Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Entscheidung der Vorinstanzen wird im Verschuldensausspruch dahin abgeändert, daß sie zu lauten hat:
"Das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trifft beide Ehegatten zu gleichen Teilen".
Die Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger und Widerbeklagte (im folgenden: Kläger) begehrt die Scheidung der Ehe wegen schwerer Eheverfehlungen der Beklagten und Widerklägerin (im folgenden: Beklagte). Die Beklagte sei derart streitsüchtig, daß ein Zusammenleben mit ihr nicht mehr möglich sei; sie sei grundlos eifersüchtig, werfe ihm zu Unrecht übermäßigen Alkoholgenuß vor und versuche, ihn vor Mitarbeitern und Vorgesetzten schlecht zu machen. Die Ehe sei unheilbar zerrüttet. Die Beklagte beantragte zunächst nur Abweisung des Klagebegehrens und erklärte, keinen Mitverschuldensantrag zu stellen (S.10,131,226 d.A.). In der (letzten) Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 28.2.1984 erhob sie Widerklage und brachte zugleich vor, daß sie ihr gesamtes bisheriges Prozeßvorbringen, soweit Eheverfehlungen des Klägers behauptet wurden, zum Gegenstand der Widerklage machte (S.232 d.A.). Sie machte im wesentlichen geltend, daß der Kläger übermäßig dem Alkohol zugesprochen habe, daß er ihr seit März 1983 keinen Unterhalt leiste, auch der Unterhalt der mj.Kinder müsse exekutiv hereingebracht werden. Der Kläger versuche, ihr die mj. Kinder Patricia und Melanie abspenstig zu machen und sie negativ zu beeinflussen. Er habe sie am 6.1.1982 grundlos verlassen und gegen sie grundlos Anzeige wegen Übertretung gemäß § 166 StGB erstattet.
Das Erstgericht schied die Ehe gemäß § 49 EheG und sprach aus, daß die Beklagte das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe. Es traf, soweit es für das Revisionsverfahren von Bedeutung ist, folgende Feststellungen:
Zwischen den Ehegatten seien bald nach Abschluß der Ehe Spannungen aufgetreten, die darauf zurückzuführen gewesen seien, daß sich die Mutter des Klägers in die Ehe gemengt habe und der Kläger nicht gewillt gewesen sei, dies abzustellen. Daraus habe sich eine Abneigung der Beklagten gegen die Mutter des Klägers ergeben, die Beklagte habe bald alle Eheprobleme durch sie verursacht gesehen. Die Beklagte habe alles darangesetzt, ihrer Schwiegermutter Schwierigkeiten zu machen. Der Kläger habe Bosheitsakte, die von der Beklagten angeregt wurden, gegen seine Mutter gesetzt, weil er meinte, daß der häusliche Frieden wiederhergestellt werden könne, wenn er den Forderungen seiner Frau in dieser Hinsicht entspreche. So habe er etwa daran mitgewirkt, daß die Türe zur Wohnung seiner Mutter mit Farbe beschmiert wurde, er habe ihr aus dem Urlaub Karten obszönen Inhalts geschrieben. Andererseits sei die Mutter stets sein "Refugium" gewesen, zu ihr habe er sich zurückgezogen, wenn häusliche Schwierigkeiten aufgetreten seien. Im Jahre 1975 habe die Beklagte gegen ihre Schwiegermutter eine Anzeige wegen Diebstahls erstattet. Anläßlich des Begräbnisses der Großmutter des Klägers habe sich die Beklagte, die zunächst vom Kläger verlangt habe, er möge dem Begräbnis fernbleiben, geweigert, das Auto am Friedhof zu verlassen; als der Kläger vom Begräbnis zurückgekommen sei, habe noch im Fahrzeug eine tätliche Auseinandersetzung begonnen. In den folgenden Jahren sei es immer wieder zu Streitigkeiten zwischen den Ehegatten gekommen; der Kläger habe seine Mitschuld an diesen Auseinandersetzungen eingeräumt. Mit Strafverfügung des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 4.5.1977, 7 U 687/77-3, sei der Kläger wegen Vergehens der Körperverletzung gemäß § 83 Abs.1 StGB rechtskräftig verurteilt worden, weil er am 8.3.1977 auf seine Gattin mit Fäusten eingeschlagen habe, so daß sie Blutergüsse am rechten Oberarm, am rechten Unterarm sowie eine Zerrung des linken
