OGH 1Ob519/96

OGH1Ob519/9627.2.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Franz S*****, und 2. Katharina S*****, beide vertreten durch Dr.Alfred Lind und Dr.Klaus Rainer, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagten Parteien 1. Harald Z*****, und 2. Annemarie Z*****, beide vertreten durch Dr.Willibald Rath und Dr.Manfred Rath, Rechtsanwälte in Graz, wegen Entfernung einer Begrenzungsmauer (Streitwert 50.000 S) infolge außerordentlicher Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgerichts vom 22.Juni 1995, GZ 3 R 90/95-22, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 9.Dezember 1994, GZ 27 C 810/94-16, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Kläger und die Beklagten sind jeweils Hälfteeigentümer benachbarter Liegenschaften. Der Erstbeklagte kaufte das - durch Abschreibung vom nun den Klägern gehörigen Grundstück entstandene - Grundstück mit Vertrag vom 4.November 1977 vom Vater des Erstklägers als Bauplatz für die Errichtung einer Arbeiterwohnstätte; dem Kaufvertrag war ein Lageplan des neu vermessenen Grundstücks angeschlossen. Die Grenzpunkte 1, 9, 10, 11 und 21 waren unbestritten. Die Beklagten ließen etwa 1980 mit eigenem Material teilweise die Grenze zum Grundstück der Kläger im Ausmaß von 0,63 bis 1,71 m überschreitend und ohne baubehördliche Bewilligung eine rund 25 m lange und bis zu 3 m hohe Mauer (die von den Klägern als Begrenzungsmauer, von den Beklagten als Grenzstützmauer bezeichnet wird) aus Korb- und Schalsteinen als Böschungsverbauung, einige Meter von dem von ihnen errichteten Wohnhaus entfernt aufführen. Die Grundstücke der Parteien sind zwar durch einen zu einer Straße ausgebauten, ansteigenden Servitutsweg getrennt, doch liegt nach dem Mappenstand ein schmaler Streifen des Grundstücks der Kläger - westlich dieses Wegs - auf der Straßenseite der Beklagten. Nach Auseinandersetzungen zwischen den Streitteilen ließen die Kläger am 4.November 1993 eine Grenzvermessung durchführen, wodurch sie von diesem Grenzverlauf Kenntnis erlangten.

Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren, die Beklagten seien zur ungeteilten Hand schuldig, die auf ihrem Grundstück errichtete Mauer zu entfernen, statt. Die Mauer sei eine bloße Begrenzungsmauer, auf die § 418 ABGB nicht anwendbar sei. Mangels Zustimmung der Kläger oder deren Rechtsvorgänger zur Errichtung der Mauer seien die Kläger berechtigt, deren Entfernung zu verlangen. Die Beklagten hätten auf dem Grund der Kläger auch keine Rechte ersessen und seien bei Errichtung der Mauer auch nicht redlich gewesen, weshalb die Kläger die Zurückversetzung der Sache in den vorigen Stand verlangen könnten. Die zweite Instanz sprach aus, der Wert des Streitgegenstands übersteige 50.000 S, die ordentliche Revision sei jedoch nicht zulässig.

Die außerordentliche Revision der beklagten Parteien ist zulässig und auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Hat jemand mit eigenen Materialien ohne Wissen und Willen des Eigentümers auf fremdem Grunde gebaut, so fällt das Gebäude dem Grundeigentümer zu. Der redliche Bauführer kann den Ersatz der notwendigen und nützlichen Kosten fordern; der unredliche wird gleich einem Geschäftsführer ohne Auftrag behandelt. Hat der Eigentümer des Grunds die Bauführung gewußt, und sie nicht sogleich dem redlichen Bauführer untersagt, so kann er nur den gemeinen Wert für den Grund fordern (§ 418 ABGB).

