OGH 22Ds5/22p

OGH22Ds5/22p12.12.2022

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 12. Dezember 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden, die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Richterin sowie die Rechtsanwältin Dr. Mascher und den Rechtsanwalt Dr. Schimik als Anwaltsrichter in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Seidenschwann in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwältin in *, wegen Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt über die Berufung des Kammeranwalts gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Salzburger Rechtsanwaltskammer vom 19. Jänner 2022, GZ DISZ/14‑21‑950.16‑28, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wehhofer, und des Verteidigers Rechtsanwalt Dr. Lechenauer zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0220DS00005.22P.1212.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Berufung wird das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und es wird in der Sache selbst erkannt:

*, Rechtsanwältin in *, ist schuldig, sie hat sich als Rechtsvertreterin in der am 17. Februar 2021 zu GZ W2512238093‑1 des Bundesverwaltungsgerichts durchgeführten mündlichen Verhandlung sowie in weiteren Gerichtsverfahren durch den in der Kanzleigemeinschaft mit Rechtsanwalt * beschäftigten * vertreten lassen, obwohl dieser weder Rechtsanwalt noch eingetragener Rechtsanwaltswärter war, hiedurch jeweils mehrere Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt begangen und wird hiefür gemäß § 16 Abs 1 Z 2 DSt zu einer Geldbuße von

1.500 Euro

verurteilt.

Der Beschuldigten fallen die Kosten des Disziplinarverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die Beschuldigte vom Vorwurf freigesprochen, sie habe sich in der am 17. Februar 2021 zu GZ W2512238093‑1 des Bundesverwaltungsgerichts durchgeführten mündlichen Verhandlung sowie in weiteren Gerichtsverfahren durch den in der Kanzleigemeinschaft mit Rechtsanwalt * beschäftigten * vertreten lassen, obwohl dieser weder Rechtsanwalt noch eingetragener Rechtsanwaltsanwärter gewesen sei.

[2] Nach den Feststellungen des Disziplinarrats war vor dem Bundesverwaltungsgericht zu GZ W2512238093‑1 aufgrund der Beschwerde eines Asylbewerbers gegen einen Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl ein Verfahren anhängig. Bevollmächtigte Rechtsvertreter des Beschwerdeführers waren die Beschuldigte und ihr Kanzleipartner *, wobei kanzleiintern Erstere mit dem Fall betraut war. Unabhängig von dieser Bevollmächtigung habe der Beschwerdeführer auch den in der genannten Kanzleigemeinschaft beschäftigten * zur rechtsfreundlichen Vertretung bevollmächtigt. Letzterer habe den Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung am 17. Februar 2021 im eigenen Namen vertreten. In dieser Verhandlung habe der Beschwerdeführer erklärt, dass er „heute vom anwesenden Vertreter vertreten werden möchte“, künftige Zustellungen aber wieder „an die Rechtsanwaltskanzlei *“ wünsche.

[3] Weitere konkrete Vertretungen der Beschuldigten als Parteienvertreterin durch * seien nicht feststellbar.

[4] Diese Konstatierungen gründete der Disziplinarrat auf das Protokoll über die am 17. Februar 2021 vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführte mündliche Verhandlung und die „Aussagen der angeschuldigten Kollegen“.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die dagegen vom Kammeranwalt wegen des Vorliegens des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO und wegen des Ausspruchs über die Schuld erhobene Berufung ist im Recht.

[6] Zutreffend zeigt die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld im engeren Sinn (§ 464 Z 2 erster Fall StPO) Verfahrensergebnisse auf, die zum Ersatz der festgestellten, für den Freispruch entscheidenden Tatsachen (hiezu Ratz, WK‑StPO § 464 Rz 6) führen.

