OGH 1Ob169/08x

OGH1Ob169/08x26.5.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Robert W*****, vertreten durch Dr. Holzmann Rechtsanwalts GmbH in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Hildegard W*****, vertreten durch Dr. Nader Karl Mahdi, Rechtsanwalt in Wattens, wegen 32.773,89 EUR sA, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 30.231,89 EUR) gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 19. Juni 2008, GZ 4 R 187/08s-18, womit das Urteil des Bezirksgerichts Hall in Tirol vom 4. März 2008, GZ 2 C 87/07b-13, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

I. Aus Anlass der Revision werden die Urteile der Vorinstanzen und das diesen vorangegangenen Verfahren, soweit über einen Teil des Klagebegehrens in Höhe von 2.884 EUR verhandelt und entschieden wurde, als nichtig aufgehoben. Die Klage wird, soweit sie auf Zahlung eines Teilbetrags von 2.884 EUR samt 4 % Zinsen seit 1. 11. 2006 und 4 % Zinseszinsen seit 29. 6. 2007 gerichtet ist, zurückgewiesen.

II. Im Übrigen wird der Revision nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist daher schuldig, der klagenden Partei 27.347,89 EUR samt 4 % Zinsen seit 1. 11. 2006 und 4 % Zinseszinsen seit 29. 6. 2007 binnen 14 Tagen zu zahlen.

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit 6.951,11 EUR (darin enthalten 1.067,47 EUR Umsatzsteuer und 546,30 EUR Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Ehe der Parteien wurde im Jahr 1990 gemäß § 55a EheG geschieden. Im Scheidungsvergleich verpflichtete sich der Kläger zu einer Unterhaltszahlung an die Beklagte von monatlich 4.000 ATS ab 1. 12. 1990. Ausgangsbasis bildete ein monatliches Nettoeinkommen des Klägers von etwa 18.000 bis 20.000 ATS und ein solches der Beklagten von ca 6.500 ATS. Der Kläger zahlte der Beklagten den vereinbarten Unterhalt bis einschließlich Juli 2001. In diesem Jahr begehrte der Kläger zufolge geänderter Verhältnisse - seine Pensionierung sowie Ganztagsbeschäftigung der Beklagten -, ihn von seiner Unterhaltspflicht zu entheben, und erwirkte diesbezüglich ein klagestattgebendes Anerkenntnisurteil. Im Jahr 2006 begehrte die Beklagte im Klageweg (4 C 36/06v des Bezirksgerichts Innsbruck, im Folgenden: „Vorverfahren") - erfolgreich -, den Kläger ab 1. 5. 2006 zu einer monatlichen Unterhaltszahlung von 412 EUR zu verhalten.

Der Kläger begehrt nun von der Beklagten die Rückzahlung von zu Unrecht empfangenen Unterhaltsbeiträgen für den Zeitraum 1. 11. 1992 bis einschließlich Juli 2001 sowie jener Beträge, die er im Zeitraum Mai bis November 2006 aufgrund der einstweiligen Verfügung im Vorverfahren an die Beklagte bezahlt habe und hinsichtlich derer im dortigen Berufungsurteil die Aufrechnung für zulässig erkannt worden sei. Rechnerisch handelt es sich dabei um 2.542 EUR. Die Beklagte sei von einer Teilzeit- auf eine Vollzeitbeschäftigung gewechselt und habe diese geänderten Verhältnisse dem Kläger verschwiegen. Das Klagebegehren werde auf jeden erdenklichen Rechtsgrund gestützt, insbesondere auf Schadenersatz und unrechtmäßige Bereicherung.

Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, dass dem Kläger seit dem Jahr 2001 bekannt gewesen sei, dass sie einer Ganztagsbeschäftigung nachgegangen sei. Die Klage sei daher verjährt.

