Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin die mit S 18.491,30 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (einschließlich S 3.081,88 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 6. Oktober 1980 ereignete sich gegen 23,35 Uhr auf der Bundesstraße 312 im Gemeindegebiet von Söll ein Verkehrsunfall, an welchem der Drittbeklagte als Lenker eines LKW-Zuges, dessen Halter die Zweitbeklagte und dessen Haftpflichtversicherer die Erstbeklagte waren, sowie Christine R*** als Lenkerin des PKWs T 695.194 beteiligt waren. In diesem PKW fuhr die Klägerin mit und wurde bei dem Unfall schwer verletzt. Die grundsätzliche Haftung der drei Beklagten für alle der Klägerin dadurch entstandenen Schäden steht außer Streit.
Im zweiten Rechtsgang sind nur mehr das Schmerzengeldbegehren der Klägerin von (unter Berücksichtigung einer Teilzahlung von S 400.000,--) weiteren S 400.000,-- sA und die von ihr begehrte Verunstaltungsentschädigung von S 200.000,-- sA umstritten. Die Beklagten beantragten die Abweisung dieses Begehrens. Das Schmerzengeld sei mit der Teilzahlung von S 400.000,-- abgegolten. Der Verunstaltungsentschädigungsanspruch sei sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach unberechtigt.
Das Erstgericht gab diesem restlichen Begehren (S 400.000,-- Schmerzengeld, S 200.000,-- Verunstaltungsentschädigung) statt. Es traf folgende Feststellungen:
Die Klägerin erlitt durch den Unfall einen Schlüsselbeinbruch rechts, Serienrippenbrüche links, ein stumpfes Bauchtrauma, einen Leberkapselriß, Risse im Bereich der Milzkapsel, des großen Netzes und Gekröses sowie Risse am Darm. Als Folge dieser Unfallsverletzungen kam es zu einer Thrombose der linken Halsschlagader. Durch die dadurch ungenügende Durchblutung der linken Hirnhälfte kam es zu einer Halbseitenlähmung, Sprachstörungen, psychoorganischen Veränderungen und einer anfänglichen Halbseitenblindheit. Die Klägerin verblieb zunächst in intensivmedizinischer Pflege und wurde anschließend an die gefäßchirurgische Abteilung der Klinik überstellt. Die weitere Nachsorge und Rehabilitation erfolgte bis Feber 1981 an der neurologischen Klinik. Anschließend wurde die Klägerin im Rehabilitationszentrum Bad Häring nachbetreut und kam im Herbst 1982 für drei Monate in das Rehabilitationszentrum für Schädelverletzte in Meidling.
Die Halbseitenlähmung bedingt eine Gebrauchsunfähigkeit des rechten Arms und erhebliche Behinderungen beim Gehen. Die Klägerin hat Schwierigkeiten beim Sprechen; sie kann nur langsam und bedächtig reden und "tut sich beim Formulieren hart". Sie ist auch beim Lesen und beim Hören von Musik beeinträchtigt. Sie hat Schwierigkeiten beim Halten des Gleichgewichts. Diese neurologische Effektsymptomatik bedingt volle Invalidität.
Zusammengefaßt erlitt die Klägerin schwere Schmerzen in der Dauer von vier Wochen, mittlere Schmerzen in der Dauer von zehn Wochen und leichte Schmerzen in der Dauer von ca. vier Monaten. Auch für die Zukunft sind gelegentliche Schmerzen auf Grund des spastischen Gangbilds zu erwarten.
Die Klägerin leidet in besonderer Weise seelisch, weil sie auf Grund ihrer Intelligenz ihren Defektzustand voll erlebt. Der Schlüsselbeinbruch rechts hat zu einer Verkürzung und deutlichen Höckerbildung des rechten Schultergürtels geführt. Dies ist kosmetisch störend. Das deutlich gelähmte Gangbild - wie nach einem Schlaganfall - sowie die Lähmung der rechten Hand und des rechten Arms sind als entstellend anzusehen. Die Operationen an der linken Halsseite und im Bauchbereich haben Narben hinterlassen. Während der ersten zwei Monate nach dem Unfall hat sich die Klägerin in Lebensgefahr befunden.
Die Klägerin war vor dem Unfall eine vitale und sportliche Frau. Ihr Lebensgefährte Klaus F*** hatte die Absicht, sie zu heiraten. Darauf besteht keine Aussicht mehr.