Nach herrschender Auffassung schützt § 418 ABGB (arg. „... fällt das Gebäude ...“) nur Bauwerke, denen eine selbständige Bedeutung zukommt (MietSlg 33.036; SZ 51/143; 8 Ob 508/93 ua), wogegen die Bestimmung auf Grenzzäune, Grenzmauern u.dgl., mögen sie auch nur zum Teil auf dem Grund des Nachbarn errichtet worden sein, ohne Rücksicht auf deren Stabilität mangels einer solchen selbständigen Bedeutung keine Anwendung findet (MietSlg 33.036; EvBl 1969/117, je mwN; 8 Ob 185/75 ua; Spielbüchler in Rummel 2, § 417 ABGB Rz 2; Pimmer in Schwimann, § 418 ABGB Rz 2). Die einer noch dazu verhältnismäßig steilen Böschung - wie hier - Halt gebende Grenzstützmauer ist ein selbständiges Bauwerk, und zwar selbst dann, wenn sie nicht mit dem Haus in räumlicher Verbindung steht. Denn sie hat neben ihrer allgemeinen Abgrenzungsfunktion für das Grundstück die darin liegende statische Funktion, ein Abrutschen der Böschung zu verhindern. Selbst wenn keine unmittelbare Verbindung zwischen der Mauer und dem - wie hier - nur wenige Meter daneben errichteten Haus(Fundament) besteht, gibt doch eine derartige Mauer dem Erdreich, in dem das Fundament des Hauses eingebettet ist, eine entsprechende Stütze. Ein solches Bauwerk ist mit einem bloßen Grenzzaun oder einer sonst keine weitere Funktion erfüllenden Grenzmauer nicht zu vergleichen. Es bedarf daher keines Eingehens auf die Mängel- und Feststellungsrüge der Beklagten zu den Behauptungen, die Mauer sei vor bzw gleichzeitig mit dem Haus errichtet worden und durch einen Bausachverständigen hätte die in Wahrheit bestehende Verbindung zwischen der Mauer und den Grundfesten des Hauses der Beklagten festgestellt werden können.

§ 418 ABGB ist demnach hier anwendbar. Dessen Regeln gelten auch bei einer Bauführung, die - wie im vorliegenden Fall - teils auf eigenem, teil auf fremdem Grund erfolgt (SZ 51/143; 7 Ob 537/82; Pimmer aaO Rz 21). Gegenüber einem unredlichen Bauführer, der als Geschäftsführer ohne Auftrag zu behandeln ist und daher volle Genugtuung - hier also die Herstellung des vor der Bauführung bestehenden Zustands (§ 1038 ABGB) - zu leisten hat, kann der Grundeigentümer auch die Beseitigung des Bauwerks verlangen (SZ 51/143; 9 Ob 504/95; 5 Ob 1584/91 ua; Pimmer aaO Rz 13). Die in der Entscheidung SZ 51/143 ohne weitere Begründung vertretene und von Pimmer (aaO Rz 13) referierte Auffassung, vom redlichen Bauführer könne hingegen Beseitigung nicht verlangt werden, vermag der erkennende Senat nicht beizutreten. Denn der sich inhaltlich aus § 523 ABGB ergebende Anspruch des Grundeigentümers auf Wiederherstellung des früheren Zustands, wenn ihn ein Bau stört, setzt als Beseitigungsanspruch kein Verschulden des Störers (Petrasch in Rummel 2, § 523 ABGB Rz 9; Koziol/Welser, Grundriß10 II 98) voraus und besteht daher auch gegen den redlichen Störer (Koziol/Welser aaO II 73 und I 442 f).

Die Beklagten können demnach das auf Gesetz gegründete Beseitigungsbegehren der Kläger nur dann mit Erfolg abwehren, wenn sie redliche Bauführer waren (§ 418 zweiter und dritter Satz ABGB) und die Kläger bzw ihr Rechtsvorgänger unredliche Grundeigentümer waren (§ 418 dritter Satz ABGB).

