OGH 2Ob131/14z

OGH2Ob131/14z18.2.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. Musger, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der E***** P*****, geboren am ***** 1981, *****, vertreten durch den Verfahrenssachwalter R***** P*****, vertreten durch Dr. Nikolaus Kraft, Rechtsanwalt in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau als Rekursgericht vom 16. Juni 2014, GZ 2 R 165/13x‑39, womit infolge Rekurses der Betroffenen der Beschluss des Bezirksgerichts Gmünd vom 3. Oktober 2013, GZ 8 P 94/13f‑15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0020OB00131.14Z.0218.000

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sachwalterschaftssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

 

Begründung:

Die anwaltlich vertretene Betroffene rügte in ihrem Rekurs gegen den Beschluss des Erstgerichts die Bestellung des Sachwalterschaftsvereins zum Sachwalter für alle Angelegenheiten (Verfahrenssachwalter und einstweiliger Sachwalter war der Vater der Betroffenen). Darin machte sie die Befangenheit der bestellten Sachverständigen als Verfahrensmangel geltend, weil diese als erste Oberärztin in jener Klinik tätig sei, wo die Betroffene behandelt und deren Ärzteteam sich gegenüber dem Erstgericht gegen den Vater als Sachwalter ausgesprochen habe.

Das Rekursgericht unterbrach zunächst das Rekursverfahren bis zur rechtskräftigen Erledigung des Ablehnungsantrags und erteilte dem Erstgericht den Auftrag, über den Ablehnungsantrag zu entscheiden.

Mit Beschluss vom 10. 3. 2014 wies das Erstgericht den Ablehnungsantrag „ab“. Den dagegen erhobenen Rekurs wies das Rekursgericht mit der Begründung zurück, dass ein abgesonderter Rekurs nicht zulässig sei; inhaltlich werde darüber in der Entscheidung über den Rekurs gegen die Sachwalterbestellung zu erkennen sein.

In einer als „Urkundenvorlage“ bezeichneten Eingabe vom 24. 4. 2014 (nach Zustellung der vorerwähnten Rekursentscheidung) machte die Betroffene zur Befangenheit der Sachverständigen weiters geltend, diese habe vor der Befundaufnahme vom 19./20. 2. 2013 ihre Unterbringung in der Klinik mitangeordnet, was die Betroffene und ihr Vater erst im März 2014 in Erfahrung gebracht hätten.

Das Rekursgericht bestätigte hierauf in der nunmehr bekämpften Entscheidung die Bestellung des Sachwalterschaftsvereins zum Sachwalter der Betroffenen für alle Angelegenheiten und verneinte gleichzeitig die geltend gemachte Befangenheit der Sachverständigen. Wegen der Vorwürfe der Betroffenen gegen ihren Vater komme dessen Bestellung nicht in Betracht; die Bestellung eines/-er anderen Familienangehörigen als Sachwalter der Betroffenen hat das Rekursgericht nicht in seine Erwägungen miteinbezogen. Den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte es für nicht zulässig.

Die Betroffene beantragt in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs die Aufhebung dieses Beschlusses. Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, wonach nicht einmal der Anschein der Befangenheit gegen die Sachverständige spreche, weiche von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ab. Überdies habe es das Rekursgericht ‑ in Widerspruch zu Gesetzeslage und oberstgerichtlicher Rechtsprechung ‑ unterlassen, vor Bestellung des Sachwalterschaftsvereins zu prüfen, ob eine der Betroffenen nahestehende Personen (insbesondere ihre wie sie in Wien wohnhafte Schwester oder deren Lebensgefährte) als Sachwalter in Betracht käme.

Der Oberste Gerichtshof stellte dem Sachwalterschaftsverein die Revisionsrekursbeantwortung frei; eine solche wurde jedoch nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist einerseits wegen einer vom Obersten Gerichtshof aufzugreifenden Nichtigkeit und andererseits nicht ausreichend geklärter Sachverhaltsgrundlage zulässig und im Ergebnis auch berechtigt.

1. Die Bestimmungen der ZPO über die Ablehnung von Sachverständigen finden kraft des Verweises in § 35 AußStrG auch im Außerstreitverfahren Anwendung (RIS‑Justiz RS0040722). Der Sachverständige kann aus denselben Gründen wie ein Richter abgelehnt werden, also sowohl aus den Ausschließungsgründen des § 20 JN als auch aus den sonstigen Befangenheitsgründen iSd § 19 Z 2 JN (Rechberger in Rechberger, ZPO4 §§ 355‑356 Rz 1). Zuständig für die Entscheidung über einen Ablehnungsantrag gegen einen Sachverständigen ist gemäß § 356 Abs 1 ZPO das Erstgericht. Die Entscheidung eines funktionell unzuständigen Gerichts ist nichtig (RIS‑Justiz RS0042059).

