OGH 2Ob116/20b

OGH2Ob116/20b17.9.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D* L*, vertreten durch Widter Mayrhauser Wolf Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei S*, vertreten durch Rudeck-Schlager Rechtsanwalts KG in Wien, und die Nebenintervenientinnen auf Seiten der beklagten Partei 1. W* GmbH, *, vertreten durch Rudeck‑Schlager Rechtsanwalts KG in Wien, 2. H* GmbH, *, vertreten durch Biedermann & Belihart Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 15.310 EUR sA, über die Rekurse der beklagten Partei und der Zweitnebenintervenientin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 26. Jänner 2020, GZ 40 R 209/19k‑25, womit das Urteil des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 24. Juli 2019, GZ 25 C 374/18h‑17, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 25. Juli 2019, GZ 25 C 374/18h‑18, aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E129728

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Rekurse werden zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortungen selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger ist Mieter in einer Wohnhausanlage der Beklagten. Er befand sich in der Nacht vom 30. November auf den 1. Dezember 2017 gegen ein Uhr früh auf dem Heimweg. Kurz nach Betreten einer zur Wohnanlage gehörenden Gehfläche (Zugang von einem öffentlichen Gehweg zu einem Durchgang) rutschte er aus und zog sich Verletzungen im Gesichtsbereich zu. Die mit dem Winterdienst beauftragte Zweitnebenintervenientin hatte die Gehwege der Anlage zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr weder kontrolliert noch gestreut.

[2] Der Kläger begehrt Schadenersatz wegen Verletzung einer vertraglichen Verkehrssicherungspflicht. Er sei auf einer Eisplatte ausgerutscht. Die Eisbildung sei für die mit dem Winterdienst beauftragte Zweitnebenintervenientin vorhersehbar gewesen, weswegen sie die viel begangene Gehfläche vorsorglich hätte streuen müssen.

[3] Die Beklagte und die auf ihrer Seite beigetretenen Nebenintevernientinnen bestritten eine vorsorgliche Streupflicht. Zudem sei das vorbeugende Ausbringen von Auftaumitteln nach der Wiener Winterdienst‑Verordnung 2003 unzulässig.

[4] Mit der angefochtenen Entscheidung hob das Berufungsgericht das abweisende Urteil des Erstgerichts auf. Zwar sei der Bestandgeber nicht verpflichtet, Gehflächen in einer Wohnanlage auch zwischen 22:00 und 6:00 Uhr zu streuen. Sei aber aufgrund der Wetterverhältnisse eine Glatteisbildung zu erwarten, dann sei soweit wie möglich vorbeugend darauf zu reagieren. Ob ein solcher Fall vorliege, könne nicht beurteilt werden, weil das Erstgericht das zur Vorhersehbarkeit der Eisbildung beantragte meteorologische Gutachten nicht eingeholt habe. Die Winterdienst-Verordnung sei nur auf öffentlichen Verkehrsflächen anwendbar. Den Rekurs ließ das Berufungsgericht zu, weil zur Frage, ob vom Vermieter eine vorbeugende Streuung zu verlangen sei, gesicherte höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

[5] Die gegen diese Entscheidung gerichteten Rekurse der Beklagten und der Zweitnebenintervenientin sind entgegen diesem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[6] 1. Die Streupflicht des Bestandgebers wird als Nebenverpflichtung des Bestandvertrags durch die Verkehrsbedürfnisse einerseits und die Zumutbarkeit von Streumaßnahmen andererseits begrenzt (RS0023235). Der konkrete Inhalt kann nur von Fall zu Fall bestimmt werden, ebenso die Zumutbarkeit der geeigneten Vorkehrungen. Der Hauseigentümer muss alle Vorkehrungen treffen, die vernünftigerweise nach den Umständen von ihm erwartet werden können. Dies gilt sowohl für die Häufigkeit des Streuens als auch die Anwendung verschiedener Streumittel (2 Ob 43/14h). Die Beurteilung des Umfangs der Streupflicht hat aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls zu erfolgen (RS0023277 [T14]; 2 Ob 43/14h). Wegen dieser Einzelfallbezogenheit liegt eine erhebliche Rechtsfrage grundsätzlich nur dann vor, wenn das Gericht zweiter Instanz seinen insofern bestehenden Beurteilungsspielraum überschritten hätte.

[7] 2. Auf dieser Grundlage ist die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht korrekturbedürftig. Zwar hat der Senat in der Entscheidung 2 Ob 43/14h in Bezug auf eine ebenfalls vertraglich begründete Streupflicht auf § 93 StVO Bezug genommen und auf dieser Grundlage ausgeführt, dass Maßnahmen gegen Glatteis „'rund um die Uhr' regelmäßig unzumutbar“ seien. Das schließt es aber nicht aus, dass bei konkreter Vorhersehbarkeit einer außergewöhnlichen, mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Glatteis führenden Wetterlage (also nicht etwa schon bei bloßer Nebelbildung und Temperaturen unter dem Gefrierpunkt, vgl 6 Ob 531/76) eine vorsorgliche Streupflicht für viel begangene Wege in einer Wohnanlage bestehen kann (vgl 2 Ob 59/05y zur Haftung nach § 1313a ABGB). Eine solche Vorhersehbarkeit könnte sich insbesondere aus entsprechenden Wetterwarnungen ergeben. So verstanden wirft der Aufhebungsbeschluss keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[8] 3. Die von den Rekurswerbern genannte Wiener Winterdienst-Verordnung 2003 ist, worauf schon das Berufungsgericht hingewiesen hat, nach ihrem § 1 Abs 1 nur auf öffentliche Verkehrsflächen anzuwenden. Zudem ist beim derzeitigen Stand des Verfahrens nicht ausgeschlossen, dass auch andere als nach dieser Verordnung untersagte Streumittel zur Abwendung des Schadens geeignet gewesen wären. Auch insofern liegt daher keine erhebliche Rechtsfrage vor.

[9] 4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 40 ZPO. Der Kläger hat nicht auf die Unzulässigkeit der Rekurse hingewiesen. Seine Rekursbeantwortungen waren daher nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich.

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