Spruch:
Wenn der Eigentümer zweier Grundstücke auf einem Grundstück erkennbar Anlagen für Zwecke des anderen geschaffen hat, so ist, wenn das herrschende oder das dienende Grundstück veräußert wird, im Zweifel - auch bei zugesicherter bücherlicher Lastenfreiheit - anzunehmen, daß die Eigentümerbefugnis als Grunddienstbarkeit fortbestehen soll
OGH 22. 2. 1984, 1 Ob 1/84 (OLG Wien 14 R 187/83; LGZ Wien 25 Cg 352/81)
Text
Die Kläger sind Eigentümer der Liegenschaft EZ 2300 KG A, die Beklagte ist Eigentümerin der Liegenschaft EZ 2324 KG A; die beiden Liegenschaften grenzen aneinander. Georg G und Anna M, die Voreigentümer beider Liegenschaften, haben die Liegenschaft EZ 2324 KG A mit Kaufvertrag vom 5. 10. 1978 dem Ehegatten der Beklagten, Edward S, und die Liegenschaft EZ 2300 KG A mit Kaufvertrag vom 11. 10. 1979 den Klägern verkauft. Im Punkt I des Kaufvertrages vom 5. 10. 1978 hatten die Verkäufer Edward S zugesichert, daß die Liegenschaft frei von bücherlichen Lasten sei. Edward S hat die von ihm gekaufte Liegenschaft mit Vertrag vom 2. 10. 1980 der Beklagten geschenkt.
Die beiden Liegenschaften werden gegen die Straße hin durch eine gemeinsame Gartenmauer abgegrenzt. Die Beklagte mußte die Mauer erst durchbrechen lassen, um einen eigenen Zugang zu ihrem Grundstück zu schaffen. Bis dahin konnte man von der Straße her nur über die Liegenschaft der Kläger auf dieses Grundstück gelangen.
Auf der Liegenschaft der Kläger ist ein Haus errichtet. Von diesem führt ein vor dem 6. 10. 1953 angelegter Hauskanal zum öffentlichen Kanalnetz. Nach dem der baubehördlichen Bewilligung zugrunde liegenden Plan sollte der Hauskanal innerhalb der Grenzen der später an die Kläger verkauften Liegenschaft zur Straße hin geführt werden; tatsächlich verläuft der aus Steinzeugrohren hergestellte Kanal jedoch zunächst schräg über die Liegenschaftsgrenze zu einem auf dem Grundstück der Beklagten angelegten Putzschacht und von diesem senkrecht zur Straßenlängsachse in den Sammelkanal.
Die Kläger begehren die Feststellung der Dienstbarkeit des Hauskanals, die Einwilligung der Beklagten in die Einverleibung der Dienstbarkeit, die Entfernung des über dem Putzschacht gelagerten Materials und die Unterlassung weiterer Störungen. Das Vorhandensein des Kanals sei infolge des im Putzschacht eingelassenen Deckels deutlich erkennbar und den Streitteilen bekannt gewesen. Da der Kanal schon im Zeitpunkt des Liegenschaftserwerbes durch die Streitteile bestanden und das Grundstück der Beklagten daher dem der Kläger offenkundig gedient habe, sei auch ohne Vertrag eine Dienstbarkeit entstanden.
Die Beklagte wendete ein, die Voreigentümer hätten ihrem Ehegatten im Kaufvertrag ausdrücklich die Lastenfreiheit der Liegenschaft zugesichert. Das Bestehen des Hauskanals sei diesem beim Erwerb der Liegenschaft nicht bekannt gewesen. Erst im Zuge eines Bauvorhabens habe sie der von ihr beauftragte Bauunternehmer darauf aufmerksam gemacht.Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, weder die Kläger noch Edward S hätten sich beim Liegenschaftserwerb darum gekümmert, ob ein Kanal vorhanden sei. Auch den Verkäufern und dem Vertragsverfasser Dr. Anton G sei nicht bekannt gewesen, daß der Hauskanal über das Grundstück der Beklagten führe. Der Zaun zwischen den beiden Liegenschaften sei erst 1980 hergestellt worden. Der Erstkläger habe im Laufe dieses Jahres erkannt, daß der Schachtdeckel zu seinem Hauskanal gehöre. Die Beklagte sei erst am Ende des Sommers 1980, als sie mit dem Hausbau auf ihrem Grundstück begonnen habe, auf den Kanaldeckel aufmerksam geworden, als ihr der von ihr beauftragte Bauunternehmer mitgeteilt habe, daß es sich um den Putzschacht eines zum Nachbarhaus gehörigen Kanals handle. Helmut L, der das von den Klägern gekaufte Haus von 1975 bis 1979 bewohnt habe, sei nicht erkennbar gewesen, daß der Kanaldeckel auf dem später von Edward S gekauften Grundstück liege. Daraus schloß der Erstrichter, durch den Verkauf der beiden Liegenschaften an verschiedene Erwerber habe deshalb keine Dienstbarkeit entstehen können, weil es für niemanden ersichtlich gewesen sei, daß der Hauskanal über das Grundstück der Beklagten verlaufe.