OGH 2Ob146/07w

OGH2Ob146/07w14.2.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ingrid K*****, vertreten durch Dr. Christian Schubeck und Dr. Michael Schubeck, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei Helga M*****, vertreten durch Dr. Rudolf Wöran, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 4.570 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 26. April 2007, GZ 53 R 80/07g-29, womit das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 16. November 2006, GZ 33 C 628/05s-23, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 399,74 EUR (darin 66,62 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision (sinngemäß) mit der Begründung zu, es fehle an höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu der Frage, ob ein Fußgänger weitergehen dürfe, wenn sich die dem Fußgängerverkehr vorbehaltene Verkehrsfläche mit einem Radweg vereinige, dem Fußgänger keine andere benützbare Verkehrsfläche zur Verfügung stehe und das Weitergehen nicht ausdrücklich durch Verkehrszeichen verboten sei.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Klägerin gegen das Berufungsurteil erhobene Revision ist entgegen diesem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Auch in der Revision wird eine solche Rechtsfrage nicht dargetan.

1. In § 2 Abs 1 Z 8 StVO wird ein Radweg als ein für den Verkehr mit Fahrrädern bestimmter und als solcher gekennzeichneter Weg definiert. Die von der Klägerin mit ihrem Fahrrad befahrene Verkehrsfläche war, wie sich auch den aktenkundigen Lichtbildern entnehmen lässt, durch Gebotszeichen nach § 52 lit b Z 16 StVO („Radweg") gekennzeichnet. Den weiteren Ausführungen ist daher voranzustellen, dass sich der Unfall auf einem Radweg ereignet hat. Die im Rechtsmittel der Klägerin unzutreffend unter dem Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit gerügten rechtlichen Überlegungen des Berufungsgerichts zur Bedeutung des Gebotszeichens nach § 52 lit b Z 17a StVO („Geh- und Radweg") können als für die Entscheidung unerheblich auf sich beruhen.

2. § 76 Abs 1 StVO regelt, welche Verkehrsflächen ein Fußgänger benützen darf. Danach haben Fußgänger auf Gehsteigen (§ 2 Abs 1 Z 10 StVO), Gehwegen (§ 2 Abs 1 Z 11 StVO) oder, falls Gehsteige oder Gehwege nicht vorhanden sind, das Straßenbankett (§ 2 Abs 1 Z 6 StVO) und, wenn auch dieses fehlt, den äußersten Fahrbahnrand zu benützen. Daraus ist im Wege eines Umkehrschlusses ableitbar, dass Fußgängern die Benützung von Radwegen verboten ist (so bereits Grundtner, Vorschriften auf Radfahrstreifen, Radwegen, Rad- und Gehwegen, ZVR 1986, 6 [7 f]; vgl ferner Pürstl, StVO12 § 65 Anm 2; Dittrich/Stolzlechner, StVO³ § 8a Rz 3 und § 65 Rz 8).

3. Die Begründung des zweitinstanzlichen Zulassungsausspruchs läuft auf die Frage hinaus, ob ein Fußgänger ausnahmsweise auf einem Radweg gehen darf, wenn keine der in § 76 Abs 1 StVO genannten Verkehrsflächen (mehr) vorhanden ist. Ihre Lösung bedarf im vorliegenden Fall allerdings keiner verallgemeinernden Aussage des erkennenden Senats; sie richtet sich vielmehr danach, wie sich die zuletzt auch von der Beklagten benützte Verkehrsfläche für einen Fußgänger objektiv präsentierte und welchen Eindruck er aufgrund der konkreten Gestaltung und Beschilderung der Örtlichkeit von ihrer Widmung gewinnen konnte. Ausschlaggebend sind demnach die damaligen (mittlerweile veränderten) Verhältnisse im Unfallbereich, somit Kriterien, denen keine über den hier zu beurteilenden Einzelfall hinausreichende Bedeutung beizumessen ist.

