OGH 17Os24/15f

OGH17Os24/15f14.12.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Dezember 2015 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek und Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher, sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oberressl in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Weißnar als Schriftführerin in der Strafsache gegen Edwin M***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 20. Juni 2014, GZ 23 Hv 79/13v‑69, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung gegen den Strafausspruch werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Edwin M***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in Z***** mit dem Vorsatz, dadurch „die Republik Österreich und die nachangeführten Personen in ihren konkreten Rechten auf gesetzmäßige Durchführung von Verkehrskontrollen und gesetzeskonforme Einhebung und Abführung von Strafgeldern zu schädigen“, seine Befugnis, im Namen des „Bundes“ (richtig [vgl Art 11 Abs 1 Z 4 B‑VG]: Landes) als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er im Rahmen von Verkehrskontrollen mit elektronischer Geschwindigkeitsmessung Geldstrafen von 50 Euro (am 17. Juli 2011 von Michel L*****) und von 35 Euro (am 30. Juli 2011 von Michel D*****) einhob, den Beanstandeten jeweils einen „Zahlungsbeleg“ (gemeint offenbar [US 4]: die Urschrift der Organstrafverfügung gemäß § 2 Organstrafverfügungenverordnung [OrgStVfgV]) über einen Strafbetrag von (bloß) 30 Euro übergab, den Differenzbetrag einbehielt und nicht an die „Bezirksverwaltungsbehörde“ abführte, sondern für sich verwendete.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 9 (lit a) StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht im Recht.

Vorweg ist mit Blick auf das Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) im erstinstanzlichen Urteilstenor und die Feststellungen zum Schädigungsvorsatz (US 5) Folgendes klarzustellen:

Von (hier nicht gegebenen) gesetzlichen Ausnahmen abgesehen besteht kein Rechtsanspruch auf Ahndung von Verwaltungsübertretungen mittels Organstrafverfügung anstelle einer Anzeige an die Behörde (hier gemäß § 94a Abs 1 StVO die Landesregierung; Weilguni in Lewisch/Fister/Weilguni , VStG § 50 Rz 4; N. Raschauer in N. Raschauer/Wessely , VStG § 50 Rz 9; VwGH 94/02/0520; 91/03/0113 ua). Die Zahlung des Geldbetrags erfolgt freiwillig und entfaltet Sperrwirkung; dem Wesen nach handelt es sich um eine der (strafprozessualen) Diversion vergleichbare Erledigungsform. Bei Nichtzahlung der Geldstrafe wird die Organstrafverfügung gemäß § 50 Abs 6 VStG gegenstandslos und es ist Anzeige an die Behörde zu erstatten; diese hat dann eine Strafverfügung zu erlassen oder das ordentliche Strafverfahren durchzuführen ( Weilguni in Lewisch/Fister/Weilguni , VStG § 50 Rz 3, 20 f und 25; N. Raschauer in N. Raschauer/Wessely , Kommentar zum VStG, § 50 Rz 1, 3 und 5, jeweils mwN; vgl auch VwGH 92/17/0284; 90/03/0145).

Ein „Recht“ der „gestraften Personen“ (oder der „Republik Österreich“) auf „Einhebung nur der vorgeschriebenen Strafgelder“ (vgl US 5; gemeint ersichtlich: auf Einhebung von Geldstrafen bloß in der ‑ nach den Feststellungen [US 3] ‑ laut Ermächtigungsurkunde [vgl § 50 Abs 3 VStG] vorgesehenen Höhe) kommt daher als Bezugspunkt des tatbestandlichen Schädigungsvorsatzes nicht in Betracht. Ebenso wenig ein Recht „auf Durchführung einer gesetzeskonformen Amtshandlung“, weil dieses gleichbedeutend mit einem (unter dem Aspekt des Schädigungsvorsatzes unbeachtlichen) Anspruch auf den Vorschriften entsprechenden Gebrauch der vom Beamten in Anspruch genommenen Befugnis wäre (RIS-Justiz RS0096270 [insbesondere T12, T16, T18, T23]).

In Bezug auf die Einhebung der Geldstrafen hat das Erstgericht allerdings hinreichend deutlich auch einen auf Schädigung des Vermögens der Beanstandeten bezogenen Vorsatz festgestellt (US 11).

