OGH 1Ob580/86

OGH1Ob580/8614.7.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Gamerith, Dr. Hofmann und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*** H*** mbH & Co KG Graz,

Prankergasse 16, vertreten durch Dr. Helmuth Schmid, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagten Parteien 1.) Peter Z***, Handelsvertreter, Graz, Dreihackengasse 43, 2.) Ewald S***, Handelsvertreter, Graz, Fischergasse 16, beide vertreten durch Dr. Josef List, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 20.162,66 s.A., infolge Rekurses der beklagten Parteien gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Graz als Berufungsgerichtes vom 18. Februar 1986, GZ 4 R 440/85-37, womit das Endurteil des Bezirksgerichtes für ZRS Graz vom 4.November 1985, 28 C 137/85-30, aufgehoben und eine Aufrechnungseinrede zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben; Punkt II und III des angefochtenen Beschlusses werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

"Der Berufung der klagenden Partei wird Folge gegeben. Das Urteil des Erstgerichtes wird aufgehoben und die mit Schriftsatz der beklagten Parteien vom 1.10.1985, ON 28, erhobene Aufrechnungseinrede zurückgewiesen. Das Teilurteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 9.7.1984, 4 R 262/84-21, bestätigt mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 12.12.1984, 1 Ob 689/84-25, gilt als Endurteil.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei an Verfahrenskosten erster und zweiter Instanz den Betrag von S 25.567,57 (darin enthalten S 1782,53 Umsatzsteuer und S 4540 Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen."

Die beklagten Parteien haben die Kosten ihres Rekurses selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Beklagten waren aufgrund einer Vereinbarung vom 29.9.1979 für die klagende Partei als selbständige Handelsvertreter tätig. Die klagende Partei begehrte die Rückzahlung eines Provisionsvorschusses in der Höhe von S 20.940 s.A. Die Beklagten wendeten u.a. eine ihnen in der Höhe von ca. S 600.000,- zustehende Gegenforderung bis zur Höhe der Klagsforderung aufrechnungweise ein. Die klagende Partei habe über Vermittlung der beiden Beklagten Anfang 1981 bereits eingebrachte Aufträge der Fa. B*** im Werte von mindestens 12 Mio S zur Auslieferung und Erfüllung übernommen. Laut Handelsvertretervertrag vom 1.10.1977 und Zusatzvereinbarung vom 29.9.1979 hätten die Beklagten Gebietsschutz für alle Erzeugnisse der klagenden Partei gehabt, es stünde ihnen aus diesem Geschäft eine mindestens 5 %-ige Provision zu.

Das Berufungsgericht sprach mit über die Klagsforderung ergangenem Teilurteil vom 9.7.1984, 4 R 262/84-21, bestätigt mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 12.12.1984, 1 Ob 689/84-25, der klagenden Partei rechtskräftig den Betrag von S 20.162,66 s.A. zu. Die Verhandlung über die von den Beklagten mittels Einrede geltend gemachte Gegenforderung werde vom Prozeßgericht erster Instanz fortzusetzen sein.

Die in diesem Verfahren aufrechnungsweise eingewendete Gegenforderung war von den Beklagten zu 7 Cg 568/83 des Landesgerichtes für ZRS Graz gegen die klagende Partei in der Höhe von S 567.289 s.A. geltend gemacht worden. Über gemeinsamen Antrag der Streitteile hatte das Ersgericht mit Beschluß vom 11.3.1985, ON 26, das Verfahren bis zur rechtskräftigen Erledigung des Verfahrens 7 Cg 568/83 des Landesgerichtes für ZRS Graz unterbrochen. Nachdem dieses Begehren mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 10.6.1985, 1 Ob 588/85, rechtskräftig abgewiesen worden war, beantragte der Kläger die Fortsetzung des unterbrochenen Verfahrens. Nunmehr wendeten die Beklagten - an Stelle der rechtskräftig abgewiesenen Gegenforderung - andere Provisionsforderungen gegen die klagende Partei in der Höhe von S 448.562,25 s.A. aufrechnungsweise ein. Im Verfahren bis zur Fällung des Teilurteiles seien sie noch nicht in der Lage gewesen, diese Aufrechnungseinrede zu erheben.

