Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Entscheidung des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß sie als Teilurteil insgesamt zu lauten hat:
"Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger binnen 14 Tagen S 79.652,75 samt 4 % Zinsen seit 1. 1. 1985 zu bezahlen.
Das auf Zahlung von weiteren S 500.000,-- samt 4 % Zinsen seit 1. 1. 1985 gerichtete Mehrbegehren wird abgewiesen. Die Entscheidung über die Prozeßkosten erster, zweiter und dritter Instanz wird der Endentscheidung vorbehalten."
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger wurde am 12. November 1982 bei einem Verkehrsunfall auf der Autobahn in der Nähe von Zirl schwer verletzt. Die Schadensausgleichspflicht der beiden Beklagten ist nicht strittig. Der Kläger begehrte von den Beklagten die Zahlung von S 2,064.891,75 s.A. Darin ist ein Begehren auf Zuspruch eines Schmerzengeldes von S 450.000,-- und einer Verunstaltungsentschädigung von S 120.000,-- enthalten. Nur diese beiden Ansprüche sind Gegenstand des Revisionsverfahrens. Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Das geltend gemachte Schmerzengeld sei überhöht, eine Verunstaltungsentschädigung stehe dem Kläger nicht zu. Das Erstgericht sprach dem Kläger mit Teilurteil den Betrag von S 392.992,75 s.A. zu und wies ein Mehrbegehren von S 120.000,-- ab.
Es traf folgende Feststellungen:
Der Kläger erlitt ein schwerstes Polytrauma mit einem zweitgradigen offenen Unterschenkelbruch rechts mit einer Trümmerzone im Frakturbereich und starker Fehlstellung mit nachfolgender arterieller Durchblutungsstörung und trophischer Weichteilschädigung, dazu einen Unterschenkelstückbruch links mit einem Tibiakopfbruch lateral links, sowie am rechten Knie einen kombinierten Bandschaden. Die Behandlung erfolgte - mit einer kurzen Unterbrechung - bis 3. Jänner 1983 in der Universitätsklinik Innsbruck, wobei am 24. November 1982 ein großer knochenchirurgischer Eingriff vorgenommen wurde Nach seiner Entlassung aus der Universitätsklinik Innsbruck war der Kläger vorerst nur im Rollstuhl fortbewegungsfähig. Nach einer physikotherapeutischen Nachbehandlung, unter anderem auch im Rehabilitationszentrum Häring, konnte der Kläger Mitte 1983 wieder mit zwei Stützkrücken gehen.
Die Brüche verheilten regelrecht, doch verblieben am rechten Bein deutliche trophische Störungen im Fuß-, Vorfuß- und Zehenbereich mit einer Bildung von Krallenzehen. Am Fußrücken und am lateralen Fußrand verblieben Sensibilitätsstörungen. Der rechte Fuß ist aufgrund der trophischen Störung und der Krallenzehen sehr druckempfindlich; es kann jederzeit auch nur auf geringen Druck hin wiederum zu einem Druckgeschwür kommen. Das durchblutungsverminderte rechte Bein ist kälteempfindlich. Das Kniegelenk ist etwas instabil, insgesamt besteht rechts eine beträchtliche funktionelle Beinschwäche.
Am linken Bein ist eine mäßige Einschränkung der Beweglichkeit in den Sprunggelenken, eine angedeutete Bandlockerung lateral am Knie und eine mäßig muskuläre Beinschwäche verblieben, im übrigen ist jedoch eine relativ günstige Gang- und Standleistung gegeben. Beide Beine zeigen ausgedehnte Vernarbungen, das rechte Bein ist um einen Zentimeter verkürzt.
Diese Funktionsstörungen und Beeinträchtigungen an den unteren Extremitäten des Klägers stellen einen Endzustand dar, der zu einer beträchtlichen Geh- und Stehbehinderung des Klägers führt. Der Kläger muß einen Stock und gute orthopädische Schuhe mit einer Aufdoppelung von einem Zentimeter rechts benützen. Eine Verschlechterung des derzeitigen Zustandes oder die Notwendigkeit weiterer Korrekturen und Eingriffe können nicht ausgeschlossen werden. Der Kläger kann künftig nur mehr leichte und zum Teil mittelschwere Arbeiten, die überwiegend sitzend verrichtet werden können, ausführen, was eine 50-%ige Invalidität mit sich bringt. Insbesonders ist es dem Kläger nicht mehr möglich, die Tätigkeit eines Bauleiters auszuüben, sodaß er derzeit den Beruf eines Schnitzers erlernt.