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurde den Anträgen auf „Durchführung eines Ortsaugenscheines unter Beiziehung“ mehrerer (namentlich genannter) Polizeibeamter „zum Beweis dafür, dass die heutigen Darstellungen der Zeugen sowohl mit der Anzahl der anwesenden Polizeibeamten, als auch mit der Anzahl der anwesenden Polizeifahrzeuge nicht übereinstimmt und die Situation vor Ort, insbesondere die Lärmbeeinträchtigung von den Zeugen nicht in der tatsächlichen Lärmsituation geschildert wurde“ sowie auf „Einholung eines HNO‑fachärztlichen Gutachtens zum Beweis dafür, dass bei gegebener Lärmbelastung vor Ort und bestehenden Sprachschwierigkeiten eine fehlerfreie Konversation ausgeschlossen ist“ (ON 68 S 34 f), zu Recht nicht entsprochen. Denn das Beweisthema einer lärmbedingten Beeinträchtigung der Kommunikation betraf angesichts des Tatvorwurfs (Missbrauch durch [tatsächliches] Kassieren und Nichtabfuhr von Geldstrafen) keine erhebliche Tatsache. Gleiches gilt, soweit die Glaubwürdigkeit der Belastungszeugen durch Beweis von mit dem eigentlichen Tatgeschehen in keinem Zusammenhang stehenden Umständen (betreffend die Anzahl anwesender Polizeibeamter oder -fahrzeuge) in Frage gestellt werden sollte ( Ratz , WK‑StPO Rz 327, 340 f und 432).

Einen im Sinn der Rechtsprechung gegebenen Ausnahmefall (vgl RIS‑Justiz RS0097733), welcher die Unterstützung der Tatrichter bei der Glaubwürdigkeitsprüfung durch besonderes Fachwissen erfordert hätte, vermochte der ‑ ebenfalls zu Recht abgewiesene ‑ Antrag auf „Einholung eines kriminalpsychologischen Sachbefundes“ zum Beweis dafür, „dass die Darstellungen der Zeugen nicht auf tatsächlich wahrgenommenen Sachverhalten beruhen, sondern auf Erinnerungen, die im Zuge nachträglicher Erörterungen des Sachverhaltes entstanden sind“ (ON 68 S 35), nicht aufzuzeigen.

Entgegen der Mängelrüge sind die Feststellungen zur subjektiven Tatseite mit der Ableitung aus dem äußeren Sachverhalt (US 11) keineswegs offenbar unzureichend (Z 5 vierter Fall) begründet. Vielmehr ist ein solcher Schluss bei ‑ wie hier ‑ leugnenden Angeklagten in aller Regel methodisch nicht zu ersetzen (RIS‑Justiz RS0116882).

Indem der Beschwerdeführer aus seiner Verantwortung und den Aussagen der Belastungszeugen zum Tatgeschehen auf Grund eigener Erwägungen für ihn günstigere Schlussfolgerungen im Hinblick auf die subjektive Tatseite zieht als das Erstgericht nach mängelfreier Erörterung dieser Verfahrensergebnisse (US 6 ff), bekämpft er bloß dessen Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuld-berufung.

Mit diesem auch von der Tatsachenrüge (Z 5a) verfolgten Ansatz werden keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen geweckt (RIS‑Justiz RS0099674). Gleiches gilt für ‑ zudem ohne Aktenbezug (RIS‑Justiz RS0117446) ‑ ins Treffen geführte Auskünfte von Vorgesetzten, nach welchen der Beschwerdeführer „stets korrekt und vorbildlich gehandelt“ habe.

Der Verweis der weiteren Tatsachenrüge (Z 5a) auf das Vorbringen der Mängelrüge vernachlässigt den wesensmäßigen Unterschied der einzelnen Nichtigkeitsgründe, die demnach (ihren spezifischen Voraussetzungen entsprechend) gesondert auszuführen sind (RIS-Justiz RS0115902).

Die Annahme der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit der Belastungszeugen und der Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers (US 6 ff) ist ebenso wenig Gegenstand zulässiger Kritik aus Z 5a (RIS‑Justiz RS0099649) wie die behauptete Verletzung des strafprozessualen Zweifelsgrundsatzes (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 450). Mit dem Hinweis auf Ungenauigkeiten in den Schilderungen dieser Zeugen zu nebensächlichen Details des Tatgeschehens oder dessen Begleitumstände werden übrigens auch keine ‑ im Sinn der Urteilsvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) ‑ erörterungsbedürftigen Beweisergebnisse ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 431 f) aufgezeigt.

