OGH 2Ds3/19t

OGH2Ds3/19t4.7.2019

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte hat am 4. Juli 2019 durch die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Jensik sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Rathgeb als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen die Richterin *****, über die Berufungen der Beschuldigten und des Disziplinaranwalts gegen das Erkenntnis des Oberlandesgerichts Graz als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte vom 10. Dezember 2018, GZ 112 Ds 3/18y‑34, nach mündlicher Berufungsverhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators Erste Generalanwältin Prof. Dr. Aicher, der Beschuldigten und ihres Verteidigers Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in Wien, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0020DS00003.19T.0704.000

 

Spruch:

 

Beiden Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Die Beschuldigte hat die mit 300 Euro bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis hat das Oberlandesgericht Graz als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte ***** eines Dienstvergehens nach § 101 Abs 1 RStDG schuldig erkannt. Demnach hat die Beschuldigte als Richterin des Landesgerichts ***** im Verfahren AZ 21 Cg 2/12f unter grober Missachtung der in § 415 ZPO vorgesehenen Frist das Urteil „erst mehr als 23 Monate nach Schluss der Verhandlung und nach Übertragung des Verhandlungsprotokolls sowie Urkundenvorlage und -erklärung ausgefertigt“ und dadurch die in § 57 Abs 1 RStDG normierte Pflicht verletzt, sich mit voller Kraft und allem Eifer dem Dienst zu widmen, die Pflichten ihres Amtes gewissenhaft zu erfüllen und die ihr übertragenen Amtsgeschäfte so rasch wie möglich zu erledigen. Gemäß § 104 Abs 1 lit a RStDG wurde über die Beschuldigte die Disziplinarstrafe des Verweises verhängt. Dem Erkenntnis liegt zugrunde, dass in der genannten Zivilrechtssache die letzte Urkundenerklärung nach Schluss der Verhandlung am 3. August 2016 einlangte und die Beschuldigte dann erst ab 8. September 2016 im Krankenstand war. Der neuerliche Dienstantritt der Beschuldigten erfolgte am 7. August 2017 und der 25. Oktober 2017 war dann der letzte Arbeitstag vor dem zweiten Krankenstand. Der nächste Dienstantritt erfolgte am 19. Juli 2018 und am 26. Juli 2018 erfolgte die Abgabe der Urteilsausfertigung an die Geschäftsstelle.

Rechtliche Beurteilung

Gegen das Erkenntnis richten sich die Berufung der Beschuldigten wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe und die Berufung des Disziplinaranwalts wegen des Ausspruchs über die Strafe.

Beide Berufungen sind nicht berechtigt.

A.  Zur Berufung der Beschuldigten:

1.  Der Verzicht des RStDG auf die in der StPO vorgesehene Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe bedeutet, dass der von den Kategorien der (die Schuldfrage betreffenden) Nichtigkeitsgründe erfasste Fehlerbereich von der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld erfasst wird (§ 139 Abs 1 erster Fall RStDG). Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld meint demnach im RStDG die Berufungspunkte des § 464 Z 1 und 2 erster Fall StPO (RIS‑Justiz RS0128656). Da für Berufungen nach der StPO (mit Ausnahme jener wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe [§ 464 Z 1 StPO]) keine Begründungsobliegenheit, vielmehr nur eine Obliegenheit gilt, den Berufungspunkt zu bezeichnen, für die Berufung gegen Disziplinarerkenntnisse aber neben dieser (§ 139 Abs 1 RStDG) auch die Obliegenheit gilt, „die Umstände, durch die“ der Berufungspunkt „begründet werden soll, bestimmt anzugeben“ (§ 139 Abs 2 RStDG), besteht Bindung an das Berufungsvorbringen (2 Ds 6/17f; jüngst 2 Ds 1/18x; RIS‑Justiz RS0128657).

2.  Die Beschuldigte kritisiert – der Sache nach im Sinn einer Rechtsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) – die Beurteilung des Verstoßes gegen § 415 ZPO als Dienstvergehen nach § 101 Abs 1 RStDG:

2.1.  Der Berufung zuwider ist es für die Frage, ob die Beschuldigte das Urteil vorwerfbar lange nicht ausgefertigt hat, ohne Bedeutung, ob sie dessen Bearbeitung „in angemessener Frist … in Angriff genommen“ und wann sie einen Teilentwurf im Umfang von 80 Seiten erstellt hat. Maßgeblich sind insoweit die eingangs wiedergegebenen Zeiträume, die die Beschuldigte nicht für eine frühere Urteilsausfertigung genutzt hat.