In seiner rechtlichen Beurteilung zur Schmerzengeldbemessung berücksichtigte das Erstgericht insbesondere auch die seelische Komponente, weil die Klägerin auf Grund ihrer Intelligenz ihre tragische Situation voll erkennt und mit dem Bewußtsein leben muß, neben ihren körperlichen Gebrechen wegen ihrer Sprachstörung bei anderen Menschen einen geistig zurückgebliebenen Eindruck zu hinterlassen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es verwies darauf, daß die Klägerin eine Reihe schwerster Verletzungen erlitten haben, die zu einer Thrombose und in weiterer Folge zu einer Halbseitenlähmung, zu Sprachstörungen, zu einer zeitweiligen Halbseitenblindheit und zu psychoorganischen Veränderungen führten. Bei der Klägerin habe durch zwei Monate Lebensgefahr bestanden. Durch die Halbseitenlähmung sei der rechte Arm gebrauchsunfähig und die Motorik des Rumpfes und Beines beeinträchtigt worden. Wie schon vom Erstgericht dargelegt, spiele hier auch die seelische Komponente eine ganz erhebliche Rolle, weil die intelligente Klägerin ihren erbärmlichen Zustand voll erlebt und darüberhinaus wegen ihrer Sprachstörung bei den Mitmenschen einen geistig zurückgebliebenen Eindruck hinterläßt. Auch die Verunstaltungsentschädigung von S 200.000,-- sei durchaus angemessen. Gegen die Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß der Teilbetrag von S 450.000,-- sA abgewiesen werde. Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die Beklagten vertreten den Standpunkt, daß die Verletzungen der Klägerin und deren Verletzungsfolgen nicht so gravierend seien, daß ihr ein höheres Schmerzengeld als S 400.000,-- gebühre; auch die Verunstaltungsentschädigung sei mit S 50.000.-- zu hoch bemessen.
Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden:
Auszugehen ist davon, daß bei der Bemessung des Schmerzengelds der Gesamtkomplex der Schmerzempfindungen unter Bedachtnahme auf die Dauer und Intensität der Schmerzen nach ihrem Gesamtbild, auf die Schwere der Verletzung und auf das Maß der psychischen und physischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes zu berücksichtigen ist (2 Ob 6/76; 8 Ob 196/76; 2 Ob 115/88; 2 Ob 75/89 uza). Das Schmerzengeld ist umso höher zu bemessen, je bedeutender die körperliche Verletzung, je länger die Heilung oder Gesundheitsstörung, je intensiver die mit der Verletzung verbundenen Schmerzen und je empfindlicher die üblen Folgen für das Leben und die Gesundheit des Verletzten sind (ZVR 1985/107; 2 Ob 76/88 uza), auch auf psychische Schmerzen ist Bedacht zu nehmen (ZVR 1982/261 uza). Das niederdrückende Gefühl und Bewußtsein der Verunstaltung wirkt sich auch als körperliches Ungemach aus und ist bei der Bemessung des Schmerzengeldes zu berücksichtigen (8 Ob 95/82 ua).
Im vorliegenden Fall steht im Vordergrund, daß die Klägerin, die zuvor eine vitale Frau war, infolge der bei dem Unfall erlittenen schweren Verletzungen für ihr ganzes weiteres Leben schwer beeinträchtigt bleibt. Sie ist nunmehr voll invalid, halbseitengelähmt, kann den rechten Arm nicht bewegen, sich sprachlich nicht artikulieren, kaum gehen, hat Schwierigkeiten beim Gleichgewichthalten und wird auf Grund des spastischen Gangbilds weitere Schmerzen zu erdulden haben. Sie erkennt ihre tragische Situation voll. Bei dieser auf Lebenszeit sich auswirkenden schwersten Beeinträchtigung der gesamten Persönlichkeitsstruktur der Klägerin ist den Vorinstanzen mit der Ausmessung des Schmerzengeldes von S 800.000,-- kein Rechtsirrtum unterlaufen. Die gegenteiligen Argumente der Beklagten sind nicht stichhältig.
Die völlige Zerrüttung der körperlichen Integrität der Klägerin hat auch ein demgemäßes äußeres Gehaben zur Folge. Die auf den Unfall zurückzuführende Bildung eines Höckers, die auffallenden Lähmungserscheinungen, die verschiedentlichen Operationsnarben und die Sprachstörungen führen das durch die Unfallsfolge völlig defekte Bild der Klägerin mit all den für eine Heirat bzw. ein entsprechendes Fortkommen gravierenden Nachteilen der Außenwelt deutlich vor Augen. Demgemäß verlor die Klägerin auch die bereits konkret gewordene Aussicht, zu heiraten. In Anbetracht der gravierenden Verunstaltungen, aber auch der gänzlichen Vernichtung ihrer Heiratschancen besteht kein Anlaß, die von den Vorinstanzen übereinstimmend festgesetzte Verunstaltungsentschädigung um S 50.000,--, wie dies die Beklagten beantragen, herabzusetzen. Der Revision der Beklagten war der Erfolg zu versagen. Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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