European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0010OB00125.13H.0829.000
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Der Antrag des Minderjährigen auf Ersatz der Kosten der Revisionsrekursbeantwortung wird zurückgewiesen.
Begründung
Der Vater war zuletzt zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 330 EUR für den Minderjährigen verpflichtet. Dieser beantragte am 30. 8. 2011 die Erhöhung der Unterhaltsverpflichtung. Im Sommer 2012 übersiedelte er mit seiner obsorgeberechtigten Mutter nach Deutschland.
Das Erstgericht erhöhte den monatlichen Unterhaltsbetrag gestaffelt auf zuletzt 485 EUR und wies unbekämpft den Antrag auf „Leistung eines Sonderbedarfs“ für eine Zahnspange ab.
Der Vater bekämpfte die ausgesprochene Unterhaltserhöhung. Das Rekursgericht gab seinem Rekurs teilweise Folge und änderte allein den Leistungsbefehl ab. In seiner rechtlichen Beurteilung verwies es darauf, dass im konkreten Fall das Haager Unterhaltsprotokoll vom 23. 11. 2007 (HUP) anzuwenden sei. Nach dessen Art 3 Abs 1 richte sich das anzuwendende Recht nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes. Wechsle die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt, sei nach Abs 2 vom Zeitpunkt des Aufenthaltswechsels an das Recht des Staats des neuen gewöhnlichen Aufenthalts anzuwenden. Das Kind habe zwar im Juli 2012 seinen Wohnsitz von Österreich nach Deutschland verlegt. Auch für den Zeitraum nach der Übersiedlung sei jedoch weiterhin österreichisches Recht anzuwenden. Nach Art 4 HUP sei nämlich bei Unterhaltsansprüchen der Kinder gegenüber ihren Eltern das am Ort des angerufenen Gerichts geltende Recht ungeachtet des Art 3 dennoch anzuwenden, wenn die berechtigte Person die zuständige Behörde des Staats angerufen habe, in dem die verpflichtete Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt habe. Nur, wenn sie nach diesem Rechtssystem keinen Unterhalt erhalten würde, wäre das Recht des Staats des gewöhnlichen Aufenthalts der berechtigten Person anzuwenden. Es handle sich bei dieser Wahlgerichtszuständigkeit zwar vorrangig darum, dass ein Unterhaltsantrag erst nach einem Ortswechsel anhängig gemacht werde. Die Beibehaltung des in Österreich anhängigen Verfahrens ohne Einschränkung oder Einwand des Kindes hinsichtlich eines Wechsels des anzuwendenden Rechts nach seiner Übersiedlung in einen anderen Staat müsse einer ausdrücklichen Wahl des Gerichtsstands gleichzuhalten sein. Das Kind habe in der Rekursbeantwortung auch ausdrücklich die Anwendung österreichischen Rechts als berechtigt angesehen, wodurch die Ansicht einer weiterhin geltenden Wahl des österreichischen Rechtssystems bestätigt werde. Im Verfahren außer Streitsachen sei Stichtag der Bindungswirkung der Tag der Erlassung des erstinstanzlichen Beschlusses, hier der 28. 8. 2012. Ein Statutenwechsel komme nur in Betracht, wenn der Unterhaltsberechtigte seinen gewöhnlichen, nicht den schlichten Aufenthalt in einen anderen Staat verlege. Solange nach dem Aufenthaltswechsel mangels ausreichender Integration noch kein neuer gewöhnlicher Aufenthalt begründet worden sei, bleibe der bisherige gewöhnliche Aufenthalt grundsätzlich erhalten. Dieser gehe erst verloren, wenn eine Rückkehr an den ursprünglichen Ort aufgrund tatsächlicher Umstände nicht mehr absehbar sei. Aufgrund der kurzen Dauer des Aufenthalts des Kindes in Deutschland könne von einem gewöhnlichen Aufenthalt nicht gesprochen werden.
Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil zur Frage der Anwendbarkeit des Art 4 HUP im Fall einer Wohnsitzverlegung während eines anhängigen Unterhaltsverfahrens keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs des Vaters ist entgegen dem nach § 71 Abs 1 AußStrG nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.
Seit dem 18. 6. 2011 ist in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union die VO (EG) 2009/4 des Rates vom 18. 12. 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (EuUVO) anzuwenden (2 Ob 217/12v, 2 Ob 218/12s = iFamZ 2013/81, 109 [ Fucik ] = EvBl 2013/86 [ Gaber ] mwN). Nach Art 15 EuUVO bestimmt sich das auf Unterhaltspflichten anwendbare Recht für die Mitgliedstaaten, die durch das Haager Unterhaltsprotokoll (HUP) 2007 gebunden sind, nach diesem Protokoll. Es ist in der Union (mit Ausnahme Dänemarks und des Vereinigten Königreichs) aufgrund des Ratsbeschlusses vom 30. 11. 2009 ab dem 18. 6. 2011 anwendbar. Unterhaltspflichten vor dem Zeitraum seines Inkraftretens am 18. 6. 2011 sind nach den bisherigen Bestimmungen zu prüfen, Unterhaltspflichten für den Zeitraum danach richten sich hingegen nach dem HUP 2007 (7 Ob 116/12b = EvBl 2013/44 [ Rudolf ]= EF‑Z 2013/35, 43 [ Nademleinsky ]; 2 Ob 217/12v, 2 Ob 218/12s mwN).
Soweit das HUP 2007 nichts anderes bestimmt, ist nach seinem Art 3 Abs 1 für Unterhaltspflichten das Recht des Staates maßgebend, in dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Wechselt die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt, so ist vom Zeitpunkt des Aufenthaltswechsels an das Recht des Staates des neuen gewöhnlichen Aufenthalts anzuwenden (Art 3 Abs 2 HUP 2007).
Nach Art 4 Abs 1 lit c HUP 2007 sind die in den folgenden Absätzen enthaltenen Bestimmungen in Bezug auf Unterhaltspflichten der Kinder gegenüber ihren Eltern anzuwenden. Hat die berechtigte Person die zuständige Behörde des Staates angerufen, in dem die verpflichtete Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, so ist nach Art 4 Abs 3 HUP 2007 ungeachtet des Art 3 das am Ort des angerufenen Gerichts geltende Recht anzuwenden. Kann die berechtigte Person jedoch nach diesem Recht von der verpflichteten Person keinen Unterhalt erhalten, so ist das Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts der berechtigten Person anzuwenden.
Im Schrifttum wird vertreten, dass diese Regelung die Grundregel des Art 3 HUP 2007 zwingend verdrängt ( Weber in Burgstaller/Neumayr/ Geroldinger/Schmaranzer , Internationales Zivilverfahrensrecht, Art 4 HUntP 2007 Rz 11; Andrae in Rauscher , EuZPR/EuIPR [2010] Art 4 HUntStProt Rz 13). Die Frage, ob dies auch in einem Fall gilt, in dem zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens Unterhaltsberechtigter und Unterhaltspflichtiger ihren gewöhnlichen Aufenthalt in dem Staat haben, in dem das Verfahren eingeleitet wurde, und der Unterhaltsberechtigte während des anhängigen Verfahrens seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einen anderen Staat verlegt, muss hier nicht beantwortet werden:
Der Vater zeigt in seinem Revisionsrekurs nämlich nicht auf, welche Konsequenzen die Anwendung deutschen Rechts als das Recht jenes Staates, in den der Minderjährige im Sommer 2012 mit seiner obsorgeberechtigten Mutter übersiedelte, auf die bekämpfte Erhöhung seiner Unterhaltsverpflichtung haben sollte. Diese wurde für einen Zeitraum vom 1. 3. 2009 bis 31. 8. 2011 und (laufend) ab dem 1. 9. 2011 ausgesprochen. Das HUP 2007 ist ‑ wie dargelegt ‑ nur auf Unterhaltsansprüche für Zeiten nach seinem Inkrafttreten am 18. 6. 2011 anzuwenden. Dass die Unterhaltspflicht des Vaters für den Zeitraum, in dem er und der minderjährige Unterhaltsberechtigte in Österreich wohnten, nach österreichischem Recht zu beurteilen ist und sich die Frage des nach Art 3 Abs 2 oder 4 Abs 3 HUP 2007 anzuwendenden Rechts nicht stellte, bedarf keiner näheren Erörterung. In seinem Revisionsrekurs argumentiert der Vater zur Höhe seiner Unterhaltsverpflichtung nur mit berufsbedingten Auslagen und erhöhten Besuchsreisekosten als Folge des Wohnsitzwechsels des Minderjährigen, ohne diese Aufwendungen konkret darzulegen und zu beziffern. Dass er aber auch nach deutschem Recht, zu dem er inhaltlich nichts ausführt, für seinen Sohn unterhaltspflichtig wäre, zieht er selbst nicht in Zweifel. Es geht ihm nur um die Berücksichtigung von Aufwendungen, die er in seinem Revisionsrekurs nicht ausreichend konkret darlegt. Die Frage des anwendbaren Rechts ist demnach für die Festsetzung der Unterhaltsverpflichtung durch die Vorinstanzen derzeit nur von theoretischer Bedeutung. Ihre Beantwortung ist deshalb nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs (vgl RIS‑Justiz RS0111271 [T2]).
Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Nach § 101 Abs 2 AußStrG findet im Verfahren über Unterhaltsansprüche eines minderjährigen Kindes kein Kostenersatz statt. Der Antrag des Minderjährigen auf Ersatz der Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung ist daher zurückzuweisen.
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