OGH 2Ob193/99t

OGH2Ob193/99t1.7.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Alexandra G*****, vertreten durch Dr. Helmut Destaller und andere Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagten Parteien 1. Verlassenschaft nach dem am 20. Jänner 1995 verstorbenen Mag. Anton K*****, vertreten durch Dr. Werner Schmidt, Rechtsanwalt in Graz und 2. ***** Versicherungs AG, *****vertreten durch Dr. Erwin Gstirner, Rechtsanwalt in Graz, wegen Zahlung von S 150.657 und Feststellung, infolge Revision der zweitbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 23. Februar 1999, GZ 5 R 130/98x-44, womit infolge Berufung der zweitbeklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 30. April 1998, GZ 13 Cg 259/95m-35, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die zweitbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S

9.135 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 1.522,50, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 20. 1. 1995 kam Mag. Anton K***** (Rechtsvorgänger der erstbeklagten Partei) als Lenker eines Kfz auf der Südautobahn zum Schleudern und stieß gegen die Mittelleitschiene. Sein Fahrzeug drehte sich und kam auf dem linken Fahrbahnstreifen (entgegen der Fahrtrichtung) zum Stillstand. Mag. K***** verließ sein Fahrzeug. Die Lenkerin des nachfolgenden Fahrzeuges näherte sich der Unfallstelle mit 100 km/h, bremste leicht und stieß mit der linken Vorderseite ihres Fahrzeuges gegen die linke vordere Seite des in Gegenrichtung stehenden Fahrzeuges des Mag. K*****. Dessen Fahrzeug wurde rund 20 m verschoben und kam auf dem zweiten (linken) Fahrstreifen neben der Leitschiene (entgegen der Fahrtrichtung) wiederum zum Stillstand. Mag. K***** befand sich zum Zeitpunkt dieses Unfalles außerhalb seines Fahrzeuges am östlichen Rand der Fahrbahn. Der PKW, der aufgefahren war, kam etwa im rechten Winkel zur Fahrbahn, zur Hälfte in den Pannensteifen ragend, zum Stillstand. Dessen Lenkerin stieg auf der Beifahrerseite aus ihrem Fahrzeug.

Die Klägerin näherte sich mit dem von ihr gelenkten PKW mit einer Geschwindigkeit zwischen 40 und 50 km/h der Unfallstelle und sah die vor ihr verunglückten Fahrzeuge. Zur Vermeidung eines Zusammenstoßes beabsichtigte sie zwischen diesen beiden Fahrzeugen, die voneinander etwa 15 m entfernt waren, durchzufahren und wich auf den linken Fahrstreifen aus. Sie bremste zufolge der eisigen Fahrbahn nur leicht und erreichte eine Bremsverzögerung von 2 m/sec**2. Als sie das erste Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von 28 km/h passierte, lief Mag. K*****, der am linken (östlichen) Bankettstreifen für die Klägerin nicht wahrnehmbar war, mit erhobenen Händen auf die Fahrbahn vor das von der Klägerin gelenkte Fahrzeug. Mag. K***** wurde von dem von der Klägerin gelenkten Fahrzeug niedergestoßen und schwer verletzt und erlag in der Folge seinen Verletzungen. Der von der Klägerin gelenkte PKW wurde durch den Zusammenstoß verdreht und stieß in der Folge gegen die linke vordere Ecke des Fahrzeuges des Mag. K***** und kam neben diesem zum Stillstand. Nachdem die Klägerin und die beiden Insassinnen das Fahrzeug verlassen hatten, streiften mehrere nachkommende Fahrzeuge ihr Fahrzeug und jenes des Mag. K***** und fuhren ohne anzuhalten weiter. Kurz danach stieß ein Reisebus frontal gegen den in der Fahrbahnmitte befindlichen PKW der Klägerin, wodurch dieser total beschädigt wurde.

Zur Unfallszeit war die Fahrbahn eisig, es war dunkel, leicht nebelig und es gab starken Nieselregen.

Auf der eisigen Fahrbahn war bei einer Vollbremsung eine Verzögerung von maximal 3 m/sec**2 erzielbar. Die Klägerin hätte das von ihr gelenkte Fahrzeug mit einer Vollbremsung ohne Berücksichtigung einer Vorbremszeit auf einer Strecke von rund 10 m anhalten können. Als sie Mag. K***** das erste Mal wahrnahm, hatte sie keine Möglichkeit mehr, unfallverhindernde Abwehrhandlungen zu setzen.

Die Klägerin begehrt von den Beklagten die Bezahlung von S 150.657 sA sowie die Feststellung der Haftung zur ungeteilten Hand für künftige Unfallsfolgen, hinsichtlich der zweitbeklagten Partei jedoch bloß im Rahmen des zwischen ihr und Mag. K***** abgeschlossenen Versicherungsvertrages.

Die Erstbeklagte wendete ein, die Klägerin habe gegen das Gebot des Fahrens auf Sicht verstoßen, eine zu hohe Fahrgeschwindigkeit eingehalten und verspätet und unsachgemäß reagiert. Sie wendete eine Gegenforderung von S 95.830,20 ein.

