OGH 2Ob178/07a

OGH2Ob178/07a14.8.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Christine O*****, vertreten durch Dr. Christian Tschurtschenthaler, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei A*****-AG, *****, vertreten durch Dr. Michael Pacher und andere Rechtsanwälte in Graz, wegen 5.021,09 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 13. März 2007, GZ 5 R 35/07i-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Fürstenfeld vom 10. Dezember 2006, GZ 7 C 357/06s-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Klägerin lenkte am 27. 7. 2004 ihren PKW, an dem eine gültige Autobahnvignette angebracht war, auf der Südautobahn A2 Richtung Wien. Als sie sich auf dem linken Fahrstreifen ihrer Richtungsfahrbahn der Ausfahrt Fürstenfeld näherte, hielt sie eine Geschwindigkeit von ca 120 bis 130 km/h ein. Vor der Ausfahrt lagen über die beiden Fahrstreifen, den Pannenstreifen und den die Richtungsfahrbahnen teilenden Mittelstreifen verteilt mehr als 10 Stück 2,5 bis 3 m lange und 50 bis 60 cm breite eiserne Gerüstteile (auch „Eisengitter") auf der Fahrbahn. Diese Eisenteile waren für die Klägerin so spät erkennbar, dass ihr eine unfallverhindernde Reaktion nicht mehr möglich war. Um 13.15 Uhr überfuhr sie einen der Gerüstteile, wodurch an ihrem Fahrzeug Sachschaden entstand. Durch das Öffnen des Seitenairbags erlitt sie ein schmerzhaftes Hämatom am linken Oberarm.

Auch andere Autofahrer konnten den Gerüstteilen nicht ausweichen und überfuhren sie. Die Straßenmeisterei hatte zwei Stunden vor diesem Vorfall die letzte Kontrollfahrt durchgeführt. Die erste Meldung über die Hindernisse ging um 13.14 Uhr über die Autobahngendarmerie Hartberg bei den Straßenmeistereien ein. Die Gerüstteile wurden unmittelbar vor dem Unfall von einem unbekannten Kraftfahrzeug verloren. Da dessen Lenker nicht ausgeforscht werden konnte, wurde das gegen unbekannte Täter eingeleitete Strafverfahren gemäß § 412 StPO abgebrochen. Die an die beklagte Partei gerichtete Aufforderung der Klägerin um Erteilung von Auskunft darüber, welche Fahrzeuge vor dem Unfall die letzte Mautstation für die „GO-Box" im Rahmen des „Road-Pricing" passiert hatten, wurde mit Hinweis auf datenschutzrechtliche Bedenken abgelehnt.

Die Klägerin begehrte Schadenersatz und brachte im Wesentlichen vor, die beklagte Partei habe ihre vertragliche Verpflichtung, die Autobahn in einem verkehrssicheren Zustand zu erhalten, verletzt. Durch ihre Auskunftsverweigerung habe sie überdies gegen nebenvertragliche Pflichten verstoßen und der Klägerin die Geltendmachung ihrer Schadenersatzansprüche gegen den Schädiger unmöglich gemacht.

Die beklagte Partei wandte ein, dass sie am Eintritt des Schadens kein Verschulden treffe. Ein im Sinne des Datenschutzgesetzes überwiegendes berechtigtes Interesse der Klägerin an der Freigabe benutzerbezogener Daten des Mautsystems für Schwerfahrzeuge liege nicht vor, zumal auch die Interessen unbeteiligter Dritter zu berücksichtigen seien. Selbst bei Offenlegung der gewünschten Daten (was einem Erkundungsbeweis gleichkomme) wären diese einem potentiellen Schädiger nicht zuordenbar. Schließlich könnten die Eisenteile auch von einem nicht dem „Road-Pricing" unterliegenden Fahrzeug transportiert worden sein.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es verneinte einen Verstoß der beklagten Partei gegen deren vertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten. Da die Eisenteile erst unmittelbar vor dem Unfall auf die Fahrbahn gelangt seien, treffe sie keine Verantwortung und Haftung für den Unfall an sich. Es bestehe aber auch keine vertragliche Nebenpflicht, der Klägerin die gewünschten Daten bekannt zu geben, um ihr die Durchsetzung ihrer Schadenersatzansprüche zu ermöglichen. Auf datenschutzrechtliche Erwägungen komme es dabei nicht an.

