OGH 1Ob22/06a

OGH1Ob22/06a4.4.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Ing. Elmar W*****, und 2.) Dipl. Ing. Elmar August W*****, beide vertreten durch Holter-Wildfellner Rechtsanwälte GmbH in Grieskirchen, gegen die beklagte Partei Marktgemeinde L*****, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens über das zu 3 Cg 174/04d des Landesgerichts Wels erhobene Feststellungsbegehren (Streitwert 5.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 13. Dezember 2005, GZ 4 R 170/05f-5, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs der klagenden Parteien wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Bei Wiederaufnahmsklagen über vermögensrechtliche Ansprüche, denen nicht reine Geldleistungsbegehren zu Grunde liegen, ist der Entscheidungsgegenstand in zweiter Instanz nur zu bewerten, wenn es an einer Bewertung im Vorprozess mangelt (Zechner in Fasching/Konecny2, § 502 ZPO Rz 139 mwN). Dies ist hier der Fall:

Gegenstand der Wiederaufnahmsklage ist nur das Feststellungsbegehren; das Berufungsverfahren ist unterbrochen, weswegen ein Ausspruch nach § 500 Abs 2 ZPO im Hauptprozess noch nicht erfolgen konnte. Somit hatte das Rekursgericht im Wiederaufnahmeprozess die Bewertung vorzunehmen (RIS-Justiz RS0042436).

Gem § 8 Z 1 VermG ist der Grenzkataster zum verbindlichen Nachweis der Grenze der Grundstücke bestimmt. Die Vorschriften der §§ 850 bis 853 ABGB über die Berichtigung der Grenzen sind gemäß § 853a ABGB nicht anzuwenden, wenn die Grundstücke im Grenzkataster enthalten sind (SZ 53/97; Sailer in KBB, ABGB Kommentar, § 853a Rz 3). Damit hat der Gesetzgeber die Lösung einer Vorfrage den Gerichten entzogen und zwingend der Verwaltungsbehörde zugewiesen. Die nachträgliche rechtskräftige Aufhebung eines Bescheids der Verwaltungsbehörde könnte daher analog § 530 Abs 1 Z 5 ZPO jedenfalls einen Wiederaufnahmegrund darstellen (SZ 60/144 = JBl 1988, 471; Jelinek in Fasching/Konecny2 IV/I § 530 Rz 112), sofern die Aufhebung ex tunc wirkt (Jelinek aaO, Rz 112, 116). Wenn eine solche oder eine dieser gleichzuhaltende Situation vorläge und auf das Zivilverfahren „durchschlüge", weil unter Bindung an den vernichteten Akt entschieden wurde, wäre der Wiederaufnahmegrund nach § 530 Abs 1 Z 5 ZPO erfüllt (Jelinek, aaO Rz 96). Eine nachträgliche rechtskräftige Aufhebung des erstbehördlichen Verwaltungsbescheids (mit ex tunc-Wirkung) existiert im vorliegenden Fall aber nicht; es besteht lediglich ein Bescheid der Berufungsbehörde, mit welchem das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der verfügten Umwandlung in den Grenzkataster gem § 38 AVG ausgesetzt wurde.

Diesem „Aussetzungsbescheid" liegt Folgendes zu Grunde:

Gem § 13 VermG ist von Amts wegen oder auf Antrag des Eigentümers die Berichtigung des Grenzkatasters mit Bescheid zu verfügen, wenn sich ergibt, dass die Neuanlegung des Grenzkatasters oder eine in diesem enthaltene Einverleibung oder Anmerkung mit ihrer Grundlage nicht im Einklang steht, also die die Grundlage der Einverleibung bildende Urkunde unrichtig in den Grenzkataster übernommen wurde oder die die Grundlage der Einverleibung oder Anmerkung bildende Urkunde fehlerhaft ist (Kaluza/Burtscher, Das österreichische Vermessungsrecht³, § 13 FN 1).

Die Einleitung des Verfahrens nach § 13 Abs 1 VermG ist im Grenzkataster anzumerken (§ 13 Abs 2 VermG). Erst nach Rechtskraft des Berichtigungsbescheids ist die Berichtigung vorzunehmen und die Anmerkung zu löschen (§ 13 Abs 3 VermG).

Ausgehend vom Klagsvorbringen hatte der Erstkläger am 12. 1. 2005 einen Berichtigungsantrag gem § 13 VermG beim zuständigen Vermessungsamt gestellt; dieser Antrag wurde abgewiesen. In seiner Berufung gegen den abweislichen Bescheid des Vermessungsamts brachte der Erstkläger vor, der den Grenzverlauf festlegende Umwandlungsbescheid sei deshalb nicht rechtskräftig, da er nicht an alle betroffenen Eigentümer (siehe § 20 VermG) zugestellt worden wäre. Die Berufungsbehörde trug diesem Einwand Rechnung, sah die Frage der Rechtskraft des Umwandlungsbescheids als Vorfrage an und setzte das Verfahren gemäß § 38 AVG bis zur rechtskräftigen Entscheidung der verfügten Umwandlung aus. Entgegen der Meinung der Revisionswerber zeitigt dieser Aussetzungsbescheid aber keine einem rechtskräftigen, ex tunc wirkenden Aufhebungsbescheid (beispielsweise des VwGH) vergleichbare Wirkungen:

Das vom Berichtigungsverfahren betroffene Grundstück bleibt im Grenzkataster (vorläufig) weiterhin enthalten (Kaluza/Burtscher aaO § 13 FN 6). Erst nach Vorliegen eines rechtskräftigen Bescheids ist die Berichtigung vorzunehmen und die Anmerkung zu löschen (§ 13 Abs 3 VermG ).

