Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Text
Begründung
Nachdem die am 16. 1. 2000 geborene Erstantragsgegnerin zu 4 C 99/02h und 4 C 100/02h des Erstgerichts je eine Klage gegen den Antragsteller und gegen einen weiteren Mann auf Feststellung der Vaterschaft eingebracht hatte, anerkannte der Antragsteller in der Tagsatzung vom 13. 2. 2003 seine Vaterschaft. Obwohl er Zweifel daran hatte, ob er tatsächlich der Vater sei, und diese Frage eigentlich durch Einholung eines Abstammungsgutachtens geklärt wissen wollte, gab er das Anerkenntnis ab, weil er mit der Mutter der Erstantragsgegnerin wieder eine Lebensgemeinschaft unterhielt und diese ihm versichert hatte, dass er der Vater der Minderjährigen sei. Zweifel an seiner Vaterschaft blieben beim Antragsteller bestehen und verstärkten sich mit Beendigung der Lebensgemeinschaft Ende des Jahres 2004. Aufgrund eines im Sommer 2010 mit der mütterlichen Großmutter der Minderjährigen geführten Gesprächs sah sich der Antragsteller veranlasst, privat ein Abstammungsgutachten einzuholen, das ihn als Vater ausschloss.
Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters vom 5. 4. 2011, sein Anerkenntnis für rechtsunwirksam zu erklären, ab. Der Antrag sei verfristet, weil der Antragsteller von Umständen, die gegen seine Vaterschaft sprechen würden, schon weit früher als zwei Jahre vor der Antragstellung Kenntnis gehabt habe.
Das Rekursgericht gab dem vom Antragsteller erhobenen Rekurs nicht Folge. Der Antragsteller habe seine Vaterschaft von Anfang an bezweifelt. Sein Kenntnisstand über die maßgeblichen Umstände habe sich bis zum Vorliegen des Ergebnisses der erbbiologisch‑anthropologischen Untersuchung (richtig: DNA‑Analyse) nicht geändert. Das Rekursgericht schließe sich jener Rechtsauffassung an, die den Beginn des Fristenlaufs bereits mit der objektiven Möglichkeit zur Einholung eines Gutachtens annehme. Der Antragsteller könne sich nicht darauf berufen, dass die materiell‑rechtliche Ausschlussfrist des § 164 Abs 2 ABGB erst mit Vorliegen des Vaterschaftstests im Dezember 2010 zu laufen begonnen habe, weil es ihm jedenfalls bereits im Jahr 2003, als er trotz bestehender Zweifel an seiner Vaterschaft das Anerkenntnis abgegeben habe, objektiv möglich gewesen wäre, seine Nichtvaterschaft durch Einholung eines Gutachtens feststellen zu lassen.
Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs eine Diskrepanz zur Frage vorliege, ob bereits die Kenntnis vom Mehrverkehr der Mutter und deshalb bestehender Zweifel an der Abstammung fristauslösend sei bzw den „Gilt‑Vater“ dazu zwinge, eine objektive Abklärung herbeizuführen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs des Antragstellers ist zulässig, weil dem Rekursgericht eine auch im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen ist; er ist im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
1. Nach § 164 Abs 1 Z 3 lit b ABGB in der Fassung des FamErbRÄG, BGBl I 58/2004, ist ein Vaterschaftsanerkenntnis auf Antrag des Anerkennenden für rechtsunwirksam zu erklären, wenn er beweist, dass das Kind nicht von ihm abstammt und er erst nachträglich von solchen Umständen Kenntnis erlangt hat, die für die Nichtabstammung des Kindes sprechen. Der Antrag kann frühestens ab Geburt des Kindes und längstens bis zum Ablauf von zwei Jahren nach Entdeckung der genannten Umstände erhoben werden (§ 164 Abs 2 ABGB).