Das Erstgericht gab der Klage im Wesentlichen statt. Ab 1. 11. 1992 sei der Empfang der Unterhaltsbeiträge rechtsgrundlos gewesen, weil sich die im Vergleich festgeschriebenen Einkommensverhältnisse wesentlich geändert hätten. Die Beklagte sei unredlich gewesen, da sie verpflichtet gewesen wäre, dem Kläger als Unterhaltsverpflichtetem Mitteilung über die Veränderung der Bemessungsgrundlage zu machen. Der Anspruch des Klägers sei ein Kondiktionsanspruch, der erst nach 30 Jahren verjähre. Der Klagsanspruch bestehe daher mit 30.231,89 EUR sA zu Recht. Soweit der Kläger geltend mache, dass die Aufrechnungseinrede im Vorverfahren ins Leere gegangen sei, weil aufgrund der erlassenen einstweiligen Verfügung die Unterhaltsbeiträge für den Zeitraum 1. 5. 2006 bis 30. 11. 2006 von ihm tatsächlich bezahlt worden seien, übersehe er, dass aufgrund der in jenem Verfahren ergangenen Rechtsmittelentscheidung der Unterhaltsanspruch der Beklagten für diesen Zeitraum ebenfalls zu Recht bestehe. Das Mehrbegehren von 2.542 EUR (Unterhaltsbeiträge für Mai bis November 2006) wurde daher abgewiesen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung in der Hauptsache und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. § 1480 ABGB beziehe sich nicht auf Kondiktionsansprüche wie die hier geltend gemachten. Vielmehr unterliege der Kondiktionsanspruch des § 1431 ABGB der 30-jährigen Verjährungsfrist des § 1478 ABGB. Es wäre (anders als im Fall des § 1042 ABGB) nicht einzusehen, weshalb zu Unrecht erbrachte Unterhaltszahlungen dem (unredlichen) Empfänger gegenüber der kurzen Verjährungsfrist unterliegen sollten. Es bestehe auch kein Anlass, vom berechtigten Klagsbetrag 2.542 EUR in Abzug zu bringen. Es treffe zwar zu, dass das Landesgericht Innsbruck als Berufungsgericht im Vorverfahren diesbezüglich die Aufrechnung gegen die Unterhaltsansprüche der Beklagten im Zeitraum Mai bis November 2006 für berechtigt erkannt und das Klagebegehren diesbezüglich abgewiesen habe, doch habe die Aufrechnung mit Forderungen des Klägers aus dem Zeitraum 1992 bis 2001 tatsächlich nicht stattgefunden. Der Kläger habe nämlich aufgrund einer einstweiligen Verfügung des Bezirksgerichts Innsbruck Unterhaltszahlungen in der genannten Höhe erbracht. Es sei daher zu keiner Schuldtilgung gekommen. Wegen der fehlgeschlagenen Aufrechnung sei der diesbezügliche Kondiktionsanspruch des Klägers berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen gerichtete außerordentliche Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht berechtigt. Aus Anlass des Rechtsmittels der Beklagten ist jedoch die Teilnichtigkeit der vorinstanzlichen Entscheidungen wegen Nichtbeachtung der Rechtskraft wahrzunehmen.

1. Nichtigkeit:

Im Vorverfahren wendete der (dortige) Beklagte (hier Kläger) gegen den Unterhaltsanspruch der (dortigen) Klägerin (hier Beklagten) einen (pauschal) mit 32.000 EUR bezifferten Betrag an zu Unrecht bezogenem Unterhalt für die Zeit vom 1. 11. 1992 bis zum 1. 6. 2001 compensando ein. Das Landesgericht Innsbruck erkannte mit Berufungsurteil im Vorverfahren die Aufrechnung des zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz (23. 11. 2006) fälligen Teils der Klagsforderung (2.884 EUR) mit der Gegenforderung für zulässig und insoweit auch für berechtigt.

Die Sachentscheidung über die Gegenforderung bis zur Höhe der Klagsforderung bewirkt Rechtskraft für jede selbstständige Einklagung der Gegenforderung wie auch für jede neuerliche einredeweise Geltendmachung der Forderung in diesem Umfang (Fasching/Klicka in Fasching/Konecny2 § 411 ZPO Rz 73). Im vorliegenden Fall wurde im Vorverfahren über einen Teil - 2.884 EUR - der nunmehr selbstständig eingeklagten Gegenforderung rechtskräftig abgesprochen. Der neuerlichen klageweisen Geltendmachung dieses Teilbetrags steht daher die Rechtskraft entgegen.

Die Nichtbeachtung der Rechtskraft bewirkt nach ständiger Rechtsprechung Nichtigkeit. Diese ist aus Anlass eines außerordentlichen Rechtsmittels wahrzunehmen, da Nichtigkeitsgründe immer von erheblicher Bedeutung für die Rechtssicherheit sind (vgl RIS-Justiz RS0041896). Der Mangel einer absoluten Prozessvoraussetzung ist gemäß § 230 Abs 3 ZPO bis zur Rechtskraft einer Sachentscheidung von Amts wegen wahrzunehmen (2 Ob 268/06k).

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die im Vorverfahren als berechtigt erkannte Aufrechnung tatsächlich nicht stattgefunden haben mag, weil der Kläger aufgrund der im Vorverfahren erlassenen einstweiligen Verfügung Unterhaltszahlungen in der genannten Höhe erbracht hat. Diesbezüglich ist der Kläger (allenfalls) auf einen Antrag nach § 394 EO zu verweisen, über welchen das Gericht - nach den Bestimmungen für das Exekutionsverfahren - zu entscheiden hätte, das die einstweilige Verfügung erlassen hat. Der Rechtsweg vor dem ordentlichen Prozessgericht ist hiefür ausgeschlossen (Kodek in Angst2, § 394 EO Rz 11).

Die Urteile der Vorinstanzen sind daher bezüglich eines Teilbetrags von 2.884 EUR als nichtig aufzuheben; die Klage ist insoweit zurückzuweisen.

