OGH 1Ob76/20p

OGH1Ob76/20p25.5.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö* AG, *, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17–19, gegen die beklagte Partei S* S*, vertreten durch die Stolz Rechtsanwalts-GmbH, Radstadt, wegen Unterlassung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 29. Jänner 2020, GZ 22 R 293/19w‑14, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau vom 31. Juli 2019, GZ 2 C 131/19d‑10, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E128561

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 418,26 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Republik Österreich und der Beklagte – damals noch in Vertretung seiner Rechtsvorgängerin, der damaligen Eigentümerin des herrschenden Guts – schlossen am 29. 5. 1985 eine Vereinbarung, die es dem Beklagten gestattet, einen näher bezeichneten Forstweg über die Grundstücke Nr 632 und 653 in der Zeit nach Schneeabgang bis zum Rupertitag eines jeden Jahres unter bestimmten Bedingungen mit Kraftfahrzeugen mitzubenützen. Der Klägerin kommt gemäß § 7 Bundesforstegesetz 1996 das Fruchtgenusssrecht an diesen Grundstücken zu.

Gestützt auf diese Vereinbarung begehrte die Klägerin, den Beklagten schuldig zu erkennen, das Befahren des Weges in dem darin näher umschriebenen Bereich mit einem Kraftfahrzeug im Zeitraum zwischen 24. 9. (Rupertitag) bis zum Schneeabgang eines jeden Jahres sowie bei Schneefahrbahn zu unterlassen.

Das Berufungsgericht bestätigte das dem Klagebegehren stattgebende Urteil des Erstgerichts. Weder die vom Beklagten ins Treffen geführte erste Vereinbarung vom 29. 4. 1959, die in dieser Form nicht verbüchert worden sei, noch die (darauf aufbauende) nachfolgende Dienstbarkeitsvereinbarung aus November 1980 würden ein Fahrrecht über die gegenständlichen Grundstücke der Klägerin betreffen. Ein solches sei in der Vereinbarung vom 29. 5. 1985 geregelt und erlaube das Befahren nur in der Zeit vom Schneeabgang bis zum Rupertitag bei trockener Fahrbahn. In Anbetracht dieser vertraglichen Regelung scheide die Ersitzung eines (zeitlich) unbeschränkten Fahrrechts aus. Das schlüssige Zustandekommen eines Dienstbarkeitsvertrags mit einem solchen Inhalt komme deshalb nicht in Betracht, weil die Wegnutzung während der vertraglich untersagten Zeit durch den Beklagten für den Jagdpächter in jagdlichen Belangen erfolgt seien, und daraus eine Zustimmung der Klägerin im Sinn einer Rechtsbegründung für den Beklagten als Eigentümer der herrschenden Liegenschaft nicht abgeleitet werden könne.

Die Revision erklärte das Berufungsgericht über Antrag nach § 508 ZPO für zulässig, um dem Beklagten die Möglichkeit einzuräumen, vom „Höchstgericht klären zu lassen, inwieweit eine Partei, zu deren Gunsten ein auf bestimmte Monate beschränktes Fahrtrecht besteht, redlich sein [...] kann, wenn sie das Recht darüber hinaus auch in Monaten ausübt, die nicht von der Vereinbarung umfasst sind“.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig, was gemäß § 510 Abs 3 ZPO kurz zu begründen ist:

1.1 Nach ständiger Rechtsprechung kann ein Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens, der in der Berufung zwar geltend gemacht, vom Berufungsgericht aber verneint wurde, nicht mehr in der Revision erfolgreich gerügt werden (RIS‑Justiz RS0042963). Dieser Grundsatz kann auch nicht durch die Behauptung, das Berufungsverfahren sei – weil das Berufungsgericht der Mängelrüge nicht gefolgt sei – mangelhaft geblieben, umgangen werden (RS0042963 [T58]). Soweit der Beklagte neuerlich rügt, das Erstgericht habe Zeugenbeweise zu Unrecht nicht aufgenommen, ist darauf nicht näher einzugehen.

1.2 Eine Entscheidung des Berufungsgerichts über eine Beweisrüge ist mangelfrei, wenn es sich mit dieser befasst, die Beweiswürdigung des Erstgerichts überprüft und nachvollziehbare Überlegungen anstellt und in seiner Entscheidung festhält (RS0043150). Dabei ist das Berufungsgericht entgegen der Ansicht des Revisionswerbers keineswegs verpflichtet, sich mit jedem einzelnen Beweisergebnis und jedem Argument des Rechtsmittelwerbers auseinanderzusetzen (RS0043162).

