin vor, die beiden Straßenzüge seien trotz extremer Schneeglätte nicht gestreut gewesen. Die Marktgemeinde P***** habe ausreichend Zeit gehabt, beide Straßenzüge zu bestreuen. Sie habe die ihr obliegende Streupflicht grob vernachlässigt, wofür die Beklagte als Halter der Straßen gemäß § 1319 a ABGB hafte. Die beklagte Partei habe den Unfall zumindest zu einem Drittel mit zu verantworten.
Die beklagte Partei wendete ein, am Unfallstag sei sowohl am Morgen als auch am Nachmittag Splitt gestreut worden. Ausschließliche Unfallsursache sei die überhöhte Geschwindigkeit des Klägers gewesen. Die beklagte Partei gab wohl zu, Straßenerhalter der K*****-Landesstraße und der H*****-Bezirksstraße zu sein, sie machte jedoch geltend, die Streuung mit § 24 oö.Landes-Straßenverwaltungsgesetzes der Marktgemeinde P***** übertragen zu haben. Die Bediensteten der Marktgemeinde P***** seien somit keine "Leute" der Beklagten, weshalb für deren Verschulden nach § 1319 a ABGB nicht gehaftet werde. Ihrer eigenen Überwachungspflicht sei die Beklagte durch ständige Kontrollfahrten nachgekommen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren kostenpflichtig ab, wobei es im wesentlichen von folgenden Feststellungen ausging:
Der Gatte der Klägerin befuhr mit seinem PKW die H*****-Bezirksstraße. Im Kreuzungsbereich mit der K*****-Landesstraße kam er nach links ab und stieß dabei gegen einen am rechten Straßenrand mit 30 km/h fahrenden LKW. Der PKW des Gatten der Klägerin hatte im Kollisionszeitpunkt eine Geschwindigkeit von 35 bis 40 km/h.
Im gesamten Kreuzungsbereich der Unfallstelle war zum Unfallszeitpunkt keine wirksame Splittstreuung vorhanden, die Fahrbahn war extrem glatt. Am 27.November 1989 lag der Ostalpenraum in einer Nord-West-Strömung. Im Raum P***** hatte etwa gegen Mitternacht vom 26. auf den 27.November 1989 nach einer Niederschlagspause erneut Schneefall eingesetzt, der bis gegen Mittag anhielt und von leichter, in den Morgenstunden kurzzeitig mäßiger, Intensität war. Eine Streuung an der Unfallstelle hatte am Nachmittag des 27.November 1989 nicht stattgefunden. Die Möglichkeit einer Streuung in den Morgenstunden schloß das Erstgericht nicht aus.
Die Gemeinde P***** geht bei der Betreuung der Landes-, Bezirks- und Gemeindestraßen nach einem Einsatzplan vor. Das Gesamtausmaß der zu streuenden Straßen und Wege beträgt 36 km. Die Dringlichkeit der Streuung richtet sich nach dem Straßenzustand und der Bedeutung der Straße. Die Hauptstraßen, darunter auch die K*****-Landesstraße, werden vorrangig gestreut.
Die Streuung der Landes- und Gemeindestraßen wird von der Straßenmeisterei kontrolliert. Zu diesem Zwecke ist ein Streifendienst eingerichtet, der die Bundes-, Landes- und Bezirksstraßen insbesondere auf eventuelle Straßenglätte und die Notwendigkeit der Schneeräumung kontrolliert und bei Gefahrensituationen die notwendigen Maßnahmen (Verständigungen) durchführt. Der Streckendienst wird einmal täglich nach einem bestimmten Plan durchgeführt. Von Seiten der Straßenmeisterei P***** gab es betreffend den Streudienst der Gemeinde nie Beanstandungen.
Zur Rechtsfrage vertrat das Erstgericht die Ansicht, die beklagte Partei habe den Streudienst durch das oö.Landes-Straßenverwaltungsgesetz an die Gemeinde P***** übertragen. Da diese wie ein selbständiger Unternehmer mit eigenem Organisations- und Verantwortungsbereich gehandelt habe, gehöre sie nicht mehr zu den "Leuten" des beklagten Wegehalters. Es seien somit auch die Bediensteten der Gemeinde P***** nicht "Leute" der beklagten Partei im Sinne des § 1319 a ABGB. Der ihr selbst obliegenden Überwachungspflicht sei die beklagte Partei durch Kontrollfahrten der Straßenmeisterei im zumutbaren Ausmaß nachgekommen.
Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zur Ergänzung der Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, daß der Wert des aus § 1327 ABGB abgeleiteten Begehrens 50.000 S übersteige, der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde für zulässig erklärt.