Bis zum 21. Februar 1986 erlitt der Kläger, komprimiert dargestellt, 3 Wochen Schmerzen schweren Grades, 12 Wochen Schmerzen mittleren Grades und 6 Monate Schmerzen leichten Grades. Auch in Zukunft wird der Kläger regelmäßig Schmerzen erleiden, und zwar ein bis zwei Stunden Schmerzen leichten Grades pro Tag. Rechtlich erachtete das Erstgericht das begehrte Schmerzengeld von S 450.000,-- als angemessen, zog hievon eine hier nicht mehr relevante Teilzahlung ab und gelangte zu dem Zuspruch des oben genannten Betrages. Die begehrte Verunstaltungsentschädigung erkannte es dem Kläger nicht zu.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht, jener der Beklagten jedoch teilweise Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es dem Kläger insgesamt S 179.652,75 s.A. zusprach und das Mehrbegehren von S 400.000,-- abwies. Das Gericht zweiter Instanz hielt ebenfalls das Schmerzengeldbegehren von S 450.000,-- als berechtigt, zog aber hievon die gesamte Teilzahlung der Beklagten von S 330.000,-- ab. Es erachtete weiters eine Verunstaltungsentschädigung von S 50.000,-- für berechtigt und gelangte unter Berücksichtigung weiterer Schadensposten zur dargestellten Entscheidung.
Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Teilurteil dahin abzuändern, daß ein Mehrbegehren des Klägers von S 150.000,-- abgewiesen werde.
Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist teilweise berechtigt.
Die Beklagten wenden sich lediglich dagegen, daß dem Kläger ein ihrer Ansicht nach zu hohes Schmerzengeld und eine ihm nicht gebührende Verunstaltungsentschädigung zugesprochen worden sei. Ihr Standpunkt erweist sich hinsichtlich des Schmerzengeldes als gerechtfertigt:
Nach ständiger Rechtsprechung ist das Schmerzengeld nach § 273 ZPO unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, der körperlichen und seelischen Schmerzen sowie der Art und Schwere der Verletzungen nach freier Überzeugung des Richters festzusetzen. Es soll umso höher bemessen werden, je bedeutender die körperliche Verletzung, je länger die Heilung oder Gesundheitsstörung, je intensiver die mit der Verletzung verbundenen Schmerzen und je empfindlicher die üblen Folgen für das Leben und die Gesundheit des Verletzten sind, wobei auch seelische Schmerzen zu berücksichtigen sind (ZVR 1985/107; 8 Ob 86/85 uza).
Der Kläger hat im wesentlichen zwei Beinbrüche erlitten. Dies ist sicherlich eine schwere Beeinträchtigung seines körperlichen Zustandes; die Brüche verheilten aber doch so, daß am linken Bein nur eine mäßige Einschränkung der Beweglichkeit in den Sprunggelenken und eine bloß mäßige muskuläre Beinschwäche verblieb. Im übrigen ist jedoch eine relativ günstige Gang- und Standleistung gegeben. Allerdings wurde demgegenüber auch festgestellt, daß - offensichtlich aufgrund der verbliebenen Empfindlichkeit des rechten Beines - die Geh- und Standbehinderung doch beträchtlich ist und der Kläger am Stock gehen muß. Unter Bedachtnahme auf vergleichbare Fälle kann aber nicht gesagt werden, daß diese Verletzung und ihre Folgen so gravierend waren, daß der von den Vorinstanzen ausgemessene hohe Schmerzengeldbetrag von S 450.000,-- als angemessen angesehen werden könnte. Der Oberste Gerichtshof hält demgegenüber vielmehr unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Falles ein Schmerzengeld von S 350.000,-- für gerechtfertigt. Der Revision kann jedoch nicht gefolgt werden, daß der Kläger in seinem besseren Fortkommen durch seinen hinkenden Gang und seine beträchtlich verminderte Gang- und Stehleistung nicht beeinträchtigt wäre. Nach ständiger Rechtsprechung (ZVR 1973/36; ZVR 1978/176; ZVR 1984/236; 8 Ob 44/87 uva) genügt für die Zuerkennung einer Verunstaltungsentschädigung nach § 1326 ABGB bereits die bloße Möglichkeit der Behinderung des besseren Fortkommens des Geschädigten durch die Verunstaltung. Wenn dies auch nicht bedeutet, daß damit jede nur im Bereich des Denkbaren gelegene Möglichkeit umfaßt würde, so reicht doch bereits eine auch nur geringe Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintrittes aus. Berücksicht man, daß der zum Zeitpunkt des Unfalles erst 35 Jahre alte Kläger als Geschäftsführer einer Wohnbaufirma beträchtliche Aufstiegschancen hatte, die durch sein unfallsbedingtes Erscheinungsbild in gravierender Weise beeinträchtigt wurden, kann dessen berechtigter Entschädigungsanspruch nach § 1326 ABGB nicht mit dem Hinweis der Beklagten bestritten werden, daß er in seinem bisherigen Beruf wenig erfolgreich war. Abgesehen davon, daß diese Behauptung unbewiesen blieb, wäre sie im übrigen nur ein Indiz dafür, daß der Kläger infolge seines nachteiligen Erscheinungsbildes nunmehr mit umso größeren beruflichen Schwierigkeiten rechnen müßte. Daß er sich derzeit in einer beruflichen Umschulungsphase befindet, vermag seinen nach den dargelegten Kriterien als berechtigt erkannten Ersatzanspruch nach § 1326 ABGB nicht zu schmälern. Es war daher wie im Spruch zu erkennen.
Der Kostenausspruch beruht auf den §§ 52 Abs 2, 392 Abs 2 ZPO.
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