Über Antrag der Klägerin erklärte das Berufungsgericht in Abänderung seines ursprünglichen Ausspruchs die Revision nachträglich mit der Begründung für zulässig, dass zur konkreten Fallkonstellation noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung existiere.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Klägerin gegen das Berufungsurteil erhobene Revision ist entgegen dem gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig; weder in dessen Begründung noch im Rechtsmittel wird eine erhebliche, für die Entscheidung auch präjudizielle Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dargetan.

1. a) Der erkennende Senat hat die Grundsätze der vertraglichen Haftung des Mautstraßenerhalters bereits in mehreren Entscheidungen dargelegt (2 Ob 33/01v = SZ 74/25 = ZVR 2001/53; 2 Ob 133/00y = ZVR 2001/90; RIS-Justiz RS0114743). Danach dürfen die Sorgfaltspflichten eines Autobahnhalters, den keinesfalls eine Erfolgshaftung trifft, nicht überspannt werden. Unzumutbares ist von ihm auch bei der Prüfung seines Verhaltens auf leichte Fahrlässigkeit nicht zu verlangen (2 Ob 33/01v; 2 Ob 57/05d; 2 Ob 10/07w = ZVR 2008/123). Während den Geschädigten die Beweislast für die Vertragsverletzung und den Kausalzusammenhang trifft, hat der Autobahnhalter gemäß § 1298 ABGB zu beweisen, dass er die objektiv gebotene Sorgfalt eingehalten hat; gelingt ihm dieser Beweis nicht, so steht ihm allenfalls noch der Beweis offen, dass ihm die Nichteinhaltung der objektiv gebotenen Sorgfalt subjektiv nicht vorwerfbar ist (2 Ob 133/00y; 2 Ob 57/05d; 2 Ob 10/07w).

b) Die Berufungsentscheidung steht, soweit sie einen Verstoß der beklagten Partei gegen die Sorgfaltspflichten eines Autobahnhalters verneinte, mit diesen Grundsätzen im Einklang. Die Rechtsansicht, der Unfall sei für die beklagte Partei nicht vermeidbar gewesen, lässt angesichts der Feststellung, die Eisenteile seien erst „unmittelbar" vor dem Unfall auf die Fahrbahn gelangt, keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts erkennen. Die Revisionsbehauptung, die Eisen- und Gerüstteile hätten „aufgrund der mangelhaften Kontrollfahrten" nicht mehr rechtzeitig weggeräumt werden können, geht nicht von der den Obersten Gerichtshof bindenden Sachverhaltsgrundlage der Vorinstanzen aus und ist daher unbeachtlich.

2. a) Gemäß § 6 Bundesstraßen-Mautgesetz 2002 (BStMG), BGBl I 2002/109, unterliegt die Benützung von Mautstrecken mit mehrspurigen Kraftfahrzeugen, deren höchstzulässiges Gesamtgewicht mehr als 3,5 t beträgt, der fahrleistungsabhängigen Maut. Deren Höhe richtet sich nach der Anzahl der Achsen der Kraftfahrzeuge und der von diesen gezogenen Anhänger (§ 9 Abs 2 BStMG). Die Entrichtung der Maut erfolgt grundsätzlich auf elektronischem Weg (§ 7 Abs 1 BStMG). Zu diesem Zweck wird den mautpflichtigen Straßenbenützern im Zuge der Anmeldung zum Mautsystem leihweise ein Gerät („GO-Box") zur Verfügung gestellt, das im mautpflichtigen Kraftfahrzeug anzubringen und auf dem die Achsenzahl einzustellen ist (vgl Spitzl/Wolfsgruber, Arbeitsrechtliches zur fahrleistungsabhängigen Maut, ecolex 2007, 126; Änderungen durch Einführung des „Road-Pricing" - KFZ und Steuern, SWK 2004 T 17; Kraus, Zahlungsabwicklung der fahrleistungsabhängigen Maut, AStN 2004/101). Nähere Regelungen enthält die von der beklagten Partei gemäß § 14 Abs 1 BStMG erlassene und gemäß § 16 Abs 1 BStMG unter der dort angeführten Adresse im Internet verlautbarte Mautordnung, die nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs als Durchführungsverordnung im Sinne des Art 18 Abs 2 B-VG zu qualifizieren ist (VwGH-Erkenntnis 2001/06/0173 vom 18. 6. 2003), und deren Teil B Punkt 5.5 Aufschluss über die bei der Anmeldung zum Mautsystem gespeicherten Daten des Kraftfahrzeugs und des Zulassungsbesitzers gibt.

