OGH 20Ds16/22s

OGH20Ds16/22s21.6.2023

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 21. Juni 2023 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Richter sowie die Rechtsanwälte Dr. Stortecky und Dr. Broesigke als Anwaltsrichter in Gegenwart des Rechtspraktikanten Mag. Wunsch als Schriftführer in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, und *, Rechtsanwalt in *, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt über die Berufung des Kammeranwalts der * Rechtsanwaltskammer gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats dieser Rechtsanwaltskammer vom 20. Juni 2022, AZ *, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wehofer, des Kammeranwalts Mag. Haumer und des Beschuldigten * zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0200DS00016.22S.0621.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Berufung wird das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der * Rechtsanwaltskammer verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurden *, Rechtsanwalt in *, und *, Rechtsanwalt in *, von dem gegen sie erhobenen Vorwurf, sie hätten im öffentlichen Außenauftritt der *GMBH * (*) durch die irreführende Anführung des * als „Rechtsanwalt“ auf deren Briefpapier, zumindest am 29. Jänner 2021 sowie als „emeritierter Rechtsanwalt-Partner“ auf deren Homepage, https://www.*/anwaltskanzlei, zumindest im März und April 2021 den falschen Eindruck erweckt, dass * bis zu seiner Emeritierung am 1. Februar 2021 Rechtsanwalt der *GMBH * war, obwohl dieser bis zu seiner Emeritierung nie deren Gesellschafter war, freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

[2] Dagegen richtet sich die Berufung des Kammeranwalts wegen Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen [hier § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a] in deren Rahmen vgl RIS-Justiz RS0128656 [T1]). Ihr kommt aus nachfolgenden Erwägungen Berechtigung zu:

[3] § 21c Z 1 RAO regelt taxativ, wer Gesellschafter einer Gesellschaft zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft sein darf. Gesellschaften mit beschränkter Haftung dürfen demnach nur (einziger) Komplementär einer Rechtsanwalts-Partnerschaft in Form einer Kommanditgesellschaft sein (§ 21c Z 1 lit g RAO – Rohregger in Engelhart/Hoffmann/ Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 21c Rz 1).

[4] Insbesondere ist es juristischen Personen – abgesehen vom hier nach den Konstatierungen gerade nicht vorliegenden Fall einer bloßen Innengesellschaft – aufgrund der Sonderbestimmung des § 21c Z 1 RAO nicht erlaubt, sich an einer Rechtsanwaltsgesellschaft bürgerlichen Rechts zu beteiligen (Rohregger in Engelhart/Hoffmann/Lehner/ Rohregger/Vitek, RAO11 § 1a Rz 9 ff).

[5] Zutreffend erblickt daher die Rechtsrüge (Z 9 lit a) im konstatierten Sachverhalt, wonach zwischen der *GMBH * und * zunächst für einen Monat eine befristete Gesellschaft bürgerlichen Rechts bestanden hat, die über die bloße gemeinsame Verwendung von Kanzleiinfrastruktur hinausging (vgl ES 4), einen objektiven Verstoß gegen § 21c Z 1 RAO und fordert – unter Verweis auf bezughabende Beweisergebnisse (Aussagen der beiden Beschuldigten [TZ 24 S 3–5]) – Feststellungen zur diesbezüglichen (für einen Schuldspruch unabdingbaren) subjektiven Tatseite (zur erfolgreichen Urteilsanfechtung vgl RIS-Justiz RS0130018, RS0127315).

[6] Dieser Vorwurf ist im Vergleich zum vom freisprechenden Erkenntnis umfassten (historischen) Lebenssachverhalt ein als Vorfrage zu klärendes Sachverhaltselement (zur Tatidentität vgl Lewisch, WK‑StPO § 262 Rz 29 mwN; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 512).

[7] Der aufgezeigte Feststellungsmangel erfordert – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses.

[8] Bleibt im Übrigen anzumerken, dass eine Rechtsanwaltskanzlei keine vermeintliche Kanzleigröße vermitteln darf, die tatsächlich nicht vorliegt. Das von einer Rechtsanwaltskanzlei verwendete Briefpapier ist ebenso als Werbemittel anzusehen (vgl Engelhart in Engelhart/ Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 47 RL-BA 2015, Rz 3), wie eine darauf bezogene Homepage.

[9] Gemäß § 28 Abs 3 RL-BA 2015 in Verbindung mit § 47 RL-BA 2015 ergibt sich entsprechend dem Gebot der Sachlichkeit und Wahrhaftigkeit nach § 10 Abs 5 RAO, dass die Anführung von Personen sowie deren Funktion in unmissverständlicher Weise klargestellt werden muss (§ 28 RL-BA 2015; vgl Engelhart in Engelhart/Hoffmann/Lehner/ Rohregger/Vitek, RAO11 § 28 RL-BA 2015 Rz 13).

[10] Daraus ergibt sich, dass Anwälte, die nicht Gesellschafter sind, deutlich von Gesellschaftern abzugrenzen sind (OGH 20 Os 9/14w).

[11] Nach § 1b Abs 1 RAO darf unter anderem bei Fortführung einer als Einzelunternehmen geführten Kanzlei durch die Käufer der Name des Einzelunternehmers verwendet werden. Diese Bestimmung betrifft ausschließlich den Firmennamen der fortführenden Gesellschaft (vgl Rohregger in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 1b Rz 2 ff).

Oberster Gerichtshofals Disziplinargericht für Rechtsanwälteund RechtsanwaltsanwärterWien, am 21. Juni 2023Mag. M a r e kFür die Richtigkeit der Ausfertigungdie Leiterin der Geschäftsabteilung:

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