OGH 1Ob153/98a

OGH1Ob153/98a30.6.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz Josef D*****, vertreten durch Dr.Franz Insam, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen 164.500 S sA infolge Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 148.300 S sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgerichts vom 3.März 1998, GZ 5 R 6/98m-17, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 2.November 1997, GZ 21 Cg 50/97p-10, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

1. Der Antrag der klagenden Partei auf Anberaumung einer mündlichen Revisionsverhandlung wird abgewiesen.

2. Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Über den Kläger wurde am 11.Oktober 1992 aufgrund eines gegen ihn eingeleiteten Strafverfahrens die Untersuchungshaft verhängt. Am 22. März 1993 wurde er wegen Wegfalls des dringenden Tatverdachts wieder enthaftet. Am 2.Dezember 1993 wurde er von der Anklage wegen der Verbrechen der Vergewaltigung, des Beischlafs mit Unmündigen und der schweren Nötigung - begangen an einem am 26.April 1980 geborenen Mädchen - gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Mit Beschluß vom 3. Oktober 1995 stellte das Landesgericht für Strafsachen Graz fest, daß der Kläger für die vermögensrechtlichen Nachteile aus seiner Anhaltung vom 11.Oktober 1992, 16 Uhr 40, bis zum 22.März 1993, 15 Uhr 15, einen Ersatzanspruch gegen den Bund habe, weil der Freispruch in Wahrheit nicht wegen des Grundsatzes "in dubio pro reo", sondern mangels einer Überzeugung des Schöffengerichts, daß der Kläger die ihm angelasteten strafbaren Handlungen tatsächlich begangen habe, erfolgt sei. Demnach sei der Tatverdacht im Sinne des § 2 Abs 1 lit. b StEG entkräftet worden. In einem solchen Fall bestehe ein Entschädigungsanspruch, wenngleich die Verhängung der Untersuchungshaft aufgrund der Angaben der Anzeigerin rechtmäßig gewesen sei. Daraufhin forderte der Kläger den Bund zur Ersatzleistung nach dem Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz auf. Er beanspruchte 146.000 S für 164 Tage Haft und 18.500 S als Ersatz für Mietzinsbeträge, die ein Dritter, der Rückzahlung begehre, für den Kläger aufgewendet habe. Die Finanzprokuratur lehnte die Ersatzleistung ab, weil immaterieller Schadenersatz nach dem Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz nicht gebühre, der Kläger als Sozialhilfeempfänger keinen Verdienstentgang erlitten habe und die von einem anderen aufgewendeten Mietzinsbeträge als Drittschaden nicht ersatzfähig seien.

Der Kläger begehrte in seiner am 20.Februar 1997 eingebrachten Klage "nach dem Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz" den Zuspruch von 146.000 S als immaterielle Haftentschädigung gemäß Art 5 Abs 5 EMRK und 18.500 S als Ersatz der einem Dritten zu refundierenden Mietzinszahlungen. Er habe die Haft als Körperbehinderter durch die Einschränkung seiner Lebensqualität als besonders drückend empfunden und könne mangels Vermittelbarkeit auf dem "freien Arbeitsmarkt" kein Einkommen erzielen.

Die beklagte Partei wendete ein, nach dem Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz seien nur Vermögensschäden ersatzfähig. Einen Verdienstentgang habe der Kläger nicht erlitten. Die von einem anderen bezahlten Mietzinsbeträge seien als Drittschaden nicht ersatzfähig. Der Kläger hätte den Mietzins ferner auch dann zu bezahlen gehabt, wenn der Freiheitsentzug unterblieben wäre. Die vom Kläger erlittene Untersuchungshaft sei nicht rechtswidrig gewesen. Immaterieller Schadenersatz gemäß Art 5 Abs 5 EMRK setze die "Gesetzwidrigkeit" der Haft voraus. Der geltend gemachte Haftentschädigungsanspruch sei überdies verjährt. Die Verjährung habe im Zeitpunkt der Enthaftung des Klägers am 22.März 1993 begonnen und sei am 22.März 1996 vollendet gewesen.

Das Erstgericht sprach dem Kläger 16.200 S sA zu und wies das Mehrbegehren von 148.300 S sA ab. Nach dessen Ansicht ist der Mietzinsaufwand eines Dritten für den Kläger, der diesen Betrag zu refundieren habe, ein ersatzfähiger Vermögensschaden im Sinne des Strafrechtlichen Entschädigungsgesetzes. Dieses Gesetz könne einem immateriellen Schadenersatzanspruch nicht als Grundlage dienen. Im übrigen sei der Anspruch auf Entschädigung wegen der durch die Untersuchungshaft erlittenen Unbill verjährt.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Es erwog in rechtlicher Hinsicht, der Ersatz immateriellen Schadens könne "nur nach den Bestimmungen des AHG unter Beachtung der dort vorgesehenen Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden". Der Kläger habe seine Ansprüche im Aufforderungsverfahren - wenngleich nicht ausdrücklich, so doch inhaltlich - auch auf die Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes gestützt. Die Verjährungseinrede der beklagten Partei schlage weder nach den Bestimmungen des Strafrechtlichen Entschädigungsgesetzes noch nach jenen des Amtshaftungsgesetzes durch. Was den gemäß Art 5 Abs 5 EMRK als immateriellen Schaden geltend gemachten Anspruch auf Haftentschädigung betreffe, folge das Berufungsgericht nicht der Entscheidung 1 Ob 41/86 (= SZ 60/1), aus der ein Verjährungsbeginn mit dem Zeitpunkt der Enthaftung abzuleiten sei, sondern der Entscheidung 1 Ob 27, 28/90 (= SZ 63/223), wonach das Unterbleiben der Fortsetzung eines Amtshaftungsverfahrens bis zur Beendigung eines Strafverfahrens keine nicht gehörige Fortsetzung der Klage im Sinne des § 1497 ABGB darstelle. Ein Entschädigungsanspruch gemäß Art 5 Abs 5 EMRK werde daher "erst beim Abschluß des Strafverfahrens fällig". Infolgedessen sei dieser Teil des Klagebegehrens unter Berücksichtigung der durch das Aufforderungsverfahren bewirkten Fortlaufhemmung nicht verjährt. Die Europäische Menschenrechtskonvention biete allerdings keine Grundlage "für eine Entschädigung für rechtsmäßige Haft". Unter Zugrundelegung der Verdachtslage sei die Untersuchungshaft über den Kläger rechtmäßig verhängt und bis zum Entfall des dringenden Tatverdachts auch rechtmäßig aufrechterhalten worden. Gemäß § 2 Abs 1 lit b StEG könne eine solche Untersuchungshaft wegen Entkräftung des Tatverdachts nur zum Ersatz vermögensrechtlicher Nachteile im Sinne des § 1 StEG, dagegen nicht zu einer Haftentschädigung gemäß Art 5 Abs 5 EMRK führen. Daß seine Haft rechtswidrig gewesen sei, habe der Kläger im Verfahren erster Instanz "nicht substantiiert behauptet". Die Zulässigkeit der ordentlichen Revision ergebe sich "ungeachtet des Umstandes, daß die Verneinung der Rechtswidrigkeit der Haft auf gefestigter Rechtsprechung" beruhe, aus den verschiedenen Anknüpfungsgründen für den Verjährungsbeginn in den Entscheidungen 1 Ob 41/86 und 1 Ob 27, 28/90.

Rechtliche Beurteilung

Der Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Revisionsverhandlung ist abzuweisen, die Revision ist unzulässig.

1. Die Anberaumung einer mündlichen Revisionsverhandlung liegt gemäß § 509 Abs 2 ZPO im Ermessen des Obersten Gerichtshofs (SZ 67/215; SZ 66/97; Kodek in Rechberger, Kommentar zur ZPO Rz 1 zu § 509). Mangels eines entsprechenden Revisionsgrunds kann eine Revisionsverhandlung niemals der Erörterung der Tatfrage dienen. Deshalb ist auch jede Beweisaufnahme durch das Revisionsgericht ausgeschlossen (SZ 67/215). Gerade auf eine Beweisaufnahme kommt es aber dem Kläger, worauf zu 2. zurückzukommen sein wird, an, sodaß eine Revisionsverhandlung schon deshalb nicht in Betracht kommt.

2. Gemäß § 1 StEG hat der Bund dem Geschädigten die in dessen Vermögen durch eine strafgerichtliche Anhaltung oder Verurteilung verursachten Nachteile in Geld zu ersetzen. Nach dem Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz gebührt dem Geschädigten jedoch kein immaterieller Schadenersatz (SZ 60/117; SZ 60/1; SZ 52/187).

Gemäß Art 2 Abs 1 Z 2 PersFrG darf einem Menschen die persönliche Freiheit auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise unter den dort näher geregelten Voraussetzungen entzogen werden, wenn er einer bestimmten, mit gerichtlicher oder finanzbehörlicher Strafe bedrohten Handlung verdächtig ist. Das entspricht inhaltlich der Parallelbestimmung des Art 5 Abs 1 lit c EMRK. Im Lichte dieser Regelungen im Verfassungsrang ist auch eine unter Beachtung der Vorschriften der §§ 180 und 181 StPO verhängte und aufrechterhaltene Untersuchungshaft rechtmäßig.

Gemäß Art 7 PersFrG hat jedermann, der rechtswidrig festgenommen oder angehalten wurde, Anspruch auf volle Genugtuung einschließlich des Ersatzes nicht vermögensrechtlichen Schadens. Diese Bestimmung entspricht inhaltlich jener des Art 5 Abs 5 EMRK. Demzufolge setzt ein auf diese Regelungen gestützter und im Amtshaftungsverfahren geltend zu machender immaterieller Haftentschädigungsanspruch einen rechtswidrig verhängten bzw aufrechterhaltenen Freiheitsentzug voraus.

Letzteres erkennt nunmehr auch der Kläger. Er versucht daher erstmals im Revisionsverfahren, mittels einer Fülle an Tatsachenbehauptungen darzutun, weshalb seine Untersuchungshaft rechtswidrig verhängt und aufrechterhalten worden sein soll. Deshalb beantragte er auch die Anberaumung einer Revisionsverhandlung zwecks Erörterung der Ergebnisse des Strafverfahrens, offenbar um auf diesem Weg jene Feststellungen zu erreichen, die seinem Haftentschädigungsanspruch als taugliche Grundlage dienen könnten. Dem ist vorerst zu erwidern, daß der Oberste Gerichtshof nicht Tatsacheninstanz ist. Das wurde schon zu 1. erörtert. Den Vorinstanzen ist aber - entgegen der Ansicht des Klägers - auch kein "Stoffsammlungsfehler" unterlaufen, weil die Tatsachenbehauptungen, die der Kläger seinen Revisionsausführungen zur angeblichen Rechtswidrigkeit der Verhängung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft zugrundelegt, samt und sonders auf unzulässigen Neuerungen (§ 504 Abs 2 ZPO) beruhen. Dabei ist hervorzuheben, daß der Kläger ein entsprechendes Tatsachenvorbringen im Verfahren erster Instanz unterließ, obgleich die beklagte Partei die Rechtmäßigkeit seiner Haft ausdrücklich eingewandt hatte.

Daher kommt der Zuspruch einer Haftentschädigung gemäß Art 7 PersFrG und Art 5 Abs 5 EMRK schon mangels Schlüssigkeit des Klagebegehrens nicht in Betracht, hat doch der Kläger im Verfahren erster Instanz keine Tatsachen, die eine rechtswidrige Verhängung bzw Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft nahelegen könnten, behauptet. Überdies ging das Gericht zweiter Instanz nach Verlesung des Strafakts in der Berufungsverhandlung in selbständiger Beurteilung der Verfahrensergebnisse von der Rechtmäßigkeit der Verhängung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft aus. Demnach stellt sich nicht mehr die Frage, welche Umstände für die Verjährung eines immateriellen Anspruchs auf Haftentschädigung von Belang sind, weil das Klagebegehren soweit unabhängig von Verjährungsfragen jedenfalls abzuweisen ist, ein Ergebnis, zu dem bereits das Gericht zweiter Instanz gelangte. Die Entscheidung der Streitsache hängt somit nicht von der Lösung jener Verjährungsfrage ab, die dem Gericht zweiter Instanz dennoch Anlaß gab, die ordentliche Revision zuzulassen. Zur Abweisung eines Differenzbetrags von 2.300 S aus dem Titel Mietzinszahlungen wird in den Revisionsgründen nichts vorgebracht.

Die ordentliche Revision ist daher wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen, weil der Oberste Gerichtshof bei Prüfung der Zulässigkeit der Revision an einen Ausspruch des Berufungsgerichts gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht gebunden ist.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung gemäß den §§ 40, 41 und 50 Abs 1 ZPO selbst zu tragen, weil sie auf den Zurückweisungsgrund nicht hinwies und dieser Schriftsatz somit nicht der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung diente.

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