OGH 1Ob179/15b

OGH1Ob179/15b17.9.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr.

Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. S***** N*****, vertreten durch die Neubauer & Partner Rechtsanwälte GmbH, Wien, gegen die beklagte Partei Mag. N***** B*****, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in Wien, wegen Zahlung und Feststellung sowie Zwischenantrags auf Feststellung der beklagten Partei, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. Mai 2015, GZ 11 R 172/14s‑71, womit der Antrag auf nachträgliche Zulassung der Revision und die damit verbundene ordentliche Revision der beklagten Partei gegen das (Teil‑)Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Dezember 2014, GZ 11 R 172/14s‑56, zurückgewiesen wurden, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 768,24 EUR (darin enthalten 128,04 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Dem Verfahren liegen (Schadenersatz‑)Ansprüche im Zusammenhang mit dem Verkauf von zwei Pkw‑Abstellplätzen (Wohnungseigentum) zu Grunde.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren (mit Ausnahme von 114,45 EUR sA) Folge und wies den Zwischenantrag auf Feststellung der Beklagten ab. Gegen Ende der Berufungsfrist beantragte die anwaltlich vertretene Beklagte, ihr die Verfahrenshilfe in vollem Umfang zu gewähren. Sie habe vor, gegen das Ersturteil Berufung zu erheben und sei außer Stande, ohne Gefährdung des notwendigen Unterhalts die Kosten des Verfahrens zu bestreiten. Ein vollständig ausgefülltes Vermögensbekenntnis unter Anschluss „darauf bezughabender Belege“ werde unaufgefordert nachgereicht.

Mit Beschluss vom 14. 4. 2014 trug das Erstgericht der Beklagten auf, ihren Antrag binnen zehn Tagen zu verbessern, und zwar durch Vorlage eines vollständig ausgefüllten Vermögensbekenntnisses und urkundlichen Nachweises des aktuellen Einkommens und allfälliger Schulden der Beklagten sowie durch Darlegung, von welchem Einkommen oder Vermögen die bisherigen Verfahrenskosten beglichen worden seien und welche Änderungen sich zwischenzeitig ergeben hätten, die zur behaupteten Gefährdung des notwendigen Unterhalts geführt hätten. Es belehrte darüber, dass, wenn dem Verbesserungsauftrag nicht fristgerecht oder nicht vollständig entsprochen werde, dies zur Abweisung des Verfahrenshilfeantrags führen könne. Zwei Tage vor Fristende brachte die Beklagte mit der Begründung, die geforderten Unterlagen und Informationen hätten nicht eingeholt werden können, einen Antrag auf Fristerstreckung um drei Wochen ein. Das Erstgericht wies diesen und den Verfahrenshilfeantrag ab. Es führte aus, der Beklagten sei offenbar bereits bei Einbringung ihres Antrags am 11. 4. 2014 „voll bewusst“ gewesen, dass einem Verfahrenshilfeantrag ein Vermögensbekenntnis anzuschließen sei, sie habe dessen unaufgeforderte Vorlage sogar angekündigt. Da die Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse nicht bekannt oder überprüfbar gewesen seien, könne nicht davon ausgegangen werden, dass sie nicht in der Lage sei, ohne Gefährdung des notwendigen Unterhalts die weiteren Kosten des Verfahrens zu bestreiten. Dem dagegen erhobenen Rekurs gab das Rekursgericht nicht Folge.

Über die Berufung der Beklagten wurde das Urteil, soweit damit das Bestehen der Forderung und Nichtbestehen der Gegenforderung ausgesprochen und die Beklagte zur Leistung verpflichtet worden war samt Kostenentscheidung aufgehoben und dem Erstgericht diesbezüglich eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen. Über die weiteren Ansprüche fällte das Berufungsgericht ein Teilurteil, mit dem es das auf Feststellung der Haftung für frustrierte Aufwendungen und entgangenen Gewinn für die Unmöglichkeit der Vermietung eines der beiden Kfz‑Stellplätze abwies, im Übrigen (die Abweisung des Zwischenantrags auf Feststellung, die Verpflichtung der Beklagten zur Lastenfreistellung und die Feststellung deren Haftung für den Ersatz künftiger aus der Nichterfüllung des Kaufvertrags resultierender Schäden) bestätigte. Es bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig.

Am letzten Tag der vierwöchigen Frist nach § 508 Abs 2 ZPO beantragte die Beklagte erneut Verfahrenshilfe in vollem Umfang, ohne ein ausgefülltes Vermögensverzeichnis oder Belege beizulegen und unter bloßer Wiederholung der Behauptung, dass sie außer Stande sei, ohne Gefährdung des notwendigen Unterhalts die Kosten des Verfahrens zu bestreiten; ein vollständig ausgefülltes Vermögensbekenntnis unter Anschluss darauf bezughabender Belege werde unaufgefordert nachgereicht.