Hievon ausgehend stellt der Oberste Gerichtshof folgenden Sachverhalt fest:

[7] Am 25. September 2020 legten die Beschuldigte und ihr Kanzleipartner * beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Vollmacht zur rechtsfreundlichen Vertretung eines Asylbewerbers, am 2. Dezember 2020 brachten sie für den von ihnen vertretenen Asylbewerber Beschwerde gegen einen am 29. Oktober 2020 ergangenen Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl ein. Kanzleiintern war ausschließlich die Beschuldigte mit diesem Asylfall (wie generell mit fast allen von der Kanzlei bearbeiteten Fremdenrechtsangelegenheiten) betraut.

[8] Am 17. Februar 2021 fand über diese Beschwerde vor dem Bundesverwaltungsgericht zu GZ W2512238093‑1 eine mündliche Verhandlung statt. Da bei Aufruf der Sache kein Rechtsvertreter des Beschwerdeführers erschienen war, kontaktierte die zuständige Richterin die Rechtsanwaltskanzlei * telefonisch und erhielt die Auskunft, dass sich der Rechtsvertreter um einige Minuten verspäten werde. Kurz darauf erschien * und legte eine Vollmacht vor, aus der die Richterin ersehen konnte, dass dieser weder Rechtsanwalt noch eingetragener Rechtsanwaltsanwärter ist. Hiezu befragt gab * an, dass er Staatsangehöriger von Usbekistan sei und sich deswegen nicht als Rechtsanwaltsanwärter eintragen lassen könne. Die von * vorgelegte Vollmacht enthielt neben der Bevollmächtigung der „Rechtsanwaltskanzlei *“ den Zusatz „Substitutionsermächtigung beinhaltend“ und einen Passus, wonach die „vorangeführte Rechtsanwaltskanzlei gemäß erteilter Vollmacht berechtigt war und ist, den rechtskundigen Kanzleimitarbeiter * zur Vertretung vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und Bundesverwaltungsgericht Republik Österreich insbesonders in Verhandlungsverrichtung zu ermächtigen“. In der Folge kontaktierte die Richterin (ebenfalls telefonisch) die Beschuldigte, welche angab, dass * bereits längere Zeit in ihrer Kanzlei beschäftigt sei und für ihre Kanzlei auch regelmäßig Gerichtsverhandlungen verrichte. Die Beschuldigte gab weiter an, dass sie über die Zulässigkeit der Entsendung von juristischen Mitarbeitern anstatt eines Rechtsanwalts, Substituten oder Rechtsanwaltsanwärters Erkundigungen eingeholt habe, dies jedoch nicht bei der Salzburger Rechtsanwaltskammer. Nach Ende des Telefongesprächs mit der Beschuldigten belehrte die Richterin den Beschwerdeführer, dass sich nach ihrer Rechtsansicht zwar die Beschuldigte nicht als Rechtsvertreterin ihrerseits von * vertreten lassen dürfe, es dem Beschwerdeführer aber freistehe, sich in der mündlichen Verhandlung (unmittelbar) durch * vertreten zu lassen. Hierauf erklärte der Beschwerdeführer, zwar dieser Vertretung zuzustimmen, die Vollmacht mit der Rechtsanwaltskanzlei * aber aufrecht zu erhalten und weiterhin sämtliche Zustellungen an diese Kanzlei zu wünschen.

[9] Die Beschuldigte hat sich somit bewusst und gewollt sowohl in der am 17. Februar 2021 zu GZ W2512238093‑1 des Bundesverwaltungsgerichts durchgeführten mündlichen Verhandlung als auch in weiteren Gerichtsverfahren als Rechtsvertreterin von * vertreten lassen, obwohl sie wusste, dass dieser weder Rechtsanwalt noch eingetragener Rechtsanwaltsanwärter war. Die Beschuldigte hielt es ernstlich für möglich und fand sich damit ab, durch dieses Verhalten die Pflichten ihres Berufs zu verletzen und die Ehre oder das Ansehen des Standes zu beeinträchtigen.

[10] Diese Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen, in der Berufungsverhandlung einverständlich vorgetragenen Akteninhalt.