Zur Rechtsfrage vertrat das Berufungsgericht die Ansicht, daß die Wegehaltereigenschaft der beklagten Partei unstrittig sei. Im Falle einer Übertragung der Aufgaben des Wegehalters an jemanden, der über einen eigenen Organisations- und Verantwortungsbereich verfüge, hafte der Wegehalter nur bei Auswahlverschulden. Gemäß § 24 Abs 1 oö.Landes-Straßenverwaltungsgesetz 1975 obliege die Schneeräumung auf den öffentlichen Straßen den Gemeinden, durch deren Gebiet sie führe. Nach Abs 6 leg cit sollen die Gemeinden, wenn die winterlichen Einflüsse an einzelnen Fahrbahnstellen auf Landesstraßen, Bezirksstraßen, Konkurrenzstraßen und Gemeindestraßen den Verkehr mit Fahrzeugen im besonderen Maß gefährden, diese Stellen mit Sand bestreuen. Nach dem letzten Satz dieses Absatzes schließe dies keine Verpflichtung der Gemeinden ein, aus der bei Unterlassung dieser Maßnahme die Straßenbenützer einen Haftungsanspruch herleiten könnten. Ob dieser Haftungsausschluß verfassungswidrig gewesen sei, weil es sich um Agenden des Zivilrechtswesens im Sinne des Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG handelte, wofür der Landesgesetzgeber nicht zuständig wäre, könne dahingestellt bleiben, weil dieser Bestimmung durch das Bundesgesetz vom 3.Juli 1975, BGBl 416 über die Einführung des § 1319 a ABGB derogiert wurde. Aus § 24 Abs 6 des oö.Landes-Straßenverwaltungsgesetzes 1975 lasse sich jedoch ableiten, daß nicht beabsichtigt war, die Streupflicht in den eigenen Organisations- und Verantwortungsbereich der Gemeinden einzugliedern. In den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden falle nur die Erhaltung jener Straßen, deren Bedeutung auf den unmittelbaren Ortsbereich beschränkt sei. Diejenigen Aufgaben, die aber im Sinne des Art 118 B-VG nicht zum eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden gehörten, fielen automatisch unter die weisungsgebundene mittelbare Landesverwaltung im Sinne des Art 119 B-VG. Mit den §§ 23, 24 und 68 oö.Landes-Straßenverwaltungsgesetz 1975 sei daher die Schneeräumung und die Streuung nur der unmittelbaren Durchführung nach den Gemeinden übertragen worden und zwar in einer Weise, die man im Rahmen der Hoheitsverwaltung als mittelbare Landesverwaltung deklarieren würde. Dazu komme im vorliegenden Fall, daß die praktische Durchführung durch die Straßenmeisterei koordiniert und überprüft wurde. Daraus folge, daß die Angehörigen der Gemeinden als "Leute" der beklagten Partei im Sinne des § 1319 a ABGB anzusehen seien, sodaß die Beklagte passiv legitimiert sei.
Zur Beurteilung der Frage, ob den "Leute" der beklagten Partei anzusehenden Gemeindebediensteten ein grobes Verschulden zur Last liege, sei von Bedeutung, ob die gegenständliche Straßenstelle am Nachmittag des Unfallstages (noch vor dem Unfall) bestreut wurde. Zur Klärung dieser Frage bedürfe es aber noch der Aufnahme weiterer Beweise.
Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde für zulässig erklärt, weil eine Rechtsprechung zur Frage der Haftung der Länder für den Ersatz der in § 1319 a ABGB genannten Schäden, die von Bediensteten der Gemeinden bei Besorgung der den Gemeinden durch Gesetz übertragenen Straßenwartungspflicht vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht wurden, nicht vorliege.
Dagegen richtet sich der Rekurs der beklagten Partei mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und in der Sache durch Urteil im klagsabweisenden Sinn zu entscheiden.