Das Erstgericht wies den Verfahrenshilfeantrag ab, begründete die Abweisung aber nach Schilderung des Hergangs zum ersten Verfahrenshilfeantrag damit, dass der Beklagten offenbar schon bei Einbringung jenes Antrags bewusst gewesen sei, dass ihm ein Vermögensbekenntnis anzuschließen sei. Es legte auf der Sachverhaltsebene zu Grunde, dass die Vorlage des Vermögensbekenntnisses bewusst nicht erfolgt sei, und begründete diese Würdigung damit, dass der Beklagten aufgrund des Ablaufs völlig klar sein habe müssen, dass die Vorlage eines ausgefüllten Vermögensbekenntnisses unabdingbare Voraussetzung für die Bewilligung der Verfahrenshilfe sei, jedoch ein solches ungeachtet der abermaligen Ankündigung nicht vorgelegt worden sei. Ein Verbesserungsauftrag sei damit nicht mehr erforderlich, es sei vielmehr sogleich mit einer Antragsabweisung vorzugehen. Es wiederholte, dass, da die Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse der Beklagten nicht bekannt und damit nicht überprüfbar seien, nicht davon ausgegangen werden könne, dass sie nicht in der Lage sei, ohne Gefährdung ihres notwendigen Unterhalts die weiteren Kosten des Verfahrens zu bestreiten.

Dieser Beschluss wurde dem Rechtsvertreter der Beklagten am 3. 3. 2015 zugestellt. Genau vier Wochen danach brachte die Beklagte einen Antrag auf Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs verbunden mit einer ordentlichen Revision ein.

Mit der angefochtenen Entscheidung wies das Berufungsgericht diesen Antrag und die Revision als verspätet zurück, weil die vierwöchige Frist nach § 508 Abs 2 ZPO bereits abgelaufen gewesen sei. Sie sei durch den Verfahrenshilfeantrag nicht unterbrochen worden. Dann, wenn ein Antragsteller, etwa um das Verfahren zu verzögern, seinem Antrag absichtlich kein oder nur ein unvollständig ausgefülltes Vermögensbekenntnis beigelegt habe, sei kein Verbesserungsverfahren einzuleiten, sondern der Antrag sofort zurückzuweisen. Eine solche Zurückweisung führe nicht zu einer Verlängerung der Rechtsmittelfrist. Auch wenn das Erstgericht den Verfahrenshilfeantrag formell abgewiesen habe, habe es in seiner Begründung unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass es davon ausgehe, dass die Beklagte ihrem Verfahrenshilfeantrag bewusst ‑ also absichtlich ‑ kein Vermögensbekenntnis beigelegt habe. Es sei dem Erstgericht bloß das Versehen unterlaufen, dass es den Verfahrenshilfeantrag abgewiesen habe, statt ihn richtigerweise zurückzuweisen. Wenn sich das Gericht aber bloß bei der Form der Entscheidung geirrt habe, sei in die richtige Entscheidung umzudeuten.

Dagegen richtet sich der Rekurs der Beklagten aus den Rekursgründen der Nichtigkeit wegen res iudicata und Befangenheit des Rechtsmittelsenats, Aktenwidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der sich im Wesentlichen so zusammenfassen lässt, dass es dem Berufungsgericht verwehrt gewesen wäre, den Beschluss umzudeuten und „autodidakt“ (sic!) und ohne Ermittlungsverfahren „im Wege einer Ferndiagnose“ eine Aussage über die „psychische Realität“ bei der Beklagten „im Zusammenhang mit der Stellung des Antrags auf Bewilligung der Verfahrenshilfe und Nichtvorlage des Vermögensbekenntnisses“ zu treffen, ohne sie gehört zu haben. Überdies habe das Erstgericht auch darauf Bezug genommen, dass die Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse nicht überprüft werden können.

In ihrer Rekursbeantwortung beantragt die Klägerin, den Rekurs als unzulässig zurückzuweisen, weil Beschlüsse, mit denen das Berufungsgericht den Antrag auf nachträgliche Zulassung der ordentlichen Revision zurückweise, unanfechtbar seien; in eventu ihn abzuweisen, da das Berufungsgericht zu Recht den Schluss gezogen habe, dass die Beklagte ihrem Verfahrenshilfeantrag bewusst kein Vermögensbekenntnis beigelegt habe.