[11] Insbesondere folgen die Konstatierungen zur Bevollmächtigung der Rechtsanwaltskanzlei *, zur Substitution an * und zur Beschwerdeführung im gegenständlichen Asylverfahren aus den Beilagen ./Ⅰ, ./Ⅱ und ./Ⅳ zu ON 1, jene zur ausschließlichen kanzleiinternen Befassung der Beschuldigten aus dem Protokoll über die Disziplinarverhandlung vor dem Disziplinarrat der Salzburger Rechtsanwaltskammer (ON 26 S 3) und jene über das Einschreiten des * in der am 17. Februar 2021 vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführten mündlichen Verhandlung sowie die Erklärungen der Beschuldigten dazu aus dem diesbezüglichen Protokoll (Beilage ./Ⅲ zu ON 1). Die Feststellungen zur subjektiven Tatseite resultieren aus dem objektiven Tatgeschehen (hiezu RIS‑Justiz RS0098671 und RS0116882). Im Hinblick darauf ist die insoweit leugnende Verantwortung der Beschuldigten als bloße Schutzbehauptung zu werten.

[12] Nach § 15 Abs 3 RAO kann sich der Rechtsanwalt, soweit (wie hier) die Beiziehung eines Rechtsanwalts gesetzlich nicht vorgeschrieben ist, vor allen Gerichten und Behörden (nicht nur durch einen anderen Rechtsanwalt oder einen bei ihm in Verwendung stehenden, substitutionsberechtigten Rechtsanwaltsanwärter, sondern) auch durch einen anderen bei ihm in Verwendung stehenden Rechtsanwaltsanwärter unter seiner Verantwortung vertreten lassen. Diese Regelung soll gewährleisten, dass im Fall der Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der Vertretung diese auch tatsächlich durch einen Rechtsanwalt oder Rechtsanwaltsanwärter erfolgt (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 15 RAO Rz 11 mwN).

[13] Da die Beschuldigte diese Berufspflicht wiederholt vorsätzlich verletzte, verwirklichte sie mehrere Disziplinarvergehen nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt.

[14] In Hinblick darauf, dass sie dieses Fehlverhalten stets gegenüber Organen der Rechtspflege setzte, erfüllte sie zudem jeweils den Tatbestand des § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 1 DSt Rz 14 mwN).

[15] Aufgrund der reformatorischen Entscheidung war auf die Rechtsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) nicht einzugehen.

[16] Bei der Strafbemessung sind im anwaltlichen Disziplinarverfahren die entsprechenden Bestimmungen des Strafgesetzbuchs (§§ 32 ff StGB) sinngemäß heranzuziehen (RIS‑Justiz RS0054839).

[17] Demzufolge waren die Begehung mehrerer strafbarer Handlungen sowie die Tatwiederholung erschwerend (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB), der bislang ordentliche Lebenswandel (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB) und der (hinsichtlich der Tatbegehung in weiteren Gerichtsverfahren gegebene) wesentliche Beitrag zur Wahrheitsfindung (§ 34 Abs 1 Z 17 zweiter Fall StGB) mildernd.

[18] Hievon ausgehend (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) war auf der Grundlage der Schuld (§ 32 Abs 1 StGB) bei einem Rahmen von bis zu 45.000 Euro (§ 16 Abs 1 Z 2 DSt) eine Geldbuße von 1.500 Euro schuldangemessen. Mit Blick auf fehlende Angaben zu den Einkommens‑ und Vermögensverhältnissen der Beschuldigten (§ 16 Abs 6 DSt) ging der Oberste Gerichtshof von einem Nettoeinkommen von 3.500 Euro pro Monat aus.

[19] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt, wobei das DSt die Kostenersatzpflicht insgesamt nicht auf einen entsprechenden Ausspruch im erstinstanzlichen Verfahren, sondern bloß auf einen – wenn auch (wie hier) erst im Rechtsmittelverfahren gefällten – Schuldspruch knüpft (vgl auch § 41 Abs 2 DSt).

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