Die zweitbeklagte Haftpflichtversicherung des Fahrzeuges von Mag. K***** bestritt ihre Haftung, weil ein allfälliges schuldhaftes Verhalten des Mag. K***** als Fußgänger auf der Fahrbahn nicht in den Deckungsbereich der Haftpflichtversicherung falle.

Das Erstgericht stellte fest, die Klagsforderung bestehe mit S

148.377 zu Recht, nicht hingegen die eingewendete Gegenforderung. Es verurteilte die beklagten Parteien zur Zahlung von S 148.377 sA und wies das Mehrbegehren auf Zahlung von S 2.280 sA ab. Weiters stellte es die Haftung der beklagten Partei für sämtliche zukünftige Ersatzansprüche der Klägerin fest, wobei die Haftung der zweitbeklagten Partei der Höhe nach mit den Haftpflichtversicherungssummen, die aufgrund des Haftpflichtversicherungsvertrages für das Fahrzeuges des Mag. K***** zum Unfallszeitpunkt bestanden, beschränkt wurde.

Ausgehend von dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt führte es aus, die Kollision des von der Klägerin gelenkten Fahrzeuges mit Mag. K***** sei ein Betriebsunfall im Sinne des § 1 EKHG, weil auch das Aussteigen des Mag. K***** aus seinem Fahrzeug, offenbar um nachfolgende Fahrzeuge zu warnen, zum Betrieb dieses Fahrzeuges gehöre.

Die Klägerin sei auf Sicht gefahren, es sei ihr kein Fehlverhalten vorzuwerfen, weil ein Anhalten des von ihr gelenkten Fahrzeuges auf der Autobahn bei Dunkelheit und den herrschenden schlechten Witterungs- und Fahrbahnbedingungen keine sinnvolle Maßnahme dargestellt und eine weitere Gefahrenquelle geschaffen hätte.

Das lediglich von der zweitbeklagten Partei angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig.

Das Berufungsgericht schloß sich der Rechtsansicht des Erstgerichtes, der Unfall habe sich beim Betrieb im Sinne des § 1 EKHG ereignet an, weshalb auch die Haftung der zweitbeklagten Partei bejaht wurde. Mag. K***** habe sein Fahrzeug verlassen, um die herannahende Klägerin (durch Handzeichen) zu warnen. Es sei zwar richtig, daß ein Kraftfahrer, der sein Fahrzeug verlasse und sich aus welchen Gründen immer zu Fuß auf der Fahrbahn bewege, die Bestimmungen der StVO für Fußgänger zu beachten habe, doch sei aufgrund der unbekämpft festgestellten Warntätigkeit des Mag. K***** gegenüber der Klägerin das Vorliegen eines Betriebsunfalles nicht zweifelhaft. Jedenfalls liege eine sogenannte "Nachwirkung des Betriebes" vor. Der Klägerin sei es aufgrund der ihr gebotenen Sicht sowie der Witterung und des Fahrbahnzustandes nicht zusinnbar gewesen, bei Annäherung an die Unfallstelle eine Vollbremsung durchzuführen.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil zur rechtserheblichen Frage, ob ein durch einen Unfall auf der Autobahn zum Stillstand gekommenes Fahrzeug, dessen Lenker außerhalb desselben nachfolgende Verkehrsteilnehmer durch Handzeichen warnen wolle, hiebei noch in Betrieb sei bzw diese Handlung als "Nachwirkung des Betriebes" anzusehen sei, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Dagegen richtet sich die Revision der zweitbeklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel der zweitbeklagten Partei zurückzuweisen, in eventu, ihm nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Die zweitbeklagte Partei vertritt die Ansicht, es seien auf den verstorbenen Mag. K***** die Bestimmungen der StVO für Fußgänger anzuwenden. Es sei unrichtig, daß ein Unfall beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges vorliege. Bereits in der Entscheidung ZVR 1985/130 sei ausgeführt worden, daß kein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall eines Fahrzeuglenkers, der nach dem Aussteigen aus dem Fahrzeug beim Überqueren der Fahrbahn von einem anderen Kfz verletzt oder getötet werde und dem Betrieb seines Fahrzeuges selbst bestehe. Es sei lediglich der Versuch des Mag. K*****, die Autobahn zu überqueren, ursächlich für den Zusammenstoß mit dem Fahrzeug der Klägerin gewesen. Das vorangehende Schleudern seines Fahrzeuges bzw das erste Auffahren könne nicht mehr als kausal für die Kollision zwischen dem Fahrzeug der Klägerin und jenem des Mag. K***** betrachtet werden. In den Entscheidungen ZVR 1985/130 und ZVR 1997/1 sei ausgeführt worden, es bestehe kein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall eines Omnibusfahrgastes, der nach dem Aussteigen aus einem Omnibus beim Überqueren der Fahrbahn von einem anderen Kfz verletzt werde und dem Betrieb des Omnibusses. Selbst wenn also Mag. K***** ein Mitverschulden am Zustandekommen des Unfalles treffe, sei eine Haftung der zweitbeklagten Partei als Haftpflichtversicherer seines Fahrzeuges ausgeschlossen.

