OGH 1Ob565/95

OGH1Ob565/9529.5.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Waldemar G*****, vertreten durch Dr.Bernd Fritsch, Dr.Klaus Kollmann, Dr.Günter Folk, Dr.Robert Miklauschina und Dr.Werner Stegmüller, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Renate M*****, vertreten durch Dr.Alois Ruschitzger und Dr.Wolfgang Muchitsch, Rechtsanwälte in Graz, wegen Aufkündigung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Berufungsgerichtes vom 5.Oktober 1994, GZ 3 R 146/94-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für ZRS Graz vom 15. März 1994, GZ 7 C 241/93-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben und die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit S 6.447,84 (darin enthalten S 744,64 Umsatzsteuer und S 1.980 Barauslagen) bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte ist Mieterin einer Wohnung, die in einem im Eigentum des Klägers befindlichen Haus gelegen ist. Zumindest seit dem Jahre 1990 benutzten die Beklagte und deren Familienangehörige diese Wohnung nicht mehr regelmäßig zu Wohnzwecken. Davon erfuhr der Kläger aufgrund von Nachforschungen, die er im Herbst 1991 aufgrund eines von der Beklagten bei der Schlichtungsstelle eingebrachten Antrags angestellt hatte (S 4 und 9 des Ersturteils, S 6 des Berufungsurteils). Er unternahm zunächst nichts gegen die Beklagte, weil ihm eine leerstehende Wohnung, für die regelmäßig Miete bezahlt wurde, "nicht ungelegen" war. Jedenfalls noch im Jahre 1991 hat er von der nicht regelmäßigen Benützung der Wohnung durch die Beklagte Kenntnis erlangt.

Im Mai 1993 kündigte der Kläger der Beklagten das Bestandverhältnis ua aus dem Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 6 MRG (Nichtbenutzung der Wohnung) auf. Er brachte vor, die Beklagte benutze das Bestandobjekt seit Jahren nicht mehr zu Wohnzwecken, es bestehe ihrerseits kein dringendes Wohnbedürfnis und auch nicht ein solches eintrittsberechtigter Personen.

Die Beklagte wendete ua ein, daß der Kläger Kenntnis davon gehabt habe, daß das Mietobjekt seit Jahren unbewohnt sei; er habe konkludent auf den von ihm geltend gemachten Kündigungsgrund verzichtet.

Das Erstgericht erkannte die Aufkündigung für wirksam und die Beklagte schuldig, das Mietobjekt zu räumen. Es ging davon aus, daß ein Kündigungsverzicht seitens des Klägers nicht vorliege, insbesondere weil die Beklagte ihre Wohnsituation nicht offengelegt habe. Dem Kläger sei eine angemessene Frist zuzubilligen, um zwischen der Aufkündigung und der Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses zu wählen.

Das Berufungsgericht hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab. Es vertrat die Ansicht, habe der Kläger bereits im Jahre 1991 von dem Umstand, daß die Beklagte die Wohnung nicht mehr regelmäßig zu Wohnzwecken benutzte, Kenntnis erlangt, könne bei Einbringung der Kündigung erst im Mai 1993 von einer unverzüglichen Geltendmachung des Kündigungsgrundes nicht mehr gesprochen werden. Die Untätigkeit des Klägers müsse als Verzicht auf dessen Geltendmachung gedeutet werden.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist berechtigt.

Der Kläger hat noch im Jahre 1991 von der Tatsache, daß die Beklagte die aufkündigte Wohnung seit dem Jahre 1990 nicht mehr regelmäßig zu Wohnzwecken benutzte, Kenntnis erlangt hat. Nun darf ein Verzicht auf die Geltendmachung eines Kündigungsgrundes nur angenommen werden, wenn der Vermieter trotz Kenntnis des rechtsbegründenden Sachverhalts die Kündigung ohne die Säumnis erklärende Gründe während längerer Zeit unterläßt (6 Ob 562/94; WoBl 1992, 18; WoBl 1992, 143; 8 Ob 1509/89; SZ 61/42; MietSlg 39.441; ImmZ 1973, 218; SZ 38/41). Bei der Prüfung der Voraussetzungen für den stillschweigenden Kündigungsverzicht im Fall eines Dauertatbestandes (hier: Nichtbenützung) ist ein besonders strenger Maßstab geboten (2 Ob 577/93; WoBl 1993, 105; WoBl 1993, 142; WoBl 1992, 18; 8 Ob 1509/89; SZ 61/42; 3 Ob 609/81). Es ist einem Vermieter - insbesondere bei Verschleierungshandlungen des Mieters - nicht zumutbar, ohne ausreichende Grundlagen vorzeitig zu kündigen und die Risken eines verlorenen Prozesses auf sich zu nehmen (8 Ob 1509/89; MietSlg 40.464, 37.439; ImmZ 1973, 218).

Im vorliegenden Fall durfte aus dem Verhalten des Klägers (s S 4 des erstinstanzlichen Urteils und S 6 f des Berufungsurteils) nicht der Schluß gezogen werden, der Vermieter wolle den ihm bekannten Sachverhalt mit Überlegung aller Umstände nicht mehr als Kündigungsgrund geltend machen (2 Ob 577/93; WoBl 1992, 18; JBl 1989, 649; MietSlg 41.350, 40.464; SZ 61/42; MietSlg 39.441; 3 Ob 609/81; MietSlg 29.371, 28.370; SZ 38/41). Es war dem Kläger zweifellos "nicht ungelegen", für die leerstehende Wohnung Mietzahlungen zu erhalten. Allein aus diesem Umstand läßt sich aber nicht ableiten, daß er der Beklagten gegenüber auch für alle Zukunft vor dem von ihr gesetzten Kündigungsgrund der nicht regelmäßigen Benutzung des Mietobjektes zu Wohnzwecken nicht Gebrauch machen werde. Vielmehr läßt die Entscheidung des Klägers nur einen Rückschluß darauf zu, daß er - bei unveränderten Verhältnissen - die Kündigungsmöglichkeit nicht in Anspruch nehmen wollte. Das Erstgericht hat aber schon festgestellt, daß die Forderung der Beklagten, der Kläger möge für die Aufgabe des Mietobjektes einen bestimmten Geldbetrag bezahlen (S 4 f des Ersturteils), ausschlaggebend für das Einbringen der Aufkündigung war (s auch S 7 des Berufungsurteils). Die "Verschleierungshandlungen" der Beklagten sind hiebei nicht maßgeblich; bedeutsam ist lediglich, daß die Verhaltensweise des Klägers die Annahme eines stillschweigenden Verzichts auf die Geltendmachung des hier maßgeblichen Kündigungsgrundes nicht rechtfertigt.

In Stattgebung der Revision ist die erstinstanzliche Entscheidung wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelverfahren beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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