2.2.  Auch zu „Komplexität und Umfang“ des betreffenden Verfahrens, zu den Bemühungen eines Richteramtsanwärters und einer Sprengelrichterin zur Vorbereitung des Urteilsentwurfs sowie zu den gegen eine Neudurchführung eines Verfahrens durch eine andere Richterin sprechenden Gründen liegen entgegen den Berufungsausführungen ausreichende Feststellungen vor. Die Beschuldigte zeigt auch nicht auf, warum diese Umstände für die von ihr zu vertretenden Verzögerungen entscheidend sein sollen.

2.3.  Von der Beschuldigten wurde nach den unbedenklichen Feststellungen des Ersturteils weder verlangt, von anderen Personen erarbeitete Entwürfe „blind“ zu unterfertigen, noch setzt die Urteilsausfertigung von der Beschuldigten offenbar vermisste konkrete Fristsetzungen durch die Dienstaufsicht voraus.

2.4.  Die Ansicht der Beschuldigten, dass eine von ihr errechnete summarische Ausfertigungsdauer von 3 Monaten „nicht außerhalb des Schnitts von Urteilserledigungen“ liege, geht zunächst insoweit nicht von den Feststellungen des Erstgerichts aus, als die tatsächlich von ihr zu vertretende Ausfertigungsdauer (Abzug der Krankenstände ohne den insoweit unbeachtlichen Abzug von Urlauben und Seminarteilnahmen) tatsächlich rund 4 Monate lag. Außerdem lässt die Beschuldigte unbeachtet, dass einerseits die objektiv enorm überlange Ausfertigungsdauer einen auch subjektiv besonderen Einsatz erforderte, ihr anderseits Unterstützung durch eine Sprengelrichterin sowie einen Richteramtsanwärter zur Vorbereitung des Urteilsentwurfs geleistet wurde und die Beschuldigte zum Zweck der Urteilsausfertigung überdies zeitweilig von anderen Aufgaben freigestellt war. Das inkriminierte Verhalten der Beschuldigten widerprach demnach den Anforderungen des § 57 Abs 1 RStDG und diese Pflichtverletzung begründet nach Art und Schwere ein Dienstvergehen nach § 101 Abs 1 RStDG.

3.  Für die Strafbemessung ist die Art und Schwere der Pflichtverletzung maßgebend, wobei auch auf Erwägungen der Spezial- und Generalprävention Rücksicht zu nehmen ist (Ds 9/09; Ds 27/13; 2 Ds 6/17f). Bei der Beurteilung von disziplinären Erledigungsverzögerungen als Dienstvergehen ist grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen (Ds 10/09). Das von der Beschuldigten angestrebte Absehen von der Verhängung einer Disziplinarstrafe gemäß § 101 Abs 3 RStDG kommt daher nicht in Betracht.

4.  Die Berufung der Beschuldigten erweist sich daher insgesamt als nicht berechtigt.

B.  Zur Berufung des Disziplinaranwalts:

Die Berufung des Disziplinaranwalts wegen des Ausspruchs über die Strafe, mit der die Verhängung einer Geldstrafe (§ 104 Abs 1 lit b RStDG) begehrt wird, ist ebenfalls nicht berechtigt. Die Berufungsausführungen beschränken sich auf einen „Blick auf den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat“ und den Hinweis auf den trotz „mehrfacher Intervention der Dienstaufsicht“ langen Zeitraum der Ausfertigungsverzögerung. Der Disziplinaranwalt berücksichtigt aber nicht die doch gegebene Komplexität des Verfahrens, die mehrfachen und länger dauernden Unterbrechungen der Dienstzeit durch Krankenstände, die die Notwendigkeit neuer Einarbeitung nahelegt, und es wird auch nicht aufgezeigt, dass auch unter Berücksichtigung dieser Umstände des konkreten Falls spezial- oder generalpräventive Erwägungen eine strengere Strafe erfordern.

C.  Kostenentscheidung:

Die Kostenersatzpflicht für das Berufungsverfahren folgt aus § 137 Abs 2 iVm § 140 Abs 3 letzter Satz RStDG. Die Höhe entspricht dem Verfahrensaufwand.

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