Rechtliche Beurteilung

1. Der Rekurs ist zulässig, weil der Rechtsmittelausschluss des § 508 Abs 4 ZPO nur Entscheidungen betrifft, mit denen das Berufungsgericht die Argumente des Antragstellers, es lägen doch erhebliche Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO vor, prüft, sie aber nicht für stichhältig hält und deshalb den Antrag nach § 508 Abs 1 ZPO und die damit verbundene Revision zurückweist (RIS‑Justiz RS0115271; RS0113122). Der Ausschluss gilt jedoch nicht bei einer Zurückweisung des Rechtsmittels wegen Verspätung (8 Ob 101/08y; 4 Ob 99/10b; 3 Ob 20/13g).

2.1. Das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.

Die Ablehnung des erkennenden Senats des Rekursgerichts wurde vom Oberlandesgericht Wien mit rechtskräftig gewordenem Beschluss vom 12. 8. 2015, AZ 13 Nc 18/15v, zurückgewiesen.

2.2. Es entspricht herrschender Rechtsprechung und Lehre, dass die Unterbrechungswirkung eines Verfahrenshilfeantrags einen zulässigen Antrag voraussetzt, dann aber auch eintritt, wenn dieser Antrag sich als unberechtigt erweist, wogegen eine verfahrensrechtlich unzulässige Antragstellung unbeachtlich bleibt (RIS‑Justiz RS0123515; M. Bydlinski in Fasching/Konecny ² II/1 § 73 ZPO Rz 5 mwN). War der Verfahrenshilfeantrag unzulässig, ist es auch nicht von Bedeutung, dass dieser etwa meritorisch behandelt und abgewiesen statt zurückgewiesen (1 Ob 82/08b ua) ‑ oder sogar bewilligt (vgl nur 1 Ob 97/08h) ‑ wurde. Die Umdeutung einer Entscheidung durch das Gericht zweiter Instanz beim Vergreifen in der Entscheidungsform durch das Gericht erster Instanz ist nach der Rechtsprechung grundsätzlich möglich (vgl RIS‑Justiz RS0036324; RS0041859), was auch schon im Zusammenhang mit Verfahrenshilfeanträgen entschieden wurde (4 Ob 44/12t ua; RIS‑Justiz RS0120073).

Dass unzulässige Verfahrenshilfeanträge keine Fristunterbrechung bewirken (RIS‑Justiz RS0123515; 3 Ob 130/05x), wurde bisher in Fällen ausgesprochen, in denen ein früherer Verfahrenshilfeantrag bereits abgewiesen (1 Ob 82/08b) bzw eine bestehende Verfahrenshilfe schon für erloschen erklärt worden war (1 Ob 211/09z) oder ein Verfahrenshilfeantrag gestellt wurde, obgleich Verfahrenshilfe ohnehin schon bewilligt war (1 Ob 97/08h, 3 Ob 93/08k).

2.3. Da der Beklagten in diesem Verfahren die Verfahrenshilfe bereits mit der vom Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 16. 6. 2014, AZ 11 R 105/14p, bestätigten Entscheidung des Erstgerichts vom 21. 5. 2014 rechtskräftig versagt worden war, ist ihr ohne Behauptung einer Änderung der Sachverhaltsgrundlage wiederholter (und bewusst ohne Vermögensbekenntnis eingebrachter) Antrag als unzulässig zu qualifizieren (vgl 1 Ob 82/08b; 1 Ob 211/09z; 1 Ob 129/10t; 1 Ob 140/10k). Trat aber demnach eine Unterbrechung der Rechtsmittelfrist nicht ein, war ausgehend von der Zustellung der Berufungsentscheidung am 19. 1. 2015 ihr am 31. 3. 2015 eingebrachter Antrag nach § 508 ZPO verbunden mit der ordentlichen Revision verspätet. Die Zurückweisung durch das Berufungsgericht erfolgte zu Recht, weswegen dem gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurs ein Erfolg verwehrt ist.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 41 iVm § 50 ZPO. Das Rekursverfahren vor dem Obersten Gerichtshof ist seit der ZVN 2009 zweiseitig (RIS‑Justiz RS0128487). Ein Beschluss, mit dem ein Rechtsmittel zurückgewiesen wird, hat verfahrensbeendende Wirkung und ist daher nicht als bloß prozessleitend zu qualifizieren (RIS‑Justiz RS0098745 [T21 und T22]). Es gebührt aber nur der einfache Einheitssatz, weil ein Fall des § 23 Abs 9 RATG (Berufungsverfahren) nicht vorliegt (1 Ob 122/14v). Die Bemessungsgrundlage beträgt unter Hinzurechnung (RIS‑Justiz RS0039661) des Zweifelsstreitwerts für den Zwischenantrag nach § 56 Abs 2 JN zu den Streitwerten für Lastenfreistellung und Feststellung nur 11.000 EUR.

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