OGH 1Ob159/20v

OGH1Ob159/20v20.10.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** AG, *****, vertreten durch Mag. Markus Stender, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. O***** GmbH, 2. E***** AG, *****, vertreten durch Mag. Klemens Mayer, Mag. Stefan Herrmann Rechtsanwälte in Wien, wegen 410.325,23 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei, gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Mai 2020, GZ 30 R 106/20h‑73, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 15. Jänner 2020, GZ 10 Cg 15/16k‑69, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00159.20V.1020.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Klägerin und die Erstbeklagte schlossen aufgrund eines Angebots der Klägerin vom 3. 3. 2003 einen Kreditvertrag über 2 Mio USD zur Finanzierung eines Anteils von 24,27 % an einem Flugzeug der Erstbeklagten, das diese mit Vertrag vom 14. 2. 2003 an eine dritte Gesellschaft verleast hatte. Unter der Überschrift „Risikotragung“ war vereinbart, dass eine Rückführung des Kredits samt Verzinsung nur soweit erfolgt, als die Leasingnehmerin des Flugzeugs die Leasingraten gemäß der abgeschlossenen (auch der Klägerin bekannten) Leasingvereinbarung inklusive etwaiger Nachtragsvereinbarungen bedient. Für den Fall der Verwertung des Leasingobjekts sollte eine Rückführung des Kredits nur soweit erfolgen, als ein Verwertungserlös erzielt wird. Die Erstbeklagte verpflichtete sich im Kreditvertrag, sämtliche Maßnahmen gemäß dem Leasingvertrag zu setzen, um Nachteile aus dem Leasinggeschäft abzuwenden. Mit Erklärung vom 27. 2. 2003 übernahm die Zweitbeklagte die Haftung für sämtliche Schäden, die der Klägerin aus der „Gestionsverantwortung“ der Erstbeklagten hinsichtlich des Flugzeugs entstehen.

Nachdem die Leasingnehmerin die Leasingraten nicht mehr bezahlte, wurde der Leasingvertrag zum 11. 4. 2013 aufgelöst; ein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Leasingnehmerin wurde mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen.

Die Klägerin begehrte Schadenersatz und brachte vor, dass das Flugzeug nicht ordnungsgemäß gewartet worden sei, wodurch es zu Korrosionsschäden gekommen und für das Flugzeug nur mehr ein verminderter Verkaufspreis erzielbar gewesen sei. Dadurch habe sie einen Kreditausfall erlitten.

Mit dem im dritten Rechtsgang ergangenen Urteil bestätigte das Berufungsgericht die das Klagebegehren abweisende Entscheidung des Erstgerichts und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Aus dem Kreditvertrag könne weder eine Verpflichtung der Erstbeklagten, die Wartung des Flugzeugs durchgehend zu kontrollieren, abgeleitet noch eine Garantiezusage für den Werterhalt entnommen werden. Zur Sicherung des Interesses der Klägerin an der Werterhaltung des Flugzeugs habe es ausgereicht, dass die Erstbeklagte der Leasingnehmerin vertraglich umfassende Instandhaltungs‑, Überprüfungs‑, Überholungs‑, Reparatur‑ und Wartungspflichten übertragen und ein Drittunternehmen mit der periodischen (jährlichen) Kontrolle von dessen Werthaltigkeit beauftragt habe. Der Schaden am Flugzeug sei mit 16. 8. 2012 bereits vollständig eingetreten gewesen. Dass der Erstbeklagten ein Einsatz des Flugzeugs in Nigeria oder dessen „Grounding“ vor diesem Stichtag erkennbar gewesen wäre, habe nicht festgestellt werden können.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin, die jedoch keine Fragen von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO anspricht:

Rechtliche Beurteilung

1.1 Es ist zwar grundsätzlich richtig, dass eine Rechtsrüge nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt ist, wenn nicht dargelegt wird, aus welchen Gründen – ausgehend vom festgestellten Sachverhalt – die rechtliche Beurteilung der Sache durch die Vorinstanz unrichtig erscheint (RIS‑Justiz RS0043603). Der Vorwurf, das Berufungsgericht habe im ersten Rechtsgang zu Unrecht eine (ausreichende) Rechtsrüge der Beklagten angenommen und eine rechtliche Beurteilung der Sache mit dem Ergebnis der Aufhebung des der Klage stattgebenden Ersturteils und Rückverweisung zur neuerlichen Entscheidung vorgenommen kann aus dem – von ihr bloß auszugsweise wiedergegebenen – Rechtsmittel der Beklagten nicht nachvollzogen werden.

1.2 Die Auslegung einer (Vertrags‑)Urkunde ist Teil der rechtlichen Beurteilung (RS0017911). Bei den von der Revisionswerberin als Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz gerügten Passagen des Berufungsurteils im ersten Rechtsgang handelt es sich um Erwägungen im Zusammenhang mit der Auslegung des Kredit- sowie des Leasingvertrags, sohin um Rechtsausführungen, nicht aber um Feststellungen, die von diesem ohne erforderliche Beweiswiederholung getroffen worden wären.

Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt damit insgesamt nicht vor.

2. Eine Aktenwidrigkeit ist nur bei einem Widerspruch zwischen dem Inhalt eines bestimmten Aktenstücks einerseits und dessen Zugrundelegung und Wiedergabe durch das (Rechtsmittel‑)Gericht andererseits gegeben (RS0043397 [T2]). Relevant wäre ein solcher Verstoß allerdings nur, wenn er eine entscheidungswesentliche Tatsache betrifft (RS0043265; RS0043367 [T1]). Das ist hier schon deshalb nicht zu erkennen, weil selbst dann, wenn man davon ausgeht, dass das Berufungsgericht (im dritten Rechtsgang) bei Erledigung der Beweisrüge zu Unrecht außer Acht ließ, die Erstbeklagte sei in einem der Versicherungsverträge (als Vertragspartei) namentlich angeführt, keineswegs zwingend darauf geschlossen werden kann, diese hätte von diesem Versicherungsvertrag und damit von einem Einsatz des Flugzeugs in Nigeria so rechtzeitig Kenntnis erlangt, dass sie eine dadurch bedingte Wertminderung noch verhindern hätte können. Eine solche Annahme lässt sich in tatsächlicher Hinsicht auch aus den Ausführungen der Revisionswerberin nicht ableiten. Unverständlich ist ihre Argumentation, wenn sie eine Haftung der Erstbeklagten ihr gegenüber auch dann annehmen will, wenn deren Verständigung von der Ausweitung einer Versicherungsdeckung durch die Leasingnehmerin (unter anderem auch auf Nigeria) unterblieb, weil völlig unklar ist, wie diese, ohne Kenntnis davon zu haben, verhindern hätte sollen, dass das Flugzeug dort betrieben wird.

3.1 Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, wirft nur dann eine erhebliche Rechtsfrage auf, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RS0042936). Steht die Vertragsauslegung durch die Vorinstanzen aber mit den Grundsätzen von Lehre und Rechtsprechung im Einklang, liegt eine erhebliche Rechtsfrage selbst dann nicht vor, wenn auch das von der Rechtsmittelwerberin gewünschte Ergebnis vertretbar wäre (RS0042776 [T23]). Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn, wie die Revisionswerberin geltend macht, das die gewählte Leasingkonstruktion kein Einzelfall wäre, sondern ein beliebtes Modell zur Finanzierung von Flugzeugen darstellte (vgl RS0042816), zumal es stets auf die konkreten Vertragsklauseln im Einzelfall ankommt.