4. § 76 StVO ist eine Schutznorm, die nicht nur bezweckt, den Fußgänger vor allen möglichen von der Fahrbahn (hier: von einem Radweg) her drohenden Gefahren zu schützen (ZVR 1985/9), sondern auch ganz allgemein der Vermeidung von Verkehrsunfällen dienen soll (2 Ob 54/05p = ZVR 2006/46; RIS-Justiz RS0027735). Indem die Beklagte als Fußgängerin einen Radweg benützte, hat sie die Schutznorm des § 76 Abs 1 StVO objektiv verletzt, sodass ihr nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats der Nachweis ihres fehlenden Verschuldens oblag (RIS-Justiz RS0112234, insbesondere T1).

5. Die Beklagte hat vor dem Betreten des Radwegs eine unstrittig nicht dem Fahrradverkehr gewidmete, nach den erstinstanzlichen Feststellungen „regelmäßig von Fußgängern begangene" Verkehrsfläche benützt, die sich kurz vor der Unfallstelle mit dem bis dorthin parallel verlaufenden, durch Grünanlagen getrennten Radweg vereinigte.

Die (zumindest implizit vertretene) Rechtsansicht des Berufungsgerichts, der Beklagten könne die Fortsetzung ihres Wegs auf der sich daran anschließenden Verkehrsfläche wegen unverschuldeter Unkenntnis von deren Widmung als die Benützung durch Fußgänger ausschließenden Radweg nicht zum Vorwurf gemacht werden, hält sich im Rahmen des ihm zur Verfügung stehenden Ermessensspielraums. Ist doch jedenfalls als erwiesen anzusehen, dass sich im Bereich der Vereinigung der beiden Wege kein Hinweis auf ein Ende der die Benützung durch Fußgänger (faktisch) gestattenden Verkehrsfläche befand. Die im Rechtsmittel bekämpfte Beurteilung, die (nur) vor dem Beginn des Radwegs angebrachten Hinweise auf ein Ende des „Gehwegs" in 50 m sowie das Vorhandensein eines anderen Richtung Zentrum führenden „Gehwegs" habe zu einer diesbezüglichen Klarstellung nicht ausgereicht, ist, bedenkt man die Annäherungsrichtung der Beklagten, jedenfalls vertretbar. In der hinreichend deutlich zum Ausdruck gebrachten Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe unter den gegebenen Umständen den ihr obliegenden Entlastungsbeweis erbracht, ist somit keine auffallende Fehlbeurteilung zu erkennen, die der Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte.

6. Nach den erstinstanzlichen Feststellungen hatte eine entgegenkommende Radfahrerin nach einer unerwarteten Änderung ihrer Fahrlinie versucht, sich zwischen der Beklagten und der rechts von dieser befindlichen Thujenhecke „durchzuzwängen". Das Abwehrverhalten der Beklagten, die „einen abrupten Schritt nach links" machte, begründet noch keinen schuldhaften Sorgfaltsverstoß. Die Ansicht des Berufungsgerichts, der Beklagten könne eine (allfällige) falsche Einschätzung der Situation im Hinblick auf die rasch ablaufenden Geschehnisse nicht vorgeworfen werden, hält sich im Rahmen seines Beurteilungsspielraums.

7. Der Vertrauensgrundsatz kommt demjenigen nicht zugute, der das unrichtige oder zumindest verkehrsbedenkliche Verhalten des anderen bereits in einem Zeitpunkt erkennen kann, in dem für ihn noch eine zumutbare Reaktion möglich war, der eine solche Reaktionshandlung aber unterlässt (2 Ob 54/05p; 2 Ob 28/07t; RIS-Justiz RS0073173). Die Klägerin hat zwar das objektiv unrichtige Verhalten der Beklagten erkannt, trotz der geringen Breite des Radwegs und der entgegenkommenden Radfahrerin aber ohne Abgabe eines Warnzeichens und Verminderung der Fahrgeschwindigkeit an ihr vorbeizufahren versucht. Bei dieser Sachlage wirft auch die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Klägerin habe keinesfalls darauf vertrauen dürfen, dass die Beklagte „sie rechtzeitig bemerken oder nicht plötzlich zur Seite steigen" werde, keine erhebliche Rechtsfrage auf.

8. Das gewonnene Ergebnis der Vorinstanzen, der Beklagten sei kein Verschulden vorwerfbar, lässt aus den dargelegten Erwägungen keine auffallende Fehlbeurteilung erkennen, die vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit aufgegriffen werden müsste.

Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision daher als unzulässig zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.

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