Redlicher Bauführer iSd § 418 ABGB ist nach ständiger Rechtsprechung nicht nur der redliche Besitzer des Grundstücks, sondern auch der Bauführer, der in der irrigen Voraussetzung der Zustimmung der Grundeigentümer gebaut hat, das heißt der, der im allein maßgeblichen Zeitpunkt der Bauführung (1 Ob 28/93) aus plausiblen Gründen über die Eigentumsverhältnisse am verbauten Gründ irren durfte und irrt (vgl 9 Ob 504/95; Pimmer aaO Rz 3) oder auf Grund irgendwelcher Umstände (SZ 59/38), etwa einer allenfalls auch konkludent zustande gekommenen (§ 863 ABGB) Vereinbarung (JBl 1985, 741 = NZ 1986, 226 mit Anm von Hofmeister; JBl 1976, 43 = EvBl 1975/261 ua), annehmen durfte und angenommen hat, daß ihm der Bau vom Eigentümer gestattet worden sei (vgl 1 Ob 28/93 ua; Pimmer aaO Rz 3 mwN; Klang in Klang 2 II 290). Redlichkeit wird bereits durch leichte Fahrlässigkeit ausgeschlossen (JBl 1980, 589; 9 Ob 504/95 ua). Der Bauführer ist für seine Redlichkeit beweispflichtig (MietSlg 34.048; 9 Ob 504/95 ua).

Ob in diesem Sinne die Beklagten redlich oder unredlich waren, läßt sich entgegen der Auffassung der Vorinstanzen noch nicht verläßlich beurteilen.

Der Bauführer hat die Pflicht, sich vor Durchführung des Baus zu vergewissern, ob er auf eigenem oder fremdem Grund baut. Diese Vorsichtsmaßnahme wird insbesondere dann als geboten erachtet, wenn die Bauführung im engsten Grenzbereich zu einer Nachbarliegenschaft wie hier vorgenommen wird. Hat der Bauführer den Grenzverlauf zur Liegenschaft des Nachbarn den bestehenden öffentlichen Aufzeichnungen (Mappe, Grundkataster u.dgl.) klar entnehmen können, so geht die Unterlassung der Einsichtnahme in diese Aufzeichnungen zu Lasten seiner Redlichkeit, wenn er dennoch, ohne über den Grenzverlauf, etwa aufgrund einer vorgenommenen Grenzvermessung durch einen Zivilgeometer, sonst Gewißheit zu haben, ohne Herstellung des Einvernehmens mit dem Grundnachbarn die Bauführung unternahm (9 Ob 504/95 ua). Es muß daher festgestellt werden, welche öffentlichen Aufzeichnungen über die tatsächlichen Grundgrenzen und welche Grenzmarken den Beklagten bei dem erst festzustellenden Beginns der Errichtung der Mauer vorlagen und gegebenenfalls, welchen Gebrauch die Beklagten von diesen Informationsquellen machten. Es steht bis jetzt nur fest, daß die - offenbar am Servitutsweg liegenden - Grenzpunkte 1, 9, 10, 11 und 21 Grundlage der 1977 vorgenommenen Vermessung waren und jetzt vorhanden sind. Das auf bloße Mutmaßung beruhende Beweiswürdigungsargument der Erstrichterin (ON 16 AS 78), „... Es muß wohl gesagt werden, daß anläßlich der Errichtung der ... Mauer sicherlich Grenzzeichen vorhanden waren, welche dem Erstbeklagten bzw. dem Beklagten anläßlich der Errichtung der Mauer hätten auffallen müssen. Ein Hinweis, daß die Grenzzeichen zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vorhanden waren oder zumindest zur Gänze geschwunden waren, hat sich im Rahmen des Beweisverfahrens nicht ergeben.“ kann die notwendige Feststellung, die Beklagten hätten die Mauer errichtet, obwohl sie die tatsächlich vorhandenen Grenzpunkte kannten oder bei gehöriger Aufmerksamkeit kennen mußten, nicht ersetzen. Klärungsbedürftig ist auch, wann und in welchem Zusammenhang die Beklagten bei Errichtung der Mauer auf „Probleme“ aufmerksam gemacht wurden, im besonderen, ob und bejahendenfalls, welche rechtliche Probleme damit gemeint waren. Die entsprechende Feststellung der Erstrichterin (ON 16 AS 75 unten), „... anläßlich der Errichtung der Mauer wurde der ... Erstbeklagte aufmerksam gemacht, daß die Lage der Mauer mit Problemen verbunden ist ...“ läßt auch im Zusammenhang mit den sich darauf beziehenden Erwägungen bei der Beweiswürdigung (ON 16 AS 78) die gebotene Bestimmtheit vermissen.

