OGH 1Ob10/84

OGH1Ob10/8423.5.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schubert, Dr. Gamerith, Dr. Hofmann und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Friedrich L*****, vertreten durch Dr. Paul Lechenauer, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Republik Österreich (Bundesministerium für Justiz), vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1010 Wien, wegen 38.596,76 S sA infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 7. Februar 1984, GZ 3 a R 214/83-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 20. Oktober 1983, GZ 8 Cg 229/83-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.236,50 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Im Vorprozess 1 Cg 888/79 des Kreisgerichts Wiener Neustadt erhob Johann N***** gegen den nunmehrigen Amtshaftungskläger das Begehren auf Aufhebung der Eigentumsgemeinschaft der Streitteile an der Liegenschaft EZ ***** KG U*****. Der nunmehrige Kläger unterlag in erster Instanz. Das Oberlandesgericht Wien gab seiner Berufung Folge, hob das angefochtene Urteil gemäß § 496 Abs 1 Z 3 ZPO auf und verwies die Rechtssache zur Ergänzung der Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, dass die Kosten des Berufungsverfahrens weitere Verfahrenskosten seien. Der Rechtsanwalt des nunmehrigen Klägers hatte vor Schluss der Verhandlung in erster Instanz (22. Februar 1979) und vor Schluss der Berufungsverhandlung (13. Juni 1979) im Sinne des § 54 Abs 1 ZPO Kostenverzeichnisse gelegt. Im zweiten Rechtsgang unterblieb in erster Instanz die Übergabe des Kostenverzeichnisses, weil der Rechtsanwalt des nunmehrigen Klägers die Tagsatzung vom 2. Oktober 1980, in der das Verfahren geschlossen wurde, unbesucht ließ. Wegen Zwangsversteigerung der Liegenschaftshälfte des nunmehrigen Klägers schränkte Johann N***** das Klagebegehren auf Kosten ein. Das Kreisgericht Wiener Neustadt gab dem eingeschränkten Klagebegehren mit Urteil vom 20. Oktober 1980 neuerlich statt. Das Oberlandesgericht Wien gab der „Berufung" (richtig: dem Kostenrekurs) des nunmehrigen Klägers mit Beschluss vom 18. Dezember 1980, 13 R 218/80-31, teilweise Folge und wies das Kostenbegehren Johann N*****s ab, weil er infolge unbegründeter Zurücknahme des Klagebegehrens als unterlegen im Sinne des § 41 ZPO zu gelten habe. Das Oberlandesgericht Wien war der Ansicht, dass auch der Kläger keinen Anspruch auf Ersatz seiner Verfahrenskosten erster Instanz habe und führte dazu wörtlich aus: „Unbegründet ist jedoch der Kostenrekurs des Beklagten insoweit, als er auch die weitere Abänderung des Ersturteils im Sinne einer Verurteilung des Klägers zum Ersatz seiner eigenen Prozesskosten anstrebt. Voraussetzung für einen solchen Kostenzuspruch wäre gemäß § 54 Abs 1 ZPO gewesen, dass er als Kostenersatz ansprechende Partei dem Gericht ein Verzeichnis seiner Kosten vor Schluss der der Entscheidung über den Kostenersatzanspruch unmittelbar vorangegangenen Verhandlung übergeben hätte. Dies war jedoch nicht der Fall, weil der Beklagte zu dieser Verhandlung nicht erschienen ist. Er hat deshalb seinen Ersatzanspruch im Sinne des § 54 Abs 1 ZPO verloren. Daran ändert es auch nichts, dass er bereits im vorangegangenen Verfahren Prozesskosten verzeichnet hat, weil es nicht auf diese Kostenverzeichnisse, sondern nur auf das in der vor Schluss der der Entscheidung über den Kostenersatzanspruch unmittelbar vorangegangenen Verhandlung vorgelegte Kostenverzeichnis ankommt und ohne ein solches Verzeichnis nicht zweifelsfrei beurteilt werden kann, ob und in welchem Umfang die bisher verzeichneten Kosten weiterhin begehrt werden."

