OGH 2Ob144/12h

OGH2Ob144/12h20.9.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Sol, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj S***** K*****, geboren am ***** 2003, vertreten durch die Eltern R***** K***** und D***** K*****, vertreten durch Dr. Lucas Lorenz und Mag. Sebastian Strobl, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. A***** AG, *****, und 2. J***** B*****, wegen 7.669,80 EUR sA und Feststellung (Streitinteresse: 2.250 EUR), über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 15. Juni 2012, GZ 4 R 97/12i-5, womit der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 4. Mai 2012, GZ 8 Cg 77/12t-2, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der im Jahr 2003 geborene Kläger begehrt nach einem Verkehrsunfall in seiner beim Erstgericht eingebrachten Klage die Zahlung von 7.669,80 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für alle zukünftigen Schäden aus diesem Unfall im Ausmaß von drei Viertel. Sein Feststellungsinteresse bewertete er mit 2.250 EUR, sodass sich ein Gesamtstreitwert von 9.919,80 EUR ergab. Er bezifferte seinen bisherigen Gesamtschaden mit 10.226,40 EUR (Schmerzengeld: 10.000 EUR; Fahrtkosten: 176,40 EUR; Spesen: 50 EUR) und brachte vor, dass den Zweitbeklagten „zumindest das überwiegende Verschulden“ treffe. Er räume aus prozessualer Vorsicht ein Mitverschulden von einem Viertel ein, sodass die geltend gemachten Leistungsansprüche und auch das Feststellunginteresse jeweils um ein Viertel zu kürzen seien. Es werde daher ausdrücklich nur ein ziffernmäßiger Teil der Gesamtforderung eingeklagt. Eine Ausdehnung des Klagebegehrens bleibe jedenfalls vorbehalten. Für die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts sei der Streitwert des Gesamtschadens maßgeblich, wenn nur ein ziffernmäßig genannter, in der Klage ausdrücklich als Teilbetrag der bezifferten Gesamtforderung bezeichneter Teil der Schadenersatzforderung eingeklagt werde.

Das Erstgericht wies die Klage a limine wegen sachlicher Unzuständigkeit zurück.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Das Rekursgericht vertrat die Ansicht, dass kein Fall einer Teileinklagung iSd § 55 Abs 3 JN vorliege. Der Kläger habe zwar einen Schaden in Höhe von 10.226,40 EUR behauptet, zugleich aber erklärt, dass sich seine Forderung aufgrund der Einräumung eines Mitverschuldens von einem Viertel nur auf 7.669,80 EUR belaufe. Dieses Zugeständnis sei nicht bloß - wie in dem zu 2 Ob 60/05w beurteilten Fall - unpräjudiziell erfolgt, sondern mit dem Zusatz, dass der Leistungsanspruch deshalb um ein Viertel zu kürzen sei. Nach seinem Klagsvorbringen mache der Kläger daher nicht einen Teil eines ziffernmäßig bestimmten Gesamtanspruchs geltend, sondern den ihm seines Erachtens zustehenden Zahlungsanspruch; es bleibe kein ziffernmäßig bestimmter Teil seines Anspruchs offen.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil die einschlägige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht einheitlich sei und zur Frage, welcher Streitwert maßgeblich sei, wenn die Einräumung eines Mitverschuldens nicht unpräjudiziell erfolge, noch gar keine höchstgerichtliche Rechtsprechung existiere.

Gegen den zweitinstanzlichen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers mit dem sinngemäßen Abänderungsantrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die Durchführung des Verfahrens über die Klage aufzutragen.

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht von den Grundsätzen der Entscheidung 2 Ob 60/05w abgewichen ist. Er ist auch berechtigt.

Der Kläger macht geltend, seine Schadenersatzansprüche seien ziffernmäßig klar umgrenzt und ausdrücklich als Teilbetrag der bezifferten Gesamtforderung bezeichnet worden. Die Einschätzung des Rekursgerichts, dies sei nicht „unpräjudiziell“ erfolgt, treffe nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu wurde erwogen:

1. Nach § 55 Abs 3 JN ist der Gesamtbetrag der noch unberichtigten Kapitalsforderung maßgebend, wenn nur ein Teil der Kapitalsforderung eingeklagt wird. Voraussetzung ist, dass ein schon ziffernmäßig bestimmter Rest offen bleibt (4 Ob 179/97w; 2 Ob 60/05w mwN). Handelt es sich um Schadenersatzansprüche, die ziffernmäßig ganz klar umgrenzt sind, dann ist der Streitwert des Gesamtschadens auch maßgebend, wenn nur ein ziffernmäßig genannter - in der Klage ausdrücklich als Teilbetrag der bezifferten Gesamtforderung bezeichneter - Teil dieser Schadenersatzforderung eingeklagt wurde (2 Ob 60/05w mwN; RIS-Justiz RS0046490). Ob diese Voraussetzung vorliegt, ist aufgrund der Klagebehauptungen zu prüfen (§ 41 Abs 2 JN; RIS-Justiz RS0046236). Insoweit ist die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs einheitlich.

2. Der Entscheidung 2 Ob 60/05w lagen Klagebehauptungen zugrunde, wonach den damaligen Erstbeklagten zwar das Alleinverschulden am Zustandekommen des Verkehrsunfalls treffe, die Klägerin sich aber aus Gründen der prozessualen Vorsicht und vorbehaltlich der Ausdehnung ein unpräjudizielles Mitverschulden von 50 % anrechne. Es werde daher vom (konkret bezifferten) Gesamtschaden lediglich eine in Entsprechung dieser Quote gekürzte Summe geltend gemacht.

Der Senat führte dazu aus, das Erfordernis einer ziffernmäßig bestimmten Gesamtforderung sei zweifellos erfüllt. Es sei offenkundig, dass die Klägerin unter der unpräjudiziellen Einräumung eines Mitverschuldens von 50 % nur einen Teil der ihr zustehenden Kapitalsforderung geltend machen habe wollen. Soweit sich aus ZVR 1996/14 (= 2 Ob 9/95) etwas anderes ergebe, könne dies nicht aufrecht erhalten werden.

3. Im vorliegenden Fall behauptete der Kläger das „zumindest überwiegende Verschulden“ des Zweitbeklagten, was die Möglichkeit des Alleinverschuldens mitumfasst. Er verwendet zwar nicht den Ausdruck „unpräjudiziell“; aus dem Gesamtzusammenhang seines Vorbringens ist dennoch klar ersichtlich, dass er an die Einräumung eines Mitverschuldens noch keineswegs endgültig, sondern nur vorbehaltlich der Verfahrensergebnisse gebunden sein will. In diesem Sinne deponierte er „ausdrücklich“, nur einen ziffernmäßigen Teil der Gesamtforderung einzuklagen und sich eine Ausdehnung jedenfalls vorzubehalten.

Damit wurden aber Behauptungen aufgestellt, die inhaltlich durchaus jenen entsprechen, die der Entscheidung 2 Ob 60/05w zugrunde gelegen sind. Für eine abweichende Beurteilung besteht kein Anlass.

4. Aus den vorstehenden Erwägungen ist entgegen der Auffassung der Vorinstanzen von einer Teileinklagung iSd § 55 Abs 3 JN auszugehen. Da der Gesamtbetrag der noch unberichtigten Kapitalsforderung über der Wertgrenze des § 49 JN (10.000 EUR) liegt, ist das angerufene Landesgericht sachlich zuständig.

In Stattgebung des berechtigten Revisionsrekurses des Klägers sind daher die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben. Gleichzeitig ist dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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