2. Die Ausschlussfrist des § 164 Abs 2 ABGB beginnt nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre erst zu laufen, wenn die entdeckten Umstände von so großer Beweiskraft sind, dass der Anerkennende die Abstammung von ihm als höchst unwahrscheinlich ansehen muss und seiner Beweispflicht im Verfahren auf Unwirksamkeitserklärung nachkommen kann; einzelne Verdachtsmomente reichen nicht aus (3 Ob 72/01m mwN; 3 Ob 313/05h; 2 Ob 182/08s = iFamZ 2009/20; 7 Ob 85/08p; 5 Ob 196/08x = iFamZ 2009/19; 8 Ob 65/10g mwN = EF‑Z 2011/5; 5 Ob 174/11s [zur Ehelichkeitsbestreitungs-klage]; RIS‑Justiz RS0048265; ähnlich Hopf in KBB3 § 164 Rz 6; Stefula in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang 3 § 164 Rz 27; Bernat in Schwimann/Kodek, ABGB4 I § 164 Rz 21; Deixler‑Hübner in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON 1.00 § 164 Rz 9). Dabei ist auf den Maßstab eines objektiv‑verständig denkenden Mannes abzustellen (7 Ob 85/08p; 8 Ob 65/10g). Die bloße Kenntnis vom Mehrverkehr der Mutter kann mangels ausreichender Beweiskraft die Antragsfrist nicht in Gang setzen (5 Ob 196/08x; Hopf aaO).
3. Die nachträglich eingetretene Änderung des Kenntnisstands des Antragstellers über die gegen seine Vaterschaft sprechenden Umstände ist nicht nur für das Auslösen der materiell‑rechtlichen Ausschlussfrist für die Antragstellung von Bedeutung, sondern auch tatbestandsmäßige Voraussetzung für die Anwendung des § 164 Abs 1 Z 3 lit b ABGB (RIS‑Justiz RS0124234). Die fristauslösende Kenntnis von Umständen im Sinne des § 164 Abs 2 ABGB kann auch darin bestehen, dass ein bereits früher gegebener ‑ allenfalls auch schon von Anfang an vorhandener ‑ Verdacht erst durch später verfügbare Beweismittel (insbesondere durch ein erbbiologisch‑anthropologisches Gutachten) erhärtet wird (RIS‑Justiz RS0124235 [T1]). In einem solchen Fall beginnt nach herrschender Auffassung die materiell‑rechtliche Ausschlussfrist des § 164 Abs 2 ABGB bereits mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem eine aussichtsreiche Beweisführung für die Vaterschaft eines anderen Mannes durch Einholung eines Gutachtens objektiv möglich ist (RIS‑Justiz RS0048296).
4. Anders als etwa erbbiologisch-anthropologische Expertisen, bei welchen mit Hilfe von vererbbaren äußeren Merkmalen die Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft geprüft wird, kann ein Abstammungsgutachten anhand von DNA‑Analysen bereits ab Geburt erstellt werden. Die Einholung eines solchen Gutachtens ist damit objektiv jederzeit möglich. Der Oberste Gerichtshof hat daher bereits klargestellt, dass die Verfügbarkeit eines geeigneten Beweismittels (insbesondere der schon ab der Geburt des Kindes möglichen DNA‑Analyse) und somit die objektive Möglichkeit einer eindeutigen Klärung durch ein Sachverständigengutachten für sich allein die Anfechtungsfrist noch nicht auslöst, ohne dass zuvor gewichtige Verdachtsgründe gegen die Richtigkeit des Vaterschaftsanerkenntnisses vorliegen müssten. Ob Verdachtsgründe vorliegen, die so gewichtig sind, dass die Durchführung eines klärenden DNA‑Tests geboten erscheint und die Anfechtungsfrist des § 164 Abs 2 ABGB ausgelöst wird, ist aus Sicht eines objektiv‑verständig denkenden Mannes zu beurteilen (8 Ob 65/10g). Nicht jeder subjektive Zweifel an der Vaterschaft zwingt daher bereits zur Einholung eines Abstammungsgutachtens, nur weil ein solches objektiv jederzeit möglich wäre. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Beginn der Frist des § 164 Abs 2 ABGB ist damit auch keineswegs uneinheitlich oder widersprüchlich, wie das Rekursgericht meint. Den Entscheidungen 3 Ob 72/01m und 2 Ob 182/08s (iFamZ 2009/20), auf die es sich dazu bezieht, lag zugrunde, dass zwar Abstammungsgutachten eingeholt wurden, darüber hinaus aber nachträgliche Umstände im Sinne des § 164 Abs 1 Z 3 ABGB entweder nicht vorlagen oder durch den Anfechtungswerber nicht behauptet wurden, sodass das später verfügbare Beweismittel lediglich bereits anfänglich vorhandene Verdachtsgründe erhärtete. Der Umstand, dass die Einholung eines Gutachtens zur Abklärung dieser Verdachtsgründe objektiv aber längst möglich gewesen wäre, führte zur Antragsverfristung. Ob das auch auf den vorliegenden Fall zutrifft, kann entgegen der Ansicht der Vorinstanzen noch nicht beurteilt werden.
5. Der Antragsteller konnte bei der Abgabe des Vaterschaftsanerkenntnisses zwar nicht in Zweifel darüber sein, dass die Mutter der Antragsgegnerin im empfängniskritischen Zeitraum auch mit einem anderen Mann Verkehr hatte. Diese Kenntnis allein wirkte aber ‑ wie dargelegt ‑ noch nicht fristauslösend. Nach den Feststellungen des Erstgerichts muss davon ausgegangen werden, dass die Versicherung der Mutter, er sei der Vater, den Antragsteller zur Abgabe des Anerkenntnisses veranlasste. Auch wenn die Bedenken gegen seine Vaterschaft dadurch nicht restlos ausgeräumt gewesen seien und sich nach Auflösung der Lebensgemeinschaft wieder verstärkt haben mögen, sind diese bloß subjektiven Zweifel für sich allein genommen noch nicht so gewichtig, dass sie aus Sicht eines objektiv‑verständig denkenden Mannes die Abklärung der Abstammung der Antragsgegnerin mittels eines DNA‑Tests bereits in den Jahren 2003 oder 2004 geboten erscheinen lassen hätten.
6. Der Antragsteller hat vorgebracht, dass ihm im Jahr 2010 Fotos der Antragsgegnerin gezeigt worden seien, anhand derer er feststellen habe müssen, dass ihm die Minderjährige in keiner Weise ähnlich sehe, was gemeinsam mit den Informationen durch die mütterliche Großmutter dazu geführt habe, dass er den klärenden DNA‑Test in Auftrag gegeben habe. Unterstellt man, dass der Antragsteller die Minderjährige nach Beendigung der Lebensgemeinschaft mit deren Mutter über einen längeren Zeitraum nicht gesehen hat, kann von einer relevanten Änderung seines Kenntnisstands und damit von einer Tatbestandsmäßigkeit im Sinne des § 164 Abs 1 Z 3 lit b ABGB ausgegangen werden. Sein Antrag wäre dann auch nicht verfristet. Bisher fehlt es an Feststellungen, um diese Frage abschließend beurteilen zu können. Darauf hat der Antragsteller bereits in der Rechtsrüge seines Rekurses Bezug genommen. Es liegt damit ein Feststellungsmangel vor, der zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen führt. Sollte sich im fortgesetzten Verfahren herausstellen, dass die Behauptungen des Antragstellers in seinem Antrag zutreffen, bedarf es auch eindeutiger Feststellungen, die eine Beurteilung der Frage erlauben, ob die Vaterschaft des Antragstellers zur Minderjährigen ausgeschlossen werden kann.
Zur Klärung der aufgezeigten Fragen sind die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben.
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