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil, sprach aus, daß der Streitwert zwar 60 000 S, nicht aber 300 000 S übersteige, und ließ die Revision zu. Lehre und Rechtsprechung hätten die Frage der offenkundigen Dienstbarkeit nicht einheitlich gelöst. In seiner Entscheidung SZ 9/137 habe der OGH die Ansicht vertreten, daß es darauf ankomme, was der gemeinsame Voreigentümer den Erwerbern verkauft habe; er habe dort auf den Titel zum Eigentumserwerb abgestellt. In der Entscheidung SZ 34/128 habe das Revisionsgericht hingegen das Schwergewicht auf die Erwerbungsart gelegt. Verkaufe derselbe Eigentümer Grundstücke, von welchen das eine dem anderen offenkundig diene, an verschiedene Erwerber, so habe der durch den Übertragungsakt geschaffene tatsächliche Zustand die Rechtsnatur einer Servitut, sodaß der Erwerber des herrschenden Grundstücks auf die Einverleibung dieser Dienstbarkeit dringen könne. Auf schlüssige Handlungen des Veräußerers und der Erwerber, aus denen auf die Servitutsbestellung geschlossen werden könne, komme es nicht an. Die Kläger könnten sich jedenfalls auf keinen zum Erwerb der behaupteten Dienstbarkeit ausreichenden Titel berufen, weil der Verlauf des Kanals über das Grundstück der Beklagten weder vom Eigentümer noch von der Baubehörde geplant worden sei und auch keine Aufnahme in die Verträge mit den Streitteilen gefunden habe; vielmehr hätten die Voreigentümer dem Ehemann der Beklagten ausdrücklich die Lastenfreiheit der Kaufliegenschaft zugesichert. Auch aus der Übereignung der beiden Liegenschaften an verschiedene Erwerber könne keine schlüssige Dienstbarkeitsbestellung abgeleitet werden, weil die planwidrige Herstellung des Kanals durch eine vertragliche Regelung rechtsgeschäftlich handelnder Personen gedeckt sei. Soweit hingegen die Rechtsprechung auf den Modus abstelle, müsse beachtet werden, daß § 1500 ABGB den gutgläubigen Erwerber schützen solle. Nach dem dieser Bestimmung unterstellten Vertrauensgrundsatz werde gerade jener Erwerber geschützt, der sich auf den Grundbuchsstand verlassen dürfe, weil ihm in der Natur nichts Gegenteiliges auffallen hätte müssen. Das Verfahren habe keine Anhaltspunkte erbracht, daß die Beklagte (ihr Ehegatte) das Vorhandensein des Hauskanals hätten erkennen müssen. Die Beklagte müsse deshalb eine dem tatsächlichen Verlauf des Kanals entsprechende Dienstbarkeit nicht gegen sich gelten lassen.
Über Revision der Kläger hob der Oberste Gerichtshof die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Nach Lehre (Petrasch in Rummel, ABGB, Rdz. 2 zu § 480; Klang in Klang[2] II 551; Ehrenzweig[2] I/2, 307; Gschnitzer, Sachenrecht 152 f., 210; a. A Koziol-Welser[6] II 132) und Rechtsprechung (SZ 49/31; SZ 36/92; SZ 34/128; SZ 9/137 uva.) entsteht bei Übereignung einer von zwei Liegenschaften desselben Eigentümers, von welchen eine offenkundig der anderen dient und weiterhin dienen soll, auch ohne Verbücherung eine Dienstbarkeit. Auf diese Weise kann die Servitut nicht nur für den Erwerber des herrschenden, sondern auch für den Veräußerer des dienenden Grundstücks begrundet werden (SZ 49/31; 3 Ob 628/78; 7 Ob 49/74; 1 Ob 155/72; Klang aaO). Schon der durch den Übertragungsakt tatsächlich geschaffene Zustand hat das Entstehen einer Dienstbarkeit zur Folge (SZ 34/128; 1 Ob 155/72; 1 Ob 93/70 ua.), weil, wenn das herrschende oder das dienende Grundstück veräußert wird, im Zweifel anzunehmen ist, daß ein bestehender Zustand aufrecht bleiben und demnach die Eigentümerbefugnis als Grunddienstbarkeit fortbestehen soll (Ehrenzweig aaO). Ebenso wie die verbücherte Dienstbarkeit die Vereinigung des herrschenden und des dienenden Grundstücks in einer Hand überdauert und wiederauflebt, wenn eines davon veräußert wird (§ 526 ABGB), "ruht" auch die nicht verbücherte offenkundige Servitut während der Eigentümeridentität, wird aber bei Auseinanderfallen des Eigentums an den beiden Grundstücken sofort wirksam. Das muß insbesondere gelten, wenn der Eigentümer zweier Grundstücke auf einem Grundstück Anlagen für Zwecke des anderen geschaffen hat. Entsteht die Dienstbarkeit durch die Übereignung ohne weiteres, ohne vertragliche Grundlage und außerbücherlich, ist es dann unerheblich, ob der Veräußerer den Erwerber auf die offenkundige Dienstbarkeit bei Vertragsabschluß ausdrücklich aufmerksam gemacht oder ihm (die ohnehin gegebene) bücherliche Lastenfreiheit zugesichert hat.