Jedenfalls habe die Klägerin zumindest ein Mitverschulden im Ausmaß von 3/4 zu verantworten. Sie habe erkannt, daß Fahrzeuge, welche miteinander kollidiert waren auf der Fahrbahn standen und wäre verpflichtet gewesen, ihr Fahrzeug vor der Unfallstelle anzuhalten bzw die bestehende Lücke mit einer derartig geringen Geschwindigkeit zu durchfahren, daß ein jederzeitiges Anhalten möglich sei. Der Oberste Gerichtshof habe in den vergleichbaren Entscheidungen ZVR 1972/145 und ZVR 1980/9 eine Haftung des eine unfallsbedingte Engstelle durchfahrenden Fahrzeuglenkers bejaht. Angesichts der winterlichen Fahr- und Sichtverhältnisse an der Unfallstelle sei die von der Klägerin gewählte Fahrgeschwindigkeit zu hoch gewesen.

Hiezu wurde erwogen:

Rechtliche Beurteilung

Das EKHG ist ua dann anzuwenden, wenn durch einen Unfall beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges ein Mensch getötet wird (§ 1 leg cit). Ein Betriebsunfall im Sinne dieser Bestimmung ist auch dann gegeben, wenn der Unfall zwar nicht im inneren Zusammenhang mit den eigentümlichen Betriebsgefahren (große Geschwindigkeit und ihre Folgen) steht, wenn er aber wenigstens in einem adäquat ursächlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kfz besteht. Der Begriff "bei dem Betrieb" ist also dahin zu bestimmen, daß entweder ein innerer Zusammenhang mit einer dem Kfz-Betrieb eigentümlichen Gefahr oder, wenn dies nicht der Fall ist, ein adäquat ursächlicher Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kfz bestehen muß (ZVR 1992/100; 1994/53; 1999/49; SZ 68/220). Ist der Vorgang des Ein- und Aussteigens aus dem Fahrzeug abgeschlossen, so wirkt sich die Betriebsgefahr in der Regel nicht mehr aus (Schauer in Schwimann**2, ABGB, Rz 37 zu § 1 EKHG); es wurde deshalb in den Entscheidungen ZVR 1985/130 und ZVR 1997/1 ausgeführt, es bestehe kein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall eines Omnibusfahrgastes, der nach dem Aussteigen aus dem Fahrzeug beim Überqueren der Fahrbahn von einem anderen Kfz verletzt wird. Ausnahmsweise kann aber die Betriebsgefahr auch nach dem Aussteigen noch fortdauern, wenn gerade durch das Aussteigen eine erhöhte Gefahrenlage geschaffen wurde, die über die Beendigung des Vorganges selbst hinauswirkt (Schauer, aaO, Rz 37 zu § 1 EKHG). Dies trifft etwa zu, wenn der Lenker eines Schulbusses ohne Einschaltung der Warnblinkanlage und an verbotener Stelle anhält, um einem Schüler das Aussteigen zu ermöglichen, der bei der anschließenden Überquerung der Straße überfahren wird (ZVR 1989/129). Dies trifft aber auch im vorliegenden Fall zu, bei dem Mag. K***** sein auf dem linken Fahrstreifen der Autobahn zum Stillstand gekommenes Fahrzeug verließ um die Lenker nachkommender Fahrzeuge zu warnen. Gerade in einem solchen Fall liegt ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Betriebsgefahr und dem Verhalten des Verstorbenen vor, weshalb die Vorinstanzen zu Recht davon ausgegangen sind, daß sich der Unfall beim Betrieb des Fahrzeuges des Mag. K***** ereignete.

Wenn sich aber der Unfall beim Betrieb des Fahrzeuges im Sinne des EKHG ereignete, dann haftet auch die zweitbeklagte Partei nach § 2 Abs 1 KHVG 1994. Der Begriff der "Verwendung eines Fahrzeuges" darf nämlich nicht enger ausgelegt werden, als der des "Betriebes" im Sinne des § 1 EKHG (RIS-Justiz RS0088978).

Zu Recht haben die Vorinstanzen aber auch ein Mitverschulden der Klägerin verneint. Es bestand für diese keine Verpflichtung, ihr Fahrzeug zum Stillstand zu bringen, es kann auch die von ihr eingehaltene Geschwindigkeit von 28 km/h nicht als überhöht angesehen werden. Daß die in der Revision zitierten Entscheidungen ZVR 1972/145 und ZVR 1980/9 nicht zur Beurteilung des vorliegenden Rechtsstreites herangezogen werden können, hat bereits das Berufungsgericht dargelegt. Insoweit kann auf dessen Ausführungen gemäß § 510 Abs 3 ZPO verwiesen werden.

Der Revision war deshalb keine Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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