3.2 Zutreffend und von der Revisionswerberin nicht beanstandet gelangte das Berufungsgericht zum Ergebnis, dass für die Beurteilung, welche Pflichten die Erstbeklagte im Verhältnis zur Klägerin trafen, der Kreditvertrag einerseits und der Leasingvertrag andererseits heranzuziehen sind. Richtig ist, dass die Erstbeklagte nach dem Kreditvertrag verpflichtet war, „sämtliche Maßnahmen gemäß Leasingvertrag zu setzen, um Nachteile aus dem Leasinggeschäft abzuwenden“. Mit dem der Klägerin bei Abschluss des Kreditvertrags bekannten Leasingvertrag hatte die Leasingnehmerin die Verpflichtung zur Wartung und Instandhaltung des Flugzeugs übernommen und hatte dieses, sowie die Triebwerke in gutem Betriebszustand zu halten. Anhaltspunkte für die Verpflichtung der Erstbeklagten der Klägerin gegenüber zu einer laufenden Wartungskontrolle, wie die Revisionswerberin meint, finden sich weder im Kredit‑, noch im Leasingvertrag. Nach Letzterem war die Erstbeklagte als Leasinggeberin bei Gefahr in Verzug jederzeit, sonst gegen Voranmeldung, berechtigt, das Flugzeug und alle damit zusammenhängenden Unterlagen zu überprüfen, wobei die Leasingnehmerin verpflichtet war, das Flugzeug und damit im Zusammenhang stehende Dokumente und Unterlagen kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Ausgehend davon ist es jedenfalls vertretbar, wenn das Berufungsgericht bereits im ersten Rechtsgang eine vertragliche Pflicht der Erstbeklagten zur laufenden Wartungskontrolle verneinte und zum Ergebnis gelangte, dass dem Wertsicherungsinteresse der Klägerin durch die Übertragung der Wartungs- und Instandhaltungspflicht an die Leasingnehmerin sowie durch die jährliche Inspektion des Flugzeugs einschließlich der für die Werterhaltung maßgeblichen Dokumente durch ein befugtes Drittunternehmen im Auftrag der Erstbeklagten ausreichend Rechnung getragen worden sei. Dagegen vermag die Revisionswerberin, die es unterlassen hat, sich durch ausreichend klare Vertragsbestimmungen für einen Fall wie den vorliegenden abzusichern, auch mit ihren wiederholten Hinweisen auf die vertragliche Risikoverteilung keine Bedenken zu erwecken, zumal sie auch nicht darlegt, wie eine „laufende Wartungskontrolle“ nach ihren Vorstellungen ablaufen hätte sollen, und nicht einmal behauptet, dass die Erstbeklagte dadurch in die Lage versetzt worden wäre, der durch den Einsatz in Nigeria verursachten und bis zum 16. 8. 2012 bereits vollständig eingetreten Wertminderung rechtzeitig zu begegnen.

3.3 Warum aus dem Umstand, dass das von der Erstbeklagten erstellte und den Vertragsgesprächen zugrunde gelegte „Projektmemorandum“ eine Finanzierungslaufzeit von 10 Jahren und einen Restwert des Flugzeugs von 50 % auswies, eine „Garantiezusage im Sinn eines Einstehen‑Müssens der erstbeklagten Partei für einen darüberhinausgehenden Wertverlust des Flugzeuges“ abgeleitet werden soll, ist nicht nachvollziehbar. Im Kreditvertrag wird der Restwert lediglich bei der Beschreibung der Leasingfinanzierung, also mit Bezug auf die Erstbeklagte als Leasinggeberin und die Leasingnehmerin referiert; für eine vertragliche Haftung der Erstbeklagten in dem von der Klägerin nunmehr angestrebten Sinn findet sich darin kein Anhaltspunkt. Einen solchen behauptet die Revisionswerberin auch gar nicht, sondern argumentiert ausschließlich mit den Besonderheiten der Finanzierungskonstruktion sowie dem schlagend gewordenen Risiko und vermag damit keine Korrekturbedürftigkeit des Berufungsurteils aufzuzeigen. Für eine neben dem Vertrag bestehende mündliche Abrede finden sich im festgestellten Sachverhalt keine Hinweise.

4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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