European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0200OS00015.15D.0223.000
Spruch:
Der Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Schuld wird nicht Folge gegeben.
Der Berufung des Kammeranwalts wird Folge gegeben, das angefochtene Erkenntnis im Strafausspruch aufgehoben und im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:
Über den Disziplinarbeschuldigten wird eine Geldbuße von 800 Euro verhängt.
Mit seiner Berufung wegen Strafe wird der Disziplinarbeschuldigte auf diese Entscheidung verwiesen.
Ihm fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwalt Dr. ***** der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes (nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt) schuldig erkannt und hiefür unter Bedachtnahme auf das Erkenntnis des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 25. November 2013, AZ D 38/14 (DV 41/13), zu einer Zusatzstrafe von 500 Euro verurteilt.
Danach hat er entgegen § 18 RL‑BA (1977) mit Schreiben vom 19. März 2014 als Vertreter von Günther, André und Fabio G***** unter Umgehung der Rechtsanwaltspartnerschaft Dr. Eckhard P***** und Dr. Gerhard W. H***** Ansprüche im Zusammenhang mit dem Tod der Nicole G***** direkt bei der O***** AG geltend gemacht, obwohl ihm durch deren Beitritt als Nebenintervenientin im Verfahren AZ 4 Cg 163/13y des Landesgerichts Steyr, in dem der Disziplinarbeschuldigte Ansprüche für Günther, André und Fabio G***** gegen den behandelnden Arzt Dr. S***** geltend machte, zumindest seit der Beitrittserklärung vom 14. Februar 2014 das Vertretungsverhältnis bekannt war.
Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 11 StPO gestützte Berufung des Kammeranwalts sowie die gegen die Aussprüche über die Schuld und über die Strafe erhobene Berufung des Disziplinarbeschuldigten.
Der Disziplinarrat ging in seinem Erkenntnis davon aus, dass die einerseits vom behandelnden Arzt Dr. S***** und andererseits die von der O***** AG („GE*****“) geforderten Schadenersatzzahlungen auf dem „gleichen historischen Sachverhalt beruhen, nämlich der behaupteten Fehlbehandlung bzw. Fehlbefundung“ von Nicole G*****.
Der Disziplinarbeschuldigte stellt in seiner Berufung darauf ab, dass die gegen den behandelnden Arzt gerichteten Schadenersatzansprüche auf einer anderen Rechtsgrundlage beruhten als die später erhobenen Ansprüche gegen die GE***** in deren Eigenschaft als Rechtsträger des L*****. Das bedeute nach Ansicht des Berufungswerbers, dass er keineswegs davon habe ausgehen müssen, die GE***** werde von der Rechtsanwaltspartnerschaft Dr. Eckhard P***** und Dr. Gerhard W. H***** nicht nur im Rahmen der Nebenintervention in den gegen Dr. S***** geführten Verfahren, sondern auch dann vertreten, wenn sie ‑ im Zusammenhang mit der Erkrankung und dem Tod von Nicole G***** ‑ unmittelbar in Anspruch genommen wird.
Rechtliche Beurteilung
§ 18 RL‑BA 1977 (nunmehr § 19 RL‑BA 2015) verbietet dem Rechtsanwalt, mit der anwaltlich vertretenen Gegenseite unmittelbar Kontakt aufzunehmen. Dabei ist es unerheblich, auf welche Weise dieser Kontakt erfolgt, so etwa telefonisch, in einer persönlichen Unterredung oder (wie hier) durch direktes Anschreiben (Engelhart in Engelhart et al RAO9 § 18 RL‑BA 1977 Rz 3; OBDK AnwBl 2003/7897). Das Umgehungsverbot dient in erster Linie dem Schutz des rechtsunkundigen Gegners vor vorschnellen Entschlüssen, ohne mit seinem Rechtsfreund Kontakt aufgenommen zu haben. Der Eintritt eines konkreten Nachteils für den Gegner durch die Umgehungshandlung ist für die Verwirklichung des Tatbestands nicht erforderlich (Engelhart in Engelhart et al RAO9 § 18 RL‑BA 1977 Rz 6). Der Grundsatz der Kollegialität ist der zweite Schutzzweck, weil das Übergehen des Gegenanwalts diesen (und damit letztlich den ganzen Stand) in der Bedeutung herabsetzt (vgl Feil/Wennig Anwaltsrecht8 § 18 RL‑BA [1977] Rz 1 mwN). Jeder Versuch der Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Gegenanwalt und seinem Klienten ist zu unterbinden (Engelhart in Engelhart et al RAO9 § 18 RL‑BA 1977 Rz 11).
