European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0240DS00018.22I.0613.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte
Spruch:
In Stattgebung der Beschwerde wird der Beschluss des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer für Kärnten vom 13. Juli 2022 aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:
Es besteht Grund zur Disziplinarbehandlung in mündlicher Verhandlung von *, Rechtsanwalt in *, hinsichtlich des Vorwurfs, er habe am 4. März 2022 in einem an zwei allgemeine E‑Mail‑Adressen des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, somit an einen unbestimmten Personenkreis gerichteten Schreiben die Frage gestellt, ob die Verlautbarung der Covid‑19-Basismaßnahmenverordnung „als Eingeständnis für den in ihrem Ministerium endemischen Kretinismus“ zu verstehen sei.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Beschluss fasste der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Kärnten hinsichtlich der oben angeführten E‑Mails des * einen Einstellungsbeschluss.
[2] Er vertrat dabei im Wesentlichen die Ansicht, dass sich der Disziplinarbeschuldigte mit der zitierten Wortwahl nicht einer beleidigenden Schreibweise bedient habe, sondern lediglich – in Anlehnung an eine Begriffsverwendung durch Karl Kraus – satirisch Kritik geübt und von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht habe.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die gegen diesen Beschluss erhobene Beschwerde des Kammeranwalts erweist sich als berechtigt.
[4] Vorweg ist festzuhalten, dass ein Einstellungsbeschluss wie im gegenständlichen Fall vom Disziplinarrat nur gefasst werden darf, wenn nicht einmal der Verdacht eines ein Disziplinarvergehen begründenden Verhaltens des angezeigten Rechtsanwalts im Sinn des § 28 Abs 2 DSt vorliegt (vgl RIS‑Justiz RS0056969, RS0057005).
[5] Vom einem – die Verfahrenseinstellung rechtfertigenden – Fehlen eines solchen Verdachts ist im Licht des § 212 Z 2 StPO (iVm § 77 Abs 3 DSt) nur dann auszugehen, wenn das vorliegende Tatsachensubstrat Grund zur Annahme bietet, dass Dringlichkeit und Gewicht des Tatverdachts nicht ausreichen, um eine Verurteilung des Beschuldigten auch nur für möglich zu halten und von weiteren Ermittlungen eine Intensivierung des Verdachts nicht zu erwarten ist. Diese Beurteilung ist Sache der Beweisführung des Senats gemäß § 28 DSt, während dem erkennenden Senat gemäß § 30 DSt die Prüfung vorbehalten bleibt, ob sich der Verdacht zum Schuldbeweis verdichtet hat (RIS‑Justiz RS0056973).
[6] Generell wird von einem Rechtsanwalt aufgrund seiner hohen Bildung und seiner Tätigkeit im Rahmen der Rechtspflege erwartet, dass er sich stets in Wort und Schrift einer sachlichen Ausdrucksweise bedient und jede unsachliche und beleidigende Äußerung unterlässt, wobei bereits das fahrlässige Überschreiten dieser Anforderung ein Disziplinarvergehen darstellen kann.
[7] Vorliegend macht die Beschwerde ausreichend deutlich, dass objektiv betrachtet durchaus Anhaltspunkte für den Verdacht vorliegen, der Disziplinarbeschuldigte habe sich einer unsachlichen und beleidigenden Ausdrucksweise bedient (vgl RIS‑Justiz RS0055208, RS0075702), und damit ein Disziplinarvergehen begangen (§ 1 Abs 1 DSt), zumal dieser gar nicht bestreitet, die inkriminierten Äußerungen getätigt zu haben.
[8] Somit ist die Möglichkeit eines disziplinarrechtlichen Fehlverhaltens nicht auszuschließen und über allfällige Zweifel an der disziplinären Verantwortlichkeit des Beschuldigten ist in einer mündlichen Disziplinarverhandlung zu entscheiden (vgl Lehner in Engelhart et al RAO11 § 28 DSt Rz 10), weshalb sich der bekämpfte Einstellungsbeschluss als verfehlt erweist.
[9] In der mündlichen Disziplinarverhandlung wird auch zu klären sein, ob und inwieweit der Disziplinarbeschuldigte im Zuge eines konkreten Mandats gehandelt hat und er sich neben dem Recht auf freie Meinungsäußerung auch auf die Bestimmung des § 9 RAO berufen durfte.
[10] Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
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