Das Erstgericht sprach im zweiten Rechtsgang mit Endurteil aus, daß die Klagsforderung mit S 20.162,66 s.A. und die nunmehr neu eingewendete Gegenforderung bis zur Höhe der Klagsforderung zu Recht bestehe, und wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht, das den Antrag der klagenden Partei auf Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung unbekämpft abwies, hob aus Anlaß der Berufung der klagenden Partei das Endurteil als nichtig auf und verwies die Sache an das Prozeßgericht erster Instanz zur neuerlichen Fällung des Endurteiles zurück. Die von den Beklagten im zweiten Rechtsgang erhobene Aufrechnungseinrede wies es zurück. Das Verfahren in erster Instanz sei erst nach eingetretener Rechtskraft fortzusetzen. Es führte aus, nach Rechtskraft des Teilurteiles über die Klagsforderung sei mit Endurteil nur mehr darüber zu entscheiden, ob die vor Erlassung des Teilurteiles geltend gemachte Gegenforderung zu Recht bestehe und dadurch die der klagenden Partei zuerkannte Klagsforderung ganz oder zum Teil durch Aufrechnung erloschen sei. Soweit das Erstgericht neuerlich über die Klagsforderung entschieden habe, liege ein Verstoß gegen die Rechtskraft des Teilurteiles vor. Gemäß § 391 Abs 3 ZPO habe das Gericht, wenn der Beklagte mittels Einrede eine nicht konnexe Gegenforderung geltend gemacht habe und über den allein spruchreif gewordenen Klagsanspruch mit Teilurteil erkannt worden sei, die Verhandlung über die noch nicht spruchreife Gegenforderung ohne Unterbrechung forzusetzen. Nach dem Wortlaut der zitierten Bestimmung sei die Gegenforderung eindeutig nur jene, die der Beklagte durch seine Einrede vor dem Teilurteil geltend gemacht habe. Durch das Teilurteil entstehe lediglich eine Streitaufspaltung, aber keine Berechtigung zu einer Prozeßausweitung. In der nach dem Teilurteil fortgesetzten Verhandlung dürfe daher nur über das bisher unerledigte Aufrechnungsbegehren des Beklagten verhandelt und entschieden werden. Daraus folge zwingend, daß die Beklagten in der nach dem Teilurteil fortgesetzten Verhandlung keinen Rechtsschutzanspruch darauf gehabt haben, daß das Gericht eine andere als die vor dem Teilurteil einredeweise geltend gemachte Gegenforderung auf ihre Aufrechenbarkeit mit dem Klagsanspruch hin prüfe und darüber entscheide. Eine von den Beklagten in diesem Verfahrensabschnitt neu erhobene Aufrechnungseinrede sei somit unzulässig. Eine solche prozessual unzulässige Aufrechnungseinrede sei vom Gericht zurückzuweisen. In der meritorischen Entscheidung über eine prozessual unzulässige Aufrechnungseinrede liege ein Verstoß gegen die Prozeßordnung, der bei systemkonformer Interpretation als ein im § 477 ZPO nicht aufgezeigter Nichtigkeitsgrund anzusehen sei. Durch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 10.6.1985 1 Ob 588/85 sei bindend ausgesprochen worden, daß die von den Beklagten vor dem Teilurteil erhobene Gegenforderung nicht zu Recht bestehe und daher nicht zur Aufrechnung mit dem Klagsanspruch verwendet werden könne.

