OGH 22Ds15/22h

OGH22Ds15/22h8.3.2023

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am  8. März 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden, die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Richterin sowie den Rechtsanwalt Dr. Kretschmer und die Rechtsanwältin Dr. Klaar als Anwaltsrichter in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Mag. Lung in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwältin in *, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt über die Berufungen der Beschuldigten und des Kammeranwalts gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Tiroler Rechtsanwaltskammer vom 23. Februar 2022, GZ D 17‑46, DV‑19/29‑71, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani, des Kammeranwalts Dr. Bachlehner und der Beschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0220DS00015.22H.0308.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Berufung der Beschuldigten wird das angefochtene Erkenntnis, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch sowie demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der Tiroler Rechtsanwaltskammer zurückverwiesen.

Der Kammeranwalt wird mit seiner Berufung auf die Aufhebung des Strafausspruchs verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auch einen rechtskräftigen Freispruch enthaltenden Erkenntnis wurde * im zweiten Rechtsgang (zum ersten vgl 22 Ds 2/19t) der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt schuldig erkannt.

[2] Danach hat sie mit Honorarnote vom 6. April 2017 in einer im Erkenntnis näher beschriebenen Kaufvertragssache für die Berechnung und die Abführung der Immobilienertragsteuer ein überhöhtes Honorar von 1.922,58 Euro in Rechnung gestellt, indem sie die Abrechnung unter Anwendung der TP3 des RATG vornahm, obwohl gemäß § 8 Abs 6 AHK bloß die Verrechnung nach TP1 (211,68 Euro) oder TP2 (971,64 Euro) des RATG zulässig war.

Rechtliche Beurteilung

[3] Wie die dagegen wegen Vorliegens von Nichtigkeitsgründen (zur diesbezüglichen Anfechtungsbefugnis im Regelungsbereich des DSt siehe RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) und wegen des Ausspruchs über die Schuld erhobene Berufung der Beschuldigten im Ergebnis zutreffend aufzeigt, tragen die Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses die vorgenommene Subsumtion nicht (der Sache nach Z 9 lit a):

[4] Auch im Regelungsbereich des DSt müssen die subjektiven Tatbestandselemente ebenso erfüllt sein wie die objektiven, wobei in Bezug auf die Verrechnung (beträchtlich) überhöhter Kosten nach ständiger Judikatur und herrschender Lehre Fahrlässigkeit genügt (RIS‑Justiz RS0055114, RS0055136 und RS0055146; Engelhart/Hoffmann/ Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 1 DSt Rz 7/1).

[5] Das angefochtene Erkenntnis trifft zur subjektiven Tatseite die Feststellung, dass die Beschuldigte „die Abrechnung der Berechnung der ImmoESt vorsätzlich nach TP3 RATG vorgenommen [hat], zumal sie diese als 'sehr kompliziert' empfunden hat“ [ES 6]).

[6] Vorsätzliches disziplinarrechtliches Fehlverhalten ist dieser Feststellung nicht zu entnehmen.

[7] Ebenso wenig stellt sie eine taugliche Sachverhaltsbasis für die rechtliche Annahme fahrlässigen Verhaltens dar, weil die Festlegung, wonach die Beschuldigte die in Rede stehende Berechnung als aufwändig „empfunden“ habe, offen lässt, ob die solcherart konstatierte subjektive Einschätzung auf einen schuldhaften Sorgfaltsverstoß zurückzuführen ist (hiezu eingehend mwN Burgstaller/Schütz in WK2 StGB § 6 Rz 81 ff).

[8] Aufgrund des aufgezeigten Rechtsfehlers war das angefochtene Erkenntnis wie aus dem Spruch ersichtlich aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an den Disziplinarrat zurückzuverweisen (§ 54 Abs 2 DSt).

[9] Der Kammeranwalt war mit seiner gegen den Strafausspruch gerichteten Berufung auf die Aufhebung (auch) dieses Ausspruchs zu verweisen.

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