OGH 2Ob104/08w

OGH2Ob104/08w26.6.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Peter W*****, vertreten durch Dr. Bruno Pedevilla, Rechtsanwalt in Lienz, gegen die beklagte Partei V*****, vertreten durch Mag. Holzer und andere Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen 13.406 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 2.000 EUR) über die außerordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 10.306,66 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 4. März 2008, GZ 5 R 205/07t-32, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Am 28. 11. 2005 kam ein PKW auf der A2 ins Schleudern, prallte gegen die Leitschiene und blockierte querstehend den linken Fahrstreifen der Richtungsfahrbahn. Der im nachfolgenden PKW mitfahrende Kläger wollte Hilfe leisten und nachfolgende Autofahrer durch Aufstellen einer Warneinrichtung warnen. Dazu ging er entlang der Randlinie neben der (Mittel-)Leitschiene dem nachfolgenden Verkehr entgegen. Der Lenker eines deutschen Sattelzugs sah den Kläger aus einer Entfernung von 120 m. Er reagierte 1,9 sec und 46,4 m danach durch eine Bremsung. Im Zuge des Bremsmanövers streifte der linke hintere Aufleger des Sattelzugs die Leitschiene. 2,16 sec nach diesem Kontakt, bei dem die Front des Sattelzugs nur mehr 24,5 m vom Kläger entfernt gewesen war, streifte der Sattelzug den Kläger. Dieser war gerade im Begriff gewesen, sich durch einen Sprung über die Leitschiene, der eine seiner Verletzungen zur Folge hatte, vor dem Sattelzug zu retten. Der Lenker des Sattelzugs war nicht auf Sicht gefahren.

Das Berufungsgericht hat ein Mitverschulden des Klägers verneint. Sein Betreten der Autobahn zwecks Hilfeleistung stelle keinen nach § 46 Abs 1 StVO verbotenen Fußgängerverkehr dar. Ähnlich dem zu 8 Ob 92/87 = ZVR 1989/136 entschiedenen Fall begründe der Warnversuch kein Mitverschulden. Dem Kläger sei bei dieser bedrohlichen Situation eine „Schrecksekunde" bis zu seiner Entscheidung für einen auch nicht ungefährlichen Sprung über die Leitschiene zuzubilligen.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision, mit der die Beklagte eine Verschuldensteilung von 1 : 2 zugunsten des Klägers anstrebt, ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass das Betreten der Autobahn, um Hilfe zu leisten, keinen Fußgängerverkehr im Sinn des § 46 Abs 1 StVO darstellt (2 Ob 85/72 = ZVR 1973/217; 8 Ob 92/87 = ZVR 1989/136; vgl 2 Ob 129/00k). 2 Ob 85/72 betraf das Schieben eines auf der Autobahn zum Stillstand gekommenen Fahrzeugs, das dem auf Ersuchen des Lenkers mithelfenden Beifahrer nicht als Verschulden im Sinn des § 46 StVO angerechnet wurde. In dem zu 8 Ob 92/87 entschiedenen Fall hatten ebenfalls am ersten Unfall ohne Personenschaden nicht Beteiligte Hilfe geleistet, indem sie Fahrzeugteile von der Fahrbahn der Autobahn entfernten. Danach gingen sie auf dem Pannenstreifen in Richtung des Nachfolgeverkehrs, um nachkommende Fahrzeuge vor der Unfallstelle zu warnen. Zu 2 Ob 129/00k war das Verhalten einer unbeteiligten Lenkerin zu beurteilen, die die Fahrbahn der Autobahn betrat, um einem Leichtverletzten, im 3. Fahrstreifen bei seinem Fahrzeug stehenden, offenbar desorientierten Lenker zu helfen.

2. 8 Ob 92/87 und 2 Ob 129/00k stimmen darin überein, dass ein Mitverschulden der jeweiligen „Helfer" als Folge einer Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten (§ 1304 ABGB) zu verneinen ist. Hat sich das Berufungsgericht bei der Beurteilung der Frage nach dem Mitverschulden des Geschädigten an der Entscheidung 8 Ob 92/87 orientiert, so begründet dies keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung.

3. Die Frage, inwieweit eine verspätete Reaktion ein Mitverschulden rechtfertigt, ist nach den Umständen des konkreten Einzelfalls zu lösen. Auch in diesem Punkt ist dem Berufungsgericht keine auffällige Fehlbeurteilung vorzuwerfen, stand dem Kläger doch nur eine Abwehrzeit von 2,16 sec zu Verfügung. Ein Mitverschulden wegen einer nur geringfügig zu spät erfolgten Entscheidung für einen nicht ungefährlichen Sprung über die Leitschiene in die Gegenrichtungsfahrbahn abzulehnen, ist vertretbar.

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