5. Fingers erlitten habe. Die Beklagte habe dem Kläger vorgeworfen, daß er mit einer Urlaubsbekanntschaft und mit seiner Sekretärin die Ehe gebrochen habe, was aber nicht erweislich sei. Weiters habe sie ihm ebenfalls ehewidrige Beziehungen mit den Lehrerinnen des Sohnes Reinhard, Renate B und Dagmar C, vorgeworfen;
beide Vorwürfe seien unbegründet. Die Beklagte habe in dieser Richtung auch Nachforschungen im Wohnhaus der Lehrerinnen vorgenommen. Wenn der Kläger wegen auswärtiger Dienstverrichtungen und der Leistung von Überstunden später nach Hause gekommen sei, habe die Beklagte ihm Vorwürfe gemacht; sie habe sich darüber auch bei den Dienstvorgesetzten des Klägers beschwert, so daß er schließlich zu auswärtigen Dienstverrichtungen nicht mehr eingeteilt worden sei; ab April 1982 sei ihm deshalb der Bezug des Überstundenpauschales eingestellt worden. Im Jahre 1979 habe die Beklagte dem Kläger einen Stich in den Nacken versetzt; im Jahre 1981 habe sie, als er nach einer Inspektion der Badner Bahn später nach Hause gekommen sei, mit einem Staubsaugerrohr auf ihn eingeschlagen. Die Beklagte habe dem Kläger auch wiederholt übermäßigen Alkoholkonsum vorgeworfen. Tatsächlich habe der Kläger während der Arbeitszeit Bier und nach dem Dienst harte Getränke wie Cognac und dgl. zu sich genommen; im Jahre 1980 sei bei ihm auch eine Leberschädigung festgestellt und ein striktes Alkoholverbot ausgesprochen worden. Ein exzessiver Alkoholgenuß könne aber nicht festgestellt werden; insbesondere sei der Kläger im Dienst nicht alkoholisiert gewesen. Am 6.1.1982 habe der Kläger die eheliche Gemeinschaft im Anschluß an einen Streit verlassen und sei zu seiner Mutter gezogen. Die Beklagte habe damals von ihm verlangt, er solle seiner Mutter etwas "zu Fleiß tun", andernfalls brauche er nicht mehr in die Wohnung zurückkehren. Die Unterhaltsleistungen für die Töchter Melanie und Patricia in Höhe von je S 2.250 würden exekutiv im Wege des Gehaltsabzugs hereingebracht. Auf Grund eines Beschlusses des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 27.10.1983 sei der Kläger verpflichtet, für die beiden Kinder rückwirkend ab 2.2.1982 einen monatlichen Unterhaltsbetrag von S 3.500 zu bezahlen. Die Beklagte habe beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien gegen den Kläger die Klage auf Bezahlung eines Unterhaltsbetrages von S 4.900 monatlich erhoben. Mit Urteil des genannten Gerichtes vom 18.1.1984 sei der Kläger zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 4.600 verurteilt worden, doch sei diese Entscheidung noch nicht in Rechtskraft erwachsen. Der Kläger habe im Unterhaltsprozeß geltend gemacht, die Beklagte habe den Unterhaltsanspruch verwirkt, es sei ihr weiters eine Berufstätigkeit zumutbar. Im April 1983 habe der Kläger Anzeige erstattet, daß zwei Sparbücher seiner Kinder gestohlen worden seien, obwohl er annehmen habe können, daß sich die Sparbücher in der Ehewohnung befinden, wie sich dies dann auch in der Folge herausgestellt habe. Nicht erweislich sei, daß der Kläger die Kinder gegen die Beklagte aufgehetzt habe.
Zusammenfassend gelangte das Erstgericht zum Ergebnis, daß die der Beklagten anzulastenden Eheverfehlungen bedeutend gewichtiger seien als jene, die dem Kläger zur Last zu legen seien. Dem Kläger falle nur die Verletzung der Unterhaltspflicht in Ansehung seiner Kinder und seiner Ehegattin zur Last, sein fallweiser übermäßiger Alkoholkonsum, die mangelnde Loslösung von der Mutter und seine Beteiligung am Zustandekommen von Streitigkeiten.
Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge. Die Berufung der Beklagten wies es zunächst als verspätet zurück (ON 69 d.A.). Nach Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses durch den Obersten Gerichtshof (ON 73 d.A.) gab es mit der angefochtenen Entscheidung auch der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es billigte die Rechtsansicht des Erstrichters.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobene Revision der Beklagten ist teilweise gerechtfertigt.
Vorerst ist darauf Bedacht zu nehmen, daß die Beklagte Eheverfehlungen des Klägers erst am 28.2.1984 zum Gegenstand der Widerklage gemacht hat. In dem seit 27.1.1982 anhängigen Ehescheidungsverfahren hatte sie zunächst erklärt, wegen Verfehlungen des Klägers keinen Mitverschuldensantrag zu stellen. Gemäß § 57 Abs.1 EheG erlischt das Recht auf Scheidung, wenn der Ehegatte nicht binnen sechs Monaten die Klage erhebt. Die Frist beginnt mit Kenntnis des Scheidungsgrundes. Sie läuft nicht, solange die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten aufgehoben ist. Eine Aufforderung gemäß § 57 Abs.1 letzter Satz EheG ist nicht festgestellt. Da die dem Kläger als Eheverfehlung anzulastende Verletzung der Unterhaltspflicht in Ansehung seiner Kinder nach Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft gesetzt wurde, lag im Zeitpunkt der Erhebung der Widerklage jedenfalls eine nicht verfristete Eheverfehlung des Klägers vor, so daß die Ausschlußfrist des § 57 Abs.1 EheG auch in Ansehung dieser Eheverfehlung gehemmt war. Demgemäß können aber gemäß § 59 Abs.2 EheG auch nach Ablauf der Frist des § 57 EheG zur Unterstützung der Scheidungsklage andere an sich bereits verfristete Eheverfehlungen geltend gemacht werden. Der Ausspruch überwiegenden Verschuldens (§ 60 Abs.2 EheG) ist nach ständiger Rechtsprechung und Lehre nur gerechtfertigt, wenn ein sehr unterschiedlicher Grad des Verschuldens vorliegt. Der Unterschied des beiderseitigen Verschuldens muß augenscheinlich sein, das Verschulden des anderen Teils also fast völlig in den Hintergrund treten (EFSlg.43.692, 43.691, 41.284, 41.282, 41.281; Pichler in Rummel, ABGB, Rdz 2 zu § 60 EheG; Schwind in Klang, Kommentar 2 I/1, 837). Es ist den Vorinstanzen darin beizupflichten, daß das Verschulden der Beklagten schwerer wiegt als das des Klägers, dem Kläger sind aber doch Eheverfehlungen anzulasten, von denen nicht gesagt werden kann, daß sie fast völlig in den Hintergrund treten. Auslösendes Moment für die Zerrüttung war die mangelnde Loslösung des Klägers von seiner Mutter, die sich in die Ehe der Streitteile einschaltete, was wiederum zu gewissen weit übertriebenen Reaktionshandlungen der Beklagten führte. Die erhebliche Verletzung der Beklagten, die Gegenstand des Strafverfahrens 7 U 687/77 des Bezirksgerichtes Floridsdorf war, ist ebenso wie der Alkoholkonsum des Klägers, der jedenfalls über das zu tolerierende Ausmaß hinausging, als schwere Eheverfehlungen zu berücksichtigen. Letztlich fällt dem Kläger auch eine Verletzung der Unterhaltspflicht zur Last, da der Unterhalt für seine mj.ehelichen Kinder, für den in der Zwischenzeit die Beklagte aufkommen mußte, exekutiv hereingebracht werden muß. Unter diesen Umständen erübrigt sich die Prüfung, ob dem Kläger nicht auch eine Verletzung der Unterhaltspflicht gegenüber der Beklagten anzulasten ist. Demnach ist aber, obwohl die Verfehlungen der Beklagten gewichtiger sind als jene des Klägers, der Ausspruch überwiegenden Verschuldens der Beklagten nicht gerechtfertigt.
Demzufolge ist spruchgemäß zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 45 a ZPO.
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