Die klagende Partei hat Rekursbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel der beklagten Partei keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist aus den vom Berufungsgericht dargelegten Gründen zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
Die beklagte Partei macht in ihrem Rechtsmittel geltend, es sei nicht einzusehen, weshalb eine rechtsgeschäftliche Übertragung des Winterdienstes auf selbständige Unternehmer mit der Wirkung, daß ein solcher Unternehmer nicht zu den Leuten des Straßenerhalters zu rechnen sei, möglich sei, eine Übertragung solcher Verpflichtungen aber mit Gesetz nicht möglich sein solle. Auch die Grundsätze der Entscheidung SZ 51/129 könnten nicht herangezogen werden, weil es dort um eine Übertragung von Agenden der Privatwirtschaftsverwaltung gemäß Art 104 Abs 2 B-VG gegangen sei. Wenn selbst im Bereich der Hoheitsverwaltung das Land gemäß Art 118 Abs 1 B-VG berechtigt sei, Agenden der Gemeinde zu übertragen, so müsse dies umso mehr für die Übertragung privatwirtschaftlicher Aufgaben gelten. Da alle Gemeinden ohne Zweifel eine eigene Organisationsform aufwiesen, könnten sie und ihre Bediensteten nicht als Leute des Landes angesehen werden. Aus § 24 Abs 6 des oö.Landes-Straßenverwaltungsgesetzes ergebe sich eindeutig, daß ein eigener Verantwortungsbereich der Gemeinden geschaffen werden sollte, weil diese Bestimmung die Streupflicht nicht nur für Landesstraßen, sondern auch für Konkurrenz- und Gemeindestraßen regle, für die ohnehin der eigene Verantwortungsbereich der Gemeinden gegeben sei. Die Gemeinde P***** sei auch nach einem eigenen Einsatzplan vorgegangen, sie sei lediglich von der Straßenmeisterei kontrolliert worden. Daß die Straßenmeisterei irgendwelche Weisungen erteilt habe, sei nicht festgestellt worden. Aus dem Umstand, daß der Straßenerhalter zu einer Überwachung des Winterdienstes verpflichtet sei und bei auftretenden Gefahrenmomenten die für den Winterdienst zuständigen Stellen verständige, könne nicht abgeleitet werden, daß deswegen die Bediensteten der Gemeinde P***** Leute der beklagten Partei seien. Da andererseits das Erstgericht unbekämpft festgestellt habe, daß die Bediensteten der Straßenmeisterei (also die Leute der beklagten Partei) ihre Überwachungspflicht erfüllten, hafte die beklagte Partei nicht, sodaß das Klagebegehren abzuweisen sei.
Diese Ausführungen sind nicht zutreffend.
Nach § 1319 a ABGB haftet derjenige für den Ersatz des durch den mangelhaften Zustand eines Weges herbeigeführten Schadens, der für den ordnungsgemäßen Zustand des Weges als Halter verantwortlich ist, sofern er oder einer seiner Leute den Mangel vorsätzlich oder grobfahrlässig verschuldet hat. Auch die Haftung für eine Vernachlässigung der Streupflicht durch den Halter eines Weges ist nach § 1319 a ABGB zu beurteilen (ZVR 1986/11 mwN). Im vorliegenden Fall ist nicht strittig, daß die beklagte Partei die "Halterin" jener Straßen ist, auf der sich der Unfall, aus dem die klagsgegenständliche Ansprüche abgeleitet werden, ereignete.
Die Landesstraßenverwaltung wird als Teil der Privatwirtschaftsverwaltung des Landes (siehe Schragel, Komm z AHG2, RZ 93) grundsätzlich durch die obersten Organe der Gebietskörperschaft vollzogen, die die Privatwirtschaftsverwaltung ausübt; eine anderweitige Regelung durch Landesgesetze ist aber möglich (siehe Walter-Mayer, Grundriß des österr.Bundesverfassungsrechtes7, Rz 294). Eine derartige Übertragung der Besorgung ist im vorliegenden Fall durch § 24 des oö.Landes-Straßenverwaltungsgesetzes 1975 erfolgt. Im Falle einer Übertragung der Besorgung von Angelegenheiten des Landes an eine Gemeinde gemäß Art 119 Abs 1 B-VG werden diese Aufgaben gemäß Art 119 Abs 2 B-VG vom Bürgermeister besorgt, der dabei funktionell als Landesorgan tätig wird. Er ist dabei an die Weisungen der zuständigen Organe des Landes und die dem Bürgermeister unterstellten Beamten an dessen Weisungen gebunden (Walter-Mayer, aaO, Rz 893). Ob und in welchem Ausmaß die zuständige Landesregierung als oberstes Verwaltungsorgan des Landes ihre Weisungsbefugnis tatsächlich ausübt, ist ohne rechtliche Bedeutung. Aufgrund der der Landesregierung gegenüber dem Bürgermeister zustehenden Weisungsbefugnis kann nicht gesagt werden, das Land habe die Aufgaben der Landesstraßenverwaltung jemandem übertragen, der wie ein selbständiger Unternehmer nicht unter den Leutebegriff des § 1319 a ABGB falle (SZ 51/129 = EvBl 1979/9). Daraus folgt, daß für den Ersatz der in § 1319 a ABGB genannten Schäden, die der Bürgermeister oder die ihm unterstellten Beamten bei Besorgung der Landesstraßenverwaltung vorsätzlich oder grob fahrlässig verschulden, das Land - also im vorliegenden Fall die beklagte Partei - haftet. Die im Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes vertretene Rechtsansicht erweist sich sohin als zutreffend; ob und inwieweit eine Verfahrensergänzung tatsächlich notwendig ist, kann der Oberste Gerichtshof nicht überprüfen (EFSlg 41.814, 41.815 uva).
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
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