Die Beklagten bekämpfen diesen Beschluß insoweit, als das Endurteil des Erstgerichtes als nichtig aufgehoben und die von ihm im zweiten Rechtsgang erhobene Aufrechnungseinrede zurückgewiesen wurde.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist wegen des beigesetzten Rechtskraftvorbehaltes sowie in analoger Anwendung des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO wegen endgültiger Verweigerung des Rechtsschutzes durch Zurückweisung der Aufrechnungseinrede (Fasching, Zivilprozeßrecht, Rz 1981) zulässig, er ist aber - und dies nur im Ergebnis - nur teilweise berechtigt. Der Auffassung des Berufungsgerichtes, daß die sachliche Behandlung der nach Fällung des Teilurteiles über die Gegenforderung im zweiten Rechtsgang neu eingwendeten Gegenforderung Nichtigkeit bewirke, ist nicht beizutreten. Die Nichtigkeitsgründe sind zwar nach herrschender Auffassung im § 477 ZPO nicht erschöpfend aufgezählt (JBl.1983, 266; SZ 21/37; SZ 20/266 ua; Fasching, Zivilprozeßrecht Rz 1757; Holzhammer, Österreichisches Zivilprozeßrecht 2 324); handelt es sich aber nicht um Verfahrensverstöße, die in der Zivilprozeßordnung an anderer Stelle geregelt und mit den gleichen Sanktionen wie nach § 477 ZPO versehen sind (z.B. Streitanhängigkeit und Rechtskraft), müssen solche schwerwiegende Verfahrensmängel den Gründen des § 477 ZPO an wertender Bedeutung mindestens gleichkommen, sodaß die Nichtanordnung der im § 477 ZPO sonst vorgesehenen Sanktion als planwidrige Regelungslücke zu beurteilen wäre (Fasching aaO). Seit dem Spruch 50 neu ist es ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofshofes, daß ein Verstoß gegen die Bestimmung des § 405 ZPO keine Nichtigkeit bewirkt, ein solcher Verstoß daher ohne Parteienrüge von Amts wegen nicht aufzugreifen ist (zuletzt ÖBl.1986, 18; ZVR 1985/24; ZVR 1983/42; ZVR 1983/30 uva; aM Fasching aaO Rz 1453 mwN). Die sachliche Behandlung einer unzulässigen Aufrechnungseinrede kann nicht schwerer wiegen als die Sachentscheidung über ein überhaupt nicht gestelltes Begehren. Eine von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeit liegt in einem solchen Fall dann aber nicht vor. Welche Konsequenz eine nicht als nichtig zu behandelnde neue Aufrechnungseinrede auf das zu fällende Endurteil hat, bedarf keiner weiteren Erörterung, da die Berufungsausführungen der klagenden Partei ohnehin dahin verstanden werden können, daß sie die sachliche Behandlung der Aufrechnungseinrede als Verfahrensmangel rügten. Die Behandlung der Mängelrüge wäre zwar nicht im berfungsgerichtlichen Vorverfahren, sondern nur nach Durchführung der beantragten mündlichen Berufungsverhandlung zulässig gewesen. Der Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung wurde aber vom Berufungsgericht unbekämpft abgewiesen. Daß eine mündliche Berufungsverhandlung nicht durchgeführt wurde, ist daher im derzeitigen Verfahrensstadium nicht mehr wahrzunehmen. Aus § 391 Abs 3 ZPO ergibt sich, daß Gegenstand der nach Fällung eines Teilurteils über die Klagsforderung fortzusetzenden Verhandlung über eine eingewendete Gegenforderung lediglich das bisher unerledigte, auf die vor Fällung des Teilurteiles über die Klagsforderung aufrechnungsweise eingewendete Gegenforderung gestützte Aufrechnungsbegehren des Beklagten ist. Die Fällung eines Teilurteiles nach § 391 Abs 3 Satz 1 ZPO spaltet zwar den Prozeß, weitet ihn aber nicht aus (Novak in JBl.1951, 513). Für die Entscheidung über die Gegenforderung ist der Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung über die mit Teilurteil vorweg entschiedene Klagsforderung maßgeblich, weil in dem den Bestand der Gegenforderung bejahenden Urteil auszusprechen ist, daß und in welchem Umfang die mit Teilurteil zugesprochene Klagsforderung durch Aufrechnung bereits getilgt war (SZ 50/134; Fasching, Komm.III 584). Hat das Erstgericht über eine anstelle der ursprünglich eingewendeten unzulässig über eine erst nach Fällung des Teilurteiles erhobene Gegenforderung sachlich entschieden, ist dieser Ausspruch ersatzlos aufzuheben und die prozessual unzulässig erhobene weitere Aufrechnungseinrede zurückzuweisen (Fasching, Zivilprozeßrecht Rz 1293).

Liegt dann aber eine von den Beklagten wirksam eingewendete Gegenforderung nicht mehr vor - die ursprünglich eingewendete wurde nach rechtskräftiger Abweisung in dem von den Beklagten angestrengten Leistungsprozeß fallen gelassen - und wurde über das von der klagenden Partei gestellte Begehren bereits rechtskräftig in ihrem Sinn entschieden, führt dies zur ersatzlosen Aufhebung der Entscheidung erster Instanz und zum klarstellenden Ausspruch, daß das rechtskräftige Teilurteil als Endurteil zu gelten hat.

Die Entscheidung über die Kosten erster und zweiter Instanz gründet sich auf §§ 43 Abs 2, 50 bzw. §§ 41, 50 ZPO, der Ausspruch, daß die Rekurswerber die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen haben, auf §§ 40, 50 ZPO. Bis zum Teilurteil ON 21 war die klagende Partei nur mit einem verhältnismäßig geringfügigen Teil ihres Anspruches, dessen Geltendmachung besondere Kosten nicht veranlaßte, unterlegen.

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