OGH 1Ob181/21f

OGH1Ob181/21f16.11.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** S*****, vertreten durch Ing. Dr. Joachim Stock, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Gemeinde F*****, vertreten durch Dr. Uwe Foidl, Rechtsanwalt in Fügen, wegen 250.015,27 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 16. August 2021, GZ 4 R 85/21p‑178, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 2. März 2021, GZ 69 Cg 70/11k‑148, bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00181.21F.1116.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Die Frage, ob von einer für die Verjährungsunterbrechung unschädlichen bloßen Sachverhaltsergänzung, einer Änderung der rechtlichen Qualifikation eines Vorbringens oder doch von einer Klageänderung auszugehen ist, mit der ein Anspruch erstmals iSd § 1497 ABGB geltend gemacht wird, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen und begründet daher im Regelfall – wie auch hier – keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0034740 [T5]).

[2] Die beklagte Gemeinde behauptet dazu, es sei im zweiten Rechtsgang „ergänzendes bzw ausgewechseltes“ Vorbringen des Klägers dazu, wie der Schaden „entstanden bzw zu berechnen“ sei, notwendig gewesen (um den zugesprochenen Vertrauensschaden zu begründen).

[3] Der Kläger hat seinen Schadenersatzanspruch von Beginn an auf Versäumnisse der beklagten Gemeinde anlässlich der Umwidmung der Liegenschaft und sein Vertrauen auf die Bebaubarkeit der Liegenschaft entsprechend deren Widmung gestützt. Ebenso hat er bereits damals vorgebracht, dass er vom Ausmaß der Bodenbelastung Kenntnis gehabt und die Liegenschaft nicht erworben hätte, wenn die Beklagte ihrer gesetzlichen Pflicht (der entsprechenden Prüfung der Liegenschaft vor der Umwidmung) nachgekommen wäre und damit die Ergebnisse einer solchen Überprüfung bekannt geworden wären. Dass das Berufungsgericht ausgehend davon und in Bezug auf die von ihm bis dahin dargelegte Berechnung des Schadens (durch Ermittlung der behauptetermaßen betraglich den Sanierungskosten entsprechenden Differenz zwischen dem hypothetischen Verkehrswert der Liegenschaft ohne Altablagerung und dem tatsächlichen Verkehrswert inklusive der Altablagerung) die Nennung des Kaufpreises im zweiten Rechtsgang nicht als für die Verjährungsfrage erhebliche Klageänderung beurteilte, bedarf keiner Korrektur im Einzelfall, zumal der Kläger im ersten Rechtsgang unter anderem auch ausgeführt hatte, dass er die Liegenschaft zum (ersichtlich gemeint: hypothetischen) Verkehrswert erstanden habe und der Kaufpreis ortsüblich, „wenn nicht darüber liegend“ gewesen sei. Fand aber der (von ihm bei der Berechnung des Schadens damals herangezogene) Verkehrswert nach seinen Behauptungen jedenfalls im Kaufpreis Deckung, war die maßgebliche Anspruchsgrundlage der von ihm erkennbar verfolgten Interessen im Wesentlichen bereits vorhanden.

[4] 2. Mit den Darlegungen zu ihrem Standpunkt, die Entscheidung des Berufungsgerichts verstoße gegen „ständige Rechtsprechung“ zu den „Themenkreis(en) Erkundungsobliegenheit“ und „Verjährung AHG“, versucht die Beklagte bereits beantwortete Fragen erneut an den Obersten Gerichtshof heranzutragen. Insoweit hat der Fachsenat den (insoweit unverändert gebliebenen) Sachverhalt bereits im ersten Rechtsgang (zu 1 Ob 222/17d) abschließend beurteilt (vgl RS0042031).

[5] 3. Es ist im Urteil des Berufungsgerichts auch keine im Einzelfall korrekturbedürftige (RS0022681 [T8, T11] ua) Fehlentscheidung über den Mitverschuldenseinwand zu erblicken. Warum ein überwiegendes Verschulden des Klägers darin liegen sollte, dass er die Beklagte nicht auf die frühere Verwendung des Grundstücks als Mülldeponie und (zumindest dem Grunde nach bekannte) Altablagerungen hingewiesen habe, ist nicht recht verständlich, wenn feststeht, dass die Liegenschaft Anfang der 1960er‑Jahre als Müllplatz verwendet worden war, wobei auch das Gemeindegebiet der Beklagten „angeschlossenes Gebiet des Müllplatzes“ gewesen war, sie von ihr im Jahr 1976 zum Zweck der Errichtung eines „Aasplatzes“ in Pacht genommen worden und in den Erhebungen des Kulturbauamts „aus den 1980er Jahren“ als ehemalige Hausmülldeponie ausgewiesen gewesen war sowie dass für jedermann ersichtlich war, dass auf der Liegenschaft Aushubmaterial deponiert war.

[6] 4. Die Feststellung des Verkehrswerts der Liegenschaft in unsaniertem Zustand (vgl zu dessen Maßgeblichkeit schon 1 Ob 222/17d) beruht auf dem eingeholten Gutachten des beigezogenen Sachverständigen. Die Höhe des Verkehrswerts stellt eine Tatfrage dar, die in dritter Instanz nicht mehr bekämpft werden kann (RS0043536 [T3, T7]; RS0118604).

[7] 5. Zuletzt wird auch mit Überlegungen zu einem angeblich zu Unrecht unterbliebenen Vorteilsausgleich eine erhebliche Rechtsfrage nicht angesprochen. Die Liegenschaft war, als sie durch die Umwidmung eine Wertsteigerung erfuhr, noch Bestandteil des Vermögens des Verkäufers. Der Kläger erwarb sie erst nach der bereits (fehlerhaft) erfolgten Umwidmung (die ja auch Grundlage für den hohen Kaufpreis war). Dass es für einen schadenersatzrechtlichen Vorteilsausgleich genügt, dass Schaden und Vorteil im selben Tatsachenkomplex wurzeln (RS0022824), hat aber zur Voraussetzung, dass sich auch der Vorteil im Vermögen des Geschädigten realisiert („das schädigende Ereignis“ einen „Vorteil im Vermögen des Geschädigten“ verursacht 1 Ob 272/99b). Die von der Beklagten genannten (zu 1 Ob 272/99b und 1 Ob 239/13y gefällten) Entscheidungen (wobei das zuletzt genannte Verfahren von ihr als „Parallelverfahren“ bezeichnetet wird) betrafen von durch hoheitliche Akte unmittelbar betroffene Liegenschaftseigentümer, während hier die Ansprüche des Käufers einer schon umgewidmeten Liegenschaft zu beurteilen sind.

[8] 6. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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