OGH 2Ob28/07t

OGH2Ob28/07t29.11.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rosina P*****, vertreten durch Dr. Ernst Gramm, Rechtsanwalt in Neulengbach, gegen die beklagte Partei Josef S*****, vertreten durch Dr. Viktor Wolczik und andere Rechtsanwälte in Baden, wegen EUR 6.500 sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Berufungsgericht vom 29. August 2006, GZ 21 R 200/06d-41, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Neulengbach vom 11. April 2006, GZ 3 C 1645/04w-32, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 8. Mai 2006, GZ 3 C 1645/04w-34, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 399,74 (darin EUR 66,62 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision über Antrag der Klägerin in Abänderung seines ursprünglichen Zulassungsausspruches nachträglich mit der Begründung zu, der in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung noch nicht ausdrücklich beantworteten Frage, ob ein Fußgänger während des Überquerens der Fahrbahn bzw nach dem Anhalten in Fahrbahnmitte auch zu einem Blick nach links verpflichtet sei, komme über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zu.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Klägerin gegen das Berufungsurteil erhobene Revision ist entgegen diesem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes nicht zulässig. Das Berufungsgericht zeigt in seinem Beschluss nach § 508 Abs 3 ZPO keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf. Aber auch in der Revision wird eine solche Rechtsfrage nicht dargetan. Das Verhalten eines Fußgängers, der entgegen § 76 Abs 6 StVO die Fahrbahn außerhalb eines Schutzweges oder einer Kreuzung überqueren will, ist in § 76 Abs 4 lit b und Abs 5 StVO geregelt. Danach hat ein Fußgänger, bevor er auf die Fahrbahn tritt, sorgfältig zu prüfen, ob er die Straße noch vor Eintreffen von Fahrzeugen mit Sicherheit überqueren kann (2 Ob 24/02x; 2 Ob 54/05p = ZVR 2006/46 mwN; RIS-Justiz RS0075656). Lässt die Verkehrslage das Betreten der Fahrbahn zu, hat der Fußgänger diese sodann in angemessener Eile zu überqueren (RIS-Justiz RS0075672). Er hat den kürzesten Weg zu wählen und darauf zu achten, dass der Fahrzeugverkehr nicht behindert wird (vgl ZVR 1983/55; ZVR 1983/254; ZVR 1989/103; 2 Ob 24/02x). Diese Regelung ist von dem Grundsatz beherrscht, dass die Fahrbahn in erster Linie für den Fahrzeugverkehr bestimmt ist (ZVR 1989/121; RIS-Justiz RS0073163).

Das Überqueren der Fahrbahn in Etappen steht mit dem Gebot angemessener Eile nicht notwendigerweise in Widerspruch. Nach ständiger Rechtsprechung muss sich jeder Fußgänger beim Überqueren einer breiten Fahrbahn bei Erreichen ihrer Mitte vergewissern, ob sich nicht von seiner rechten Seite her ein Fahrzeug nähert; er muss stehen bleiben, wenn ein Fahrzeug schon so nahe ist, dass er die Fahrbahn nicht mehr vor diesem gefahrlos überschreiten kann (ZVR 1979/1; ZVR 1989/121; 2 Ob 24/02x; je mwN; RIS-Justiz RS0075648, RS0075656). Dieser für „breite" Straßen ausgesprochene Grundsatz gilt auch dann, wenn wegen altersbedingt verlangsamter Überquerungsgeschwindigkeit die Gefahr raschen Herannahens vorerst weiter entfernter Verkehrsteilnehmer besteht (2 Ob 24/02x). Im vorliegenden Fall hat die Klägerin die 6 m breite Fahrbahn zum Zwecke ihrer Überquerung zu einem Zeitpunkt betreten, in welchem sich das von links herannahende Rennfahrrad des Beklagten noch nicht in ihrem Sichtbereich befand. Sie hat in der Folge die Fahrbahnmitte erreicht, ohne den Beklagten dabei zu behindern. Bis dahin ist ihr nach den dargestellten Grundsätzen daher kein Fehlverhalten vorwerfbar.

Die sowohl vom Berufungsgericht als auch von der Klägerin als erheblich relevierte Rechtsfrage, ob ein Fußgänger nach Erreichen der Fahrbahnmitte auch zu einem „Kontrollblick" nach links verpflichtet sei, stellt sich in dieser Allgemeinheit hier aber nicht. Sie vernachlässigt nämlich das im konkreten Einzelfall hinzutretende wesentliche Sachverhaltselement, wonach die Klägerin die Überquerung der Fahrbahn nicht etwa wegen eines von rechts herannahenden oder möglicherweise zu erwartenden Fahrzeuges, sondern nach einem warnenden Zuruf des von links kommenden Beklagten unterbrochen hat. Aufgrund dieses akustischen Warnzeichens (§ 22 Abs 1 Satz 1 StVO) hatte die Klägerin ihre Aufmerksamkeit jedenfalls auch nach links zu richten. Dabei hätte sie das herannahende, auf die linke Fahrbahnhälfte wechselnde Rennfahrrad des Beklagten gesehen. Unter diesen Umständen kann sich die Klägerin nicht mehr auf den Vertrauensgrundsatz berufen, kommt dieser doch demjenigen nicht zugute, der das unrichtige oder zumindest verkehrsbedenkliche Verhalten des anderen bereits in einem Zeitpunkt erkennen kann, in dem für ihn noch eine zumutbare Reaktion möglich war (vgl 2 Ob 54/05p; RIS-Justiz RS0073173). Die Klägerin ist zwar nach dem Warnruf stehen geblieben, hat aber ihren Weg nach 1,9 Sekunden ohne Beachtung des Radfahrers fortgesetzt.

Bei dieser Sachlage lässt die Beurteilung des Berufungsgerichtes, die Klägerin habe durch ihr Verhalten die Vorschrift des § 76 Abs 5 StVO verletzt, eine erhebliche Fehlbeurteilung, die aus Gründen der Rechtssicherheit durch den Obersten Gerichtshof korrigiert werden müsste, nicht erkennen. Die Revisionsbehauptung, die Klägerin hätte bei (optischer) Wahrnehmung des Beklagtenfahrzeuges dessen Fahrlinie nicht richtig einschätzen können, sodass ihr eine unrichtige Reaktionshandlung nicht vorwerfbar gewesen wäre, ist weder durch die Feststellungen der Vorinstanzen noch durch entsprechende Tatsachenbehauptungen gedeckt.

Die Verschuldensabwägung richtet sich stets nach den Umständen des Einzelfalles und betrifft regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0042405, RS0087606). Die Gewichtung des Verschuldensanteiles der Klägerin mit einem Drittel hält sich im Rahmen des im Einzelfall verbleibenden Ermessensspielraumes des Berufungsgerichtes. Auch sie bedarf daher keiner Korrektur durch den Obersten Gerichtshof zugunsten der Klägerin.

Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision daher als unzulässig zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.

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