Nicht hingegen ist erwiesen, daß die klagenden Grundeigentümer oder ihr Rechtsvorgänger dem Bau ausdrücklich zustimmten. Zwar ist auch eine schlüssige Zustimmung zur Errichtung einer solchen Stützmauer denkbar, etwa wenn auf dem zur Errichtung eines Hauses verkauften Grundstück ohne eine solche kein Haus errichtet werden kann, doch fehlt dazu entsprechendes Vorbringen der Beklagten.

Wäre aufgrund der nach den vorstehenden Erwägungen noch zu treffenden Feststellungen die Redlichkeit der Beklagten zu verneinen, müßte noch folgender, für die Redlichkeit der Beklagten relevante Umstand geprüft werden: Die beklagten Bauführer trugen vor, nach dem Inhalt des vom Vater des Erstklägers mit dem Erstbeklagten abgeschlossenen Kaufvertrags vom 4.November 1977 (vor allem des diesem angeschlossenen Lageplans) hätten die Beklagten annehmen müssen, daß die Liegenschaftsgrenze entlang des Servitutswegs verlaufe, und führen damit einen Irrtum über die Eigentumsverhältnisse am verbauten Grund ins Treffen. An Hand des dem Revisionsgericht vorliegenden, dem Kaufvertrag beigeschlossenen Plans kann nicht abschließend beurteilt werden, ob die Grundgrenze nach dem Ergebnis der Vertragsverhandlungen nicht doch entlang des Servitutswegs verlaufen sollte. Zur Beurteilung der Redlichkeit der Beklagten müssen daher Feststellungen über den Inhalt des Kaufvertrags und die Absicht der Parteien über den Kaufgegenstand getroffen werden, im besonderen, ob der relativ schmale unregelmäßige Grundstreifen auf der Straßenseite der Beklagten danach überhaupt im Eigentum des Rechtsvorgängers der Kläger bleiben sollte; vor allem ist nicht ersichtlich, welchem Beweggrund des Verkäufers diese Grenzziehung dienen sollte.

Waren die Beklagten bei Errichtung der Mauer unredlich, ist dem Klagebegehren stattzugeben, waren sie redlich, muß unter dem Gesichtspunkt des § 418 dritter Satz ABGB geprüft werden, ob die Beklagten durch Verschweigung des Eigentumsrechts der Kläger (vgl dazu Pimmer aaO Rz 8 f mwN) Eigentümer des überbauten Grenzstreifens wurden und aus diesem Grund dem Beseitigungsbegehren entgegentreten können.

Auf den von den Beklagten behaupteten und von der zweiten Instanz unangefochten verneinten Verstoß gegen Treu und Glauben muß nicht mehr eingegangen werden. Zu der von ihnen ins Treffen geführten schikanösen Rechtsausübung bleibt festzuhalten, daß die Größe der strittigen Grundfläche, nach dem Revisionsvortrag rund 25 Quadratmeter, für sich allein den Schikaneeinwand nicht rechtfertigen kann. In der Entscheidung 9 Ob 504/95 ging es um „mehrere Quadratmeter“, in der Entscheidung 7 Ob 593/94 um bloß 1,1 Quadratmeter und in beiden Fällen wurde der Schikaneeinwand gegenüber einem Begehren auf Entfernung eines Überbaus als nicht berechtigt erachtet.

Demnach müssen die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben werden. Der Kostenvorbehalt fußt auf § 52 ZPO.

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