European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00012.24I.0220.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Mit Beschluss des Bezirksgerichts Feldkirch vom 7. 11. 2013 wurde für den nunmehrigen Erblasser dessen Mutter zur Sachwalterin bestellt und ausgesprochen, dass er nur vor Gericht oder Notaren gültig testieren könne. Am 25. 3. 2014 errichtete der Erblasser ein von ihm und drei Zeugen unterfertigtes fremdhändiges Testament, mit welchem er seine Mutter als Alleinerbin und seine Schwester, die Zweitantragstellerin, als Ersatzerbin einsetzte, während er seinen Sohn auf den Pflichtteil setzte. Im Verlassenschaftsverfahren schlug die Mutter das Erbrecht aus, woraufhin die Zweitantragstellerin ihren drei Geschwistern schenkungsweise je ein Viertel der noch nicht angetretenen Verlassenschaft übertrug, sodass sie und ihre Geschwister bedingte Erbantrittserklärungen zu jeweils einem Viertel des Nachlasses abgaben. Der Sohn des Erblassers gab eine bedingte Erbantrittserklärung zum gesamten Nachlass ab.
[2] Die Vorinstanzen stellten das Erbrecht des Sohnes des Erblassers zum gesamten Nachlass fest, antworteten ihm die Verlassenschaft ein und wiesen die widerstreitenden Erbantrittserklärungen der Geschwister ab bzw zurück.
Rechtliche Beurteilung
[3] Der Revisionsrekurs der Zweitantragstellerin ist mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG unzulässig.
[4] 1. Nach § 568 ABGB idF FamRÄG 2004 konnte eine Person, für die ein Sachwalter nach § 273 ABGB bestellt ist, sofern dies gerichtlich angeordnet war und kein Nottestament iSd § 597 ABGB vorlag, nur mündlich vor Gericht oder Notar testieren. In einem solchen Fall mussten das Gericht oder der Notar bei der Errichtung des Testaments überprüfen, ob die Erklärung des letzten Willens frei und mit Überlegung geschieht, und diese Prüfung dem Protokoll über die Erklärung des letzten Willens beifügen (RIS‑Justiz RS0123218). Nach ständiger Rechtsprechung ist diese ins Protokoll aufzunehmende Prüfung der Testierfähigkeit eine Formvorschrift, deren Verletzung die Erklärung des letzten Willens ungültig macht (RS0021949).
[5] 2. Die Zweitantragstellerin beruft sich darauf, dass § 568 ABGB aF mit dem ErbRÄG 2015 ersatzlos aufgehoben wurde und die letztwillige Verfügung des Erblassers daher nachträglich wirksam geworden sei. Damit setzt sie sich in Widerspruch zu § 575 ABGB, wonach die Voraussetzungen der Gültigkeit einer letztwilligen Verfügung bei deren Errichtung vorliegen müssen. Der Oberste Gerichtshof hat ausführlich begründet und sich mit Literatur auseinandersetzend bereits zu 3 Ob 220/22g ausgesprochen, dass die Aufhebung des § 568 ABGB aF vor dem Ableben des Erblassers nicht zu einer Heilung des Formmangels des vor dem Inkrafttreten des ErbRÄG 2015 errichteten Testaments führt. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass das außergerichtliche Testament des Erblassers vom 25. 3. 2014 unwirksam ist, entspricht damit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.
[6] 3. Die Zweitantragstellerin macht geltend, dass § 568 ABGB idF FamRÄG 2004 gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz und die UN‑Behindertenrechtskonvention verstoße. Dem ist entgegenzuhalten, dass die besonderen Formvorschriften für letztwillige Verfügungen nur zur Anwendung gelangen, wenn das Pflegschaftsgericht eine entsprechende Anordnung getroffen hat (ErläutRV 471 BlgNR 22. GP 29). Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs musste ein solcher Ausspruch des Pflegschaftsgerichts im jeweiligen Sachwalterbestellungsbeschluss begründet werden, was auch Feststellungen zur Testierfähigkeit des Betroffenen erforderte (9 Ob 48/06h).
[7] 4. Dennoch beklagte der Gesetzgeber des ErbRÄG 2015, dass die Vorschrift „in der Praxis recht undifferenziert“ angewendet worden sei, was zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Schlechterstellung der Betroffenen geführt habe (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 8). Eine allenfalls unrichtige Anwendung der gesetzlichen Vorgaben kann aber nicht zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes führen. Im Übrigen ist ein Verstoß gegen die Vorgaben der UN‑Behindertenrechtskonvention schon deshalb zu verneinen, weil es sich um eine Maßnahme handelt, die den Behinderten vor missbräuchlicher Einflussnahme bei der Errichtung einer letztwilligen Verfügung schützen soll (Gruber/Palma, Reform des § 568 ABGB? NZ 2015/28, 93).
[8] 5. Da der Oberste Gerichtshof die verfassungsrechtlichen Bedenken des Rechtsmittelwerbers nicht teilt, liegt auch insofern keine die Anrufung des Obersten Gerichtshofs rechtfertigende Rechtsfrage vor (RS0116943; RS0122865). Der außerordentliche Revisionsrekurs der Zweitantragstellerin war daher zurückzuweisen.
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