Die Wirkung der Einleitung des Berichtigungsverfahrens beschränkt sich lediglich darauf, dass ab Anmerkung dessen Einleitung - somit ex nunc - die Eintragung im Grenzkataster nicht mehr zum verbindlichen Nachweis der Grenzen der betroffenen Grundstücke geeignet ist und ein auf die in der Natur ersichtlichen Grenzen gegründeter Anspruch demjenigen entgegengesetzt werden kann, der ein Recht im Vertrauen auf die im Grenzkataster enthaltenen Grenzen erworben hat (§ 13 Abs 2 VermG; Kaluza/Burtscher aaO). Auch diese Wirkung tritt nur vorläufig ein, da jeweils der endgültige Ausgang des Berichtigungsverfahrens abzuwarten bleibt. Nur in diesem Kontext ist der von den Revisionsrekurswerbern als Grundlage ihrer Argumentation verwendete - in der Begründung des Aussetzungsbescheids nach Wiedergabe des Gesetzestexts des § 38 AVG enthaltene - Satz zu verstehen: „Wenn die Umwandlung in den Grenzkataster nicht in Rechtskraft erwächst, bleibt der gegenständliche Grenzverlauf zwischen den Grundstücken ........ im nicht rechtsverbindlichen Grundsteuerkataster eingetragen und der Antrag auf Berichtigung gem. § 13 VermG wäre zurückzuweisen". Damit bringt die Behörde ihre Rechtsansicht zum Ausdruck, die Frage der Rechtskraft des Umwandlungsbescheids sei für den Ausgang des Berichtigungsverfahrens präjudiziell und begründet dies an Hand eines Beispiels unter Hinweis auf eine (mögliche) Variante des noch ungewissen Verfahrensausgangs. Entgegen der Ansicht der Revisionsrekurswerber kann diesem Satz keinesfalls die Bedeutung beigemessen werden, dass ein derartiges Verfahrensergebnis bereits vorliege - also schon rechtskräftig darüber abgesprochen sei, die Umwandlung in den Grenzkataster sei nicht in Rechtskraft erwachsen und der Grenzverlauf bleibe weiterhin im Grundsteuerkataster eingetragen. Der bloße Hinweis auf die ungewisse, in der Zukunft liegende Möglichkeit des Eintritts eines solchen Verfahrensergebnisses ist der rechtskräftigen Vernichtung eines bindenden Akts nicht gleichzusetzen.

Nach dem Wortlaut des § 530 Abs 1 Z 5 ZPO kann das Verfahren nicht wiederaufgenommen werden, wenn die Entscheidung von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiezu zuständigen Behörde anders entschieden wurde. Nach § 69 Abs 1 Z 3 AVG existiert ein derartiger Wiederaufnahmegrund aber im Bereich des Verwaltungsverfahrens. Auf diese Divergenz (siehe dazu Jelinek, aaO Rz 119) muss im vorliegenden Fall jedoch schon deshalb nicht eingegangen werden, da der im Berufungsverfahren ergangene „Aussetzungsbescheid" - wie der Revisionswerber selbst an anderer Stelle ausführt - keine nachträgliche, inhaltlich „andere" Entscheidung der zuständigen Behörde über den Grenzverlauf ist. Zusammenfassend stellt die Rechtsansicht der Vorinstanzen, der geltend gemachte Grund sei für eine Wiederaufnahmsklage nach § 530 Abs 1 Z 5 ZPO absolut untauglich, keine Fehlbeurteilung dar. Ebensowenig ist der „Aussetzungsbescheid" eine bereits „früher ergangene, rechtskräftig gewordene Entscheidung über den selben Anspruch oder über dasselbe Rechtsverhältnis" im Sinn des § 530 Abs 1 Z 6 ZPO, die der Revisionswerber „aufgefunden" hat oder „zu benützen in den Stand gesetzt" worden ist, und die zwischen den Parteien des wiederaufzunehmenden Verfahrens Recht schaffte.

Da die Revisionsrekurswerber außer dem Zitat des § 530 Abs 1 Z 6 ZPO und dem Hinweis, dieser Wiederaufnahmegrund sei „hilfsweise" anzuwenden, dazu kein weiteres Vorbringen erstatteten, erübrigen sich weitere Ausführungen.

Nach dem Revisionsrekursvorbringen seien die neuen Tatsachen, die zu einem günstigeren Ergebnis für die Kläger hätten führen können, darin gelegen, dass im „Aussetzungsbescheid" rechtskräftig ausgesprochen worden sei, es habe keine Umwandlung in den Grenzkataster stattgefunden, sodass die natürlichen Bewirtschaftungsgrenzen (weiterhin) verbindlich seien; diese wären vom Erstgericht festzustellen gewesen.

Wie bereits oben dargelegt, sagt der „Aussetzungsbescheid" inhaltlich über den Grenzverlauf nichts aus, weswegen dieses Beweismittel für sich allein nicht geeignet ist, zu einer Änderung der Entscheidung des Vorprozesses zu führen. Die Tatsache, dass die „Umwandlungsbescheide" nicht an alle betroffenen Eigentümer zugestellt worden waren, war der Klagsseite aber bereits vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz im Verfahren 3 Cg 174/04d des Landesgerichts Wels - dieser erfolgte am 3. 3. 2005 - bekannt, hat sie diesen Umstand doch schon in ihrer Berufung vom 7. 2. 2005 gegen den Bescheid des Vermessungsamts vom 21. 1. 2005 vorgebracht (siehe hiezu den „Aussetzungsbescheid" vom 4. 8. 2005). Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, der Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO sei zu verneinen, ist somit nicht zu beanstanden. Mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO ist der Revisionsrekurs der Kläger zurückzuweisen.

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