2. Verjährung:

Der Kläger stützte seine Klage in erster Linie auf Schadenersatz. Die Vorinstanzen sind - dem Berufungsgericht im Vorprozess folgend - davon ausgegangen, dass die - zur Mitteilung der hinsichtlich der Grundlagen des Scheidungsvergleichs geänderten Verhältnisse verpflichtete - Beklagte im Zeitraum 1. 11. 1992 bis einschließlich Juli 2001 zu Unrecht auf unredliche Weise Unterhaltszahlungen entgegengenommen hat. Damit hat sie die dadurch bewirkte Schädigung des Klägers als Unterhaltsverpflichteten zumindest „in Kauf genommen". Das Schadenersatzbegehren des Klägers ist somit grundsätzlich berechtigt; da es - wie im Folgenden darzustellen ist - noch nicht verjährt ist, erübrigt sich die Prüfung der Frage, ob ein Kondiktionsanspruch des Klägers - wie die Vorinstanzen den Anspruch rechtlich beurteilten - bereits verjährt wäre.

Gemäß § 1489 ABGB ist jede Entschädigungsklage in drei Jahren von der Zeit an verjährt, zu welcher der Schaden und die Person des Beschädigers dem Beschädigten bekannt wurde. Zum Vorliegen eines Schadens wird auch eine Erkundigungsobliegenheit des Geschädigten angenommen, doch darf sie nicht überspannt werden (Dehn in KBB2 § 1489 ABGB Rz 3 mwN). Bei der Frage des Ausmaßes der Erkundungspflicht des Geschädigten über den die Verjährungsfrist auslösenden Sachverhalt kommt es immer auf die Umstände des Einzelfalls an (RIS-Justiz RS0113916).

Im vorliegenden Fall brachte der Kläger im Jahr 2001 (erstmals) in Erfahrung, dass die Beklagte einer Ganztagsbeschäftigung nachging; er wusste aber nicht, seit wann sie ganztags beschäftigt war. Erst im Zuge des Vorverfahrens (Klagezustellung am 31. 5. 2006) erfuhr er, dass die Beklagte bereits seit 1. 11. 1992 ganztägig arbeitete.

Bei der Lösung der Rechtsfrage, ob der Kläger bereits 2001 im Rahmen seiner Erkundungspflicht gehalten gewesen wäre, den Zeitpunkt des Beginns der Ganztagsbeschäftigung seiner vormaligen Gattin zu erheben, ist zu berücksichtigen, dass das 2001 eingeleitete Verfahren das Erlöschen der Unterhaltspflicht des Klägers zum Gegenstand hatte und die Beklagte bereits in der ersten und einzigen Verhandlungstagsatzung den Klagsanspruch anerkannte. Die „Unterhaltsfrage" wurde für den Kläger erst wieder anlässlich des neuerlichen - im Vorprozess gerichtlich geltend gemachten - Unterhaltsbegehrens der Beklagten „aktuell", als er mit einer Forderung von mehr als 400 EUR monatlich konfrontiert wurde. Es mag zwar sein, dass es dem Kläger bereits 2001 durch entsprechende Erhebungen ohne nennenswerte Schwierigkeiten gelingen hätte können, den Umfang der Beschäftigung der Beklagten in der Vergangenheit zu erforschen. Allerdings musste ihm als Laien die Möglichkeit der Rückforderung von zu Unrecht bezahltem Unterhalt für die Vergangenheit nicht bewusst sein und war dies für ihn im Jahr 2001 auch gar kein „Thema". Es würde daher vorliegendenfalls die Erkundigungsobliegenheit des Klägers überspannen, wollte man von ihm entsprechende Nachforschungen bereits im Jahr 2001 verlangen, zumal er wohl auch auf eine redliche Vorgangsweise der Beklagten - entsprechende Mitteilung über die Aufnahme einer Ganztagsbeschäftigung - vertrauen durfte. Es erschiene grob unbillig, die unredliche Vorgangsweise der Beklagten im Ergebnis damit zu „belohnen", vom Kläger nicht unbedingt angezeigte Erkundigungen zu fordern.

Der Schaden (ungerechtfertigte Unterhaltszahlungen für den Zeitraum 1. 11. 1992 bis einschließlich Juli 2001) gelangte dem Kläger erst im Jahr 2006 zur Kenntnis. Damit ist sein Schadenersatzbegehren rechtzeitig, da es innerhalb der 3-jährigen Verjährungsfrist geltend gemacht wurde. Die Klagsforderung besteht daher - abgesehen von dem von der Nichtigkeit betroffenen Teilbetrag - zu Recht.

Der Revision der Beklagten ist demnach nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 43 Abs 1 und 51 Abs 1 ZPO. Dem Kläger ist hinsichtlich eines Teils des Klagsbetrags von 2.884 EUR die Klagsführung trotz Rechtskraft als Verschulden anzulasten. Insgesamt ist der Kläger daher mit (nur) rund 90 % - bzw ab der Klagsausdehnung auf 32.773,89 EUR bis zum Berufungsverfahren mit rund 83 % - seiner Ansprüche durchgedrungen, was zur entsprechenden Kostenteilung führt.

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