Spruch:
Übersteigt bei mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen kein Streitwert die Bagatellgrenze, so sind alle Ansprüche im Bagatellverfahren zu verhandeln und zu entscheiden.
Entscheidung vom 6. November 1969, 2 Ob 117/69.
I. Instanz: Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.
Text
Nach dem Klagsvorbringen ist der Kläger bei der Beklagten als Angestellter pflichtversichert. Er nahm im Jahre 1967 die ärztliche Behandlung durch zwei Fachärzte in Anspruch, die in keinem Vertragsverhältnis zur Beklagten stehen. Er bezahlte die Honorarforderungen dieser Ärzte von 351.10 S, 167.80 S, 78.80 S und 63.80 S aus Mitteln von Personalkleinkrediten, die er jeweils bei der X-Sparkasse in Graz aufnahm. Unter Hinweis auf die Bestimmung des § 131 ASVG., betreffend die Erstattung von Kosten der Krankenbehandlung für den Fall, daß der Anspruchsberechtigte nicht die Vertragspartner des Versicherungsträgers zur Erbringung der Sachleistungen der Krankenbehandlung in Anspruch nimmt, begehrte der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung der Summe von 661.50 S samt Zinsen vom Klagstag in der Form der Überweisung der einzelnen Teilbeträge auf die ziffernmäßig bezeichneten Kreditkonten bei der X-Sparkasse in Graz.
Das Erstgericht wies die von der Beklagten erhobene Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück und gab - mit Ausnahme eines Zinsenmehrbegehrens - dem Klagebegehren statt.
Der Beschluß des Erstgerichtes über die Zurückweisung der bezeichneten Einrede ist nicht angefochten worden.
Das Berufungsgericht gab der wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der Beklagten Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Sache an das Erstgericht zurück. Zugleich sprach es aus, daß das Verfahren in erster Instanz erst nach eingetretener Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses fortzusetzen sei.
Beide Parteien bekämpfen diesen Beschluß vollinhaltlich mit Rekursen.
Der Oberste Gerichtshof hob aus Anlaß der Rekurse den Beschluß des Berufungsgerichtes und das vorangegangene Berufungsverfahren als nichtig auf und wies die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der ersten Instanz zurück.
Die Kosten des gesamten Rechtsmittelverfahrens wurden gegenseitig aufgehoben.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Nach § 227 (1) ZPO. sind bei objektiver Klagenhäufung mehrere vor das Bezirksgericht gehörige Ansprüche auch dann beim Bezirksgericht geltend zu machen, wenn die Summe der Streitwerte die bezirksgerichtliche Wertgrenze übersteigt. Diese Vorschrift ist arg. mai. auch auf die Abgrenzung zwischen Bagatell- und gewöhnlichem Verfahren anzuwenden. Übersteigt daher bei mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen kein Streitwert die Bagatellgrenze, dann sind alle Ansprüche im Bagatellverfahren zu verhandeln und zu entscheiden. Die Bestimmung des § 55 (1) JN., wonach mehrere in einer Klage von einer einzelnen Partei oder von Streitgenossen geltend gemachte Ansprüche zusammengerechnet werden, ist ohne Bedeutung für die Abgrenzung zwischen Verfahren in Bagatellsachen und gewöhnlichem Verfahren (vgl. SZ. XXVI 97; Pollak, System[2], S.697; Wolff in JBl. 1946, S. 140f.).
Bei diesen Umständen konnte die Frage unerörtert bleiben, ob die einzelnen Klagsforderungen miteinander in tatsächlichem oder rechtlichem Zusammenhang stehen.
Im vorliegenden Fall setzt sich die Klagssumme aus vier Teilbeträgen zusammen, deren jeder einzelne den Betrag von 400 S nicht übersteigt. Die Rechtssache war daher richtig im Bagatellverfahren zu verhandeln. Daß die Vorinstanzen dies unterließen, ist im Hinblick auf die zwingende Natur der Bestimmungen der §§ 448 ff. ZPO. ohne Bedeutung. Die Berufung der Beklagten gegen das Ersturteil war unzulässig, weil darin das Vorliegen von im § 477 Z. 1 bis 8 ZPO. aufgezählten Nichtigkeiten nicht behauptet worden war (§ 501 ZPO.).
Nun ist nach § 502 (2) ZPO. in Bagatellsachen jeder weitere Rechtszug gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes unzulässig. Wie jedoch der Oberste Gerichtshof in seiner in SZ. X 304 (= Spruchrepertorium neu Nr. 27) veröffentlichten Entscheidung unter Berufung auf Petschek ausführte, muß die Einengung der Kognition der Rechtsmittelgerichte dort versagen, wo die Richtigkeit der Einleitung oder Durchführung des Verfahrens, dem sie anhaftet, selbst in Frage steht. Der Oberste Gerichtshof hatte in diesem Sinne im Rekursverfahren die der Rechtslage entsprechende Entscheidung zu fällen (§ 474 (2) ZPO.), ohne daß es einer Aufhebung des Beschlusses der zweiten Instanz und Rückverweisung der Sache an diese bedurfte.
Der Ausspruch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf § 51 Abs. 3 ZPO.
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