Mit der vorliegenden Amtshaftungsklage begehrt der Kläger zuletzt Zahlung von 38.596,76 S sA mit der Begründung, dass der zitierten Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien im Kostenpunkt eine unvertretbare Rechtsansicht zugrundeliege. Er habe im ersten Rechtsgang die Kosten rechtzeitig verzeichnet und den Antrag auf ihren Zuspruch nie zurückgenommen. Das Oberlandesgericht Wien hätte ihm daher die Kosten des ersten Rechtsgangs zusprechen müssen. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Gemäß § 54 Abs 1 ZPO habe die Partei, welche Kostenersatz anspreche, bei sonstigem Verluste des Ersatzanspruchs das Verzeichnis der Kosten vor Schluss der der Entscheidung über den Kostenersatzanspruch (§ 52) unmittelbar vorangehenden Verhandlung dem Gericht zu übergeben. Schon aus der „eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang" (§ 6 ABGB) ergebe sich daraus, dass der Gesetzgeber damit einen bloßen Endtermin festlegen wollte, nach dem Kosten nicht mehr verzeichnet werden könnten. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien beruhe auf unrichtiger Rechtsanwendung. Eine unrichtige, aber vertretbare Rechtsansicht löse zwar insbesondere dann, wenn Gesetzesbestimmungen nicht vollkommen eindeutig seien, Unklarheiten über die Tragweite des Wortlauts enthielten und eine höchstrichterliche Rechtsprechung als Entscheidungshilfe nicht zur Verfügung stehe, keinen Amtshaftungsanspruch aus. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien sei aber unvertretbar, weil Kosten auch mit jeder einzelnen Prozesshandlung „schriftlicher Art" verzeichnet werden könnten, ohne dass dann eine neuerliche gesonderte Verzeichnung notwendig wäre. Es sei unzweifelhaft, dass dann, wenn ein zweiter Rechtsgang erforderlich werde, die nunmehr neuerlich zu legende Kostennote nur die neu angefallenen Kosten enthalten müsse. Es entspreche allgemeiner Übung, dass einmal verzeichnete Kosten nicht neuerlich verzeichnet werden müssten. Außerdem habe der Kläger in seinem Rechtsmittelantrag ausdrücklich begehrt, ihm die Prozesskosten des ersten und zweiten Rechtszugs zu ersetzen.

Das Berufungsgericht änderte das angefochtene Urteil dahin ab, dass es das Klagebegehren abwies, und erklärte die Revision gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO für zulässig. Wenn der äußerst mögliche Wortsinn die Grenzen der Auslegung abstecke, könne mit den Worten „unmittelbar vorangehende Verhandlung" im § 54 Abs 1 ZPO sowohl der frühestzulässige als auch der spätestzulässige Vorlagezeitpunkt gemeint sein. Die Erwägungen des Schrifttums zu § 54 ZPO beschränkten sich weitgehend auf die Frage der Rechtzeitigkeit der Vorlage des Kostenverzeichnisses im Hinblick auf einen Endtermin. Den Materialien zur ZPO sei aber auch zu entnehmen, dass die Bestimmung des § 54 ZPO ebenso eine vorzeitige Entscheidung über den Kostenpunkt habe verhindern wollen, weshalb der Kostenersatzanspruch vor Schluss „der" mündlichen Verhandlung erhoben werden müsse, aufgrund welcher im Sinne des § 52 ZPO auch über die Kostenfrage entschieden werden könne. Die Bestimmung des § 54 ZPO sei entgegen der Ansicht des Klägers nicht so vollkommen eindeutig, dass nur seine Interpretation herausgelesen werden könnte. Obwohl das Problem durch die Teilung des Verfahrens in getrennte Rechtsgänge verschärft werde und das Berufungsgericht die vom Erstgericht dazu geäußerte Rechtsansicht im Ergebnis billige, erscheine doch die vom Rekurssenat des Oberlandesgerichts Wien gefassten Kostenentscheidung vertretbar. Es fehle sohin am Tatbestandsmerkmal eines Verschuldens.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Der Bund haftet gemäß § 1 Abs 1 AHG nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts für den Schaden am Vermögen, den die als seine Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben. Die Richter des Rekursgerichts (OLG Wien), die an jenem kollegialen Beschluss mitwirkten, aus dem der Ersatzanspruch abgeleitet wird, sind solche Organe.