b) Die Klägerin steht auf dem Standpunkt, die beklagte Partei treffe die vertragliche Nebenpflicht, ihr Auskunft über die für die Ausforschung des unbekannt gebliebenen Schädigers (möglicherweise) relevanten Daten zu erteilen. Sie begehrt mit ihrer Klage allerdings nicht etwa die Erfüllung der behaupteten Auskunftspflicht, sondern den Ersatz des ihr durch den Dritten zugefügten Schadens, für den die beklagte Partei wegen der Unterlassung der Auskunftserteilung haften soll. Der gegen die beklagte Partei gerichtete Vorwurf besteht somit im Ergebnis darin, dass sie infolge einer Vertragsverletzung den Verlust des Schadenersatzanspruchs der Klägerin gegen den eigentlichen Schädiger zu verantworten hat.

Voraussetzung einer Schadenszurechnung ist die Verursachung des Schadens durch den Schädiger, wobei im Falle einer Unterlassung (hier: der Auskunftserteilung) zu prüfen ist, ob derselbe Nachteil auch bei pflichtgemäßem Verhalten entstanden wäre. Ist dies zu bejahen, fehlt es an der erforderlichen Kausalität (6 Ob 104/06x; 10 Ob 103/07f; je mwN; RIS-Justiz RS0022913 [T1, T6, T7 und T8]; Karner in KBB3 § 1295 Rz 3). Die Beweislast, dass bei pflichtgemäßem Verhalten der Schaden nicht eingetreten wäre, trifft den Geschädigten (RIS-Justiz RS0022900 [T5 und T11]). Die Anforderungen an den Beweis des bloß hypothetischen Kausalverlaufs sind (lediglich) geringer als die Anforderungen an den Nachweis der Verursachung bei einer Schadenszufügung durch positives Tun. Die Frage, wie sich die Geschehnisse entwickelt hätten, wenn der Schädiger pflichtgemäß gehandelt hätte, lässt sich nämlich naturgemäß nie mit letzter Sicherheit beantworten, weil dieses Geschehen eben nicht stattgefunden hat (10 Ob 103/07f mwN; RIS-Justiz RS0022900 [T14]).

c) Im vorliegenden Fall konnte der Klägerin der Beweis der Kausalität der Unterlassung der gewünschten Auskunftserteilung durch die beklagte Partei für den Verlust ihres Schadenersatzanspruchs gegen den wahren Schädiger nicht gelingen. Die Möglichkeit, den - im Strafverfahren nicht ausforschbaren - Schädiger mit Hilfe der im Mautsystem gespeicherten Daten ausforschen zu können, bleibt bloße Spekulation, ist doch nicht einmal bekannt, ob der Schädiger tatsächlich mit einem mit einer „GO-Box" ausgestatteten Kraftfahrzeug fuhr. In diesem Sinne hat schon das Erstgericht - wenngleich im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung - festgestellt, dass man selbst bei Freigabe sämtlicher Daten „noch lange nicht den tatsächlichen Schädiger gefunden" hätte.

Musste aber schon der Nachweis der Verursachung des Schadens durch die beklagte Partei misslingen, so fehlt es der im Mittelpunkt der Rechtsmittelausführungen stehenden Rechtsfrage, ob die beklagte Partei der Klägerin trotz ihrer datenschutzrechtlichen Bedenken in Erfüllung einer vertraglichen Nebenpflicht die gewünschte Auskunft hätte erteilen müssen, an der für die Zulässigkeit des Rechtsmittels erforderlichen Präjudizialität (vgl Zechner in Fasching/Konecny2 IV/1 § 502 ZPO Rz 60). Auch die in der Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes erblickte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens ist unter diesen Umständen für die Entscheidung nicht relevant.

3. Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision daher zurückzuweisen.

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