2. Im Schriftsatz vom 24. 4. 2014 (ON 37) machte die Betroffene einen neuen Ablehnungsgrund geltend. Über diesen (weiteren) Ablehnungsantrag hätte daher das Erstgericht zu entscheiden gehabt. Trotzdem hat das Rekursgericht auch diese „ergänzte Eingabe“ ‑ insoweit nach dem Vorgesagten funktionell unzuständig ‑ inhaltlich (mit‑)behandelt und ist der (eine Befangenheit der Sachverständigen ablehnenden) Entscheidung des Erstgerichts insgesamt, also über dessen Prüfungsumfang hinaus, „uneingeschränkt gefolgt“ (S 6 ff der Rekursentscheidung = AS 246 ff). Die Entscheidung des Rekursgerichts war daher insoweit als nichtig aufzuheben (G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 56 Rz 15f).

3.1. Bei der Auswahl des Sachwalters kommt dem Gericht ‑ unter gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Bedürfnisse des Betroffenen und dessen Wohl (§ 279 Abs 1 ABGB) ‑ zwar ein Ermessensspielraum zu, jedoch benennt § 279 ABGB jene Personen, die ‑ in der dort angeführten Reihenfolge ‑ für eine Bestellung als Sachwalter potentiell in Frage kommen. Nach diesem „Stufenbau“ bei der Sachwalterbestellung ist primär eine von der betroffenen Person selbst gewählte oder von einer nahestehenden Person empfohlene Person (§ 279 Abs 1 zweiter Satz ABGB) heranzuziehen. Sekundär (mangels Wahl oder Anregung oder bei fehlender Eignung der vorgeschlagenen Person) ist jemand zum Sachwalter zu bestellen, der der betroffenen Person nahe steht (§ 279 Abs 2 ABGB). Falls eine solche Person nicht verfügbar ist, ist ‑ mit dessen Zustimmung ‑ ein geeigneter Verein zu bestellen (§ 279 Abs 3 erster Satz ABGB; 2 Ob 163/10z; 7 Ob 184/12b mwN).

3.2. Aufgrund des im außerstreitigen Verfahren geltenden Untersuchungsgrundsatzes (G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 1 Rz 49f; Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 16 Rz 2f) hat das Gericht von Amts wegen nachzuforschen, ob eine geeignete, dem/der Betroffenen nahestehende Person vorhanden ist (vgl RIS‑Justiz RS0049104 [T3]). Um nahe Angehörige übergehen zu können, müssen mögliche Interessenkollisionen wahrscheinlich sein (3 Ob 20/12f).

4.1. Das Erstgericht folgte bei der Bestellung des Vaters zum Verfahrenssachwalter und einstweiligen Sachwalter dem Clearingbericht des Sachwalterschaftsvereins. Die Eignung sonstiger „nahe stehender“ Personen (§ 279 Abs 2 ABGB) stand damals nicht zur Diskussion. Nachdem sich die Vater-Tochter-Beziehung als problematisch herausstellte und die Sachverständige deshalb einen Vereinssachwalter empfahl, folgte das Erstgericht dieser Empfehlung ohne weitere Erhebungen. Dass die Betroffene vier Geschwister hat, war seit der Erstanhörung aktenkundig. Im Revisionsrekurs wird die Bereitschaft einer als enge Vertraute der Betroffenen bezeichneten Schwester und deren Lebensgefährten zur Übernahme der Sachwalterschaft behauptet und bemängelt, dass sich die Vorinstanzen mit möglichen Alternativen zu den Eltern der Betroffenen aus dem Angehörigenkreis überhaupt nicht auseinandergesetzt hätten.

4.2. Zur Beurteilung der Eignung von nahen Angehörigen (vor allem Geschwister) zur Übernahme der Sachwalterschaft nötige Feststellungen liegen nicht vor. Dass der Vater und auch die Mutter nicht in Frage kommen, wurde vom Rekursgericht aus dem Akteninhalt begründet, was im Revisionsrekurs der Betroffenen unbekämpft bleibt. Ob die im Revisionsrekurs genannte Schwester der Betroffenen bzw deren Lebensgefährte oder (unter Umständen) andere der Betroffenen nahe stehende Personen für die Bestellung als Sachwalter in Frage kommen, kann aufgrund der bisherigen Feststellungen nicht beurteilt werden.

5. Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren zunächst über den (erneuten) Ablehnungsantrag der Betroffenen gegen die Sachverständige abzusprechen und sodann die Eignung von der Betroffenen nahe stehenden Personen zur Übernahme der Sachwalterschaft zu prüfen und nur in deren Ermangelung den Sachwalterschaftsverein zu bestellen haben (§ 279 Abs 3 ABGB).

Dem Revisionsrekurs der Betroffenen war somit Folge zu geben; die Entscheidungen der Vorinstanzen waren aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte