OGH 1Ob115/21z

OGH1Ob115/21z21.7.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofrätin und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Weggenossenschaft C***** K*****, 2. Weggenossenschaft S***** W*****, 3. Straßengenossenschaft A***** B*****, 4. Straßengenossenschaft S***** S*****, alle vertreten durch Mag. Christoph Aumayr, Rechtsanwalt in Mattighofen, gegen die beklagte Partei Gemeinde M*****, vertreten durch die Berger Daichendt Grobovschek Rechtsanwälte OG, Salzburg, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Parteien, gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 29. März 2021, GZ 53 R 222/20h‑18, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Zell am See vom 29. Oktober 2020, GZ 16 C 172/20b‑13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00115.21Z.0721.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 1.315,37 EUR (darin 219,23 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die von den klagenden Wege- und Straßengenossenschaften verwalteten Flächen sind dem öffentlichen Verkehr dienende Privatstraßen und wurden in den 1960iger Jahren zur Erschließung eines neuen Baugebiets von der damaligen Eigentümerin der Wegegrundstücke errichtet. Der Winterdienst auf diesen Straßen wurde – auch nach Gründung der klagenden Genossenschaften, deren Mitglieder die Anrainer der jeweiligen Straßenzüge sind – tatsächlich von der beklagten Gemeinde durchgeführt. Eine schriftliche Vereinbarung über die Schneeräumung gab es lediglich zwischen der Zweitklägerin und der Beklagten. Nach dem Übereinkommen vom 7. 3. 2000 ist ein schriftlicher Widerruf dieser Vereinbarung alljährlich bei Beendigung des Winterdienstes möglich, der dem Vertragspartner bis spätestens 30. September zugehen muss.

[2] Am 9. 12. 2019 übermittelte die Beklagte den klagenden Wege- und Straßengenossenschaften jeweils ein vom Bürgermeister und dem Vizebürgermeister unterfertigtes Schreiben, mit dem sie mitteilte, dass der Gemeindevorstand entschieden hat, ihre Genossenschaftsstraße ab dem Winter 2020/2021 nicht mehr zu räumen. Wörtlich heißt es darin: „Die mit Ihrer Weggenossenschaft geschlossene Vereinbarung endet somit mit Ende des Winters 2019/2020 und laden wir Sie ein, für kommenden Winter rechtzeitig ein Schneeräumunternehmen zu organisieren. Wir ersuchen um Verständnis, dass die Gemeinde [...] eine Schneeräumung aus den oben angeführten Gründen ab dem Winter 2020/2021 nicht mehr durchführen kann.“

[3] Die klagenden Genossenschaften begehrten die Feststellung, dass die beklagte Gemeinde verpflichtet sei, den Winterdienst in Form der Schneeräumung auf den von ihnen gemäß ihrem Genossenschaftszweck verwalteten Straßen- und Wegenetzen gegen Kostenersatz von 50 % der tatsächlich anfallenden Kosten durchzuführen. Dazu erhoben sie mehrere Eventualfeststellungsbegehren. Die Beklagte habe mit der Rechtsvorgängerin des nunmehrigen Eigentümers der von ihr verwalteten Straßen- und Wegegrundstücke eine Vereinbarung über eine verpflichtende Schneeräumung geschlossen, die über mehr als 50 Jahre lang mit Änderungen des Vertragsinhalts umgesetzt worden sei. Zuletzt seien die Kosten der Schneeräumung je zur Hälfte zwischen den klagenden Genossenschaften und der Gemeinde geteilt worden; die Kosten der Splittstreuung hingegen seien von den Klägerinnen zur Gänze getragen worden. Die Beklagte habe den Winterdienst in Kenntnis der Vereinbarung auch bereits vor Gründung der klagenden Genossenschaften jahrzehntelang durchgeführt, wobei dieser Umstand auch Thema in diversen Ausschüssen der beklagten Gemeinde gewesen sei. Allfällige Formmängel seien daher durch faktisches Verhalten beseitigt worden. Die tatsächliche Durchführung von Räumungs-/Streumaßnahmen durch eine andere Person als den Eigentümer eines Grundstücks über mehrere Jahrzehnte stelle jedenfalls die (vertragliche) Übernahme dieser Verpflichtung durch schlüssige Handlung dar.

[4] Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung des Haupt- und der Eventualfeststellungsbegehren durch das Erstgericht. Es bejahte das rechtliche Interesse der Klägerinnen an der Feststellung des Bestehens eines (unkündbaren) Dauerschuldverhältnisses mit der Beklagten und gelangte – zusammengefasst – zum Ergebnis, mit der erst-, dritt- und viertklagenden Genossenschaft sei keine schriftliche, vom (jeweiligen) Bürgermeister der beklagten Gemeinde unterfertigte Vereinbarung zustandegekommen. Eine bloß mündlich erfolgte Zusage des Bürgermeisters sei aber nach den vom zeitlichen Ablauf her in Betracht kommenden Vorschriften der Salzburger Gemeindeordnung wegen Verstoßes gegen gesetzliche Formvorschriften jedenfalls unwirksam. Selbst wenn man eine (durch faktisches Verhalten schlüssig zustandegekommene) Vereinbarung annehmen wollte, wäre die Beklagte zur Aufkündigung berechtigt.Die Vereinbarung der Zweitklägerin mit der Beklagten sehe ohnehin ausdrücklich einen Widerruf vor. Die im Dezember des Vorjahres ausgesprochenen Kündigungen der Schneeräumung für den Winter 2020/2021, seien in allen Fällen fristgerecht. Die Revision sei zulässig, weil – zusammengefasst – in der höchstgerichtlichen Judikatur trotz Schriftformgebots zum Teil von einer schlüssigen Übernahme des Winterdienstes durch langjährige Übung ausgegangen werde, und keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage bestehe, ob und unter welchen Voraussetzungen in einem solchen Fall ein Vertragsverhältnis über die Durchführung eines derartigen Winterdienstes durch eine Gemeinde aufgekündigt werdenkönne.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die von der beklagten Gemeinde beantwortete Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig.

[6] 1.1 Der Oberste Gerichtshof judiziert ungeachtet der Kritik der Lehre (vgl etwa Rummel in Rummel/Lukas, ABGB4 § 867 Rz 6;Riedler in Schwimann/Kodek, ABGBV § 867 Rz 5, 6) in ständiger Rechtsprechung, dass die in Organisationsvorschriften von juristischen Personen öffentlichen Rechts enthaltenen Handlungsbeschränkungen der zur Vertretung berufenen Organe auch im Außenverhältnis wirksam sind (RIS‑Justiz RS0014664; RS0014699; RS0014717). Verträge mit einer Gemeinde können grundsätzlich auch schlüssig abgeschlossen werden, doch darf nach der Rechtsprechung dadurch die Einhaltung von Formvorschriften nicht umgangen werden (RS0014353).

[7] 1.2 Mit LGBl Nr 56/1976 wurde die Salzburger Gemeindeordnung aus 1956 wiederverlautbart, die bis zum Inkrafttreten der Salzburger Gemeindeordnung 1994 in Geltung stand. Diese wurde durch die Salzburger Gemeindeordnung 2019 abgelöst, die mit 1. 1. 2020 in Kraft getreten ist. Sowohl nach der für den vorliegenden Zeitraum maßgeblichen Vorschrift des § 39 der Salzburger Gemeindeordnung 1976 (in der jeweils geltenden Fassung) als auch nach § 42 der Gemeindeordnung 1994 bedurften Erklärungen, durch welche die Gemeinde verpflichtet werden sollte, grundsätzlich der Schriftform (jeweils Abs 1). Absatz 2 der genannten Bestimmungen ordnete jeweils an, dass die Gemeinde nicht verpflichtet wird, wenn die Formvorschrift des Absatz 1 nicht eingehalten wird. Ebenso wenig konnte die Gemeinde verpflichtet werden, wenn einer Erklärung nach dem ersten Absatz dieser Bestimmungen nicht der allenfalls erforderliche Beschluss der Gemeindevertretung, des Gemeindevorstands oder des hierzu ermächtigten Ausschusses zugrunde lag (jeweils Absatz 3).

[8] 2.1 Die Beklagte hat mit ihren Schreiben vom 9. 12. 2019 jeweils die Auflösung einer Vereinbarung ausgesprochen und legte damit ihrem Verständnis nach ein wirksames Vertragsverhältnis über die Schneeräumung mit den klagenden Wegegenossenschaften zugrunde. Ob angesichts der genannten Formvorschriften mit derErst-, Dritt- und Viertklägerin überhaupt eine schlüssige Vereinbarung über die Schneeräumung durch faktische Vornahme dieser Tätigkeit zustandekommen konnte oder zunächst unwirksame Zusagen des Bürgermeisters durch das Verhalten des Gemeinderats oder des hierzu berufenen Ausschusses der Beklagten allenfalls nachträglich genehmigt und damit wirksam werden konnten, muss unter Zugrundelegung der Beendigungserklärung ebenso wenig untersucht werden, wie die Frage, ob das mit der Zweitklägerin am 7. 3. 2000 abgeschlossene Übereinkommen alle für ihre Wirksamkeit erforderlichen Formerfordernisse erfüllte, sodass sich insoweit auch keine erheblichen Rechtsfragen stellen.

[9] 2.2 Die Klägerinnen zielen mit ihren Feststellungsbegehren auf das Bestehen eines unbefristeten Dauerschuldverhältnisses und damit die (materielle) Unwirksamkeit der von der Beklagten mit Schreiben vom 9. 12. 2020 ausgesprochenen Kündigung ab. Auf unbestimmte Zeit eingegangene Dauerschuldverhältnisse könnenmangels gegenteiliger Vereinbarung aber auch ohne wichtigen Grund aufgelöst werden (RS0018924; Rummel in Rummel/Lukas 4 § 859 ABGB Rz 46 mwN). Das gilt auch für Vereinbarungen mit einer Gebietskörperschaft im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung. Die Gründe, warum die als Regelfall anzunehmende freie Kündbarkeit nicht zum Tragen kommen soll, hat nach allgemeinen Grundsätzen jene Partei vorzutragen und nachzuweisen, die sich auf den Fortbestand des Vertrags beruft (4 Ob 223/13t). Das sind hier die Klägerinnen.

[10] 2.3 Es mag zutreffen, dass die Parteienabsicht (§ 914 ABGB) oder der Vertragszweck einer freien Kündbarkeit ohne Angabe von Gründen entgegenstehen kann. Ob das der Fall ist, hängt – wie jede Vertragsauslegung – von den Umständen des Einzelfalls ab und wirft damit im Regelfall keine Fragen von der Bedeutung des § 502 Abs 1 ZPO auf (vgl nur RS0042776). Eine Fehlbeurteilung, die vom Obersten Gerichtshof aufzugreifen wäre, und damit eine erhebliche Rechtsfrage, können die Klägerinnen in diesem Zusammenhang nicht aufzeigen.

[11] 3.1 Der Vereinbarung mit der Zweitklägerin vom 7. 3. 2000 liegt ausdrücklich die Möglichkeit zum Widerruf zugrunde. Davon, dass nach der Parteienabsicht die freie Kündbarkeit ausgeschlossen sein sollte, kann daher keine Rede sein. Inwieweit der (mögliche) Vertragszweck – im Verhältnis zu allen Klägerinnen – die freie Aufkündbarkeit durch die Beklagte ausschließen sollte, ist nicht zu erkennen. Die Klägerinnen berufen sich dazu auf eine Monopolstellung der Beklagten. Die monopolartige Stellung eines der Vertragspartner kann zwar ein wesentlicher Faktor bei der Beurteilung der Frage nach dem Zweck des Vertrags sein und insoweit auch der freien Kündbarkeit entgegenstehen (vgl 1 Ob 143/10a). Hier steht jedoch fest, dass die Beklagte selbst bereits seit Jahren die Räumung von Straßenabschnitten in ihrem Gemeindegebiet an einen Dritten ausgelagert hat, sodass die von den Revisionswerbern behauptete Monopolstellung der Beklagten nicht nachvollzogen werden kann. Darüber hinaus wäre auch ein Monopolist nicht verpflichtet, Leistungen zu einem nicht kostendeckenden Preis zu erbringen. Ihre Ausführungen zu den hoheitlichen Aufgaben der Beklagten im eigenen und im übertragenen Wirkungsbereich bleiben angesichts der rein zivilrechtlichen Rechtsverhältnisse ebenso unklar wie ihre Argumentation zu § 34 Abs 2 Salzburger Landesstraßengesetz 1972. Die von ihnen angeregte Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil diese Bestimmung ohne Relevanz für das Verfahren ist.

[12] 3.2 Nach dem Übereinkommen mit der Zweitklägerin ist ein Widerruf der Vereinbarung alljährlich bei Beendigung des Winterdienstes möglich; die schriftliche Erklärung darüber muss dem Vertragspartner bis spätestens 30. 9. zugehen. Für die Annahme der Revisionswerberinnen, diese Bestimmung sei nach dem Vertragszweck so zu verstehen, dass der Zugang am 30. 9. mit Wirkung für die nächstfolgende Wintersaison zu geschehen habe, und die von ihr daraus abgeleitete Rechtsfolge, dass die Kündigung vom 9. 12. 2019 verspätet erfolgt sei, bietet der Wortlaut keinen Anhaltspunkt. Inwieweit die mit diesem Schreiben gesetzte Frist (keine Schneeräumung mehr ab der Wintersaison 2020/2021) unangemessen und damit die Kündigung auch gegenüber den anderen Klägerinnen unwirksam sein soll, ist nicht nachvollziehbar. Da Schadenersatzansprüche nicht zu beurteilen sind, stellen sich auch keine Fragen nach einer Haftung aus culpa in contrahendo.

[13] 4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

[14] 5. Die beklagte Gemeinde hat in ihrer Rechtsmittelbeantwortung darauf hingewiesen, dass die Revision nicht zulässig ist. Ihr sind daher die darauf entfallenden Kosten zu ersetzen.

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