2.1 Für die Ersitzung ist die Ausübung des Besitzes während der gesamten Ersitzungszeit wesentlich (RS0011702). Voraussetzung dabei ist (unter anderem), dass der Besitz redlich ist (§ 1463 ABGB). Redlich ist der Besitzer gemäß § 326 ABGB, wenn er aus wahrscheinlichen Gründen die Sache, die er besitzt, für die seinige hält. Der gute Glaube geht verloren, wenn der Besitzer positiv Kenntnis erlangt, dass sein Besitz nicht rechtmäßig ist, oder wenn er zumindest solche Umstände erfährt, die zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Besitzausübung Anlass geben (RS0010184; RS0010137 [T1]).

2.2 Auch im Revisionsverfahren behauptet der Beklagte, er bzw seine Rechtsvorgänger hätten den Forstweg seit 1959 unbeschränkt, also auch in der Zeit vom 24. 9. bis zum Schneeabgang eines jeden Jahres befahren. Selbst ausgehend davon scheidet eine Ersitzung bis zum Abschluss der Vereinbarung vom 29. 5. 1985 mangels Zeitablaufs aus. Für die Zeit danach steht aber die vertragliche Regelung, nach der das Befahren des Forstweges mit Kraftfahrzeugen temporär ausdrücklich ausgeschlossen wurde, der Berufung des Beklagten auf seinen guten Glauben entgegen. Da der Besitz während der gesamten Ersitzungszeit redlich sein muss (§ 1477 ABGB), bedurfte es auch keiner näheren Feststellungen „zum Ersitzungszeitraum 1985 bis 2019“.

3. Ein Dienstbarkeitsvertrag kann auch durch schlüssiges Verhalten iSd § 863 ABGB zustande kommen. Auf einen konkludent zustande gekommenen Dienstbarkeitsvertrag zielt der Beklagte ab, wenn er die Frage für rechtserheblich erachtet, welcher „Zeitraum vergehen muss, bis ein 'Nichtstun' als konkludentes Verhalten angesehen werden muss“. Ein schlüssiger Dienstbarkeitsvertrag kommt aber nicht schon durch die bloße Duldung eines bestimmten Gebrauchs des dienenden Gutes, sondern erst dann zustande, wenn zusätzliche Sachverhaltselemente den Schluss erlauben, der aus einem bestimmten Verhalten abzuleitende rechtsgeschäftliche Wille der (jeweils) Belasteten habe sich auf die Einräumung einer Dienstbarkeit als dingliches Recht bezogen (RS0111562). Daran sind, weil dies einem Teilrechtsverzicht gleichkommt, strenge Anforderungen zu stellen. Woraus solch ein rechtsgeschäftlicher Wille der Klägerin abzuleiten sein soll, versucht der Revisionswerber gar nicht darzulegen, und kann damit auch keine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts aufzeigen, zumal er sich mit dessen Begründung, wonach die vom Beklagten für das Zustandekommen einer – die schriftliche Regelung aus dem Jahr 1985 abändernden – schlüssigen Vereinbarung herangezogene Nutzung des Forstweges zur fraglichen Zeit im Auftrag des Jagdpächters und damit zu erlaubten Zwecken erfolgte, und für die Mitarbeiter der Klägerin eine zusätzliche Nutzung im eigenen Interesse nicht erkennbar war, gar nicht auseinandersetzt. In der von ihr zitierten Entscheidung zu 7 Ob 267/08b, war die trotz Kenntnis des nunmehrigen Revisionswerbers unbeanstandet gebliebene Gestattung der Mitbenützung der Forststraße durch Dritte durch die hier klagende Partei über mehr als zwanzig Jahre hindurch zu beurteilen. Inwiefern daraus eine Fehlbeurteilung des gegenständlichen Sachverhalts abgeleitet werden soll, ist nicht nachvollziehbar, zumal dort von abweichenden vertraglichen Regelungen keine Rede war.

4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung darauf hingewiesen, dass das Rechtsmittel des Beklagten nicht zulässig ist, sodass ihre darauf entfallenden Kosten als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig zu ersetzen sind.

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