Die Vorinstanzen haben im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs - wenn auch mit verschiedenem Ergebnis - zutreffend erkannt, dass keineswegs jede objektiv unrichtige Entscheidung eines Gerichts Amtshaftung begründet, insbesondere dann nicht, wenn die zur Anwendung kommenden gesetzlichen Bestimmungen nicht vollkommen eindeutig sind, Unklarheiten über die Tragweite ihres Wortlauts enthalten und höchstrichterliche Rechtsprechung als Entscheidungshilfe nicht zur Verfügung steht. Im Amtshaftsungsprozess ist nicht wie in einem Rechtsmittelverfahren zu prüfen, ob die in Betracht kommende Entscheidung richtig war, sondern ob sie auf einer bei pflichtgemäßer Überlegung vertretbarer Gesetzesauslegung oder Rechtsanwendung beruht (SZ 53/83; SZ 52/56; EvBl 1977/16; vgl Loebenstein-Kaniak, Komm z AHG 64; Welser, Öffentlichrechtliches und Privatrechtliches aus Anlass einer Amtshaftungsklage, JBl 1975, 238 f). Sie mag dann zwar rechtswidrig sein - für die Auffassung Vrba-Zechners, Komm.z.Amtshaftungsrecht 163, dass § 1 Abs 1 AHG im Sinne einer „spezifischen Rechtswidrigkeit" verstanden werden müsse, sodass rechtlich unrichtige, aber vertretbare Auffassung nicht rechtswidrig seien, bietet das Gesetz keinen Anhaltspunkt -, stellt aber kein Verschulden, das für eine Amtshaftung Voraussetzung ist, dar. Nur ein Abweichen von einer klaren Gesetzeslage oder von der ständigen Rechtsprechung des zuständigen Höchstgerichts, das nicht erkennen lässt, dass es auf einer sorgfältigen und damit auch schriftlich begründeten Überlegung beruht, wird in der Regel als ein Verschulden anzusehen sein (SZ 52/56; vgl auch Meier, Prozesskosten und Amtshaftung, JBl 1979, 617, 628). Diese Grundsätze gelten insbesondere auch für Prozesskostenentscheidungen, aus denen ein Amtshaftungsanspruch abgeleitet wird. Auch Prozesskosten können demnach im Amtshaftungsweg nur ersetzt werden, wenn die letzte zur Kostenentscheidung berufene Instanz des Vorprozesses eine (eindeutige) positive Vorschrift verletzt, eine nach der Rechtslage unvertretbare Entscheidung gefällt oder das eingeräumte Ermessen überschritten hat (JBl 1977, 539; ähnl. Meier aaO 628). Diese Voraussetzungen liegen, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte, hier nicht vor. Gegenstand des erhobenen Ersatzanspruchs sind nur die Kosten des ersten Rechtsgangs des Vorprozesses, deren Ersatz der Rechtsanwalt des Amtshaftungskläger in Einhaltung der Bestimmung des § 54 Abs 1 ZPO vor Schluss der der Entscheidung über den Kostenersatzanspruch unmittelbar vorangegangener Verhandlung des ersten Rechtsgangs, also vor Schluss der Verhandlung in erster Instanz (22. Februar 1979) und vor Schluss der Berufungsverhandlung (13. Juni 1979), jeweils durch Legung eines Kostenverzeichnisses ansprach. Es ist daher die Rechtsansicht des Oberlandesgerichts Wien, dass es auf diese Kostenverzeichnisse infolge Zurückverweisung der Rechtssache durch das Berufungsgericht an die erste Instanz nicht mehr ankam, sondern nur auf ein Kostenverzeichnis, das vor Schluss der der Entscheidung über den