Das Umgehungsverbot betrifft zwar nur konkrete Rechtssachen (Vertretungen), sodass der Rechtsanwalt bei nicht konnexen Angelegenheiten durchaus einen direkten Kontakt aufnehmen kann (OBDK AnwBl 2007/8118). Vor dem Hintergrund der dargestellten Intention der Bestimmung fehlt es an der Konnexität aber nicht bereits dann, wenn im Fall der Nebenintervention Ansprüche gegen die gegnerische Partei und den Nebenintervenienten auf ihrer Seite auf verschiedenen Anspruchsgrundlagen beruhen (können). Entscheidend ist vielmehr, ob der Rechtsanwalt erkennen kann, dass sein Gegner einen bestimmten Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen im Zusammenhang mit einem bestimmten Lebenssachverhalt betraut hat; im Zweifel ist eine Rückfrage angebracht (Engelhart in Engelhart et al RAO9 § 18 RL‑BA 1977 Rz 8).
Im Gegenstand hatte der behandelnde Arzt Dr. S***** sowohl im Verfahren AZ 2 Cg 19/11d als auch im Folgeverfahren AZ 4 Cg 163/13y (je LG Steyr) die GE***** aufgefordert, ihm Streithilfe zu leisten, weil die ihm vorgeworfene Fehlbehandlung unter anderem auf unrichtige zytologische Untersuchungen des L***** zurückzuführen gewesen wären. Das Landesgericht Steyr hatte in beiden Verfahren das ‑ bestrittene ‑ Interesse an der Streithilfe ebenfalls damit begründet. In beiden Fällen nahm die Rechte der GE***** die Rechtsanwaltspartnerschaft Dr. Eckhard P***** und Dr. Gerhard W. H***** wahr. Es lag geradezu auf der Hand, dass die genannte Rechtsanwaltspartnerschaft die Rechte der GE***** auch bei einer direkten Inanspruchnahme durch die Kläger wahrnehmen würde. Der Disziplinarbeschuldigte hätte in einer solchen Situation zumindest nachfragen müssen.
Der Berufung wegen Schuld war daher der Erfolg zu versagen.
Der Kammeranwalt bringt zutreffend vor (Z 11 1. Fall), der gemäß § 16 Abs 5 DSt (sinngemäß) anzuwendende § 31 StGB (Strafe bei nachträglicher Verurteilung) setze voraus, dass die jetzt zu bestrafende Tat in einem früheren Verfahren hätte abgeurteilt werden können, was nur dann der Fall ist, wenn eine gemeinsame Verfahrensführung in erster Instanz möglich gewesen wäre. Sämtliche der nachträglichen Verurteilung zugrunde liegenden Taten müssen sohin vor dem „Vor‑Urteil“ erster Instanz begangen worden sein (Ratz in WK2 StGB § 31 Rz 2 mwN). Gegenständlich ist aber das Erkenntnis des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer, auf welches Bedacht genommen wurde, bereits am 25. November 2013 ergangen, währenddessen der Disziplinarbeschuldigte die nunmehr abgeurteilte Tat danach, nämlich am 19. März 2014, begangen hat. Der Umstand, dass das „Vor‑Urteil“ erst mit Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs vom 11. November 2014 (20 Os 7/14a) in Rechtskraft erwuchs, ändert daran nichts.
In Stattgebung dieser Berufung war der nichtige Strafausspruch aufzuheben und die Strafe neu festzusetzen.
Bei der Strafbemessung war mildernd kein Umstand, erschwerend das Zusammentreffen zweier Disziplinarvergehen. Hält man sich (§ 32 Abs 2, Abs 3 StGB) vor Augen, dass ‑ wie der Disziplinarbeschuldigte treffend einwendet ‑ die GE***** nach den Umständen nur recht eingeschränkt schutzbedürftig erscheint (vgl 16 Bkd 3/00, AnwBl 2000/7799), war mit 800 Euro Geldbuße das Auslangen zu finden.
Mit seiner Berufung wegen Strafe war der Disziplinarbeschuldigte auf die Strafneubemessung zu verweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 54 Abs 5 DSt.
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