OGH 1Ob154/20h

OGH1Ob154/20h23.9.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D***** TIC. LTD.STI., *****, Türkei, vertreten durch Mag. Armin Posawetz, Rechtsanwalt in Gratwein-Straßengel, gegen die beklagte Partei Dr. H***** als Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der M***** GmbH, *****, vertreten durch die Schmidberger‑Kassmannhuber‑Schwager Rechtsanwalt-Partnerschaft in Steyr, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 3 Cg 16/19g des Landesgerichts Steyr (wegen 270.298,97 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 7. Juli 2020, GZ 1 R 12/20w‑19, mit dem das Urteil des Landesgerichts Steyr vom 29. November 2019, GZ 3 Cg 16/19g‑14, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00154.20H.0923.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Sinn und Zweck der Wiederaufnahmeklage nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO ist es, eine unrichtige Tatsachengrundlage des mit der Wiederaufnahmeklage bekämpften Urteils zu beseitigen, nicht aber, Fehler der Partei bei der Führung des Vorprozesses zu korrigieren (RIS-Justiz RS0039991; vgl auch RS0044354; RS0044359).

Die Vorinstanzen wiesen die Wiederaufnahmeklage mit der Begründung ab, die Klägerin habe es – obwohl ihr dies aufgrund der von ihr (durch ihre Rechtsvertretung) vorgelegten Urkunden schon im wiederaufzunehmenden Verfahren möglich gewesen wäre – unterlassen, die Tatsachen vorzubringen, aus denen sie nun die von ihr behauptete entscheidungswesentliche Rechtsfolge eines Fehlens der Aktivlegitimation des Masseverwalters im Vorprozess ableitet (Genehmigung des beim türkischen Bundeskanzleramt gestellten Antrags auf Eröffnung einer „selbständigen Niederlassung“ der Schuldnerin in der Türkei durch den türkischen Premierminister; Vertragsschluss [nur] mit dieser [und nicht mit der Schuldnerin]). Mit Ausnahme eines Urteils eines türkischen Gerichts seien ihr neben den Tatsachen auch sämtliche Beweismittel bereits bekannt gewesen. Dieses Urteil sei aber ohne Einfluss und schon abstrakt gesehen nicht geeignet, eine für die Klägerin günstigere Entscheidung im Hauptverfahren herbeizuführen.

2. In ihrer außerordentlichen Revision beharrt die Klägerin auf dem schon in der Berufung eingenommenen Standpunkt, sie habe die Tatsache, dass ein Vertrag nur mit der Niederlassung zustande gekommen sei, bereits im Hauptprozess vorgebracht.

Die einzelfallbezogene Auslegung des konkreten Prozessvorbringens einer Partei begründet aber, sofern nicht – anders als im vorliegenden Fall – eine zur Wahrung der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung vorliegt, keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (vgl RS0042828 [T1, T15, T23]). Im Vorverfahren hat die nunmehrige Wiederaufnahmeklägerin ausdrücklich vorgebracht, dass zwischen ihr und der Schuldnerin eine Dienstleistungsvereinbarung abgeschlossen worden sei, und zwar durch den für letztere bestellten „türkischen“ Niederlassungsleiter; sie habe in der Folge die Leistungen der Schuldnerin in Anspruch genommen. Entgegen ihrer Behauptung liegt auch im Fehlen „von Rechtsprechung zur Frage, ob ein neu aufgefundenes Beweismittel einen Wiederaufnahmegrund darstellt, wenn im Vorprozess der– trotz Anwaltspflicht – unvertretene Kläger“ die nun von ihr als entscheidungserheblich angesehene Tatsache (Bestehen eines „selbständig rechtsfähigen Vertriebsbüros“ in Form der Niederlassung in der Türkei) „vorgebracht“ habe und zum Beweis dafür „die Beilage ./B anführt“, keine erhebliche Rechtsfrage.

Im Verfahren mit Anwaltspflicht ist die unvertretene Partei postulationsunfähig (3 Ob 105/07y; 1 Ob 211/09z). Abgesehen davon, dass der Geschäftsführer der Klägerin im Vorprozess mehrmals darüber belehrt worden war, dass er sie im Verfahren nicht vertreten kann und Anwaltspflicht besteht, war diese bei Erstattung der Klagebeantwortung, während des ersten Schriftsatzwechsels und auch noch in der ersten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung anwaltlich vertreten gewesen. Die danach gewählte (zweite) Rechtsvertretung gab die Vollmachtsauflösung unter Hinweis darauf bekannt, dass ihr eine Abstimmung mit ihrer Mandantin, trotz mehrfacher Versuche, sie telefonisch und schriftlich zu erreichen, nicht möglich gewesen war. Die pauschale Behauptung, sie sei im Vorprozess (während der gesamten Dauer) unvertreten gewesen, ist also zum einen unrichtig, zum anderen besteht bereits umfangreiche und gefestigte Judikatur dazu, dass Beweisergebnisse nach den Grundsätzen der österreichischen Zivilprozessordnung fehlendes Vorbringen nicht ersetzen können (RS0037915 [T2]; insbes zur Parteiaussage bei bestehender Anwaltspflicht RS0038037 [T9]; RS0043157), weshalb sie sich nicht auf den Inhalt der Aussage ihres Geschäftsführers stützen kann.

3. Zur Beurteilung, dass sie die Aktivlegitimation im Hauptprozess nicht bestritten und vor allem das dafür von ihr nun als wesentlich angesehene Tatsachenvorbringen nicht erstattet hat, kann die Klägerin keinesfalls eine aufzugreifende Fehlbeurteilung aufzeigen. Sie umschreibt mit der Formulierung, sie sei erst durch das Urteil des türkischen Gerichts in den Stand gesetzt worden, diese „Tatsachen“ konkret vorzubringen und „die Beweismittel zu benutzen“, unter missverständlicher Verwendung des Wortes „Tatsachen“ in Wahrheit bloß, dass ihr bis dahin (allein) die Rechtslage zum (angeblichen) Bestehen einer rechtlichen Selbständigkeit einer (in der vorliegenden Form) genehmigten Niederlassung der Schuldnerin unbekannt gewesen war. Wenn sie aber – im Sinn der unbekämpften Ausführungen der Vorinstanzen – die dies tragende Tatsachengrundlage (samt Beweisen dafür) kannte und ihr nur die (von ihr mittlerweile) daran geknüpfte Rechtsfolge verborgen geblieben war, kann die Wiederaufnahme nicht erfolgreich sein. Das Wiederaufnahmeverfahren dient nämlich nicht dazu, fehlende Rechtskenntnisse auszugleichen (vgl 4 Ob 83/12b).

4. Zu anderen (selbständigen) Tatsachen in der Berufung versäumte Rechtsausführungen (fehlende Kenntnis von der Insolvenz, keine Sperre der Tankkarte, Zahlung eines Vorschusses) können von ihr im Revisionsverfahren nicht nachgetragen werden (RS0043573 [T2, T29, T31, T33, T36, T43]; RS0043338 [T11, T27]; RS0043480 [T22]).

5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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