Die Behauptung der Rechtsrüge (Z 9 lit a), es fehlten Feststellungen zu den (tatsächlich von den Beanstandeten zu verantwortenden) Geschwindigkeitsüber-schreitungen, entfernt sich vom Urteilssachverhalt (US 5; RIS‑Justiz RS0099810).

Der auf den konstatierten Inhalt der Ermächtigungsurkunde (wonach für die mit Messgerät festgestellte „Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zwischen 21 und 25 km/h“ eine Geldstrafe von [bloß] 30 Euro vorgesehen gewesen sei [US 3]) gestützte Einwand, „außerhalb“ des „vom Gesetzgeber zugewiesenen Befugnis- bzw. Kompetenzbereiches, scheidet ein Missbrauch der Amtsgewalt von vornherein aus“, bleibt ohne methodengerechte Ableitung aus dem Gesetz (RIS‑Justiz RS0116565). Nach § 100 StVO (auch in der im Tatzeitraum geltenden Fassung) hatte der Beschwerdeführer nämlich die Befugnis, etwa bei mit Messgeräten festgestellten Überschreitungen der auf Autobahnen erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h von mehr als 20 bis 30 km/h eine Geldstrafe von 50 Euro (Abs 5b), bei Überschreitungen von ziffernmäßig festgesetzten erlaubten Höchstgeschwindigkeiten (allgemein) um mehr als 30 km/h eine Geldstrafe von 70 Euro (Abs 5a) mit Organstrafverfügung sofort einzuheben. Weshalb die (bloß behördeninterne [vgl N. Raschauer in N. Raschauer/Wessely , Kommentar zum VStG, § 50 Rz 10]) Beschränkung dieser vom Gesetz eingeräumten Befugnis die Tatbestandserfüllung ausschließen soll, erklärt die Rechtsrüge nicht (RIS‑Justiz RS0096134 [T3]; vgl Bertel in WK 2 StGB § 302 Rz 64).

Im Übrigen überträgt die Ermächtigung, „mit Organstrafverfügung Geldstrafen einzuheben“ (§ 50 Abs 1 erster Satz VStG), eine ‑ vom Angeklagten wissentlich fehlgebrauchte ‑ (von der Unterwerfung nach § 50 Abs 6 VStG abhängige) Strafbefugnis. Der Gebrauch der Befugnis besteht in einer Entscheidung des Ermächtigten zur Einhebung zugleich (im Sinn von § 50 Abs 6 zweiter Satz VStG auflösend bedingt) verhängter Geldstrafen (hier: von 50 Euro am 17. Juli 2011 und von 35 Euro am 30. Juli 2011). Verwendung und Ausfüllung der von § 50 Abs 5 VStG angesprochenen Drucksorte und Abführen des entscheidungsgemäß eingenommenen Geldbetrags sind nachgelagerte Pflichten des Ermächtigten (17 Os 2/13t, EvBl 2013/70, 470). Gibt die ausgefüllte Drucksorte (§ 50 Abs 5 VStG) die Entscheidung, mit Organstrafverfügung eine Geldstrafe in bestimmter Höhe einzuheben, nicht richtig wieder, ändert dies den Inhalt der Entscheidung nicht (vgl 17 Os 36/14v, EvBl 2014/160, 1099).

Die auf Literaturstellen ( Kienapfel/Schmoller StudB BT III 2 § 302 Rz 25; Bertel in WK 2 StGB § 302 Rz 56 f) gestützte pauschale Argumentation (der Sache nach Z 10), eine (durch die Amtstätigkeit ermöglichte [vgl § 313 StGB], eigenmächtige) „Zueignung von Sachen und Geldern, die dem Beamten dienstlich zugekommen sind, ist kein Hoheitsakt und kann darum kein Amtsmissbrauch“, sondern allenfalls „ein Vermögensdelikt“ sein, verfehlt die Bezugnahme auf den hier maßgeblichen Sachverhalt (vgl US 3 ff). Nach diesem habe der Beschwerdeführer schon bei Einhebung der Geldstrafen gegen behördeninterne Vorgaben verstoßen (somit missbräuchlich gehandelt) und zudem die gerade ihn ‑ im Gefolge seines auf § 50 VStG gestützten Vorgehens ‑ treffende Verpflichtung (§ 2 dritter Satz OrgStVfgV) zur Abführung der eingehobenen Strafbeträge an die Behörde (teilweise) verletzt (vgl RIS‑Justiz RS0129855).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Ebenso war mit der im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung zu verfahren (RIS‑Justiz RS0100080).

Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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