Kostenersatzanspruch unmittelbar vorangegangenen Verhandlung (im zweiten Rechtsgang) zu legen gewesen wäre, auf ihre Vertretbarkeit zu prüfen. Da durch die Aufhebung eines Ersturteils gemäß § 496 Abs 1 Z 3 ZPO das Verfahren in den Stand vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz zurücktritt und - mangels vollständiger Erledigung der Streitsache (§ 52 Abs 1 ZPO) - die Entscheidung über den Kostenersatzanspruch bei Aufhebung und Rückverweisung der Rechtssache an die erste Instanz regelmäßig in den zweiten Rechtsgang verlegt wird, ist die Ansicht vertretbar, dass damit auch die Wirkungen einer im ersten Rechtsgang gemäß § 54 Abs 1 ZPO ordnungsgemäß vorgenommenen Kostenverzeichnis wieder weggefallen sind und zur Wahrung des (gesamten) Kostenersatzanspruchs vor Schluss der der Entscheidung über den Kostenersatzanspruch unmittelbar vorangehenden Verhandlung im zweiten Rechtsgang neuerlich Kostennote, die nur nicht neuerlich die detaillierte Verzeichnung aller Kosten enthalten, aber doch erkennen lassen muss, dass die Kosten nun auch zu dem allein maßgebenden Zeitpunkt neuerlich verzeichnet und damit angesprochen werden („ergänzendes Kostenverzeichnis") zu legen ist. Gegen die Vertretbarkeit der Rechtsansicht des Oberlandesgerichts Wien könnte es sprechen, wenn der Gesetzgeber klargestellt hätte, dass der Schluss der der Entscheidung über den Kostenersatzanspruch unmittelbar vorangehenden Verhandlung nur einen Endtermin darstellt, der eine frühere Legung des Kostenverzeichnisses nicht ausschließt. Gerade das geht aber aus § 54 Abs 1 ZPO nicht ganz eindeutig hervor. Da diese Bestimmung ausdrücklich von der der Entscheidung über den Kostenersatzanspruch unmittelbar vorangehenden Verhandlung spricht, kann sie durchaus dahin verstanden werden, dass der Gesetzgeber für die Vorlegung des Kostenverzeichnisses entweder einen ganz bestimmten Zeitpunkt vor Schluss der Verhandlung, zu dem allein auch erst der gesamte Kostenersatzanspruch bekannt ist, oder doch zumindest nur den Zeitraum der dem Schluss der Verhandlung unmittelbar vorgegangenen Verhandlung (richtig Tagsatzung) festsetzen wollte; folgt man letzterer Auffassung, kann auch § 54 Abs 2 ZPO nicht dagegen sprechen, welche Bestimmung mit den Worten „nach dem Zeitpunkt, bis zu dem nach Abs 1 das Kostenverzeichnis einzureichen ist" eher auf einen notwendigen Endzeitpunkt für die Vorlage des Kostenverzeichnisses hinweist.

Da die gesetzlichen Bestimmungen, die das Oberlandesgericht Wien bei seiner Kostenentscheidung anzuwenden hatte, für Fälle, in denen es zu einem zweiten Rechtsgang und damit zu einer neuerlichen Entscheidung über die Verpflichtung zum Kostenersatz im Sinne des § 52 Abs 1 ZPO kommt, jedenfalls nicht vollkommen eindeutig sind und auch eine höchstrichterliche Rechtsprechung darüber fehlt, beruht die vom Oberlandesgericht Wien ausreichend begründete Rechtsansicht auf einer vertretbaren Gesetzesauslegung. Es liegt somit kein Organverschulden vor. Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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