Zum Ausschluß des gutgläubigen Erwerbes eines Dritten (§ 1500 ABGB) muß aber in jedem Einzelfall geprüft werden, ob im Zeitpunkt der Übereignung des dienenden Grundstücks Anlagen vorhanden waren, die diesen Zweck des Dienens als offenkundig erkennen lassen (SZ 36/92 ua.). Da das Grundbuch für Dienstbarkeiten von vornherein eine geringere Aussagekraft besitzt, weil diese Rechte nicht immer lückenlos verbüchert (Gschnitzer aaO 152) und im Nachbarschaftsverhältnis Liegenschaften vielfach seit Generationen in dem guten Glauben mitbenützt werden, daß hiezu ein Recht bestehe (Koziol-Welser[6] II 132), ist der Erwerber einer Liegenschaft zu Nachforschungen verpflichtet, wenn sich aus den besonderen Umständen Bedenken gegen die Vollständigkeit des Grundbuchs ergeben (RZ 1962, 83); dies ist der Fall, wenn sichtbare Anlagen auf dem Grund oder sonstige Einrichtungen oder Vorgänge, die man von dort aus bei einiger Aufmerksamkeit wahrnehmen kann, das Bestehen einer Dienstbarkeit vermuten lassen (SZ 47/29; SZ 28/30; Petrasch aaO Rdz. 2 zu § 481). Die Sorgfaltsanforderungen an den Erwerber dürfen nur nicht überspannt werden, weil sonst das Grundbuch entwertet würde (Koziol-Welser aaO 88; Ehrenzweig[2] I/2, 118; NZ 1980, 78 ua.). Bei einem von außen durch einen Schachtdeckel leicht erkennbaren Kanalstrang, der nach den Umständen nicht der erworbenen Liegenschaft selbst dienen konnte, durfte sich die Beklagte nicht auf das Nichtbestehen einer so in die Augen fallenden Dienstbarkeit verlassen (vgl. Klang aaO VI 667; SZ 28/30 ua.).
Im vorliegenden Fall ist es von Bedeutung, daß sich im Bereich der Grenze des von Edward S erworbenen Grundstückes und jenes Grundstückes, auf dem sich das später von den Klägern erworbene Haus befindet, schon zu dem Zeitpunkt, als Edward S die Liegenschaft erwarb, ein Putzschacht, der an der Erdoberfläche mit einem Deckel verschlossen war, befand. Ob dieser Schacht eine offenkundige Anlage war, kann nach den Feststellungen des Erstgerichtes nicht verläßlich beurteilt werden. Es hat lediglich festgestellt, Edward S habe sich beim Erwerb der Liegenschaft nicht darum gekümmert, "ob irgendwo" ein Hauskanal vorhanden sei; Helmut L, der damals das Haus der Kläger bewohnte, habe nicht erkennen können, daß der Kanaldeckel auf dem Nachbargrundstück liege. Diese Feststellung läßt nicht erkennen, ob der Putzschacht zwar wahrgenommen werden konnte und für Helmut L nur nicht erkennbar (oder gleichgültig) war, zu welchem Grundstück der Kanaldeckel gehört, oder ob der Kanaldeckel überhaupt nicht ohne weiteres erkennbar war. Die Klärung dieser Frage ist für die Beurteilung einer offenkundigen Anlage wesentlich, weil das Vorhandensein des Putzschachtes auf einen unterirdischen Kanal hindeutete und seine Lage den Erwerber zu der Überlegung hätte veranlassen müssen, daß er auch auf dem Grundstück der Beklagten verlaufen könnte (vgl. JBl. 1976, 642). Helmut L hat allerdings - ohne daß dies in den Feststellungen des Erstgerichtes Niederschlag gefunden hätte - auch ausgesagt, das Gras sei so hoch gewachsen, daß man den Kanaldeckel nicht habe sehen können; deshalb habe er auch die Rasenmähermesser beschädigt.
Es bedarf einer Ergänzung der Sachverhaltsgrundlage, damit verläßlich beurteilt werden kann, ob Edward S beim Erwerb der Liegenschaft bei entsprechender Aufmerksamkeit das Vorhandensein des Putzschachtes hätte feststellen können und daher auf das Bestehen einer nicht verbücherten Dienstbarkeit hätte schließen müssen. Da es offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, sind die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben; die Rechtssache ist an das Erstgericht zurückzuverweisen.
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